Günter Krass:Teller und Tasse


Eines Tasse kam des Weges lang.
Na, nicht mehr im Schrank?, fragte der Teller.
Wie kommst du darauf?, fragte die Tasse zurück.
Der Teller mochte eigentlich keine Gegenfragen, trotzdem antwortete er: Man sagt doch „Nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder?“?
Das impliziert doch, dass alle Tassen in einem Schrank sein müssen, bemerkte die Tasse.
Ach du Schreckt, dachte der  Teller, eine Klugscheißer-Tasse, als wenn ich nicht mit mir selbst genug zu tun hätte.
Ich mein ja nur, man sagt das doch so, du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank, schob der Teller nach.
Das musst du einen Schrank fragen und nicht eine Tasse, Meister, konterte die Tasse.
Sag nicht Meister zu mir, sagte der Teller, wenn du mir was Gutes tun willst, sag Muskateller!
Ist das nicht  so ein süßer ungarischer Wein?, fragte die Tasse.
Süffig, nicht süß, und ungarisch nur, wenn er da auch gerade wächst, und Wein, weil es manchmal zum Heulen ist, dass man sich mit einer Tasse nicht unterhalten kann, heulte der Teller.
Ich bin eben keine Sammeltasse, antwortete die Tasse, aber ich glaube, dein Schrank, der hat nicht mehr alle Teller drin!, zischte die Tasse und zog von dannen.
Ich kabe keinen Schrank!, rief der Teller hinterher, aber die Tasse hörte schon nicht mehr.

Die Parabel von der Currywurst



„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“, hatte eine Currywurst sich immer wieder sagen lassen müssen, aber sie wollte das nicht recht glauben.Sie hatte extra einen VHS-Kurs belegt, um mehr zu diesem Problem zu erfahren. Aber auch dort hatte man ihr nicht helfen können.

Die Currywurst hatte dann angefangen, die Welt um sie herum zu beobachten und stellte fest, dass zehn Leute an einer Wurstbude nicht mehr als zehn Leute an einer Wurstbude sind, denn sie redeten nicht miteinander, sondern standen nur herum, schlangen ihre Würste hinunter und gingen, wenn sie gezahlt hatten, weg, ohne ein Wort zu sagen. Jeden Tag konnte sie dieses Phänomen beobachten, und es war der erste Zweifel gelegt. 
Dann aber sah sie, wie ein Hobbywerker mit einem Haufen zerschlagener Fliesen hantierte und sie auf ein Holzgestell klebte, anschließend mit Fugenweiß beschmierte, dann abrieb und polierte. Entstanden war ein schöner Fliesentisch, über den sich jeder Haushalt gefreut hätte. „Hm“, dachte die Currywurst, „sollte die Hypothese doch stimmen? War ein schöner Fliesentisch nicht viel mehr wert als ein Haufen kaputter Fliesen?“
Der Hobbywerker ging mit seinem Arbeitsergebnis zu seiner Frau und wollte ihr eine Freude machen. „Nicht schon wieder ein Fliesentisch!“, rief die Frau erschrocken, als sie das Möbelstück sah. “Den kannst du gleich auf den Müll tun."
Der Hobbywerker war zwar traurig, dass er seiner Frau keine Freude machen konnte, aber er gehorchte, weil er nicht noch mehr zornige Worte auf sich ziehen wollte.
„So einfach scheint das nicht zu sein“, dachte der Bastler und überlegte, was er wohl anderes machen könnte.  
Die Currywurst aber ging verunsichert zurück an die Wurstbude und dachte nach. Sie beobachtete die Leute und hoffte, auf neue Erkenntnisse zu kommen.
"Stimmt es, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile?", fragte die Currywurst den Wurstbudenbesitzer.
"Was soll dat denn?", gab  der unfreundlich zurück.
"Du biss doch sone Körriwurst im Stück, dich schneid ich kaputt, und wenne dann in Teile biss, kommt Ketchup drüber und fertig ist die Mahlzeit! Und dann bisse mehr wert, als wenne hier im Stück rumstehst und kalt wirs! Ist dat klar? Und jetzt ab aufen Grill!"
Da sprang die ganze Currywurst auf den Grill und wollte sich wohl auch zerschneiden und mit Ketchup übergießen lassen, damit sie endlich mehr wert wäre als vorher.
Also sie so auf dem Grill lag, kamen ihr doch Zweifel, aber da war es schon zu spät.
"Na, also! Geht doch!", sagte der Wurstmann mit der Schere, "Schnabulieren, nicht diskutieren!" Und der nächstbeste Kunde schlotzte sich die Schnittwurst in den Wanst und grunzte dabei wohlig. "Dat is mehr wert als wie ein Schnitzel!" Presste er zwischen Rülpsen hervor, und der Wurstbudenbesitzer nickt dazu.

