Günter Krass: Petra hat keinen Fernseher (2007)


Was für einen Sinn hat, es einen Fernsehabend ohne Fernseher zu verbringen, sich gemütlich in ein Sofa zu kuscheln, die Tüte Chips geöffnet oder Erdnussflipse, die die Hände immer schneller schmierig machen, auf dem Schoß und eine Cola oder etwas anderes Süßes, vielleicht auch ein Bier oder zwei, aber dann keinen Fernseher in der Ecke. Petra starrt gebannt in die Zimmerecke, dahin wo der Fernseher stehen müsste, der aber nicht dort steht. Petra nimmt die Hockstellung ein, drückt sich in die Sitzecke, die Fersen an den Hintern gezogen und denkt: Was mache ich hier? Das ist der Anfang vom Ende. Ein Fernsehabend ohne Fernseher. Nicht einmal Mutter ist da, die mit ihrem Strickzeug ein leises Klappern erzeugen könnte, das Petra ungemein beruhigt. Nichts. Das Nichts hat sich ausgebreitet. Wie kann sich nichts ausbreiten. Nichts ist nichts, denkt Petra, das kann sich ausbreiten wie es will, es ist doch gar nicht da. So fängt es immer an, denkt Petra und greift in die Chipstüte. Die Chips schmecken lasch und alt. Liefe der Fernseher, wäre ihr das gar nicht aufgefallen. Die Heizung knackt und der Wellensittich scharrt im Fressnapf, der kein Futter mehr hat, nur noch leere Hülsen. Je weniger Fressen, desto lebhafter werden die Tiere. Eine Frage der Motivation, die würden alles machen für ein paar Körner. Irgendwann würden sie erschlaffen, dieser Sittich, wie war sein Name, Petra hatte es vergessen, damals als die Serie, Sturm der Liebe, begann, hatte sie es noch gewusst, aber heute, dieser Sittich würde auch erschlaffen, dann erstarren, starr werden, im Restmüll landen, oder in der Biotonne, wie war die korrekte Mülltrennung, auch das hatte Petra vergessen, kein gekochtes Fleisch in die Biotonne, der Sittich wäre ungekocht, nur starr eben, wohin mit solch einem Tier, in den Garten, das war bis zu einem gewissen Körpergewicht erlaubt, einen Rottweiler durfte man nicht im Garten vergraben, einen Sittich wohl schon, einen Wurm auf jeden Fall, wer sollte denn beweisen, dass der Wurm nicht eines natürlichen Todes gestorben war und schon in der Erde gesteckt hatte, ihn niemand dort begraben hatte, Würmer waren schon begraben, wie praktisch, dachte Petra, wer in der Erde lebt, kann nicht begraben werden, vielleicht müsste der, im Gegenteil, belüftet, besser gelüftet werden, geliftet, von unten nach oben, an die Luft kommen, dann würde die Beerdigung unterirdisch stattfinden. Wie sollte das gehen, der ganze Gesang, die Predigt, das Maul voller Erde statt des Streuselkuchens, Unsinn, belüften und begraben, aber praktisch war es schon. Geboren werden unter der Erde, begraben werden, ohne überhaupt je gesehen worden zu sein, so unauffällig, so bescheiden, so unbedeutsam, so nichtig. Nein, für sie wäre das nichts, dachte Petra, zu einem Begräbnis gehörte ein Pastor in schwarzem Kittel, eine ordentliche Rede, ein paar Lieder, vorher die Orgel für die Tränendrüsen, den Posaunenchor konnte man sich sparen, Gruftmucke war das für die, die wussten meistens gar nicht, wer im Sarg lag, das war einfach unpersönlich. So nicht.
Petra suchte nach der Fernbedienung um umzuschalten. Ach, es gibt ja gar einen Fernseher, was also sollte eine Fernbedienung für einen Sinn haben? Der Sittich, wie war noch sein Name, pickte an einem kleinen, runden Spiegel, der in seinem Käfig hing, eine kleine Glocke klingelte scheppernd. Die Zimmerecke schwieg. Petra dachte: Wie gemütlich. Es muss auch mal so gehen. Wie sie doch über alles nachdenken konnte. Der Tod war immer ein Tabu gewesen, genau wie Regenwürmer. Die waren eklig, Gustl hatte mal einen für 50 Pfennige verschluckt. Ups, das Anfassen war ihr schon schwer gefallen, aber das war eine Art Mutprobe gewesen. Regenwürmer stanken, so als sei ein Schwein geschlachtet worden und hinge auf der kühlen Diele an einer Leiter. Besser die Hand vor den Mund, die Luft angehalten und nicht geatmet. Morgen wurde gewurstet, der Geruch war angenehmer, wärmer, fast köstlich. Ruhig baumelt damals die
zusammengenähte Schweineblase, die der Hausschlachter aufgeblasen hatte, am Ofen, um zu trocken. In sie sollte die beste Mettwurst gefüllt werden. Noch war nicht morgen. Jetzt war Abend, ein Fernsehabend ohne Fernseher, Zeit für sich, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Spinnen, ja, genau, zum Spinnen, dachte Petra. Wie sinnlos, einen Fernsehrabend ohne Fernseher zu verbringen, ohne Fernseher, sinnlos einfach, das konnte kein Fernsehabend sein. Das war Terror oder Ausdruck einen schweren Neurose. Wer war auf eine solche Idee gekommen. Der Sittich klapperte am Gitter, vielleicht sollte ich ihn füttern, dachte Petra. Vielleicht aber auch nicht, und steckte sich noch zwei Chips in den Mund.

Manfred de Ap: Familie (2010)


Das degenerierte Bild einer deutschen Familie im medialen Zeitalter nach der dritten industriellen Revolution. Oder das Bild einer degenerierten Familie in der Postmoderne des Klimawandels.
Die Mutter schielt, weil sie zu sehr auf das Aussehen ihrer Nase achtet; Zeichen einer strengen Ichbezogenheit, die keine familiäre Wärme zulässt; der Sohn verblasst am Bildrand, er vermisst die Mutter, die doch nur zwei Personen weiter steht. Er kennt sie vielleicht nicht seit der letzten Frisurveränderung. Er hat den Blick zu häufig gesenkt, schaut auf sein elektronisches Spiel. Ach, welche Klischees! Die Kinder kennen keinen Sonnenaufgang mehr, weil dann immer noch in der Furzmolle dösen. Der Vater ist das Weichei der Gruppe. Die Augen weit aufgerissen will er sein Erschrecken zeigen: Ich bin erschrocken über das alles, wenn mir einer sagen könnte, was das alles ist. Die ererbte Unwissenheit.Ich habe alles nicht gewusst! Man kann mir keinen Vorwurf machen. Er weiß nicht einmal, was er alles nicht gewusst hat. So wenig, so sehr. So sehr, sehr wenig.
Unsere Gesellschaft kann mit dieser Mentalität keine Kopfsprünge machen. Vielleicht eine Arschbombe, unsere Lieblingsfigur beim Schauspringen im Sommer 1968.
(Aus: Theo von Doeskopp - Bilder, die man vergessen kann, Neodadaismus und Ekel, Alzheim 2010)

Philosophischer Tisch: Hat Marx versagt?

