Nicht retuschiert

Ohne blauen Himmel ist die schönste Touristenattraktion farblos und öde. Wenn man schon beim Fotografieren weiß, dass die Fotos nicht vorzeigbar werden und der Diaabend kein Hit wird, ist der Urlaub nur noch die Hälfte wert. Was aber nichts macht, weil niemand mehr zum Diaabend einlädt oder eingeladen wird. Und weil das Bild retuschiert werden kann. Aber nachher merkt das noch einer, und wenn einem erst nachgewiesen wurde, dass man Urlaubsbilder retuschiert, dann erwacht vielleicht auch das Interesse an der Doktorarbeit, die man eben mal so geschrieben hat, und irgendjemand schaut sich die mal genauer an und kommt dahinter, dass sie auch retuschiert wurde. Also lieber die Urlaubsbilder gar nicht erst zeigen. Schon gar nicht, wenn vorher alle gesagt haben: „London? Aber da regnet es doch nur!“ Und man selbst geantwortet hat, dass das erstens nicht stimmt und zweitens immer ein paar tolle Urlaubsfotos bei einem Londonurlaub herausspringen. Und dann das. Da kann man nur ganz tief in die Trickkiste greifen und gar keine Fotos zeigen, sondern einen kulturhistorischen Vergleich zwischen den Aufenthalten in London 1976 und 2009 starten, denn irgendwen trifft man immer, dem man von der Reise 1976 noch nicht erzählt hat. Niemand wird sich trauen zu fragen, wie damals das Wetter war.

Ärger mit der Tapete

Die Küche.
Die Tapete tut mal wieder so, als sei irgendetwas nicht in Ordnung.
Das Dumme: Sie hat recht.
Was früher mal klar erkennbar war, nämlich die Kaffeeflecken von der letzten Espressomaschinenexplosion( was für ein Wort!) sind jetzt verschwunden, hinter Geschirr, billigen Heißwassergeräten, Milchtüten mit verquarktem Inhalt, der stinkt, als habe sich jemand in die Spülmaschine übergeben, verkrusteten Tellern, die nicht mehr von der Arbeitsfläche zu lösen sind und hinter einem Schnitzel vom Vormonat, in dem es gewaltig rumort und wühlt. Kein Wunder, dass die Tapete, in dezentem Schwarz gehalten, ernst von der Wand guckt: So kann das nicht weitergehen! Ich habe mich nicht schwarz geärgert! Das sind Stockflecken!
Da hilft nur Tapetenwechsel.
Vielleicht einfach mal in den Grüngürtel der Kleinstadt ziehen.

Kai aus Skai

Kai aus Skai im rosa Zimmer. Kai flegelt sich herum, will seine lässige Ausländerfreundlichkeit demonstrieren, in einem Zimmer, das türkisch ist, in dem man den Honig förmlich durch die Augen schmeckt.
Dabei ist Kai Vergangenheit, wie Skai, dieses billige Lederimitat aus den Sechzigern, das jeden Träger in einen Rocker, einen Rebellen verwandelte, bis jemand an das Kunstleder fasste und angewidert "Skai!" ausspuckte.
Plastikrocker. Plastikrebell. Zu dem passten Plastikpistolen und Gummimesser, die weich abknickten, wenn sie auf einen Leib stießen.
Jetzt ist Kai in einem türkischen Zimmer, weil er so tun will, als sei er Kosmopolit. Er weiß aber nicht was das ist. Er will türkenfreundlich sein, obwohl er Knoblauch hasst, obwohl er Kopftücher hasst, türkischen Honig, und überhaupt dieses stammelndes Gesinge, das von Zwiebeltürmen jault.
Kai ist ein Ledermann. Ein Skaimann. Ein Skyman. Ein Aeromaut der Weißen und Gerechten. Der durch die Gegend fliegt und Bewährung hat. Der integriert. Intrigiert. Wo ist der Unterschied?
Kai ist auf Bewährung.
Kai muss freundlich sein.
Kai will nicht in den Knast.
Kai klebt, wie damals das Skaisofa, wenn es warm war und wir in kurzen Hosen drauf saßen. Immer das Gefühl, dass die Haut hängen geblieben war.
Kai klebt am rosa Zimmer und ist freundlich. Kai bewährt sich.
Und Kai liebt Skai, weil es so ist wie Kai. Kai will endlich in die Gegenwart.