Bergsteigerprobleme: K2 und K2r

"Ok, ich gebe zu, es war blöd von mir, die Tube K2r im Basislager liegenzulassen; ich kann es aber nicht mehr ändern und ich werde verdammt noch mal nicht zurückgehen, und die Tube holen, nur weil du vielleicht einen Fleck Murmeltierscheiße in deiner neue Wanderhose gefunden hast. Der war doch bestimmt schon vorher drin, von deiner letzten Alpentour zum Beispiel. In siebentausend Metern Höhe gibt es nämlich gar keine Murmeltiere mehr. Also auch keinen Fleck." Knut antwortete nicht, er schmollte und schwieg. Oskar saß 3 Meter tiefer in einer Felsgrube und hatte den Kopf auf die Knie gelegt. Es war zum Verzweifeln! Zum Heulen. "Wer wollte denn unbedingt auf den K2? Du, du ganz allein. Blöde Idee, K2, nur weil dir im Schleckermarkt diese Tube K2r in die Hände gefallen ist. Dann dieses oberkluge Gequatsche, K2r, äh, warte mal, K2, ist das nicht ein Berg, ein Achttausender? Blabla." Knut ließ sich nicht erweichen, er schmollte. "Ich wäre zu Hause geblieben, wenn ich das gewusst hätte. Eine Tube K2r ans Gipfelkreuz des K2 nageln. Nur mal so. Als Gag, oder was?" Knut schrie seine Frage förmlich. "Wir hätten zu Hause bleiben sollen. Erst der lange Flug und dann sowas. Das Matterhorn hätt's ja auch mal getan!" Oskar war erschöpft, ausgepumpt, fertig.
Und dann leise Knut:" Matterhorn. So ein Blödsinn. Das ergibt doch gar keinen Sinn. Oder kennst du ein Fleckenmittel in der Tube, das Matterhornr heißt?" Da hatte er recht. Knut stand langsam auf, die Glieder taten ihm weh, und schleppte sich zu Oskar hinüber. "Komm, wir gehen zurück ins Basislager. Morgen ist auch noch ein Tag..."

Heute vor 6 Jahren und einem Tag: "Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Plattenspielermeditation


Als Kinder waren wir fassziniert von der sich drehenden Scheibe und es war nicht nötig, eine schwarze Platte mit Rillen, die beim Aufsetzen der Nadel erst kratzende und dann tönend-knisternde Känge abgab, aufzulegen. Stumm blickten wir auf die Drehscheibe, bis das Muster im Zentrum immer mehr verschwamm und eins wurde mit unserem stillen Verharren und Warten auf irgendetwas, was da kommen könnte. Es kam nichts, die Scheibe drehte sich und wir wurden müder und müder. Dann erschien es uns so, als wolle sich der Tonarm aus seiner Befestigung lösen, als wolle die Nadel in nichtvorhandene Rillen springen und uns den Klangzauber des Himmels vermitteln, Engelsgesänge vorjubilieren, Aeolsharfen anzupfen, die Geigen zum Schwingen bringen, und die Hymnen des Paradieses und der Ewigkeit direkt in unser Ohr summen. Lange konnten wir auf das sich drehende Rund starren und die Welt um uns vergessen, vielleicht bis Mutter "Abendessen jetzt, los, wasch dir mal die Hände und dann zackzack!" rief, ein Sakrileg, wahrlich, aber ein notwendiges Übel, um uns wieder in die Wirklichkeit mit all ihren Bedürfnissen zu holen. Wir hätten bis zum St.Nimmerleinstag noch dort gesessen und uns der Rechtsdrehung hingegeben. Tief durchatmen, Arme fest, Augen auf! war unser Schlagwort, dann schlugen wir die Augen auf, wenn sie geschlossen waren, und sahen vor uns die unermüdliche Bewegung des Plattentellers, der uns mit 33 Umdrehungen verzaubert hatte. Oft waren wir benommen und nicht wirklich in der Welt der Dampfkartoffeln, des Erbsengemüses und der Schweinefrikadellen; dann beschlossen wir, das nächste Mal 45 Umdrehungen zu wählen. Wer wusste denn damals schon, was Geschwindigkeit bei einem Menschen bewirken kann.
Heute kann kein MP3-Player das leisten, was der Plattenspieler der Volksgesundheit gegeben hatte. Moderne Technik muss nicht immer zum Wohle der Menschen sein.

Georg Krakl: Bluthochdruck (2014)

Vladimir Kanniksky: Bluthochdruck (2014)
Das Blut,
es drückt auf die Arterien und Venen,
auf Knochen, Kopf und Sehnen.
Der Kopf ist rot,
der Druck macht tot,
wenn man die richtigen Tabletten
nicht regelmäßig nimmt.
Dann ist man nicht zu retten.
Und der Arzt sagt: Stimmt.

Er schreibt dir ein Rezept dagegen.
Das ist ein Segen.



Gedichte mit Abfall drin: Georg Krakl - Pfingstrose und der Osten (2014)

Roy Lichtendorf: Phingstrhose (2014)
In meinem Beet
hat eine Pfingstrose
beigedreht.

In jenem Fleet
liegt eine Zingstdose,
wie ihr seht.

Das Fleet ist fern,
das Beet so nah mir wie der frische Morgen.
Ich hab' die Rose gern.
Die Dose sollte man entsorgen.

Das Verwachsen von Ost und West ist noch nicht abgeschlossen.
Krakl zeigt in seinem Endreim-orientierten Drei-Strophler die Narben.

Hier die Idylle der Heimat, symbolisiert durch das Beet, dem sich eine Pfingstrose, Symbol der Schönheit, vielleicht der Liebe, genähert hat, nein,die sogar beigedreht hat, wahrscheinlich um zu verweilen, weil es so schön im Beet ist.
Aus nautisch-maritimer Sicht ist dieser Vorgang allerdings schwierig, er ist wohl eher eine Allegorie, die die Vereinigung des Schönen und des Verweilens für eine gewisse Zeit darstellt. Einen immanent sexuellen Farbton über die Wörter Beet und Bett kann man wohl ausschließen, hier bleibt es bei der naiven, unschuldigen Gefühlslage.

Dort der graue und brackige Alltag im Fleet.
Der Kontrast. Ein Fleet, mit dem man eine dunkle Brühe assoziiert, Brackwasser, in dem niemand freiwillig schwimmen will.
Eine Zingstdose in ihm. Zingst als Beispiel für die Verwüstung des Osten, in dem das Krebsgeschür Tourismus -siehe das Steigenberger - die gesunden Zellen auffrisst.