Hat nicht Marx doch recht gehabt?, fragt es am philosophischen Tisch, der in der Stammkneipe tagt und schon einige bewusstseinserweiternde Drogen eingeworfen hat. Besonders Etti steht noch unter der euphorischen Wirkung des 2:0 Sieges von Schalke, genau wie Zven, der wenige Minuten später vom Stuhl kippt, nachdem Etti ihn gestoßen hat, weil sie Zven aus der kontemplativen Versenkung holen will. Die andere Gäste stutzen. Zwen am Boden? Was Revolutionäres passiert denn da? Tanja, noch drei Hefe, ein kleines Paulaner und 2 Becks! Tanja nickt und holt das Bestellte.Und ne Runde Ouzo auf Schalke.
Der Kapitalismus ist doch überholt, der wird doch jetzt abgelöst, das habe ich im Fernsehen gesehen, Marx hatte doch recht, Sozialismus ist die Lösung, global ist ja alles, da war ich doch nicht ohne Sinn in der DKP, ich habe es irgendwie immer geahnt. Etti ist aufgeregt. Endlich rettet sie jemand aus der angenehmen Kleinbürgerlichkeit. Marx. Auch Dr. Schiwago hat nicht nur seine Affaire mit Lara gepflegt, der musste auch mal ran, als die Revolution tobte. Sven murmelt etwas von Proletariat. Gonzo geht es um das Bewusstsein. Genau, sagt Etti. Sven nickt und Lupo wettert: Das Sein bestimmt doch das Bewusstsein, da lässt sich ja wohl nichts dran rütteln. Betti himmelt. Sie presst die Lippen zusammen. Wenn Lupo spricht, ist sie lieber still. Der regt sich manchmal auf. Wilma fasst Gonzo am Arm. Das Bewusstsein ist der maßgebliche Faktor. Wenn das nicht stimmt, dann geht gar nichts, Marx ist doch Quatsch, das haben wir früher mal geglaubt, alles gute Menschen, die sich alles teilen, aber dann tauchen plötzlich die Funktionäre auf, die Parteibonzen, die Schweine auf Orwells Farm! Die kassieren doch auch wieder ab, das ist Kapitalismus nur mit anderem Etikett. Gonzo will Etti beweisen, dass sie Dünnschiss gehört hat. In Bolivien machen die es doch anders, führt Etti an. Gonzo: Klassenkämpfe? Ja wer gegen wen denn? Kommt das Proletariat aus Bolivien oder woher nach Deutschland und kämpft gegen die Kapitalisten, weil unser Proletariat vor dem Fernseher hockt, RTL glotzt und Chips und BIer in sich reinstopft. In pastellfarbenen Baumwolltrainingsanzügen von Kik. Kik ist Kak. Das ist doch auch Bewusstsein! Hier am Tisch weiß doch jeder, dass 80 Prozent seiner Klamotten aus Sklavenarbeit besteht! Deshalb ist die so billig. Ihr aber freut euch, dass ihr ein Schnäppchen gemacht habt! Das weiß hier jeder. Aber keiner tut was. Du gehst doch nicht in den Ökoladen, wenn es denn einen gibt, und kaufst handgeknüpfte Jeans für den 20fachen Preis. Keiner! Gonzo. Ihr esst doch alle Wurst und wisst Bescheid über Massentierhaltung! Verlogen. Verlogen!
Zven kippt noch einmal vom Stuhl und stöhnt: Oh,o-o-o-oh.
Themenwechsel.
Globaler Pradigmenwechsel.
Lupo wettert lautstark herum, aber Gonzo hat nicht zugehört.
Tanja bringt die Drogen.

Wozu Männer fähig sind


Schaut, Männer, wozu wir fähig sind: Wir können kann eng zusammen stehen, wir haben keine Angst vor Nähe, keine Angst vor Mundgeruch, vor Körperschweiß oder vor Infektionen, Tröpfcheninfektionen besonders, denn wir sind Männer und trinken gern mal ein gutes Tröpfchen, deswegen infizieren wir uns noch lange nicht, wir sind keine Frauen, wir sind Männern und darauf sind wir stolz, deswegen stehen wir zusammen wie ein Mann. Genau. Drei Männer stehen zusammen wie ein Mann. Hans, gib noch einen ins Glas! Jou, Hans, lass mal die Luft aus dem Becher. Komm, bevor der schlecht wird. So jung kommen wir nicht wieder zusammen. Besonders du nicht, Hans! Hahaha!

Schöne Osterdeko auf dem Balkon und im Garten


Es ist wieder soweit. Die Mitmenschen erfreuen uns durch ihre Osterdeko, die sie im Garten oder auf dem Balkon deponieren, um dem Zeitgenossen von um die Ecke zu zeigen: Ich halte es mit den Jahreszeiten, ich halte es mit dem Brauchtum, ich halte es jetzt mit dem Osterhasen, der braucht unbedingt unsere Unterstützung, denn die Jugend hält ihn für ein Fake. Fake, diese EWort schon! Der ist gefaket, der Osterhase. Was wohl soviel bedeuten soll, als dass er eine Fälschung ist, eine Erfindung, ein Lügengespinst. Natürlich haben die so argumentierenden Jugendlichen recht, aber müssen sie das um alles in der Welt auch ihren Mitjugendlichen zuschreien? Warum kann man den Glauben an eine hübsche Geschichte nicht aufrecht erhalten? Warum alles niedertrampeln, alles kaputtmachen? Ist das das erklärte Ziel der heutigen Jugend? Wir sind auch mit Lügen aufgewachsen, noch viel schlimmeren Lügen als die vom Osterhasen! Wir haben an den Weihnachtsmann geglaubt, das Christkind, das nichts mit Jesus zu tun hatte, an den schwarzen Mann und an die Kornmume. Alpträume haben uns im Bett wachgerüttelt!
Unser Herz geht auf, wenn wir Osterdeko auf einem Südbalkon entdecken. Hier wohnen liebe Menschen, denen ein paar Lügen nicht das Gute verdecken, die im Herzen rein geblieben sind, auch wenn sie wissen, dass das falsch ist.

