Alle denken an mich nicht

Und dann ist sie wieder da, die Melancholik, diese Mischung aus allumfassender Traurigkeit und Schmerz. Ja, es schmerzt, wenn sich niemand kümmert, wenn es niemanden interessiert, wie es mir geht, wenn alles vorbeiläuft am Leid des Nachbarn, der vielleicht vereinsamt in seinem Gartenhäuschen sitzt und sich versteckt, damit seine Schreie nicht gehört werden, wenn der Krampf wieder kommt, wenn es schmerzt. Weltschmerz, globaler Schmerz, universaler, universeller Schmerz.
Das ist unsere Zeit, unsere neue Zeit: Unbemerkt das Einzelschicksal, unbemerkt das individuelle Los, jeder interessiert sich nur für sich, für sein Fortkommen oder sein wohliges Hierbleiben, Wellness auf jeder Ebene, perverse Wellness, nicht einmal mehr Mitleid kennt der Mensch, das ist ihm schon zu viel Leid, da leidet er ja vielleicht selbst, und das passt nicht zum Zeitgeist, der Erfolg verlangt, der Glück und Schönheit fordert, Schlanksein, Ranksein, nur das Bankkonto darf fett sein, oder schmal und der fette Rest in der Schweiz oder in Luxemburgliechtensteincayman.
Da die Villen im Tessin, hier das Gärtenhäuschen, dessen Wände so viel Schmerz gehört haben. Melancholik. Da kommt wieder eine, aber draußen kommt niemand.
Und dann diese Jammerer, die glauben, sie litten den größten Schmerz, sie trügen das Leid der Welt, und ich sage, sie sind nicht Jesus, der hat das nämlich für uns getan, damit wir frei sind.
Nur bei mir hat das nicht geklappt. Ich sitze hier verloren, gebeugt, gekrümmt, gekrampft.
Diese Jammerer sollten sich mal ans Kreuz schlagen lassen, dann wissen die, was Schmerzen sind. Ich habe es im Kreuz, ist die einzige Aussage. In diesem Zusammenhang.
Ich mag es nicht, wenn die ganze Welt jammert, obwohl der Zeitgeist Spass mit Doppel-s angesagt hat.
Spasmen  quälen mich, Seelenspasmen.
Niemand kann nachempfinden, wie ich leide. niemand will das, und das schmerzt noch mehr, das macht den Schmerz unerträglich. Alle denken nur an sich, dieser uralte Spruch, als Witz gemeint, alle denken nur an sich, nur ich denke an mich, das ist kein Witz, das ist Neoliberalismus, das ist bitterer Ernst.

Folgen der Rechtschreibreform

Watttim.
Watttina.
Watttom.
Watttoni.
Watttrude.
Seit der Erfindung des unbegrenzten Dreifachkonsonanten im Rahmen der allerletzten Rechtschreibreform gibt es außerhalb des Wortes Sauerstoffflasche so schöne Möglichkeiten, auf interessante Sachverhalte durch ungewöhnliches Schreiben und Lesen hinzuweisen.
Man nehme an, es gäbe eine Schar von Wattführern, die die Namen Tim, Tina, Tom, Toni und Trude hießen. Diese könnte man mit dem Wort Watt durch einen Dreifachkonsonanten verbinden und das könnte bewirken, dass der Watttourismus in einem beliebigen Urlaubsort nach vorn gebracht würde.
Mit dem Europäischen Rat müsste geklärt werden, ob Stellenausschreibungen auf Bewerber beschränkt werden können, deren Vornamen mit T beginnen, oder ob man vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Diskriminierung klagen könnte und auch Vornamen, die mit G oder H oder Z oder ähnlich beginnen, zugelassen werden müssten; was wiederum die eigentliche Idee zerstören würde.
Man sieht mal wieder: Die Vorschriften passen nicht immer zu den Idee, und diese nicht zur Wirklichkeit. Europa hin oder her.
Vielleicht könnte man in Dresden ja mal dafür oder dagegen spazieren gehen, die Richtung wäre egal, Hauptsache bewegen.

Am Politiker belauscht: Merkel und Seehofer


Welttag der roten Kleidungsstücke

Welttag  der roten Kleidungsstücke. Wie trist wirkte die Welt, wie Grau in Grau, wie blass und farblos, wie öde und schnöde, wie deprimierend, wenn es nicht die Farbe Rot gäbe. Das Rot lässt zwar alles um sich herum verblassen und scheint unangemessen zu dominieren wie in früheren Jahren das Grün, das Braun und schließlich das unselige Umbra, aber es ist wenigstens eine Farbe, die uns daran erinnert, dass es keine Farbfilme mehr gibt und alles nur noch digital gespeichert wird.
So ist es eine schöne Geste, den Welttag der roten Kleidungsstück zu begehen, denn niemand kann gezwungen werden, diese zu kaufen und dann auch noch zu tragen, sondern hätte jederzeit sein Kostüm in Schlammfarbe anziehen können. Und das ist nicht chic, besonders, wenn es regnet.