Edwin Hoppser: Leuchtrakete und Gebäude (2010)

Ölfarbe

Pawel Pikass: Optische Täuschung (2011)

Pikass' Bild ist ein Klassiker der optischen Täuschung und zeigt uns mal wieder den Unterschied zwischen Schein und Sein.
Alle Linien sind Geraden, auch wenn die senkrechten eher verwackelt aussehen.
Zur Überprüfung ganz einfach den Bildschirm kippen, sodass er flach liegt. Dann über die schmale Seite das Bild betrachten, bis die Linien gerade sind. Manchmal kann das etwas dauern; die Erkenntnis anschließend belohnt die Geduld.

Günter Krass: Die Turnstunde

Die Ringe greifen und eines Tages wiederkommen.

Diese Ringe sollte ich greifen? Wer waren die denn, die mir das befahlen? Sie sollten auf Knien rutschen und mich anflehen: Bitte nimm die Ringe! Turn uns etwas vor! Sie würden sich Splitter in die Haut rammen und aufjaulen vor Schmerz, denn der Parkettboden war alt. Er roch nach Bohnerwachs, uraltem Schülerschweiß und Urin. An dieser unwürdigen Stätte nun sollte ich die Ringe nehmen und der Sensationsgier der Mächtigen und der geifernden Lust auf Blut und Verletzung der schwachsinnigen Untertanen entsprechen? Nun, welche Wahl hatte ich? Erhobenen Hauptes würde ich ein letztes Mal gehorchen, würde den unsinnigen Befehl ausführen, würde das Buhen und Grunzen der Menge ertragen, würde den Mächtigen in die Augen blicken. Wenn sie in meinem Blick lesen könnten, dann wüssten sie: Eines Tages werde ich zurückkehren und ihr, die ihr mich demütigen wollt, werdet diese Ringe mit euren Zähnen traktieren, um nicht aufzuschreien vor Schmerzen , die ich euch bereite, ihr werdet die Ringe fressen, weil ich es will, ihr werdet auf dem Parkett herumrutschen und euch wäre egal, wie viele Splitter sich unter die Haut schieben und ihr werdet endlich wissen, warum dieser Raum nicht nur nach Bohnerwachs riecht.
"Weltmeier! Fang endlich an!", hörte ich die Stimme. "Los, Weltmeier, sonst ist das eine sechs!"
Das Rauschen in meinen Ohren schwoll an. Ich ging und griff das Holz. Sollten sie mich hochziehen bis an die Decke. Ich würde schwingen und schwingen und ihnen ins Gesicht lachen, wenn ich falle! Aber ich würde zurückkommen. Versprochen. Geschworen!

Mein altes Leben

Natürlich hat das auch mal genervt, ich sag mal, ja klar, das war schon Luxus, wenn dann dieser Typ von Chelsea kam, der extra für die wenigen Sonnentage angestellt war, und der hat einem dann, wenn es echt knapp wurde, wenn es drauf ankam, eine Sonnenbrille vorgehalten, damit man sich voll aufs Spiel konzentrieren kann und nicht danebenschießt, denn das wünscht sich ja keiner und in unserem Business ist das natürlich, also hier geht’s ja auch um Geld, ich mein, um den Sieg natürlich, und da tun die da schon alles, dass man optimal aufgestellt ist und auch mental wirklich fit, und wenn dann plötzlich mal die Sonne scheint, dann ist das so unerwartet und die wollten sich einfach gegen alles absichern. Klar, ich sag mal, das ist ja auch ein cooles Gefühl, du bist halt nicht irgendwer, sondern hast eben einen Assistenten, der sich nur um die Sonnenbrille kümmert. Der Beckham hat sich auch zwischendurch kämmen lassen, das durften halt nur die Kameras nicht zeigen, war aber so, hab ich selbst gesehen.