Stinkende Stofftiere


Die Sorgentelefone stehen nicht still. Stofftiere beklagen sich über ihre Artgenossen. Vor allem werden stinkende Kollegen genannt, die besonders am Rücken stark riechen, weil dort der Speichel der liebkosenden Besitzer eintrocknet und ein abstoßendes Aroma entfaltet, das dem natürlichen Stoffkörpergeruch extrem zuwiderläuft.
Man sollte nicht den Knuddelburschen die Schuld geben, wie so oft, oder fast immer, ist mal wieder der Mensch an diesem Missstand schuld. Früh genug sollten wir unsere Kinder dazu erziehen, ihren Speichel für sich zu behalten, besser wäre es sogar, wenn sie ganz den Mund hielten, womit zwei Fliegen geschlagen wären.
Überhaupt hat der Stofftierrummel Blüten getrieben: Landete der Spielgefährte, dem die Holzwolle aus dem Leib ragte,früher im Heizkessel und konnte noch etwas für die warme häusliche Atmosphäre tun, so schreien die Zöglinge heute in unendlicher Trauer nach einer Begräbnisstätte mit Stein und Bild.
Unsere Kinder sind das Abbild der Gesellschaft und man wird die Frage nicht los: Was ist denn da kaputt in dieser postindustriellen Zeit nach der zweiten medialen Revolution? Na, alles paletti!, schallt es wie aus einem Munde von Jugendlichen, die vor den Bildschirmen hocken und virtuelle Feinde umnieten.
Ade, ihr lieben Stofftiere. Im Heizkessel wäre es wenigstens schön warm gewesen.

Langanhaltender Ruhm trotz unansehnlicher Frisuren


Wie schön waren die Siebziger, da konnte man mit hässlichen Frisuren berühmt werden!Beispiel: Van Morrison. Was man heute für ein Achtpersonenauto hält, war früher ein ganzer normaler Vorname. Van Morrison hat auch mit ungepflegten Haaren seinen Weg gemacht. Damals schnitt man das ab, was einen störte und nannte es "moderne Frisur". Heute käme niemand damit durch; eine Tube Gel ist Muss.


Bei Van Morrison sind die Haare verschwunden, der Ruhm ist geblieben.
Hier kann man Van mit neuem Kunsthaar bewundern. Auch die Stimme ist noch einmal überpoliert worden:
Anklicken.

Danke, euch proportionalen Zuordnungen


Früher stellte man erzürnt fest, nachdem man in einen Haufen Hundeexkremente getreten war, dass es ein großer Hund gewesen sein musste und folgerte nach diversen weiteren Malen, dass die Größe der üblen Hinterlassenschaft, von Frauchen auch noch durch ein "Brav, Purzel!" oder "Gut gemacht, Rex!" abgesegnet, in direkter Verbindung stand mit der Größe des Hundes. Je größer der Hund, desto größer die Masse, in die der Fuß gerät. Niemand konnte dieses Verhältnis so recht deuten, meist war es mit hoher emotionaler Spannung geladen und rationalen Erklärungsmustern nicht mehr zugänglich. Heute wissen wir: Das war eine ganz klare proportionale Zuordnung. Je größer der Hund, desto größer der Haufen.
Nun will man nicht gleich auf den Menschen schließen, da traumatische Erlebnisse hier einen unangemessenenen Transfer erleichterten, aber das Modell schafft es, den Alltag zu erklären:
Ein jugendlicher Mensch in Markenkleidung trägt Kopfhörer unter dem Käppi, die Schnüre führen unter die weitgeschnittene, aber dennoch zu groß gewählte Jacke, der Kopf und auch der Oberkörper schaukeln rhythmisch vor und zurück, der klinisch Vorgebildete denkt an Hospitalismus, der Blick führt ins Leere. Das Schlimmste: Die Musik beschallt nicht nur den Kopf des Hörers, sondern auch mein Ohr, das sich allerdings nach Ruhe sehnt. Ich beginne bereits in Zorn zu geraten, da hilft mir die proportionale Zuordnung: Eigentlich sollte ein Kopfhörer nur für den aktuellen Zuhörer bestimmt sein, also schallisolierten Hörgenuss ermöglichen. Hier muss aber etwas anderes dazukommen, wenn auch ich hören kann. Ein Resonanzkörper. Ein Resonanzkörper nicht unerheblichen Ausmaßes. Der Kopf des Störenfriedes ist hohl. Das muss es sein. Er verstärkt den Klag, sodass die Kopfhörer letztlich ihren Zweck für die Mitmenschen verfehlen.
Ich schließe aus meinen Beobachtungen: Je lauter die Musik, desto hohler der Kopf. Proportional. Total proportional, denke ich und bin zufrieden mit mir und den Erkenntnissen der Mathematik.
Danke, dass es euch gibt, ihr proportionalen Zuordnungen!