Neue Mode: Schrecklich

Jedes Jahr dasselbe. Die Models stakeln über den Laufsteg und zeigen die neuesten Kreationen, die der halbseidene Meister hingeworfen hat, das Publikum schlürft am Champagner und hält Canapées in den spitzen Fingern. Dann will die Gattin unbedingt ein Kleid des Couturiers erwerben lassen und das Portemonnaie des Mannes schrumpft wie die kranke Leber. Trotzdem wird gezahlt, denn alles andere gäbe Krach, und den kann ein Mann mit Schrumpfleber nicht gebrauchen, da soll es lieber der Geld- und nicht der Herzbeutel sein, der sich schmerzhaft zusammenzieht und einen Infarkt ankündigt. Wer weiß, was morgen ist, denkt der Betuchte und zückt die Scheine , in die er so heiß verliebt ist. Er weiß, was kommen wird. Da Kleid wird nicht halb so gut aussehen wie an bei der flotten Achtzehnjährigen vom Laufsteg; es wird eher eine Farce sein, und er wird gute Miene zu hässlichem Spiel machen. Das Schlimste: Die Männer werden Wilma zu Füßen liegen, sie werden sich an sie schmiegen, am Saum ihres neuen Kleides schnüffeln und leise grunzen um zu signalisieren, ich nähme dich, wenn dich dein Alter nicht mehr will. Gebuckelt wird und Speichel geleckt, nur um teilzuhaben an der Ablösesumme, die sich bei einer Scheidung zu Verfügung stellen müsste. Geld und neues Kleid lassen eine unschöne Frau vergessen. Bittere Erkenntnis des 21.Jahrhunderts.

G.Fried: Geschichten vom jungen Bodo - Der Zahn


Bodo sitzt am Wohnzimmertisch. Er hält den Mund leicht geöffnet, aus dem ein schwarzer Zwirnsfaden herausguckt und schlaff bis zur Küchentür hängt.
Der Zwirnsfaden ist an der Klinke festgeknotet. Das andere Ende des Fadens ist um einen Zahn in Bodos Mund gewickelt. Auf der linken Seite ist es der dritte von der Mitte aus gezählt.
Es ist ein Milchzahn, der schon seit Tagen locker sitzt.
Bodo fasst mit dem Finger an den Zahn, um zu überprüfen, ob er sich nicht schon gelöst hat oder vielleicht ganz einfach, ohne einen winzigen Schmerz, am Finger kleben bleibt.
Der Zahn hat weder das eine getan, noch tut er das andere.
„Du musst den Zahn mit dem Faden an eine Tür binden“, hat Onkel Fritz ihm geraten. „Und dann“, hat er weiter geraten, „schlägst du die Tür zu und zack, ist der Zahn draußen. Da merkst du überhaupt nichts.“
Onkel Fritz wollte ihn beruhigen.
Bodo hat, wie nötig, den Zahn mit der Türklinke verbunden.
Onkel Fritz ist manchmal etwas barsch im Ton, aber er meint es gut und ist vertrauenswürdig.

„Da merkst du gar nichts“, erinnert sich Bodo an seine Worte. Wieso gab es eigentlich Zahnärzte, wenn jeder seine Zähne schmerzfrei mit der Türklinke ziehen konnte?
Bodo zweifelt an Onkel Fritzens Worten. Oder hat der gemeint, dass man sich erst die Tür vor den Kopf schlagen soll, um dann ohnmächtig zu Boden zu stürzen und im Fallen – darum muss der Faden kurz genug sein - den Zahn zu verlieren?