Mein altes Handy

Neulich hat ein junges Mädchen gelacht. Hahaha! Was ist das denn?, hat es gefragt und weitergelacht. Wonach sieht es denn aus?, wollte ich fragen und habe es dann gelassen. Das ist ein Handy, mein Handy, und das ist schon älter. Ich merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass es mit  dem Komparativ älter nichts anfangen konnte, uralt, ergänzte ich dann noch, da warst du wahrscheinlich noch nicht auf der Welt.
Ein paar Tage später in der Deutschen Bahn. Ich stehe auf und will meinen Mantel ausziehen, weil der Wagen wieder mal völlig überhitzt ist. Ich falte den Mantel, weil es keine Haken zum Aufhängen gibt, nur diese schmalen Gepäckablagen, auf denen man aber kein Gepäck abladen kann, weil es so kleines Gepäck nicht gibt. Es klockert. Mein Handy ist aus der Tasche und unter den Sitz des Vordermannes gefallen. Mein altes, uraltes Handy. Peinlich. Der Mob ist aufmerksam geworden und neugierig auf eine Sensation. Ich werfe mich zu Boden und raune dem Vordermann zu; ich muss mal unter Sie greifen! Der grummelt etwas, und ich habe längst meine Hand unter den Sitz schnellen lassen, um das Kommunikationsobjekt an mich zu reißen und möglichst zu verdecken. Es rutscht weiter, unter dem Sitz hervor und wird allen sichtbar: Oh, mein altes Handy, mein uraltes Handy! Was macht das denn in meiner Manteltasche? Ist der Mantel denn auch schon so alt? Das kann nichts, dieses alte Handy!, spreche ich jetzt mit dem Wagenboden und der Armlehne des Sitzes des Vordermannes, es kann nichts, das ist uralt, damals, als ihr noch nicht geboren ward, konnten die alle nichts, nicht knipsen, nicht filmen, nicht Musik hören, nicht im Internet herumsurfen. Nichts. Es ist alt. Es kann nur telefonieren.
Endlich zurück auf dem Sitz. Ich schaue auf. Der Mob wirkt peinlich berührt, hat vielleicht Mitleid und tastet betreten an deinen eigenen Smartphones herum.
Wo sind wir gelandet, dass uns Mitleid peinlich ist? Und dass wir uns vor einem Wagenboden und einer Armlehne der Deutschen Bahn rechtfertigen müssen?

Geheime Zeichen der Pflanzen

Was tun, wenn  es Schlimmer Finger ist?
Wer kann sie entschlüsseln, die geheimen Zeichen einer Pflanze? Wir nähern uns völlig entspannt zwei Blättern einer Blut-Agave, die so prall und satt nur in warmen Ländern in  die Gegend hineinhängen, wir konzentrieren uns auf die scharfkantigen, stacheligen Auswüchse, wissen, dass diese hochheilende Pflanze auch Schmerzen verursachen kann, betrachten sie gegen das Licht und dann kippt alles wie in einem Vexierbild, plötzlich wird das Dunkle noch dunkler und das Helle nimmt Form an, übernimmt die Form und steht augenblicklich im Vordergrund: Eine Hand, die einen langen Finger ausstreckt, der die Pflanze berührt. Ist das nicht der wunderbare Grüne Finger? Der Finger, der die Pflanzen über sich selber hinauswachsen lässt? Nein, dazu ist er zu bleich. Es ist ein bleicher Finger! Bleiche Leiche, wo ist dein Finger?, schießt uns die klassische Frage durch den Kopf. Aber die Leiche antwortet nicht, denn das wäre ein Widerspruch. Bleicher Finger, was machst du mit der Pflanze? Auch der Finger antwortet nicht, denn es ist wahrscheinlich kein magischer Finger. Selbst die reden ja höchst ungern.
Und so bleibt die Frage offen: Was macht der bleiche Finger an der bleichen Hand zwischen zwei Blut-Agavenblättern?

Freunde der Automatenindustrie

Warten ohne Stuhl

Robert Hollenweg konnte gar nicht lesen, doch er vertiefte sich zum Schein in ein Buch. Er hatte Angst an der Bushaltestelle zu stehen und zu warten. Warten machte ihn verrückt. Beim letzten Mal hatte es ihn so verrückt gemacht, dass er die Kunststoffsitze an der Bushaltestelle kaputt getreten hatte, obwohl er das gar nicht wollte. Er wollte sich auch gar nicht ausziehen und den Kopf gegen das Schutzhäuschen aus Glas schlagen, aber das war ihm beim vorletzten Mal passiert und Robert konnte froh sein, dass er überhaupt noch allein mit dem Bus fahren durfte. Auf Bewährung, dachte er, denn das hatten sie ihm so eingetrichtert. Lies ein Buch, hör Musik, tu einfach irgendwas, bis der Bus kommt, aber mach nicht wieder Quatsch, ums Warten kommst du nun mal nicht herum, hatten sie ihm auch gesagt. Sie wussten doch, dass er nicht lesen konnte. Aber vielleicht war Lesen ja nicht mehr als konzentriert in ein Buch schauen und ab und zu eine Seite umblättern. Robert Hollenweg versuchte es mit dem Busfahrplan, der war auch nicht so schwer, und er hielt ihn sogar richtigrum. Robert konzentrierte sich so sehr auf das Lesen, um vom Warten nicht wieder verrückt zu werden, dass er gar nicht bemerkte, wie die drei fiesen Nachbarjungen ihn mit Taubenkot einschmierten. Sie wunderten sich selbst, dass er sich nicht rührte, selbst als sie den Busfahrplan zukleisterten, zeigte er keine Regung. Sie wussten ja nicht, dass Robert nicht lesen konnte.