Ernst Bärlapp: Weitergeknetet


Hat nichts gebracht.
Siehe auch: Bärlapp bei Gerdwin

Also, sprach Zarathustra


Manchmal vergessen wir das: Menschen kaufen sich neue, vielleicht sogar zu große, zu auffällige Brillen, damit sie endlich ein neuer Mensch werden oder einmal anders wahrgenommen werden, dass man nicht mehr ihre zu großen Ohren betrachtet, ihren zu kleinen Körperwuchs oder vielleicht einen unappetitlichen Damenbart.
Und dann stellt sich dem nachvollziehbaren Vorhaben eine plumpe Haltevorrichtung in den Weg, die alles zunichtemacht, eine Vorrichtung, die unsportlichen Menschen eine Hilfe sein soll, Menschen, die kaum ohne fremde Hilfe in den Zug oder in den Bus einsteigen können. Wohin soll das führen? Wir bleiben unseren Stereotypen verhaftet: Der Mensch mit psychischen Problemen ist weniger wert, als der mit physischen. Das, was man sieht, kann man einordnen, dem kann man abhelfen, aber dem, das man nicht nicht sieht, begegnet man mit Skepsis, nein, mit Ignoranz. Was ich nicht sehe, gibt es nicht, also ist Gott tot, folgerte schon Nietzsche, und kann heute noch stolz darauf sein, dass so ein Musikkaspar wie Richard Strauss (nicht zu verwechseln mit den Humtatata-Musikern Johann 1, 2 oder 3!) ein Stück über seine allgemeinplatzverbreitende Figur Zarathustra geschrieben hat, die lediglich in einem Science-Fiction-Streifen Platz findet, um ein planlos herumirrendes Raumschiff zu untermalen, damit bloß keine Langeweile aufkommt, was allerdings zwingende Folge gewesen wäre bei einem Film, dessen Handlung erstmal nicht sichtbar wird. Statik. Statik und Statistik sind die Hauptgründe für den Untergang des Abendlandes. Na, dann guten Morgen!

Die Schweiz fängt noch mal an


Die Schweiz will noch mal von ganz vorne anfangen.
Im Moment geht es darum, wo ganz vorne ist.
Ganz hinten ist klar, total klar.
Aber ganz vorne?

Landleben: Weg mit der Winterdecke!


Der gute Massey-Ferguson ist nervös. Er wartet auf seinen Einsatz. Er will endlich spüren, wie der Diesel, am besten der unversteuerte, aus dem Heizöltank, durch die Leitungen schießt, wie wieder Leben ins Gestänge kommt, wie das Profil der Reifen sich durch die Scholle gräbt, unaufhaltsam Meter für Meter, um dem Ackermann Hilfe zu sein, um das Feld zu bestellen, um den Boden fruchtbar zu machen, damit im Sommer geerntet werden kann. Im Märzen der Bauer....da läuft ein Schauer über den Rücken jeden Treckerfahrers und er streichelt zärtlich über das Blech der Motorhaube, dort wo die Pferdestärken verborgen liegen und darauf warten, losgelassen zu werden. Die Decke, die über der Fahrerkabine gelegen hat, hat sich die alte Zugmaschine wohl schon heimlich vom Leib gerissen, um zu signalisieren: Gleich geht's los! Stell mich an! Ich bin bereit, Bauer!

Wenn Rune vor die Tapete gedengelt ist....


Da hat der Rune mit seinen fettigen Augenbrauen auf der letzten Fete den Halt verloren, er hatte gut getankt, konnte sich gerade noch auf dem Sofa abstützen, ist über die Topfblume doch nicht gestürzt, dann aber mit dem Kopf vor die Raufasertapete geklatscht und hat dort hässliche Flecken hinterlassen. Ich glaube, seine Kopfhaut ist stellenweise geplatzt, sodass Blut und andere Exsudate an das Papier geraten sind. Raufaser saugt bekanntlich gut, vor allem, wenn sie nicht mit wasserfester Innenfarbe imprägniert sind. Was also tun? Da ist ein ekliger Fleck eines Gastes, der auch ekliger hätte sein können, aber so auch schon ekloig genug ist?
Filzstifte raus, den Fleck ein wenig ausmalen, möglichst mit intensiven Farben, etwa Ocker, und dann einen Rahmen gekauft oder bei der Oma "ausgeliehen". Nagel in die Wand und aufgehängt, das Gesamtkunstwerk untertitelt, etwa mit "Runes Augenbrauen", einem kryptischen Begriff, den niemand versteht und dann das Ganze bestaunen lassen. Das ist die Kunst!
Die Leute glauben, dass sie vor etwas Umwälzendem steh. Man muss nur andere Gäste einladen, als die, die miterlebt haben, dass Rune vollbesoffen vor die Tapete gedengelt ist und Blutflecken am Raufaser hinterlassen hat. Sonst käme es zu Nachfragen: Ist das nicht der Fleck, den Rune vollbesoffen auf deiner letzten Feier hinterlassen hat? Der hat doch auch noch ins Bad gekotzt, auf den Teppichboden?
Diesen Fleck gilt es dann ebenfalls noch zu beseitigen und einzurahmen. Kunst will gelernt sein.

Bei Fürstens: Die neuen Gummistiefel


Fürst Einlebeninsausundbraus: Booh, mir steht steht das Wasser in den Kniekehlen...
Fürstin Einlebeninsausundbraus: Jetzt übertreib mal nicht.
Fürst Einlebeninsausundbraus: Sind das die Gummistiefel, die du bei Tschibo bestellt hattes?
Fürstin Einlebeninsausundbraus: Na und, die sind gut und preiswert.
Fürst Einlebeninsausundbraus: Du weißt, dass ich davon immer Schweißfüße bekomme.
Fürstin Einlebeninsausundbraus: Du hast doch eh schon Körpergeruch.
Fürst Einlebeninsausundbraus: Aber nur, weil ich mich nicht wasche.
Fürstin Einlebeninsausundbraus: Da kommt's doch nicht mehr drauf an.
Fürst Einlebeninsausundbraus: Das sagst du. Die Fürstin ten Abgrund rümpft zwischendurch die Nase!
Fürstin Einlebeninsausundbraus: Wo zwischendurch?
Fürst Einlebeninsausundbraus: Na, so halt. So hier und da.
Fürstin Einlebeninsausundbraus: Das wüsste ich jetzt schon genauer.
Fürst Einlebeninsausundbraus: Obwohl...schick sind die Stiefel schon. Und das bisschen Schweiß, Hergott, es gibt wichtigere Themen auf der Welt. Ist dein Muttermal eigentlich größer geworden?
Fürstin Einlebeninsausundbraus: Bitte? Ich habe kein Muttermal!

Graf Itti: Ich geh besser jetzt. Uijuijui.....

Redensarten im Volksmund: Der Korb


Klaus konnte nicht begreifen:
Elfi hatte ihm einen Korb gegeben.
Ihm!
Etwas halbherzig wirkte er schon, wie er so an der Wand hing. Wozu sollte der gut sein? Man konnte nicht mal etwas in ihm tragen. Rausfallen, durchfallen, hinfallen, das ging vielleicht. Aber gefallen?
Gefallener Engel, Elfi, du hast mir gefallen. Der Korb und alles beziehungsweise nichts.Es war noch nichts. Jetzt bist du gefallen. Gestolpert über deinen Korb, den du mir gegeben hast, mir, Muttis Liebling, hat Tante Trude immer gesagt, der besondere Schwiegersohn, hat sie nachgesetzt. Ein Korb, was soll ich damit tun? Du hast die Knie auf und ich den Kaffee. Jahrelang habe ich nachgedacht, wie ich es dir sagen sollte. Und dann der Moment, meine Güte, Rita habe ich gesagt, Rita ist meine Cousine, mit der habe ich geübt, mit der hatte ich nichts, das kannst du dir doch wohl vorstellen, oder? Na komm schon!
Elfi, Elfi. Wer will dich denn jetzt noch?