Bodo ist schon einmal mit dem Kopf vor eine Tür gelaufen. Das hat weh getan. Die Beule hat die Mutter mit einem kalten Messer aus dem Essbesteck gekühlt, oder eigentlich wieder in den Kopf gedrückt.
Schmerzfrei? Weit gefehlt!
Bodo fasst an den Zahn schiebt ihn hin und her. Zahnärzte nehmen einen Haken, fassen unter den Zahn und ziehen dran, und Kinder, die vor Ehrfurcht vor dem weißen Kittel und den spitzen Gegenständen ganz starr sind, sagen hier kein Wort. Aber schmerzfrei ist das nicht.
Warum soll ausgerechnet die schwere Wohnzimmertür zur Küche den Zahn schmerzfrei entfernen?
Der Zahn sitzt locker, das fühlt Bodo ganz deutlich. Nur – wer soll die Tür zuschlagen, wer wollte die Verantwortung übernehmen, dass wirklich kein Schmerz zu spüren ist? Onkel Fritz müsste das eigentlich, aber der ist nicht da.
„Du musst die Tür einfach zuschlagen“, hat er gesagt.
„Du“, denkt Bodo und schluckt, „das bin ich“.
Oder wäre es besser, sich auf die andere Seite der Tür zu setzen, die Tür zu schließen und zu warten, dass zufällig der Vater oder die Mutter die Tür aufreißen und der Zahn in einem heraus wäre. Schmerzfrei.
Bodos Eltern reißen keine Türen auf. Sie machen das immer in aller Ruhe, und was das für den Zahn bedeuten kann, will sich Bodo nicht vorstellen.
Außerdem: die Mutter ist im Keller, der Vater in der Werkstatt. Beide müssten erst einmal durch die Küche ins Wohnzimmer gehen, um dann blitzschnell türaufreißend wieder herein zu kommen.
„Das kann dauern“, denkt Bodo. „Du musst es selber tun“, denkt er. „Niemand kann mir helfen“.
Nervös schiebt er an seinem Zahn. Er muss sich entscheiden, wann er die Tür zuschlagen will. Er kann nicht den ganzen Nachmittag hier sitzen.
„Ich zähle bis drei“, nimmt er sich vor.
„Halt, bis drei ist zu kurz“.
Bodo überprüft noch einmal die Fadenlänge – der Faden darf , wie gesagt, nicht zu lang sein – und den Sitz des Knotens.
Nur die vorschriftsmäßige Ausführung des Vorhabens garantiert Schmerzfreiheit.
„Vielleicht warte ich eine Minute“, sagt sich Bodo und blickt zur Wohnzimmeruhr, die träge tickt.
Die Wohnzimmeruhr hat keinen Sekundenzeiger. „Das ist schlecht“, denkt Bodo, den Zeigefinger immer noch im Mund, „es muss schon ganz genau eine Minute sein. Ohne Sekundenzeiger kann ich nicht wissen, wann die Zeit um ist“.
Bodo überlegt. 5 Minuten sind zwar länger, aber auch nicht genauer abzulesen.
Bodo spürt einen süßlichen Geschmack im Mund.
„Woher einen Sekundenzeiger nehmen?“, überlegt er, „Oder eine Uhr mit Sekundenzeiger?“
Ihm fällt ein, dass der Wecker im Elternschlafzimmer einen kleinen Sekundenzeiger har, der auf einem eigenen, kleinen Zahlenkreis mit 60 Strichen läuft.
Aber um den zu holen, müsste er den Faden vom Zahn lösen.
Das Süßliche im Mund ist noch da. Bodos Zunge rührt mit etwas Hartem im Mund herum.
„Der Schlafzimmerwecker. Gut“, entschließt er sich.
Mit Daumen und Zeigefinger fasst er das Harte im Mund, mit dem die Zunge gespielt hat.
„Der Zahn!“ Eine heiße Welle schießt in Bodos Körper hoch, sein Herz klopft schneller.
„Der Zahn!“ jubelt es in ihm. „Da ist er ja!“ Dann zieht er den Zwirnsfaden mit dem Koten am Ende durch die Lippen.
„Schmerzfrei“, denkt Bodo. „Das ist schmerzfrei. Von wegen Tür und Faden!

Weisheit der Woche: Weiche Ziele

Manchmal trifft uns, die weichen Ziele,
Das Leben
Und wir haben die Chance,
Das Leben zu treffen.

Filme verstehen: Du bist nicht dabei


KUCKanleitung:
Dabei sein ist alles! Das denkt doch jeder, denn jeder hat Angst vor dem Abgetrenntsein, dem Ausgeschlossensein, dem Alleinsein.
Du willst dabei sein. Egal was es ist, egal, wer es ist. Das Dabeisein definiert deinen Wert. Nur wer dabei ist, ist wer.
Früher hieß es: Haste was, biste was.
Daraus haben die Glatzen "Hasste was, biste was" gemacht, auch wenn sie diesen sprachlichen Schlenker nicht verstehen können.
Und dann eine Bilderfolge mit Typen, zu denen niemand zählen möchte. Du bist nicht dabei, verspricht der Vorspann. Wenn wir die mürben Gesichter betrachten, werden wir froh. Ich bin nicht dabei, denkst du, und erkennst windeseilig, dass das Debeisein eben nicht alles ist, dass es manchmal besser ist, nicht dabei zu sein, abgetrennt zu sein, für sich zu sein. Und seinen Wert trotzdem zu behalten.
Im Nachspann wird alles auf den Kopf bestellt. "Oder doch.", heißt es da. Keine Frage. Eine Antwort, die nicht der Kucker gibt, sondern der Film. Du bist nicht so gut, wie du dich selber findest. Oder doch. Punkt. Offen bleibt die Frage, wie es weiter gehen soll. Mit dir, mit euch, mit allen.
Die Botschaft: Kuck erst mal hin, wo du mitmachst. Vielleicht sind es hässliche Pegiden, die montags spazieren gehen. Oder noch schlimmer.
Der Film: Du bist nicht dabei Bodos Weltfilmproduktion 2015