"Wie ihr seht" - So spricht  Krakl den Leser an und will ihm zeigen, dass er nämlich nicht  sieht. Denn sonst hätte er es längst gesehen und aufgeschrieen ob der monopolkapitalistischen Vergewaltigung einer unberührten und unterbeleuchteten Provinz.
Das Fleet ist ihm fern, dem lyrischen Ich, oder dem Krakl, das weiß man nicht.
Er bleibt daheim im Beet, wo die Pfingstrose angedockt hat. Romantik pur.
Dort dümpelt die Zingstdose. Krakl drückt mit diesem Neologismus aus, was die Volksseele längst spürt: Der Osten wird eingedost und auf den Markt geworfen, leergesoffen wirft man die Verpackung, die den Schein symbolisiert, dem wir erlegen sind, ins Fleet, ins Brackwasser. Asche zu Asche, Müll zu Müll.
"Die Dose sollte man entsorgen" - Krakls letzter Appell. Wenn der Osten noch zu retten ist, dann durch Recycling. Die blühenden Felder sind abgemäht, die weißen Tauben sind taub. Was Politik in Jahrzehnten nicht gelungen ist, formt sich hier als Appell:
Müll - Macht was draus! Könnte man das Gedicht übersetzen.
Aber vielleicht ist das auch gar nicht gemeint.

Heute vor 6 Jahren: Das Verschwinden der sichtbaren Emotion

Das Leben schreibt seine Geschichten direkt in das Gesicht eines Menschen. Ausgeprägter Faltenwurf bürgt für eine bewegte Lebensgeschichte, alle Schattierungen des Menschseins lassen sich im gefurchten Antlitz erkennen, Freude und Leid, Seelenqual und Himmelhochjauchzen. Das ist Vergangenheit.
Heute zählt das glatte Gesicht, es erzählt aber nicht mehr. Der Uniformiertheit der Kleidung gesellt sich die der Gesichter zu. Langweilige Schönlinge neben messerscharf geglätteten Frauen, aufgespritzte Lippen unter korrigierten Nasen; gestraffte Lider, angelegte Ohren, gekappte Brauen und verpflanzte Haarbüschel sollen den Menschen schön machen. Hat früher das Hässliche, das Unebene, das Raue und Narbige sich eingeprägt, so verblasst heute jede Bekanntschaft, weil die Langeweile des Gesehenen den Betrachter betäubt. Die Menschen gleichen sich an und werden zur Masse. Der Individualist, für den sich trotz aller Gesichtsbügeleien jeder hält, verschwindet leise, dabei sollte er laut brüllen und dankbar für jede neue Furche, für jede Narbe und jeden Pickel, jedes Muttermal sein, denn es ist eine weitere Seite im Buch seines Lebens geschrieben worden.

Weisheit des Alltags: Kirschkuchen

Wenn du im Kirschkuchen eine blutige Schnittwunde zu finden glaubst, wird es Zeit den Bäcker zu wechseln.

Die GESCHÄFTSIDEE: Lass die Schlange los!


Die GESCHÄFTSIDEE: Jetzt Kunden werben! Erwerben Sie unser neuartiges Konzept für marode Wirtschaftsunternehmen und gestrauchelte Menschen: Da ist immer noch was zu holen! Positiv denken!
Hier der Musterbrief zum Einstieg in die Neue Welt:

Sehr geehrter Herr .................!


In Zeiten wirtschaftlichen Abgangs und  der Zerstörung interpersoneller Systeme ist es hilfreich und vielleicht sogar lebens- wenn nicht überlebenswichtig, seinen Blick auf effiziente Programme zu richten, die destruktive Niedergangsenergien zu bündeln und zu kanalisieren verstehen.
Niemand wird von sich behaupten können, frei von diesen Lebensenergie bindenden Kräften zu sein. Vielmehr ist jeder in Teilabhängigkeit von dieser dunklen Macht, die uns allen das Leben schwer macht.
Sei es ihr marodes Wirtschaftsunternehmen, ihr zerstrittener Schützenverein oder vielleicht das Projektfeld „Eigener Herd“, alles wird durchdrungen von Blockaden, denen sie hilflos ausgeliefert sind, vor denen sie wie ein Stück Treibholz hängen. Nichts fließt mehr.

Kundaliniorientierte Beratung  bietet ein Konzept, das, getreu dem Motto „Lass die Schlange los!“, neue Flussmöglichkeiten durch die bewusste Wahrnehmung des PC-Muskels und seiner Umgebung eröffnet. Die Zeiten von „Nicht an die Schnecke fassen!“ sind Vergangenheit, die Zukunft gehört der Kraftschlange, die sich an Ihrer inneren Flöte hochhangelt und unerbittlich den Siegeszug Ihres Projektes initiiert.

Schon wenige Minuten am Tag werden Sie und Ihre Mitarbeiter auf eine ganz andere Ebene des Erfolges bringen und dort halten. Einmal losgelassen, ist diese Energie unerschöpflicher Quell ihres Erfolges.
Ärger mit dem Vorgesetzten? PC-Muskel  und Atem in Verbindung mit dem rechten Ton lösen ihr Problem unkonventionell.
Kassiererin zickt rum? Ein kurzes Zucken im unteren Bereich Ihres Körper reicht schon, um vielleicht sogar einen Preisnachlass zu erhalten. Mühelos. Einfach durch ihre Strahlkraft.
Menschen beeindrucken und überzeugen, das ist unser Konzept.
Wir beraten Sie gern!

Mit freundlichem Gruß

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Zwölftonmusik - Was soll das?