Günter Krass: Erinnerungen - Brillenschlangen


Mobbing war damals noch gar nicht erfunden, da wussten wir schon, wie es geht. Es ging um Fertigmachen. Wir brauchten keine englischen Wörter, um effektiv zu arbeiten. Ein Prozess lief unbewusst ab, aus einer Art Selbstschutz. Schnell einen fertigmachen, bevor man selbst dran war. Dran war man trotzdem immer irgendwie, ausgenommen die Großmäuler, die waren häufig zu dumm, um das subtile Fertigmachen zu kapieren. Sie dachten, sie wären die Größten und blieben bei ihrem Irrglauben. Häufig bis heute.
Brillenschlangen waren arm dran. Heute ist es fast ein Makel, keine Zahnklammer oder eine Brille, wenigstens eine Lesebrille, zu tragen; früher war der Brillenträger, die Brillenschlange eben, gleichgesetzt mit Verlierer, mit einem Weichei, dem die Kniescheiben ständig rausflogen, mit Menschen, die Ärmelschoner trugen, die hinfielen, wenn andere stehen blieben, die so langweilig waren, dass man gähnen musste, wenn man neben ihnen stand.
Brillenschlangen hatten nichts mit dem tödlichen Tier zu tun, die kalte Kobra war nicht Synonym für die Sehhilfeträger, eher wohl die Blindschleiche.
Brillenschlangen kauten vor der Klassenarbeit Traubenzucker und gingen am Abend davor noch früher ins Bett.
Glasbausteine nannten wir ihre Hilfsmittel, den Körper hinter der Brille häufig Kassengestell und deuteten an, wie hässlich das Drahtgebilde auf ihrer pickeligen Nase war.
Mobbing war das vielleicht doch nicht: Wir waren zu klein, zu dick, zu langsam, hatten eine Hasenscharte, schossen Popel, hatten abstehende Ohren, heulten, wenn der Lehrer mal schrie oder wenn ein Gewitter in die Stunde krachte.Wir boten in der Gesamtheit die besten Projektionsflächen für unentwickelte Mobber.Aber, wir waren zuerst auf die Idee ohne Namen gekommen. Selbstschutz!, ahnten wir, ohne das Wort zu kennen. Erst mit dem Heranwachsen der Psychologen sollte uns allen der Sinn des Tuns bekannt werden.
Der Sohn des promovierten Lateinlehrers flog in jeder Pause als Düsenjet über den Schulhof, zumindest machte er die Geräusche und rannte mit ausgebreiteten Armen kreuz und quer, ziellos, ohne erkennbaren Plan. Wir erklärten ihn für verrückt und hätten ihn gern abgeschossen. Er reagierte aber nicht auf unsere Flak-Geräusche. Irgendwann landet er auf einem Internet oder in der Klapse, folgerten wir, und versuchten, nicht mit ihm zu kollidieren. Was hätte so ein GAU für Auswirkungen auf die Noten gehabt!
Wir hielten uns an die unauffällige Brillenschlange, der wir die Aufmerksamkeit zugestanden, die ihr sonst versagt geblieben wäre. Im Grunde waren wir gute Menschen, gute Menschen mit dem Hang zum Selbstschutz. Wenn wir es nur damals schon so hätten ausdrücken können, dann wäre uns 2% des schlechtenGewissen erspart geblieben.

Henri von Glucksrad-Karre: Nackt


Da liegt eine Dame mittleren Alters in der Badewanne und macht Reklame für eine bestimmte Wannensorte oder irgendein Wellnessspektakel, das man zu Hause veranstalten kann. Sie trägt einen Bikini, von dem man nur das Oberteil sehen kann, das untere ahnt man, es liegt unter Wasser. Das Wasser sprudelt. Hallo, was ist das denn?, fragt sich der normale Mensch und denkt weiter: Wieso steigt hier eine Frau im Bikini in die Wanne, um sich der Körperreinigung oder einer Wellnessanwendung hinzugeben? Das ist ja so, als würde man nackt ins Freibad springen und sich dort ordentlich einseifen. Den Bademeister hätte man stante pede an frisch gewaschenem Hals, ein Verweis wäre die Folge. Zu Hause stolzieren keine Bademeister mit ihren Trillerpfeifen, zu Hause herrscht das Nachdenken: Warum, um alles in der Welt, steigt die Frau mit, wenn auch spärlicher, Kleidung ins Wasser? Die kann ja gar nicht richtig sauber werden, dazu müsste sie sich der Kleidung doch entledigen!
Und dann schießen uns die Archtypen der 50er und frühen 6oer in den Kopf, Adrenalin wird ausgeschüttet, wir schauen uns unsicher um, so als beobachtete uns jemand: Die Angst vor dem Nacktsein hat uns wieder.
Mein Cousin Hotte badete damals auch in Badehose, dazu sei die ja da, behauptete er felsenfest, und weigerte sich standhaft, seiner Mutter, die darob in Sorge jetzt häufiger im Badezimmer herumwieselte, zu zeigen, was unter der Hose verborgen war. Die Tante zweifelte schließlich am Geschlecht ihres Kindes, weil sie sich nicht mehr erinnern konnte, was sie denn damals geboren hatte.
Alpträume plagten uns Jungen. Im Dorgemeinschaftshaus liefen wir im Unterhemd herum, ohne Unterhose, das Hemd gerade lang genug, unsere Blöße zu bedecken, aber keinen unbedachten Schritt, keine ungelenke Bewegung durften wir riskieren, damit wir bedeckt blieben. Das Unterhemd war gleichzeitig Oberhemd.
Wie wanden wir uns nach dem Sport, nackt mit anderen zu duschen. Oder vor dem Benutzen des Lehrschwimmbeckens! Angeblich verstopften Seifenreste die Abflüsse und machten das Becken unbrauchbar.
Die Lehrer kontrollierten und wir wandten ihnen unsere nackten Ärsche zu, was ihnen genauso gefallen haben mag wie die Frontansicht.
Nacktsein war Scham, war Demütigung, war Bloßstellen. Der Schutz der Persönlichkeit war dahin, so als wären vom Staatsanwalt Abhörgenehmigungen erteilt worden, Fleischbeschau inbegriffen, alles mit der Begründung, für Hygiene und Gesundheit zu sorgen und die Abflüsse frei zu halten.
Da kann man verstehen, wenn heutzutage, wo sich jeder unaufgefordert entblößen will, Menschen das Bedecken wiederfinden. Wenn die Badehose, der Bikini, der Badeanzug Aufsehen erregen, wenn sie im Geheimen getragen werden. Und es ist mittlerweile völlig egal, ob die Seifenreste, die sich bei der Körperhygiene in der Kleidung sammeln, die Abflüsse verstopfen oder nicht.
Ein Mythos ist endlich zerstört worden. Seife aus Badehosen verstopft Abflüsse! Unglaublich!
Wie dumm waren wir damals gewesen, freiwillig nackt zu duschen. Heute wäre doch jeder Schulmensch froh, wenn überhaupt geduscht würde, selbst in voller Montur. Seit Erfindung des Deospray haben sich die Parameter verschoben.
Was regen wir uns da über Frauen in Bikinis in der Badewanne auf? Man muss ja nicht hinsehen.