Endlich: Kuck-Anleitungen für Videos!

Für Leute, die  nicht wissen, was sie sich eigentlich alles angucken, hier Kuckanleitungen für ausgewählte Videos:                                    
                                                                               
HUNDELEBEN - Ein Film aus Bodos Weltfilmproduktion 2011                          
KUCKanleitung:
Film nicht verstanden? Warum Siebenmal die selbe Szene, aber mit unterschiedlicher Musik?
Dem Hundebseitzer zerreißt es das Herz, wenn er den armen Kläffer hinter einem Bretterzaun durch ein gerade für seinen Schädel passend herausgesägtes Loch gucken und bellen sieht.
Siebenmal wiederholt sich die Szene, mit jeweils anderer Musik unterlegt. Sieben ist eine magische und mythische Zahl: Die sieben Berge, die sieben Zwerge, die sieben Riesen und die sieben Miesen, sieben auf einen Streich und auch Sandsieben sind die Themen, die die Menschheit von Kindesbeinen an berührt.
Wie wirken die Szenen mit unterschiedlicher Musik?
Mal heiter, mal unheimlich, mal spannungssteigernd, mal verwirrend und verstörend, dann entspannend und fast langweilig.
Zum Schluss aber merkt der Hundefreund wieder auf: Eine asiatisch klingende Melodie bohrt sich in sein Hirn und flüstert "Chinarestaurant". Da werden sofort alle Klischees abgerufen und Sorge um die bedrohte Kreatur erfüllt den Menschen.
Dabei handelt es sich letztlich nur um einen Bretterverschlag im Ostdeutschland (Raben) der 90er Jahre. Zu Mauerzeiten war auch dieses Loch geschlossen, denn warum hätte es dem Hund besser gehen sollen als dem Besitzer?
Fazit: Musik kann Inhalte verstärken, aber auch verfremden und zerstören.
Also, Musikhörer: aufgepasst!

Mit dem Strom fliegen - Ein Film aus Bodos Weltfilmproduktion 2015

Nicht verstanden?
Es heißt eigentlich gegen den Strom schwimmen. Aber hier ist kein Wasser zu sehen, wohl aber eine Hochspannungsleitung, und in der fließt Strom. Da Vögel in der Regel fliegen, sieht man sie nicht schwimmen. Das ginge ja auch gar nicht, weil der Strom nicht im Flussbett ist, sondern in der Leitung.
Dass die Stromwirtschaft das sponsort, ist doch klar. Wohin denn mit den vielen Überschüssen? Kann man doch steuerlich absetzen.
Zugvögel - Ein Film aus Bodos Weltfilmproduktion 2015

KUCKANLEITUNG: Du verstehst nicht, was der Film bedeutet? Hier ein paar Tipps, die dir helfen, das, was hinter den Bildern steckt, zu verstehen.
Die Deutsche BAHN ist ein großes Wirtschaftsunternehmen, das vor allem mit Zügen arbeitet. Vielleicht ist dein Zug auch schon mal zu spät gekommen. Vielleicht bist du aber noch nie mit dem Zug gefahren, das wäre schade. Vielleicht hast du in deinem Leben bis jetzt nur mal einen ZUg bekommen und hattest Schmerzen am Hals. Grandios wäre allerdings, wenn du diesen Zug im Zug bekommen hättest. Dann würdest du alles verstehen.
Zugvögel wiederum sind Vögel, die wegziehen und herziehen und wieder wegziehen. Das nennt man auch Zug.
Zugvögel mit der Deutschen Bahn in Verbindung zu bringen ist ein Sprachwitz, weil hier dasselbe Wort "Zug" in ambivalenter Bedeutung benutzt wird. Immer pünktlich weg heißt es am Ende. Das ist Ironie, denn die Bahn und ihr Zug sind meistens nie pünktlich da.
Wenn du jetzt nicht weiß, was ambivalent heißt, solltest du erst mal zu Schule gehen. Alles andere dann später.