Mögen Zwölftonmusik, wenn's gut klingt.
Musik lässt sich nicht einfach beschreiben. Oft fehhlen die Worte und man muss versuchen, seinem Gefühl Ausdruck zu geben. Das kann sein durch rhythmisches Hin-und Herbewegen des Oberkörpers, wie es vom Hospitalismus her bekannt ist, oder aber durch schlichte Bewegungen der Hand, die an das Dirigieren des Profis erinnern oder einfach an das Herunterdrücken des Stampfers oder Stempels einer Kaffeekanne für Aufgusskaffee. Esoterische Kreise entwickeln Tänze, die für alle verpflichtend sind und wobei wallende Gewänder in bunten Farben getragen werden müssen, oder stampfen stundenlang mit den Füßen auf Lehmboden, um in eine Art Trance zu verfallen. Das heißt doch: Musik geht ins Ohr und kommt aus dem Körper wieder heraus. Schlechtestes Medium ist dabei das Wort. Ein gefühlvoller Grunzlaut sagt mehr als ein wohlartikuliertes Ssssuper oder Ganzgroßeklassebesondersdiecelli.

Musik kann aber auch fassunglos machen. Das hat sie zur Zeit der Wende zum 20.Jahrhundert durch die Zwölftonmusik. Was andere als Ausdruck der kriegsvorbereitenden, imperialistischen Tendenzen in Europa interpretieren, ist wohl nichts anderes als Bequemlichkeit gewesen: Wo der ernsthafte Tönesetzer nach Ideen, nach Melodien sucht, rattert der Zwölftöner sein schlichtes Repertoire runter. Seriell, einer Maschine gleich, spult er eine wirre Reihe von 12 Tönen ab, wobei sich keiner wiederholen darf, bevor nicht die anderen 11 gespielt worden sind. Eine Wahnwitzidee! Selbst die DGG hat sich trügen lassen und Kompositionen aus der Baukastenwerkstatt der Zwölftöner veröffentlicht. Der Clou: Sie hat damit auch Geld verdient, weil der Hörer und Käufer nämlich auch bequem ist und sich von den gelb-weißen Covers der DGG beeindrucken lässt, anstatt einmal richtig hinzuhören. Wer merkt denn wirklich in all dem Gewirr, ob die 11 anderen Töne gespielt worden sind, bevor das eingestrichene As zum zweiten Mal ertönt? Da schweigt man doch lieber, als sich eine Schwäche einzugestehen.

Das Schlimmste aber ist, dass es Menschen gibt, die solche Konstruktionsmusik, die jeder Computer schnell mal raushauen kann, anscheinend genießen, die sich wohlig in den Sessel drücken, die Beine heben und seufzen ob des ernstzunehmenden Kunstwerkes, ob der Gefühlsgewalt, die dem Hörer angetan wird, im Positiven natürlich.
Da kann man sich doch nur ein Beadauern abringen, dass hier werbetechnische Bauernfängerei - wobei das Wort schon fehl am Platze ist, denn ein Bauer besitzt genügend Selbstachtung, um sich nicht durch eine Zwölfton-CD zu quälen - mit der Blasiertheit des Bildungsbürgertums gepaart wird, und so dem Schnellschnell-Komponisten, dem nichts Schönes mehr einfällt, den Lebensunterhalt  sichert.
Da ist der Griff in die Schlagerbox zu verstehen.Eskapismus nennt der Psychologe das, und der muss es ja wissen, weil er sein Geld damit verdient.



Parabel: Auf beiden Augen blind

Pawel "Pablo" Pikass: Wenn die Welt
rot sein soll, steck rote Gläser
in deine Brille" (2014)
Da setzte sich der Mann zwei Augenklappen auf und fühlte sich wie ein doppelter Seeräuber.
"Jetzt bin ich unsichtbar!", sagte er und hatte recht.
Er konnte sich nun nicht mal mehr im Spiegel betrachten und war für einen Menschen auf der ganzen Welt unsichtbar, für sich selbst nämlich.
"Auf in den Kampf, es gibt zu tun, packen wir's an!", sprach der Mann weiter und zitierte den berühmten Tiger im Tank, eine der häufigst erwähnten Alliterationen der Werbebranche zu Zeiten der Ölkrise oder danach.
Kurz darauf rannte er vor einen Laternenpfahl und trug eine Platzwunde davon, denn die Laterne hatte ihn wohl nicht kommen gesehen.
"Siehste!", sagte der Mann und fühlte sich in seinem Unsichtbarsein bestärkt.
"Eben nicht", dachte die Laterne und machte das Licht aus.

Assistent vom Weihnachtsmann

Der neue Assistent des Weihnachtsmannes heißt Ruth Knepprecht und ist weiblich.
Knut Rechtrepp und Recht Knupprecht zogen den Kürzeren, da sie männlich waren.
Zu Recht Knupprecht wurde während des Verfahrens noch geäußert, der Name erinnere zu sehr an "recht knusprig", was wiederum eine Diskriminierung der Brathähnchen darstelle.
Letzterer will aber vor das Arbeitsgericht gegen diese Bemerkung ziehen.

