Hansi und die rote Frau (5)

Einundvierzigste Nacht. Nächtelang hatte Hansi vergebens auf die rote Frau gewartet. Nur der Vollmond hatte hämisch vom Himmel geguckt, so als wollte er sagen: Is nix mit roter Frau, Hansi!
Er hatte von der roten Frau geträumt, sie war vom Fenstersims heruntergestiegen und war zu seinem Bett gekommen. Hansi hatte sich nicht getraut hinzusehen, sie war ja nackt, und auf Nackte zu starren, war unhöflich, vielleicht sogar unverschämt. Unverschämt. Verschämt hatte Hansi die Bettdecke über den Kopf gezogen und hatte die Worte der roten Frau gehört: Hansi, rede mit mir! Du kannst nicht immer nur schweigen und zum Mond starren. Das macht doch jede Beziehung kaputt, Hansi, rede endlich.
Beziehung, hallo?, dachte Hansi, wo haben wir denn eine Beziehung? Also, da gehört ja wohl etwas mehr dazu, als ein paar mal auf dem Fensterbrett zu sitzen und nackt zu sein. Als Hansi seinen ersten Satz sagen wollte, spontan und aus dem Bauch heraus: Ich will ja reden, ich will ja die Beziehung nicht kaputt machen!, war die rote Frau schon verschwunden, war der Traum geplatzt, nur der Mond stand noch am Himmel und der hatte sich auch schon zurückgezogen, war nur noch eine dünne Sichel.
Einundvierzigste Nacht.
Die rote Frau war wieder da. Sie saß wie so oft auf dem Fenstersims, hatte die Hand vor die Stirn gelegt und starrte mal wieder auf die Haken, mit dem man das Fenster, wenn es weit offen war, festmachen konnte, damit es bei Sturm nicht klapperte. Als wenn das jetzt wichtig gewesen wäre: Ein Fensterhaken!
Aber, wo war der Mond? Hansi stutzte. Das durfte mal wieder nicht wahr sein! Der Mond war weg. Heute hätte Hansi sein Schweigen gebrochen. Aber nicht ohne Mond.
Hansi schloss die Augen und hoffte, im Traum noch etwas üben zu können.

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