Tipps fürs Leben: Sei wie der Stuhl

Stühle können nicht einsam sein, weil sie keine Lebewesen sind, weil sie nicht warm sind, nicht empfinden, nicht wissen, warum sie auf der Welt sind. Warme Hintern hocken träge auf ihnen, rutschen unruhig hin und her, manche leicht, mache schwer, manche duftend, manche übelreichend,  und manche entladen ihre Gase, andere sind still. Das alles aber macht den Stühlen nichts, sie er-tragen ihr Sein, sie murren nicht, sie stöhnen nicht, sie fühlen keine Qual, sie spüren keine Einsamkeit, weil sie keine wirklichen Wesen sind. Vielleicht sind sie beseelt, aber sie haben keinen Stoffwechsel.
Wenn dich, Mensch die Einsamkeit ankommt, wenn sie dich anfliegt, wenn sie dich in die Knie zwingen will, dann sei wie der Stuhl. Dulde.
Denk an die Ärsche um dich herum und wozu sie dich bringen wollen. Sie wollen dich ihnen untertan machen.
Dulde. Damit erniedrigst du sie am meisten, weil sie dich nicht stehend bezwingen können. Sie müssen in die Knie gehen, wenn sie etwas von dir wollen. Du zwingst sie durch Duldsamkeit in die Knie. Wie das weiche Wasser den Stein höhlt durch Beharrlichkeit, so kannst du die Mächtigen bezwingen, wenn du wie der Stuhl bist. Du hast schon zwei Beine; das ist ein guter Anfang.
Weiser Mann "Olli Dallilahmer" 2011

Schöner als Ken und Barbie

Jan und Yin gaben ein schönes Paar ab, das war ihnen bewusst. Sie lächelten stolz, wenn andere „Wie Heidi und Seal!“ raunten. Gerne übten sie synchrone Körperhaltungen ein, um ihr Umfeld zu überraschen. In der Gegensätzlichkeit Übereinstimmungen finden, in den Unterschieden Parallelen – das war ihr Lebensthema. Aufgrund der starken Außenorientierung blieben Übertreibungen natürlich nicht aus. Stoffwechsel und Verdauung ließen sich nur schwer bewusst steuern und vor allem Jan neigte zu Gereiztheit, wenn Yin beim Synchrontraben schon fünfzig Meter vor ihm Pferdeäpfel fallen ließ. Yin weinte dann und versprach, sich besser im Zaum zu halten.

Ken ist wieder mit Barbie zusammen

Immer noch das Blondchen
Ken ist wieder da, dieses Idealbild von Mann, diese blonden Locken, dieser verbrutzelte Leib, den das Sonnenstudio unverwundbar gemacht hat, dieses Lächeln, wie in Jeans, dieses Sixpack, ja, das Sixpack, das manche mit ihrem angegessenen Onepack verwechseln, mit dieser Kiste Bier vor dem Bauch, die blauen Augen, die ihm diese naive Fröhlichkeit geben, sodass alle Welt denkt, der Mann ist gut, die Welt ist gut, der Amerikaner ist gut, der Amerikaner führt gute Kriege, gerechte Kriege, Ken ist gerecht. Ken ist Leitkultur, ich will so werden wie Ken, dann ist mein Leben im Lot.
Und jetzt der Schicksalsschlag: Ken ist wieder mit Barbie zusammen. Jeder weiß, dass Frauen früher altern, dafür sterben sie später. Alles hat seinen Preis.
Ken könnte locker mit einer flotten Zwanzigerin im Cadillac sitzen und durch die kalifornische Sonne brausen; aber jetzt hat er wieder Barbei am Hals. Die fanden wir früher ja geht so. Und heute: Schlimm.
Graue Haare sind immer noch nicht modern. Falten nicht und schlaffe Haut schon gar nicht.
Aber Ken ist auch ein bisschen blöd.
Man muss ihn sich mal richtig angucken. Ken ist ein Vollpfosten. Der hat früher mal einen Ball an den Kopf gekriegt. Einen Medizinball, versteht sich.