Heute vor 6 Jahren in Bodos Welt: Berufsziel: Diktator


Neben Alligator und Elevator gehört auch der Diktator zu den Berufen, deren Bezeichnung kaum jemand kennt, aber den aus dem Bauch heraus viele ergreifen wollen. Ich weiß nicht, was der tun muss, aber ich finde, das klingt so schön, so akademisch: Diktator. Das hört man Ausbildungsplatzsuchende sagen, und auch die ältere Generation schwärmt von den Möglichkeiten, die die Ausbildung bietet. Sagen, wo's langgeht. Sprechen, und alle müssen zuhören. Müssen, Betonung liegt auf müssen!
Blödsinn herumschreien und alle klatschen Applaus.
Vermutet man das Wort in der Nähe des Diktiergerätes, so liegt man nicht falsch: Der Diktator sagt, was das Diktiergerät aufnehmen soll. Heute hat man digitale Geräte, deren Aufzeichnungen man problemlos löschen kann.
Früher war das Volk das Diktiergerät, das alles ins Hirn schrieb, was der Meister sagte, und anschließend in die Tat umsetzte, egal, welcher Schwachsinn, welcher menschenverachtende Unsinn den zynischen Lippen entsprang. Das Diktiergerät hatte es sowieso nicht verstanden, aufgrund eines irreparablen Sprachfehlers des Sprechers, hatte aber alles aufgezeichnet. Aufgezeichnet, sagte der Diktator, und meinte ausgezeichnet. Dem Volk war es egal, Hauptsache es hatte eine feste Anstellung, denn Diktiergeräte mussten nicht denken. Ob aufgezeichnet oder ausgezeichnet - worin liegt denn schon der Unterschied?
Missverständnisse in Aussprache und Aufnahme haben zu den größten Katastrophen der Menschheit geführt. Warum will niemand Posh Spice werden? Weil das fast polnisch klingt, weil vor lauter S- und Sch-Lauten die Arbeitsplatte schwimmt! Diktator, ein gutes Wort. Kein s, kein sch. Etwas für Leute mit Sprachfehler. Manchmal reicht es auch, nicht malen zu können.

Tonnes Tagebuch: Zukunft und Kaffeefilter

Liebes Tagebuch!
Heute morgen dachte ich, ich könnte mal etwas über meine Zukunft erfahren und warf einen Blick auf meinen Kaffeefilter, denn der Satz in der Tüte soll ja etwas darüber sagen, wie es mit einem weitergehen könnte. Der Filter aber war irgendwie zusammengeklappt, er wirkte verschlossen, so als wolle er nichts von seinem Inneren preisgeben, nichts von dem Satz, den ich lesen müsste.
Den Satz lesen!, das ist doch auch absurd!
Im Satz lesen!, noch absurder.
Ist denn sogar der Kaffee bedeutungslos, der da vor sich hingammelt?
Hat fair gehandelter mehr Zukunft als der konventionelle, der mit Sklavenarbeit produziert wird, aber billiger auf den Markt kommt?
Kaffee! Ja früher hieß der Negerschweiß. Das darf man nicht mehr sagen. Wenn man das damals gewusst hätte, als man im Kaffeesatz gelesen hat, dann wär man heute auch nicht schlauer!
Stell dir mal vor, du wachst morgens auf, hast gerade deinen Koffeinschub getankt, der Filter liegt in der Ablage und du versuchst in die Zukunft zu blicken und liest in deinem Kaffee den Satz: In Zukunft heißt Kaffee nicht mehr Negerschweiß.
Was hätte man denn davon halten sollen?
Sag mal, Kaffee, spinnst du jetzt völlig? Negerschweiß sagt man doch heutzutage auch nicht mehr, auf jeden Fall nicht laut. Wenn, dann denkt man das doch.
Oder in dem Satz steht zu lesen: Schwitzen heißt demnächst transpirieren.
Was sollte denn das sein?
Und dann steht da noch: Aber es wird ein Mittel dagegen geben, mindestens aber gegen den Geruch von Schweiß: Das Deo.
Deo haben wir doch damals für den schlecht ausgesprochenen Namen Theo gehalten.
Und was würde es nützen, wenn ich heute in den Kaffeesatz schauen würde?
Demnächst gibt es ein Flomps.
Ja, was soll das denn sein?
In zwanzig Jahren wirst du es wissen, wird die Tüte sagen, in der der Satz steckt.
Im Moment ist das nicht relevant.
Aber Zukunft, das sind mindestens 20 Jahre sagt der Satz.
Ja, meine Güte, vielleicht habe ich gar keine Zukunft mehr, Tagebuch!
Ich steige auf Tee um, das ist erst mal ein Schritt.


Selfies im Kommen

Sich selbst mit dem Handy fotografieren und überall herumzeigen, obwohl es keiner sehen will, das ist schwer im Kommen. Sogar Prinz Harry Brot  hat sich diesem Hobby verschrieben und versucht, endlich eine passende royale Geliebte zu bekommen, deren Tischmanieren auch Großmutter gefallen.
Leider ist es hellblauen Taschen für poussierliche Damen nicht möglich, sich selbst zu fotografieren, obwohl die Taschen sich für schön halten und gerne von anderen wahrgenommen werden möchten.

Neuerdings gibt es Menschen, die ehrenamtlich Handtaschen mit dem Handy fotografieren und dann ins Internet stellen, damit auch diesen Mitobjekten in der Heilen Welt Genüge getan wird.
Eine schöne Idee. Es werden aber noch Sponsoren gesucht, die den Handtaschen ein Handy kaufen, damit die Fotos nicht immer auf den Smartphones fremder Leute verweilen und dort zweckentfremdet werden.

Optische Täuschungen: Mieze

Quasimir Malewisch: Katze mit lila Kugel
auf dem Kopf (2014)
Das hat Malewisch doch mal richtig gut hingekriegt. Was von Weitem aussieht wie eine Frau mit nacktem Oberkörper, ist in Wirklichkeit eine  Katze mit einer lila Kugel auf dem Kopf.
Die optische Täuschung ist mehr als gelungen und bedient nicht nur das klassische Wunschdenken des Betrachters, sondern spielt auch mit seinen geheimsten Wünschen.
Wer wollte nicht als Kind schon mit der Katze spielen, wenn er an sie herangekommen wäre?
Die aber zeigte die Krallen und fauchte, wenn man zu nahe kam.
Dann zischte der Zurückgewiesene: Ich wünschte, miese Mieze, du hättest eine lila Kugel auf dem Kopf, die könnte ich dann wegschnipsen, sodass sie einem Hund an den Kopf flöge, der dann meinte, dass du sie geschossen habest, woraufhin dieser sich dir blitzartige näherte, um dich zu malträtieren. Wie auch immer das aussähe. Verdient hättest du es allemal. Ich wollte ja nur kraulen.Soweit der Zurückgewiesene.
Das alles und noch viel mehr hat Malewisch, den man salopp auch Malewischundweg nennt, in seinem Bild vermalt. Da ist kein Tropfen Farbe zu viel.

