Günter Krass - Erinnerungen an die Zukunft als Kind: Lederhose

Früher gab es kein Oktoberfest. Wenn es eins gab, dann hatte es uns niemand erzählt. Wir bekamen robuste Hosen gekauft und mussten die sommers tragen, weil sie unbequem und gleichzeitig stabil waren. Man konnte fettige Finger an ihnen abputzen oder sein Taschenmesser polieren. Sie kamen aus Bayern, einem Land, das fern dem unseren lag. Die Hosen waren aus Leder und hießen folglich Lederhose. Es war verpönt, eine Lederhose aus glattem Leder zu tragen; eine gute Lederhose war blank vom Tragen und Benutzen. Man konnte sie nicht waschen und so war in ihnen ein großer Teil der Kindheit abgebildet. Die Polizei hätte sich die Finger nach den DNA-Spuren geleckt, wenn sie diese denn gekannt hätte. Isar acht fuhr durch die deutschen Fernseher, eine Kriminalserie mit gemütlichen, Ledermäntel tragenden Polizisten, die bayrisch sprachen. Da wurde uns Bayern ein wenig unfremder. Hätte man eine Lederhose im Winter anziehen dürfen, hätten sie einen prima Schlitten abgegeben. Wir hatten damals aber schon Holzschlitten und durften nur auf diesen fahren. Später waren wir die Indianer, die Bayern waren die bösen Weißen. Wir trugen Lederhosen, um uns unerkannt dem Feind zu nähern und ihn schließlich durch einen gezielten Schlag mit einem Maßkrug zu vernichten. Die Weißen aßen Weißwurst und tranken schon am Morgen dünnes Bier. Sie redeten mit unverständlicher Zunge, schwerfällig und irgendwie lallend. Uns war der Maßkrug unbekannt, denn wir kannten nicht einmal das Oktoberfest, wo es das Gefäß zuhauf gab. So kam es wie es in der Geschichte immer kam: Die Weißen siegten und erklärten Ostwestfalen-Lippe zum Reservat.

Oktumberfest 2011: Selbstverwirklichung


























Lustiger Versuch zum Selbermachen: Wenn du Oktumberfest in die Suchmaschine eingibst, landest du sofort bei Oktoberfest. Da stellt sich die Frage: Gibt es kein Oktumberfest? Wo aber gehen die vielen Tumben hin und kommen später vollkommen dicht zurück?

Abendliche Diskussion

Mensch: (versucht zu pfeifen) fffüüt.
Hühner: reagieren nicht
Mensch: Ihr müsst jetzt in den Stall. Es wird dunkel.
Ein Huhn: Wir wollen nicht in den Stall. Wir wollen den Sternenhimmel sehen.
Mensch: Ihr könnt die Sterne gar nicht erkennen, eure Augen sind viel zu schlecht.
Ein anderes Huhn: Blinde Hühner finden auch mal ein Korn, also können sehenden Hühner wohl Sterne erkennen.
Mensch: Ihr habt aber nichts davon. Unsereins schaut in den Sternenhimmel und macht sich seine Gedanken.
Alle Hühner: Wir auch.
Mensch: Tut ihr nicht. Ihr denkt nicht, ihr plappert nur, ihr wollt nur den Sternenhimmel sehen, weil ihr was aufgeschnappt habt. Ihr könnt das aber gar nicht umsetzen. Das ist nichts für Hühnerhirne.
Ein Huhn: Du scheinst dich ja gut mit Hühnerhirnen auszukennen.
Ein anderes Huhn: Wahrscheinlich hat er oben in seiner Birne eins.
Noch ein anderes: Oder er isst Hühnerhirne. Solche Perversen soll es geben.
Mensch: Was ihr alles wisst. Aber alles nur aus zweiter Hand. Ihr könnt gar nichts selbst erleben, weil ihr eingesperrt seid, gefangen im Raum, also im Stall, und in der Zeit, also in der miesen, kurzen Periode zwischen Schlüpfen und Geschlachtetwerden. Da wird man nur gelebt und lebt nicht selbst. Im Gegensatz zu uns Menschen.
Alle Hühner: lachen
Mensch: Und jetzt bestimme ich, der Mensch, dass euer Tag vorbei ist und ihr in den Stall müsst.
Ein Huhn: Es ist noch gar nicht dunkel. Lass uns draußen bleiben, bis wir den Sternenhimmel sehen können.
Mensch: Quatsch. Gleich wollt ihr auch noch, dass ich mit euch bete, oder? Hühner kennen keine Transzendenz, das Hühnerleben ist schlicht und eindimensional und fertig. Ab in den Stall.
Ein Huhn: Schau mal, ich kann meine Krallen falten. (fällt um)
Noch ein Huhn: Klasse, ich auch. (fällt auch um)
Alle Hühner: falten die Krallen und lassen sich auf den Rücken fallen
Mensch: Ihr brecht euch noch die Flügel.
Ein Huhn: Scheiß Flügel, ich kann sowieso nicht fliegen.
Mensch: Sag ich doch. Ihr braucht sowas nicht.
Ein anderes Huhn (es sind insgesamt sieben): Wenn wir jetzt in den Stall gehen, erzählst du uns dann, woran du denkst, wenn du in Sternenhimmel schaust?