Flaggenvorschläge für die Schweiz


Aus dem Kanton Bern stammt ein Entwurf für die neue Flagge der Schweiz, der den maroden Staat mit dem finanzverbrecherischen Hintergrund heilen soll. Sogar rassistische Tendenzen (Parole: Keine Moschee in unserem Schnee und nicht dahinter, nicht diesen und auch keinen andren Winter!) würden geglättet, denn das Symbol, das das alte, weißes Kreuz auf rotem Grund, einfach umkehrt, ist irgendwie international verbreitet. Man habe das schon in verschiedenen amerikanischen Kriegsfilmen gesehen; der Amerikaner sei ja überall auf der Welt tätig. So könne die neue Flagge völkerverbindend und weltübergreifend sein, global nämlich.
Kritische Stimmen werfen ein, es geben diese Flagge schon. Momentan sind die Schweizer auf der Suche nach dem dazugehörigen Land. Eventuell könne man sich zusammentun und die Flagge gemeinsam nutzen. Welcher hoher Druck muss in der Schweiz bestehen!

Undankbare Natur


Das machte mich traurig. Ich hatte im aufkeimenden Frühling, der aber noch mit Schneeresten und Temperaturen von 3 Grad plus kämpfte, einen hilflosen, flügellahmen Schmetterling gefunden, der auf der Fensterbank darauf wartete, zu Kräften zu kommen. Sacht blies ich ihn an, glaubte, mein warmer Atem könne ihm diese Kraft, die er für den nächsten Flug brauchte, geben. Der Schmetterling kippte einfach zu Seite und stellte sich tot.
Selbst wenn es in meinem Mund Mundgeruch gäbe, gesetzt und nur mal angenommen, so sollte die Natur, die ganz andere Gerüche gewöhnt ist und sogar selber produziert, dankbar sein über einen Menschen, der mitfühlt mit der geschundenen Kreatur, der Hilfe leistet und Gutes tut.
Das Schlimmste auf der ganzen Welt ist undankbare Natur.

Schweiz will neue Flagge

Nachdem die Schweiz von der Weltöffentlichkeit aufgrund ihrer Machenschaften im Finanzsektor auf Platz der 4 der Schurken- und Ganovenstaaten gesetzt wurde, plant sie jetzt einen Neuanfang. Erst mal soll eine neue Flagge her, irgendwas Japanisches stelle man sich vor, so die Flaggenschneider aus dem Kanton Uri.

Wolfgang Oecker: Die Einsamkeit der Stahlnägel (2010)


Stahlkünstler Oecker hier mit einem Werk, das den Zeitgeist mal wieder zusammenfasst.
Mit dem Rücken zur Wand und einsam. Wer ist das nicht?
Material: Stahlnagel, Pressspanplatte gekälkt.

Gedichte mit geschäftlichen Transaktionen: Georg Krakl - Frau im Pelz (2010)


Ich sah die Frau im Pelz
und dachte: Welcher Schmelz
umgibt die Frau, und sahne-
gleich ihr Blick!
Die Aura etwas abgewrackt,
im Ganzen zwar zu dick,
doch elegant, als ob sie plane,
ein schönes Kleid zu kaufen,
und nach Haus zu laufen,
wo der Mann im Sessel sitzt,
und in seinem eignen Pelze schwitzt.
Doch dann, ich hatte nur kurz ausgespuckt,
da war sie plötzlich wie verschluckt,
da war sie fort mit Pelz und Blick und Aura.
Da war doch eben noch ne Frau da!,
rief eine Dame laut.
Ich sage: Stimmt, sie war im Pelz,
jetzt ist sie weg, mit ihr der Schmelz.
Ich habe kurz nur weggeschaut.