Neo-Land Art: Hein Hopp - Rasen

Hein Hopp: Rasen (2014)
Georg Krakl: Rasen (2014)
Rasen steht.
Rasen wächst.
Rasen ruht.

Rasen rast nicht.

Hund und Herr: Lyrikhund

Pawel "Pablo" Pikass: Hund, Herr und Sonne (2014)
Herrchen: Hund, was reimt sich auf schlau?
Hund: Wau!
Herrchen: Hund, was reimt sich auf rau?
Hund: Wau!
Herrchen: Hund, was reimt sich  auf Kaninchenbau?
Hund: Wau!
Herrchen: Hund, was reimt sich auf Frau?
Hund: Wau!
Herrchen: Hahaha! Braver Hund! Was reimt sich auf Feischbeschau?
Hund: Wau!
Herrchen: Ganz genau!
Hund Wau!
Herrchen: Nicht vorsagen!
Hund: Wau!
Herrchen: Hund, was reimt sich auf ganz genau?
Hund: Wau!
Herrchen: Ein schlauer Hund, das ist echt ne Schau!
Hund: Wau!
Herrchen: (tätschelt den Hund am Kopf) Du kleine Sau!
Hund: Wau!
Herrchen: (wirft dem Hund ein Leckerli auf den Boden) Belohnung, Hund! Kau!
Hund: Wau!
Herrchen: (spricht stolz zu sich selbst) Ein Lyrikhund. Toll. Wahnsinn.
Hund: (denkt, dass sein Herrchen die letzte Mettgurke im Ort ist, die glaubt, dass ein Hund reimen könnte, dass sein Herrchen ein Blötschkopp und Dummhansel ist, der nicht mal richtig an der Leine gehen kann) Wau!
Herrchen: Hahaha! Das hat sich aber jetzt nicht gereimt.


Anklicken:
Mal gucken, wie Herr und Hund im Film aussehen.

Wie der Herr, so der Hund

Pawel "Pablo" Pikass: Hund und Halter (2014)
Das sagte der Hundehalter zum Hund: Wir haben vieles gemeinsam, lieber Hund, ich habe einen Eierkopf und dein Kopf ist auch nicht schön. Ich gehe nicht gerne an der Leine und du auch nicht. Ich esse gerne Fleisch und du auch. Ich mag kein Dosenfleisch, aber dir ist das egal.
Und da geht es auch schon los. Ich beiße keine Briefträger, du aber mit Genuss und ich kacke nicht auf den Rasen des Nachbarn, weil ich nicht will, dass mich seine Frau dabei beobachtet. An seine Forsythie habe ich schon gepinkelt, als bei der letzten Gartenfete das Klo besetzt war. Du pinkelst an alles, was wie ein Busch oder eine Katze aussieht, selbst wenn ein Klo frei wäre. Man sagt zwar "Wie der Herr, so's Gescherr!" Das stimmt aber nicht, denn Menschen können denken und Hunde merken überhaupt nicht, wenn sie denken könnten.
Ganz wichtig: Hunde zählen nicht zu Gescherr!
Wer einen Hund überfährt, begeht juristisch höchstens Sachbeschädigung.
Also, reiß dich zusammen und komm demnächst gefälligst, wenn ich dich rufe.

Weisheit der Hühner: Fragen

Ein geschlachtetes Huhn fragt man nicht,
ob es noch ein Ei legen will.

Barbie und der pinkepinke Himmel

Barbie I. war klar: Der pinkepinke Himmel fraß die blaue Wirklichkeit.
Man musste nicht auf Droge sein, um den Himmel pink zu sehen. Man musste Barbie sein. Barbie I.
Barbiturate!, hatte irgendwer gescherzt. Dem war das Lachen vergangen.
Das durfte nicht sein. Disharmonie, was auch immer das sein mochte, Disharmonie zerstört das Gefüge der Welt, hatte Großmutter gesagt.
Gefüge, Gefüge, was auch immer das sein mochte, man konnte es zerstören.
Barbie I. sah an sich herunter: Ein schönes Gefüge, besonders da vorne. Das durfte nicht zerstört werden. Vorsicht vor Disharmonie! Wie mochte die wohl aussehen?
Vielleicht hellblau.
Egal, wenn sie käme, würde ihr das Lachens schon vergehen.
Der pinkepinke Himmel frisst die blaue Wirklichkeit, dachte Barbie I. Und wenn schon!


Pinkwelt



Auch die pinken
Klinken
öffnen Türen.

(Sagen wir: In Düren)



Brausender Beifall oder tosender Applaus?