Merkwürdige Abdrücke auf deutschem Rasen

Wenn es im eigenen Garten und nicht beim Nachbarn passiert, wird man nachdenklich. Der Vorüberschreitende denkt: Der Rasen müsste aber mal ganz schleunigst gemäht werden, der sieht ja aus wie Hulle. Und überhaupt, was sind denn das für gelbe Flecken, hat da vielleicht ein rolliger Riesenkater sein Revier markiert und den guten Berliner Tiergarten, der allerdings schon etwas verwildert aussieht, um nicht zu sagen verloddert, weggeätzt.
Was auf den ersten Blick nach der Hinterlassenschaft einer selbstvergessenen Großkatze, die nur noch Sinne für die sich anbietende weibliche Katzenwelt hat, stellt sich aber unter Umständen als Fußabdruck von Stromhaltern oder Stromabhaltern, wie sie auch genannt werden, heraus. Immer des Nachts, wenn der Strom aus den Leitungen zu fließen droht, den Umweg über den Zählerkasten vermeidet und damit den Energiekonzernen Verluste bereitet, stehen die Stromhalter oder Stromabhalter in deutschen Gärten, lang- und breitfüßig, und halten den Strom von seinen Untaten ab. Natürlich arbeiten diese Wesen für die Stromkonzerne und nur insoweit für die Verbraucher, als dass sie dafür sorgen, dass morgens frischer Strom auf den Frühstückstisch kommt und der Toast nicht pappig bleibt. Ohne Schäden auf guter Gartenscholle will das nicht bleiben: Gelbe Stellen, die aussehen wie von Riesenkatzen weggeätzt, zeugen von der schweren Arbeit der Stromabhalter, bei der sie ihre großen Pranken fest in den Boden pressen, sodass jede Pflanze und jedes Tier dahinschwindet.
Den Stromkonzernen bleibt angesichts dieses arbeitsrechtlichen Dilemmas nur, die Strompreise anzuheben. Denn wenn der Strom schon stiften gehen will, so kann das ja wohl nicht zu Lasten derjenigen gehen, die den Strom geben. Da ist auch mal der Abnehmer dran.

Herbst ist die Zeit der Kunstmärkte

Herbst.
Zeit der Kunstmärkte.
Auch wenn wir uns dem Kunststoff gegenüber mittlerweile sehr reserviert verhalten und ihn nur noch in der Funktionswäsche tolerieren, weil sie Schweiß absorbiert und übelriechend machende Bakterien quasi im Keim erstickt, gilt das nicht für den Begriff und die Institution Kunstmarkt. Wahrscheinlich will damit zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich nicht um einen künstlichen Markt, den keiner braucht, handelt, sondern um eine Austauschbörse, auf der Kunstobjekte, im Sinne von schön oder wertvoll oder interessant, feilgeboten werden und den Besitzer wechseln sollen.
Gerade außerhalb der Großstädte ist der Kunstbegriff ein anderen als in den Metropolen. Ein Handstand auf einer Hand gilt als Kunst, ebenso wie das Geradeumdieeckebiegen. So setzt sich denn der Künstler oder die Künstlerin zu Hause hin und denkt, was kann ich denn Schwieriges machen, dass das auch Kunst ist? So kommen er und sie auf die lustigsten Ideen: Eine Makramee-Blumenampel, fußgeknüpft, ein Fensterbild, mundgemalt, dabei einen Socken strickend oder Meerestiere, ohne Meißel, nur mithilfe des Augenausstechers eines Kartoffelschälers als Relief in einen Ytongstein getrieben, der eigentlich der Zwischenwand im Hobbykeller dienen sollte.
Wer solch einen Kunstmarkt besucht, sollte kein Geld mitnehmen, denn auf Pump wird nichts herausgegeben. Hinterher muss man sich zu Hause aber auch nicht ärgern, weil man seinen Kauf bereut.
Herbst.
Die ersten Blätter fallen bereits.