Günter Krass: Menschliche Unzulänglichkeiten - Mädi (Tote Hose )



Pippo lag da, als wollte er die Welt umarmen
Günter fing an sich aufzuregen. Er regte sich über Mädi auf, über diese selbstbezogene Hypochonderschlampe. Er hasste Mädi, mit der er seit 17 Jahren verheiratet war. Günter hasste diesen Griff in den Lendenwirbelbereich, dieses tränenverschmierte Gesicht, dieses fast stumme Ächzen, so wie es Segelschiffe aus Holz tun, kurz bevor sie abgewrackt werden. Mädi gehörte abgewrackt. Diese lecke Seele in einem kaputten Körper. Aber Günter schaute Karel finster an und biss auf die Zähne. Karel hatte sich zu Günter gedreht und machte seine beschwichtigende Handbewegung. Günter war schwarzhaarig und trotzdem deutete Karel an: Ruhig, Brauner.
Günter hatte sich im Griff. Er knirschte unhörbar mit den Zähnen, seine Faust ballte sich, in der er Karel jetzt zerdrückt hätte, die aber noch lieber Mädi ins Gesicht geschleudert hätte, damit ihr Leiden endlich einen Grund gehabt hätte.
Aber Günter beherrschte sich. Nachher würde er in eine Einweg-Einliterflasche pissen und würde Mädis Blumen damit gießen. Da könnte sie mit ihrem grünen Finger machen, was sie wollte. Sie hatte keinen grünen Finger. Die Blumen würden eingehen, Mädi würde jammern und er, Günter, sein nachdenkliches Hm raunen, um eine Art Betroffenheit zu zeigen, und sich freuen, wenn er allein war.
Karel, du Pferdeflüsterer! zischte Günter, was macht deine Stute?
Günter spielte  darauf an, dass Karel keine Frau hatte. Alle waren sie ihm weggelaufen, weil sie die Nase voll hatten vom Beschwichtigen und vom Ball flach Halten. Viele waren es auch gar nicht gewesen, vielleicht nur eine, die länger als ein halbes Jahr  bei ihm geblieben war.
Pippo! Bring Onkel Karel zu Tür!
Ich hol noch schnell Zigaretten, rief Günter Mädi zu. Dann fiel ihm ein, dass er gar nicht rauchte.
Pippo war vom Balkon gesprungen. Eine alte Gewohnheit, als die Familie noch in einem Mehrfamilienhaus im Erdgeschoss gewohnt hatte. In einer Wohnung im vierten Stock eines Wohnsilos war es ungeschickt vom Balkon zu springen
Weg hier, dachte Günter. Mädi schrie wie am Spieß: Pippo! Was ist passiert?
Karel beruhigte Mädi: Ganz ruhig, da wird schon nichts passiert sein. Kinder haben noch ganz weiche Knochen, die brechen sich nichts.
Günter rief den Notarzt und ging Zigaretten holen. Pippo war in einen Rosenbusch gefallen. Er lag auf dem Bauch, die Arme ausgebreitet, als wolle er die ganze Welt umarmen.
Wie ruhig alles ist, dachte er. Pippo roch den Duft frisch gemähten Rasens und den Hauch von gelben Rosen. Alles in Ordnung, dachte Pippo, der Rasen ist gemäht. Alles ist, wie es sein sollte. Aber sonst, die Gegend hier,  tote Hose.
Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.

Schöne neue Welt


Der Klimawandel hatte ihnen erst Angst gemacht, aber schließlich freuten sie sich über ein bisschen mehr Abwechslung. Endlich gab es auch in der Antarktis schöne Gebäude, Autos und direkt am Südpol sollte ein Freibad gebaut werden. Menschen aus vielen Ländern der Erde hatten sich inzwischen hier angesiedelt. Die Population der Ureinwohner war naturgemäß stark dezimiert, wie immer, wenn Menschen auf dem Vormarsch sind, aber die letzten Exemplare ihrer Gattung hatten sich einfach mit der Entwicklung arrangiert und versuchten mit der Zeit zu gehen. Zur Abkühlung zogen sie sich gern in ihre zentral gelegenen Reservate zurück.