Der Schreiber in örtlichen Tageblättern neigt zur Alliteration, um zu belegen, dass er mit den großen Klatschkolumnisten mithalten kann. Der gleiche Anlaut ist Pflicht und die Wortwohl wird ihr untergeordnet.
Brausender Beifall - Was soll das sein? Tosender Applaus ist als feststehender Wert bekannt, aber brausender Beifall muss sich noch in die Skala der differenzierten Geräuschäußerungen arbeiten. Immerhin kann der Künstler grob abhören, was das Publikum von seinen Produkten hält.
Brausend - Dieses Partizip Präsens, das die Dauer des Vorgangs verdeutlichen soll, ähnlich einer Gießkanne, die die Gartenblumen sanft beregnet, oder ähnlich einem Duschkopf, der einen Menschen berieselt, zeigt an, dass der Vorführende oder Vorgeführtgehabthabende einen dezenten Beifall verdient, der nicht das Tosen der Welt abruft und kein Erdbeben initiiert, aber doch stetig und rege herabplätschert. Prasseln wäre da schon eine Steigerung.
Dem Brotlosen drängt sich auf, dass die Applaudierenden kurz vor der Langeweile gesessen haben und nun froh sind, dass der Akt vorüber ist. Niemanden hat es vom Sessel gerissen, aber man ist allgemein angetan, vielleicht mäßig bis mittelmäßig.
Der Autor des Textes wollte vielleicht ausdrücken, dass der Applaus kräftig war, hat es aber vorgezogen, sich selbst darzustellen und seine persönlich empfundene Kunstfertigkeit im Bereich Schreiben und Schmieren in den Vordergrund zu stellen, sodass der eigentliche künstlerische Akt in den Hintergrund geraten ist und zudem noch falsch umschrieben wurde in puncto Klatschen.
Ein Katalog der brauchbaren Metaphern wäre interessant, um Missgriffe zu vermeiden und die Künstler nicht dergestalt zu frustrieren, dass sie demnächst verweigern aufzutreten.
Jeder mag Überlegungen anstellen, was folgende Applauskomponenten bewirken könnten:
Kraftstrotzendes Klatschen, totales Trommeln mit den Füßen, stattliches Stampfen, klangvolles Klappern der Hände, zünftiges Zusammenschlagen der Handflächen, achtbarer Applaus, betroffener Beifallsorkan, heftige Huldigung, großzügiges Gefallen, jovialer Jubel, respektable Resonanz. Alles in Form von Klatschen, Grunzen und Füßetrampeln.
Also, einfach mal ausprobieren und gucken, was passiert.
Den Schreibern aber sei geraten, zu schreiben ohne zu schmieren. Alternierende Alliterationen sind allemal allen angeraten, damit der Zwangscharakter des Eindruckschindens nicht zu deutlich wird.


Weisheiten der Hühner: Legen und Brüten

Bevor ein Ei nicht gelegt ist, sollte man nicht mit dem Ausbrüten beginnen.

Tippelnde Menschen

Ernst Broch: Tippelbruder (2014)
Immer häufiger sieht man Menschen, die sich komisch anmutend durch die Gegend bewegen, oft haben sie einen Hund dabei, den sie in tippelnden, hektischen Schritten auf dem Verdauungsgang begleiten, manchmal haben sie Stöcke, an denen sie sich festhalten, um nicht umzukippen.
Gelegentlich aber stochern Menschen mit angewinkelten Armen ohne jedes Hilfsmittel durch die Gegend, das Gesicht bleich oder puterrot, die Mimik erinnert an die Vorstufe zur Panik.
Fragte man sie, wohin des Weges sie laufen, lautete die Antwort in der Regel: Nach Hause.
Fragte man, woher sie kämen, wäre die Antwort dieselbe: Von zu Hause.
Welchen Sinn aber kann man aus einer Bewegung ableiten, deren Ziel es ist, am Start anzukommen?
Zwar haben diese Geher eine Stunde in ihrer Bewegung verbracht, sind aber keinen Meter vorangekommen, weil sie ja wieder zu Hause sind, da, wo sie vor 60 Minuten begonnen haben. Wie enttäuschend muss es sein, sich bewusst zu machen, dass sie da sind, wo sind immer schon waren. Was bedeutet das für ihre Entwicklung? Für ihre Größerwerdung als Mensch?
Aber Jesus hat doch gesagt, er sei das A und das O, der Anfang und das Ende!, wenden die Beweger ein, und doch verstehen wir nicht, was sie damit meinen.
Immerhin kann man ihre Bewegungsstrecke, wäre der ein roter Faden, durch Strecken und Ziehen zu einem Kreis machen, sodass mindestens der blasse Eindruck entsteht, man habe sich in einer idealen geometrischen Figur bewegt.
Aber: Auch das Hamsterrad ist rund.
Und irgendwie erinnern die zähen Männer und Frauen, wenn sie mit verbissenen Gesichtern Hund, Stock oder angewinkelte Arme durch die Gegend quälen, an Hamster, an Feldhamster vielleicht, die ja bekanntlich auf der Roten Liste stehen.
Und trotzdem: Ein Rest Unverstehen bleibt.
Und wir haben einen Grund, still im Sessel hocken zu bleiben, denn man muss ja nicht alles mitmachen.

Bruno und die Zauberpumps (2)