Maulkörbe für Volksmusiker und Maische Kelly immer beliebter

Florian Silberpfeife und Maische Kelly tragen ihn bereits
Eine Gesetzesvorlage sieht vor, dass Volksmusikanten sich in der Ausübung ihres Organs beschränken müssen. Wenn drei Sänger/innen zusammenstehen, darf immer nur einer/eine Laute von sich geben. Dabei sei es unerheblich, ob es eine Art Gesang sei oder nur eine dumme Bemerkung.
Der Verband deutscher Maulkorbhersteller unterstützt die Vorlage.








Korrektur zum Papstbesuch: Menschen, die gegen den Papst an verschiedenen Stellen der Bundesrepublik protestierten, heißen nicht Protestanten. Vielmehr nennt man sie Demonstranten, Papstkritiker oder Papstgegener. Auf jeden Fall werden die ein paar Jährchen im Fegefeuer absitzen, bzw. abbrennen. Wahrscheinlich gemeinsam mit den Protestanten.

Wir stehen mit der Zeit

Da stehen die Menschen und betrachten die Flüsse; und sie denken: Alles fließt. Aber ich fließe nicht mit.
Dabei denken sie nicht daran, dass Ufer und Böschungen, dass Wiesen und Wälder, die dem Fluss überhaupt erst die Möglichkeit geben, ein Fluss zu sein, weil sie ihm ein Bett geben, auch nur herumstehen und vielleicht denken: Alles fließt. Aber wir fließen nicht mit.
Liebe Menschen, es wäre doch viel sinnvoller, anstatt auf einen braunen Fluss zu starren, der immer in dieselbe Richtung fließt, weil ihm vielleicht nichts anderes einfällt, sich mit den Ufern und Böschungen, den Wiesen und Wäldern zu verbinden, wenn nicht sogar zu verbünden, einen Verein zu gründen oder eine Bürgerinitiative - nein, das geht wohl nicht - aber einen Verein. Das wäre gut.
Liebe Menschen, schaut nicht immer auf das, was sich bewegt, schaut auch auf das, was nur steht. Denn ihr steht mit.

Kürbisköppe unter uns...

In der Natur können wir beobachten, was uns in der menschlichen Welt immer wieder passiert:
Aus zarten Pflanzen werden plötzlich schinkengesichtige Kalebassen, die kaum noch anzusprechen sind.
Die zatrte Kürbispflanze schlingelt sich auf hartem Holz gen Himmel und präsentierte eine Anmut, die der tumbe Mensch nicht verstehen kann, weil er nie ein Mitwesen in solch eleganter und trotzdem demütiger Haltung erlebt hat.
Aber, Vorsicht!
Was sich da scheinbar dünnfingrig präsentiert, kann in kurzer Zeit ein Monstrum mit Dickkopf sein. Ja, sagt Trude, den habe ich zu Hause vor dem Fernseher sitzen, was daran soll besonders sein? Das ist doch ein Kürbiskopp und den könnte ich zu Halloween innen mit einem Teelicht erleuchten und damit marodierende Jugendliche abschrecken, die an Haustüren klingeln und Geld sammeln, obwohl sie nicht wissen, warum sie das tun, und das kann ich auf den Tod....
Trude redet viel wenn der Tag lang ist.
Die Tage werden kürzer. Halloween naht, eine Erfindung aus den USA, die auch andere Dinge erfunden haben, das Kaugummi und Mickey Mouse.
Die Todesstrafe haben die Amerikaner nicht erfunden, aber sie halten merkwürdigerweise an ihr fest, wie an ihren Waffen, die wir hier in unserem Weserland gar nicht besitzen dürfen.
Ein Kürbis ist immer noch besser als ein bewaffneter Amerikaner, der glaubt, dass die Todesstrafe OK ist und Barack Obama der Anführer von Al Quaida. Sagt der Weise. Kain sein, auch der Waise. Dessen Eltern eben erschossen worden sind. Oder hingerichtet. Das weiß der Kleine aber nicht, weil man es ihm nicht gesagt hat.
Wer das nicht glaubt, hört jetzt: Born in the USA