Günter Krass: Neue Zähne braucht der Mund

Lächeln. Fiete bemüht sich. Das, was er als sein strahlendstes Lächeln ansieht, wirkt auf die Verkäuferin an der Fleischtheke wie das verlogene Grinsen eines Vegetariers, der sich eine Scheibe verblichene Mortadella fordert, die ganz vorne in der Auslage liegt, damit sie sich vornüberbeugen und strecken muss um sie zu zu erreichen. Damit dieser pflanzenfressende Grinser ihr in den Ausschnitt schielen kann.
Fiete ist kein Vegetarier und der Ausschnitt der Fleischfachverkäuferin interessiert ihn wenig, weil sie ihm zu dürr ist. Hinter eine Fleischtheke gehört etwas Dralles, Pralles, Üppiges, etwas, woran man sich festhalten kann, wenn man einmal ins Wanken gerät, weil das Leben so schwankt.
Mortadella will er nur, weil Fiete Probleme mit den S-Lauten hat. Salami. Um Salami zu bitten klänge einfach lächerlich. Oder Fleischwurst. Noch schlimmer, zwei Hürden zu überwinden, die nicht zu überwinden sind. Das mag an seinen neuen Zähnen liegen, die ihm der Zahnarzt letzte Woche verpasst hat. Irgendwie passt nicht mehr alles so in den Mund, wie das vorher einmal war. Fiete hat ein Gefühl, als sei die Zunge gewachsen und plötzlich zu lang. Mortadella, sagt Fiete, 6 Scheiben, nicht zu dünn. Mortadella, denkt Fiete, nicht gerade gesund, was da alles drin sein soll, Hühnerfedern hat man, aber wer ist schon man?, jedenfalls soll man die schon drin gefunden haben, kleingeschreddert und gemahlen, verquirlt mit anderem Unrat und Fett, Bindemittel und Farbstoff und Gewürzen natürlich, Gewürze, wichtig, damit die Wurst nach etwas schmeckt, immerhin ist kein S in Mortadella.
Fiete schielt kurz in der Ausschnitt der Fleischwurstfachverkäuferin, oder hieß es Flachfleischverkäuferin, Fiete ist verwirrt, denn er kann direkt in den Kittel gucken und die fleischigen Ausbuchtungen sehen, sogar den Nippel der linken Brust, Fiete schluckt, eigentlich findet er dünne Frauen hinter Fleischtheken doch nett, Salami, lispelt er mit seinen neuen Zähnen, Salami da, nein, hier, ganz vorne, aus der ersten Reihe bitte, stammelt Fiete, die Verkäuferin reckt sich erneut und Fiete starrt in den Kittel auf den Nippel der rechten Brust. Das ist aber Sommerwurst, sagt ihm die nippelige Verkäuferin.
Fiete denkt, wie gut, dass ich nicht doch zum Vollvegetarier geworden bin, so hatte er immer noch die Entscheidungsfreiheit, sich eine Scheibe Wurst mit nach Hause zu nehmen.
Sommerwurst, achso, lispelt Fiete verwirrt, neinnein, hier vorne bleiben, die Nippel sind gerade verrutscht, weil die Fleischdame sich zurückziehen will, jaja, Sommerwurst, hier aus der ersten Reihe, zwölf Scheiben, und Salami, sechs Scheiben, ja, genau, oder doch sieben?
Fiete ist im Kaufrausch, was gibt es noch in der ersten Reihe hinter dem Glas? Die Verkäuferin hat die Wurst auf den Packtisch gelegt, ausgewogen und eingepackt. Darf es sonst noch etwas sein?, fragt sie. Schonschon, langzüngelt Fiete, äh...wie bitte, er wacht auf, hat geträumt, von heute Abend, äh, nein, nichts, danke, das wär’s...Wo war denn die Frage geblieben: Darf’s auch etwas mehr sein? Darauf wartet der Kunde doch.
Die Verkäuferin lächelt, Fiete grinst sein schönstes Grinsen, mehr ist mit den neuen Zähnen nicht drin.
Schönen Tag noch, lispelt er, gleichfalls, antwortet sie. Fiete addiert: 24 Scheiben Wurst hat er jetzt in der Hand. Wer soll die bloß essen?

Josef Beuys: Schnatter (Bomann-Museum Celle)


Das hätte ich auch noch hingekriegt, sprach der Vater großspurig zu seinen Söhnen, die krakeelend durch die Ausstellung rannten, alles befingerten und schließlich im Sandkasten Fratzen malten, die durch eine Installation zur Kunst erhoben wurde. Kunst kann jeder, soll der Beuys mal gesagt haben und sich dann in einen Fettstuhl gesetzt, mit dem Filzhut auf dem Kopf, wohl in Badehose an einem Südseestrand, an dem er dann Bilder in den Sand malte und gleich, nachdem sie natürlich fotografiert worden waren, mit dem rechten Fuß wieder ausradierte. Beuys war Rechtsfüßer.
Der Fotoband wurde verkauft und damit machte er richtig Kasse. Kein Wunder, wenn der Vater im Museum wütend ist, weil er mit seinen selbstgebastelten Wichteln aus Kiefernholz kein Geld gemacht hat. Das ist doch keine Kunst, hatte ihm Tante Lore ins Gesicht gesagt, mal bisschen mit der Säge an einem Stamm rumkratzen, rote Farbe hinklecksen und etwas sterile Watte an das Ende kleben! Wie hasste der Vater Tante Lore. So blödes Zeug reden wie Tante Lore, war schließlich auch keine Kunst. Die Kunst war, freundlich zu grinsen, wenn sie einen ihrer Monumentalvorträge hielt und dabei nicht zuzuhören.
Nachdem Beuys seinen Fotoband verkauft hatte, dachte er sich, och, in Celle haben die noch keine BIlder von mir, da male ich mal eine Ente mit einem Plapperschnabel, die jeder Vater auch in sein Tagebuch zeichnen könnte, um seine Söhne zu beeindrucken, etwa mit dem Satz: Flori und Basti! Schaut einmal, ich kann zeichnen wie der Josef Beuys! Ist überhaupt keine Kunst! Stimmt, Pappi, hätte der Nachwuchs gekräht.
Die Kunst ist, damit Geld zu verdienen.

Das Gastgedicht: Ulla Huhn - Schützenverein (2010)

Hab viel Schwein gehabt in meinem Leben,
lief's nicht holprig, lief es eben eben.
Nur im Schützenverein hatte ich kein Glück,
schoss ich auf die Zielscheibe, dann schoss sie zurück.

Ernst Bärlapp: Selbstbildnis aus Knete (2010) Das Zweite


Bärlapp dazu: Schon besser, man kann sogar ein paar Finger erkennen und das Gesicht ist auch nicht so flächig wie vorher. Aber irgendwie sehe ich so nicht aus. Die Nase, die Nase ist gerader und die Ohren liegen an.