Bruno hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Zum dritten Mal schlüpfte er in die Pumps Größe 45 aus dem Internet, die so aussahen, wie die seiner Chefin, nur eben 5 Nummern größer. Und das war ja auch der Sinn: Mindestens fünf Nummern größer zu sein als diese Dame, die roch als hätte man sie bei Douglas in die Bestäubungskammer gesperrt, dort wo lebenslängliche Düfte unter Hochdruck den Objekten und auf Wunsch den Menschen eingebrannt wurden, oder wie man das nennen sollte.
Bruno bemerkt heute schon vor dem Anziehen der Schuhe dieses Hochkochen der Kraft, der Macht, der ungebremsten Aggression.
Ich trete in dich rein, du Scheißschuh!, rotzte er raus, und dann ging auch schon die Tirade los. Bruno war wie von Sinnen, ein Außenstehender hätte ihn dem Tourette-Syndrom zugeordnet.
Weder er noch die Chefin kamen gut bei der Sache weg. Der Spiegel, vor dem er zum dritten Mal stand, war übersät von Speicheltropfen und klebrigeren Substanzen, irgendwie hatte er heute ganz tief unten ausgeholt.
Bruno schwankte ein bisschen und lehnte seinen Kopf an das kühle Spiegelglas.
Als er die Augen aufmachte, stand er vor einer Stollenwand. 70er Jahre.
Was ist das denn?, fragte Bruno leise, und seine Hand fuhr vorsichtig über die Regale, die kein Staubkörnchen aufwiesen.
Ledersofa, ach du Scheiße, entfuhr es Bruno, wo bin ich hier gelandet?
Mit einem Ruck ging die eichenfurnierte Tür auf und ein großer, ungeschlachter Kerl mit ungekämmten Haar kam herein und brüllte: Hör mal, Freundchen! Du hast mich wieder zugeparkt! Denk mal über dein Sozialverhalten nach, das lass ich mir als Trollo, und vor allem in meiner Funktion als Obertrolol nicht bieten! Vor allem nicht von einem Mädchen. Fahr deine Karre mal ganz schnell weg, bevor die Schwarze Gräfin die spitze Nase dran kriegt!
Bruno war wie gelähmt.
Zugeparkt? Trollo? Obertrollo? Klar, Trollos kannte er auch, oder Trolli, wie er sie heimlich im Plural nannte. Und der hier sah doch genau wie Menke aus, Manni Menke, der Lieblingswasserträger der Chefin.
Schwarze Gräfin? Wo war er gelandet.
Und nimm die Finger von der Stollenwand, Meister, sonst setzt es einen Satz heiße Ohren!, zischte Menke und holte Bruno zurück in die Wirklichkeit und in den Sozialraum der Schwarzen Gräfin.
Setzt es einen Satz, dachte Bruno, typisch Menke. Sprachcode oder Sprachkot?

Bald geht es weiter mit Bruno und den Zauberpumps.

Vincent van Eijnoor: Boris B. (einäugig) (2014)

Vincent van Eijnoor: Boris B. (2014)
Er sei damals ziemlich einäugig gewesen, als er sich in der Besenkammer versteckt habe. Dort sei er von einer hinter einem Putzeimer kauernden Raumpflegerin begriffen worden, woraufhin er ein Kind mit dieser gezeugt habe.
So Boris Decker, der sich kürzlich von Vinvent van Eijnoor hat porträtieren lassen.
Eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Bild von van Gogh sei da, der habe auch so eine hässliche Mütze, die jetzt aber, falls die Russen kommen, richtig schick werden dürfte. Auf jeden Fall sei die Anzahl der Ohren erheblich höher und das eine Auge sei auch nicht tragisch, denn auf dem sei er sowieso blind, wenn es um die Liebe gehe, wobei die Sache in der Besenkammer ja keine richtige Liebe gewesen sei, weil dafür nicht auch noch Zeit gewesen sei.
Das mit dem Bild sei aber in Ordnung, das habe so einen Symbolcharakter, dass man gar nicht weggucken könne.
Zugegebenermaßen habe aber van Gogh einen Knopf mehr an der Jacke und eine Pfeife im Mund. Wenn schon Rauchen, dann Zigarre, dann sehe er auch wieder dem Ben Becker ähnlich, der ja maßgeblich ein guter Schauspieler sein solle.
So weit, so gut.
Dass der Boris den Konjunktiv Eins fast durchgängig durchgehalten hat, ist aber dem Redakteur dieses Artikels zu verdanken.


Erst mal die Pumps tragen

Hans Arpel: Pumps (2014)
Bruno hasste seine Chefin.
Bruno war Indianerfreund.
Bevor du über jemanden urteilst, trage erst mal eine Meile seine Mokassins.
Brunos Chefin trug Pumps.
Wenn sie ein Mann wäre, könnte man sie cholerisch nennen. Aggressive Hysterie. Das war vielleicht der passende Ausdruck. Unfähigkeit verschleiern durch Rumbrüllen, Untätigkeit überdecken durch Zynismus. Bruno entschied, dass sie längst entlassen worden wäre, wenn die Chefin auch einen Chef gehabt hätte.
Er war nicht der Chef. Er musste die hysterische Aggressivität kompensieren.
Bruno wollte kein Opfer sein. Bruno wollte sich wehren.
Bevor du über jemanden urteilst, trage erst mal seine Mokassins. So oder so ähnlich hieß es doch.
Brunos Chefin trug Pumps. Nylonstrümpfe in Pumps. Hörte sich an wie Champignons in Bierteig.
Bruno lachte. Champignons mit Sch aber, murmelte er.
Im Internet hatt er sich Pumps bestellt. Größe 45. Übergröße. Bruno hatte Schuhgröße 45. Bei 45 war Schluss gewesen im Internet. Bruno hatte Glück gehabt.
Die Nylons waren nicht so wichtig, er hatte billige genommen, die musste er nur bis über die Knie ziehen und dann rein in die Dinger.
Riesig. Das waren Kähne. Sein alter Chef Günter hatte damals Sekt aus den Pumps seiner Angebeteten getrunken. Vor den Mitarbeitern. Aus Günter und der Angebeteten war aber nichts geworden.
Riesige Dinger. Brunos Füße waren wie geschaffen für die Schuhe.
Als er losging zum großen Spiegel, stieß er mit dem Kopf an die Wohnzimmerlampe und den Türrahmen zum Flur. Wahnsinn.
Bruno merkte, wie er innerlich zu kochen begann, wie die Kraft in ihm hochstieg, wie er richtig wütend wurde, auf die Chefin und vor allem auf sich.
Du Loser! Du Pimpf! Du Arschkrampe!, schrie er in den Spiegel. Sein Speichel flog auf das Glas und hinterließ kleine Tropfen. Du Niete, du Oberniete, du nichtsnutzige Oberkrampenniete!
Bruno schnaubte. Es war raus. Er hatte es rausgelassen. Das war richtig gut gewesen!
Bruno blickte auf die Speicheltropfen auf dem Spiegel.
Jetzt aber schnell raus aus den Pumps! Die mussten sowieso noch geputzt werden.
Morgen war ja auch noch ein Tag.