Lies

Das Zauberwort war weg. Vergessen oder verlegt. Die ganze Woche über hatte sie gegrübelt und herumexperimentiert, zum Glück ohne schlimme Folgen, aber leider auch ohne Erfolg. Es war zum Verzweifeln. "Kalt!", hatte sie gerufen, eher unbewusst, Heiner saß im Sessel, las die Zeitung, schaute nicht mal hoch. "Mir ist kalt!" oder "Ich friere!" wären vollständige Sätze gewesen, aber dieser kurze Ausruf machte eigentlich auch alles klar. Heiners Reaktion war vorhersehbar und noch bevor er den Mund öffnete, war ihr klar, dass "kalt" nicht das Zauberwort war. "Dann stell die Heizung an", war alles, was von Heiner hinter der Zeitung zu hören war und er dachte nicht im Traum daran, nur einmal die Sachebene zu verlassen und die Beziehungsebene zu betreten, unbewusst oder vielleicht doch ganz bewusst, was er meistens mit einem freundlichen Lächeln kaschierte.
"Halt!", war der nächste Versuch gewesen, doch auch der scheiterte. "Halt!", rief sie, als wieder einmal alles viel zu schnell ging, die Tage nur noch 12 Stunden zu dauern schienen und sie einfach nicht mehr mitkam. Niemand hielt an, weder die Zeit noch die Menschen, die sie ab und zu gern mal fest- und aufhalten wollte. Und kein Zaubermeister in der Nähe, der ihr vorsagen konnte. Es klang so ähnlich, das blöde Zauberwort, "alt" war es nicht, das wusste sie, das sollte man auch lieber nicht laut rufen, es gab immer jemanden in der Nähe, der älter ist als man selbst und sich womöglich beleidigt fühlte. Sie war mutlos und frustiert und fror noch immer und rannte noch immer ein wenig atemlos durch den Alltag. Dann kam der Samstag und die Nacht auf den Sonntag und sie träumte wort- und sprachlos und sah Bilder von großen Bäumen und träumte Gerüche mit der gerade richtigen Mischung aus Leben und Vergänglichkeit, so dass es in den Lungen gerade richtig weh tat und als sie wach wurde, brauchte sie eine Weile, um diese Bilder mit einem einzelnen Wort zu benennen. Wald. Das Zauberwort. Die Erlösung. Laufschuhe. Schweiß. Keine aggressiven Imperative. Keine verzierenden Adjektive. Nomen, große, schöne, einfache und klangvolle Nomen, daraus bestanden Zauberwörter.

Taube Nüsse sind nicht taub

Du taube Nuss!
Ein Ausruf, der gern Menschen an den Kopf geschrien wird, die sich nicht recht bezüglich einer Frage oder Aufgabe äußern können und stumm in der Ecke sitzen bleiben.
Aber Nüsse sind nicht wirklich taub. Wir verstehen nur ihre Sprache nicht und können sie dementsprechend nicht richtig ansprechen.
Wenn wir aber wispern und dabei die taube Nuss streicheln und ihr inhaltlich gut zureden, dann kann es im günstigen Fall passieren, dass sich die Angesprochene öffnet. Öffnet den dummen Fragen, die wir als Menschen an die Nüsse stellen. Bist du zu hart hart, um dich zu knacken? Bist du eine dumme  Nuss?
Nüsse denken nicht in menschlichen Kategorien und können folglich nicht die erwarteten Antworten geben. Nüsse fragen nicht: Was willst du von mir, du Arsch? Denn Nüsse sind erst mal friedlich und ruhen in sich selbst. Wer es denn schafft, eine Nuss durch gutes Zureden und Streicheln zu öffnen, der hat gewonnen. Der hat die Erfahrung gemacht, dass in unserer unsensiblen Zeit durch Zureden und Streicheln alles geöffnet werden kann, ausgenommen vielleicht die Weißblechdose mit dicken Bohnen drin. Aber es gilt vor allem für die Verschlossenen in unserer näheren Umgebung und auch in der Ferne.
Menschen, achtet die Natur und stellt keine dummen Fragen! Seid nicht selbst die tauben oder dummen Nüsse, die ihr auf eurem Tisch vermutet!