Günter Krass - Plattenspieler


Was war das damals schön gemütlich: Das leise Knistern des Plattenspielers vor dem ersten Track, vor dem ersten Stück, dieses leichten Rumsen, wenn die Nadel aufgesetzt hatte! Später machten sich die Menschen, die jetzt der CD verfallen waren, über diese Nebengeräusche lustig: Na, die ist wohl am Lagerfeuer aufgenommen worden! Lachen konnte in Wirklichkeit keiner darüber, denn die CD war kalt, gefühllos, steril. Der alte Witz, die besten Stellen auf der Platte angekreuzt zu haben, zog zwar manchmal auch mit der CD, aber konnte das das Fehlen von echtem Gefühl nicht kompensieren. Die Platte war schwarz, von einem riesigen Cover umgeben, einem eigenständigen Kunstwerk, innen mit einer Papierhülle versehen, die die wertvollen Rillen schützen sollte. Da gab es bereits Unterschiede: Die Billigpressungen vervorzugten aus Kostengründen Plastikhüllen, die später von der Konsistenz her in der Gemüseabteilung der Supermärkte zu finden war. Dann gab es Luxushüllen, deren papierne Hülle innen noch einmal mit Plastik gefüttert waren. Das Problem war das eigentliche Herausziehen der Platte, hier konnten kaum mit dem Auge erkennbare Schleifspuren entstehen und neben den Staubablagerungen das Nebengeräuschspektrum empfindlich und unerwünscht erweitern. Der Plattenbesitzer litt jedes Mal, wenn er oder - eigentlich unmöglich- ein anderer die Platte aus der Hülle nahm. Eines der größten Saktilege war jedoch, eine Platte mit bloßen Finger anzufassen, die schweißigen, ungewaschenen Griffel, die vorher vielleicht in der Nase oder im Ohr gepopelt hatten, auf das schwarze Gold zu legen und unbedarft solange auf dem Plattenteller damit herumzurutschen, bis der Pin das Loch gefunden hatte. Die Steigerung war der selbe Vorgang im Suff, häufig am Wochenende, häufig auf Feten, häufig von Gästen verübt, die man nicht hätte einladen sollen.
Der Plattenfreund machte in der Regel eine Tonbandaufnahme von seiner Platte und verschloss sie dann in einem einbruchsicheren Schrank ohne Glastüren.
Auch das Knacken und Knistern war auf der Bandaufnahme zu hören, leider auch das Bandrauschen. Und dann kam der Lenco-Clean-Man! Dieser Superneurotiker, der nichts anderes zu tun hatte, als Nassabspielen!(Fortsetzung folgt)

Gedichte mit schicksalshaften Fügungen: Georg Krakl -Haus kaputt (2010)


Haus kaputt,
ist alles Schutt,
die Fetzen flogen.
Ich bin dann ausgezogen.

Gedichte mit Tieren: Georg Krakl - Vogelpredigt (2010)

Vogel predigt vom Leben,
dass Briefmarken häufig nicht kleben,
obwohl man sie leckt,
dass das Bankwesen verreckt,
die Vermögen, sie schrumpfen,
und Manager nächtens versumpfen,
das Ende sei nah,
der Tod, nicht das Leben,
war das, was er sah,
der Text sei daneben
gewesen,
er hätt sich einfach verlesen.
man sollt ihm verzeihen,
er würd sich wohl später kasteien.
Dann wär’s aber gut,
er nähm zwar den Hut,
aber schließlich wär’s ja sein eigenes Leben
und nun wär es Zeit
einem Vogel gleich sanft zu entschweben.
man wisse Bescheid.

Der Vogel setzt später an anderem Ort
die Predigten fort.

Ernst Bärlapp: Selbstbildnis aus Knete (2010)

Fredo pellt ein Ei

Der lange Fredo sitzt neben mir, er, der lange hölzerne Kasper, der alles, was er erlebt hat, in lange Geschichten steckt und mit diesem traurigen Ausdruck schildert, sodass der Hörer Mitleid haben muss; wenn Fredo ein 11jähriger Junge wäre.
Fredo hat sich ein Ei gepellt, ein kaltes, das vom Vortag übergeblieben ist, er hatte eins mehr gekocht, aber nicht gegessen. Denn das sei zu viel Cholesterin, sonntags aber esse er immer ein gekochtes Ei, das sei ein Ritual, ein gekochtes Ei, das er mit Senf würze. An diesem Sonntag habe er zwei gekocht, warum könne er nicht mehr sagen, vielleicht einfach, um diese Geschichte heute hier zu erzählen.
Diese kalten Eier vom Vortag seien wie schlechte Wochenanfänge, als sei man mit dem linken Bein aufgestanden, er wisse nicht warum es Eier gebe, die, nachdem sie gekocht und erkaltet seien, sich nicht pellen ließen. Seine Mutter habe die These aufgestellt, dass es an der zu geringen Abschreckzeit liegen könne, sodass sich die Pelle nicht genügend von der ziwschen Eiweiß und Schale liegenden weißschimmernden Schutzhaut löse. Ein Ei, das sich am Morgen eines Montages, der regulärer Arbeitstag ist und nicht ein Pfingstmontag, denn das gehe gerade so, sei wie der ausbleibende Stuhlgang um sechs, dann wenn die Morgenzeitung seit 15 Minuten im Postfach liege, er diese hereingeholt habe, den Kaffee in der Tasse habe und, jetzt lacht Fredo, zu einer Geschäftsitzung aufbrechen wolle, aber in der Sitzung der Stuhlgang, wie gesagt, Fredo deutet nur ein Lachen an, eher seufzt er gequält, dieser ausbleibe.
Der Tag ist gelaufen, so wie das Eigelb ausgelaufen ist.
Erst reiße die Schale nämlich nicht nur die weißschimmernde Haut mit sich, sondern auch eine etwa 2 mm dicke Eiweißschicht, die stellenweise noch dicker sein könne, sogar drohe das ganz Ei zerrissen zu werden und, von ungeschickten Fingern zerquetscht, auf die Spüle zu fallen. Eigelb lasse sich nur schwer wieder entfernen, besonders wenn es bereits hart geworden sei, das müsse man, Fredo lacht eher ärgerlich, förmlich abmeißeln, auf jeden Fall mit einem scharfen Messer oder Spachtel abschaben. Und dieser Morgen, heute, der heutige Morgen, sei so ein Morgen gewesen, so ein Jahrhundertmorgen im negativen Sinne, der letztendlich die Woche verdürbe, nichts habe noch Sinn nach einem solchen Erlebnis. Vielleicht solle man überhaupt auf den Konsum von Eiern verzichten, was denn der Ethikrat dazu sage, immerhin sei das ja eine Art Abtreibung. Ungeborenes Leben sei doch schützenswert. Da rege man sich auf über alkoholisierte Landesbischöfinnen, als hätten die nicht auch ein Recht auf einen Vollrausch, aber die Tierwelt bleibe mal wieder außen vor. Ja, außen vor. Fredo klagt leise. Der Raum hat sich geleert, denn jeder hatte plötzlich irgendetwas entdeckt, das es noch zu erledigen gab.

Winfried Hackeböller: Rost on it (2009)