Wenn das der König wüsste

Männer und Frauen passen gar nicht zusammen. Auch wenn von Komplementarität gesprochen wird, alles Geschwafel. Nehmt es realistisch! Schaut euch an, wie es ist. Während die Frau Herz und Mundwerk an der rechten Stelle hat und auch diese beiden in wohlgefälliger Kombination zu gebrauchen  weiß, steht der Mann  meistens Kopf, schweigt, wo er schwiegen kann und verschließt die Augen vor den wichtigen Dingen des Lebens, dass nun endlich der Müll runter muss und dass gebrauchte Socken in die Wäschetrommel gehören. Die Frau schaut immer mit offenen Augen in den Tag und in die Zukunft, strahlt ein helles Lächeln ab und erhellt damit ihre Umwelt. Bis der Mann seine Lider gehoben hat, ist es bereits wieder Abend und er kann eigentlich gleich liegen bleiben, wenn er nicht mal wieder Kopf stünde. Dabei gäbe es noch so viel zu tun. Ein klammheimliches Grinsen kann sich der Mann über sein Tun oder Nichttun nicht verkneifen und die Frau, tatkräftig und forsch, fängt sofort an, das in der Bedeutung für sich selbst zu interpretieren. Auch wenn sie zu dem Schluss kommt, es habe keine Bedeutung, muss sie zugeben, dass der Mann an sich ganz nett ist, abgesehen von desolaten Ausnahmen, Kuni zum Beispiel, auch wenn er wenig zum Alltag beiträgt. Da-sein ist alles. Nett-sein, auch wenn der Müll schon stinkt.

Kein Halt in dieser Welt

Männer erinnerten sich vor allem an zwei Dinge, nein, an zwei Attribute, die Kitty bis zu ihrem Tod auszeichneten: ihre schwarze Lockenmähne und ihr freundliches Lachen, das mancher fälschlicherweise als aufreizend interpretierte. Auch als reife Frau blickte sie noch immer mit großen runden Kinderaugen in die Welt, staunend, neu- und lebensgierig. Viele hätten Kitty gern als alte Frau erlebt, um zu erfahren, wann sie zum ersten Mal der Haarfarbe künstlich nachhhelfen müsste und ob sich ihr fröhliches Lachen irgendwann in ein müdes Grinsen verwandeln würde. Doch wie so vieles verblieben die Bilder einer alternden Kitty in der Welt der Möglichkeiten, die Wirklichkeit bereitete ihr in Form eines Laternenpfahls einen frühen Tod. Niemand war dabei, als Kitty eines Nachts vor diesen Laternenpfahl lief. Es war dunkel, denn die Laterne war aus und Kitty war wahrscheinlich auch nicht mehr ganz nüchtern, was normalerweise den aufregenden Glanz in ihren Augen noch leicht verstärkte. Doch durch die besonderen Umstände blieben auch diese Bilder ungesehen: Kitty, die vor einen Laternenpfahl läuft, sich den Schädel bricht, hinfällt und verblutet. Auch hörte niemand ihre letzten Worte, als sie schon das weiße Licht sah: Halt!, rief sie, sie war nicht ganz einverstanden mit dem, was mit ihr geschah, aber Kitty konnte nichts und niemanden mehr aufhalten. Was bleibt?, fragten sich ihre Freunde, die sich um die Bilder von der alternden Kitty und auch der sterbenden betrogen fühlten. Was ist die Wirklichkeit? Natürlich klaute niemand ihren Schädel, um ihn mit einer schwarzen Perrücke versehen vor den Hauseingang zu stellen. Sowas tut man nicht. Aber manch einer hatte dieses Bild vor Augen, wenn er an Kitty dachte und alle wussten, wie sehr sie sich über den Herbstlaubschmuck in ihren Locken gefreut hätte.

Aggressive Hühner

Dieser Traum hatte ihn jahrelang verfolgt: Auf einer sattgrünen Wiese zwei Kühe und ein riesiges Huhn zu treffen. Die Kühen schauten stumpf und und bewegten mahlend ihre Mäuler. Sie erfüllten alle Klischees, die man auf Rindviecher anwenden konnte.
Und dann das riesige Huhn, das keck, nein, eher übermütig aggressiv die Kühe beäugte, aber in Wirklichkeit ihn, den Bärtigen im leicht müffelnden Sweat-Shirt im Blick hatte.
Der Traum kam immer, wenn er sich sein Pfund Brustfleisch an der Hühnergrillbude geholt hatte, wenn er sich die fettigen Finger abgeleckt, die triefenden Reste aus den Mundwinkeln gewischt hatte und sich auf dem Kanapee zu einem Nickerchen bereitgelegt hatte. Gut, dass das Huhn sauer war, konnte er verstehen, und dass es gleich versuchen würde, ihm die Augen aus- oder etwas anderes abzuhacken, war auch klar, denn es war ja ein Alptraum und kein Zuckerschlecken. Zumal: Jetzt noch Zucker zu schlecken würde wohl seinen Würgereflex provozieren, denn das Fleisch lag schwer.
Nur, was sollten die Kühe in seinem Traum? Doof gucken konnte es doch wohl nicht sein. Aber sie hatten da immer herumgestanden, warum sollten sie es heute nicht tun?
Wenn jetzt nicht bald der Wecker zum Ende des Nickerchens klingelte, war es um die Augen oder anderes Hervorstehendes geschehen. Das Huhn kam schon auf ihn zu. Wecker!, schrie er. Zum Weglaufen war er zu müde, das brachte ja sowieso nichts, denn es war ja nur ein Traum. Und mit vollem Magen ist schlecht laufen.
Morgen würde er ein, zwei oder drei Frikadellen essen. Das könnte es ja wohl nicht, was hier wieder abging.

Gedichte mit Ausrufezeichen drin: Georg Krakl - Komischer Kerl (2011)


Komischer Kerl!
Kernspalter
Krautfresser
Kaka Du!
Keiner kann kalkulieren
Keiner kuckt.
Krasser Kahlkopf
Kameltreiber Kannix
Komischer Kerl!!
Karger Kapellmeister
Keinarmiger Karussellbremser
Kaskoversicherter
Katechisierter Kater
Kontrakavalier
Keiner kuckt.
Keiner kann kalkulieren.
Komischer Kerl!!!

Anspieltipp: Go home, Ami! - Musik der DDR

Amerikanische Wörter waren eigentlich verboten
Die Ostdeutschen hatten es schnell raus: Der Ami ist schuld, dass die Atomkraftwerke für militärische Zwecke missbraucht werden können. Und sie konterten mit sozialromantischem Vers:
Go home, Ami! Ami, go home,
spalte für den Frieden dein Atom!

Wer kann schon ein Atom sein eigen nennen? Der Amerikaner natürlich, der sich im Reichtum wälzt und nicht weiß wohin mit seinen Atomen. Trotzdem muss er sie spalten, um die Zahl zu verdoppeln, auch wenn es nur halbe Atome sind, die entstehen, aber die Masse blendet den Imperialisten.
Kürzt man das Ganze, dann hat er nichts gewonnen, lediglich hat er sich die Mühe gemacht, die Atome zu spalten. Das ist aber vergebens gewesen. Gesiegt hatte damals wieder mal der Sozialismus, weil er die Atome ganz ließ, weil er nicht genau wusste, wie der Spaltvorgang vonstatten ging.
Der große Bruder im östlichen Osten half dann, sodass auch das Land hinter bzw. vor der Mauer ein eigenes Atomkraftwerk inklusive aller Probleme bekam, nämlich in Rheinsberg.
Das Lied ist auf jeden Fall mal eine Alternative zu den Puhdys, zu City oder Karat.
Nicht schön, aber lustig, weil so komisch.
Was ist eigentlich aus Ernst Busch geworden?
Hanns Eisler wird wohl wieder auf dem Rücken liegen, so oft, wie er sich beim Abspielen des Liedes im Grabe umgedreht haben muss.
Anhören

Hansi und die rote Frau (5)

Einundvierzigste Nacht. Nächtelang hatte Hansi vergebens auf die rote Frau gewartet. Nur der Vollmond hatte hämisch vom Himmel geguckt, so als wollte er sagen: Is nix mit roter Frau, Hansi!
Er hatte von der roten Frau geträumt, sie war vom Fenstersims heruntergestiegen und war zu seinem Bett gekommen. Hansi hatte sich nicht getraut hinzusehen, sie war ja nackt, und auf Nackte zu starren, war unhöflich, vielleicht sogar unverschämt. Unverschämt. Verschämt hatte Hansi die Bettdecke über den Kopf gezogen und hatte die Worte der roten Frau gehört: Hansi, rede mit mir! Du kannst nicht immer nur schweigen und zum Mond starren. Das macht doch jede Beziehung kaputt, Hansi, rede endlich.
Beziehung, hallo?, dachte Hansi, wo haben wir denn eine Beziehung? Also, da gehört ja wohl etwas mehr dazu, als ein paar mal auf dem Fensterbrett zu sitzen und nackt zu sein. Als Hansi seinen ersten Satz sagen wollte, spontan und aus dem Bauch heraus: Ich will ja reden, ich will ja die Beziehung nicht kaputt machen!, war die rote Frau schon verschwunden, war der Traum geplatzt, nur der Mond stand noch am Himmel und der hatte sich auch schon zurückgezogen, war nur noch eine dünne Sichel.
Einundvierzigste Nacht.
Die rote Frau war wieder da. Sie saß wie so oft auf dem Fenstersims, hatte die Hand vor die Stirn gelegt und starrte mal wieder auf die Haken, mit dem man das Fenster, wenn es weit offen war, festmachen konnte, damit es bei Sturm nicht klapperte. Als wenn das jetzt wichtig gewesen wäre: Ein Fensterhaken!
Aber, wo war der Mond? Hansi stutzte. Das durfte mal wieder nicht wahr sein! Der Mond war weg. Heute hätte Hansi sein Schweigen gebrochen. Aber nicht ohne Mond.
Hansi schloss die Augen und hoffte, im Traum noch etwas üben zu können.

Teil 1 lesen

Wenn das Stimmgerät kaputt ist


Tobias stand auf der Straße in der Fußgängerzone und machte Musik auf seiner verstimmten Akustikgitarre. Das fucking Stimmgerät hatte er zu Hause gelassen und jetzt klang das schräg, was er spielte, denn er konnte nicht gut nach dem Gehör stimmen.
Er sang schief, weil er keinen guten Ton auf der Gitarre hatte, an dem er sich orientieren konnte.
Das ist neu, diese Musik ist neu, dachte Tobias, das ist Akustikpunk.
Vielleicht kommt ja ein Manager oder sonstwer vorbei und entdeckt mich und den Akustikpunk und wir beide machen das große Geld mit der neuen Musik. Akustikpunk.
Der Manager ging derweil am Buchladen und Tobias vorbei und dachte: Boooh, der Knabe sollte mal ein fucking Stimmgerät benutzen, der Mist, den er da dudelt, ist ja reiner Akustikpunk. Jajaja, das ist ziemlich neu, aber es klingt schrecklich, vielleicht was für eine Gehörlosenschule, aber nichts für den Normalo. Akustikpunk. Wenn's den nicht schon gäbe, könnte man den vermarkten und ich würde mit dem pickligen Jungen das große Geld machen, natürlich nachdem man ihm die Pickel ausgequetscht hat, denn die will keiner sehen. 
Der Manager schlich sich an Tobias vorbei, damit der nicht erkannte, dass er ein Manager war, denn was sollte ein Manager mit einer Musikart, die es schon gab, zumal sie von einem pickligen Jungen gespielt wurde?
Shit, dachte Tobias, wenn Torben hier wäre, hätte der Manager, den ich eigentlich nicht sehen soll, mich vielleicht entdeckt, weil Torben so furchtbar scheiße Cajon spielt. Spiel mit einem, der schlechter spielt, dann wirkt dein Spiel relativ besser! Ein Tipp, den ihm Matti Waters gegeben hatte, sein alter Religionslehrer und Kirchentagjodler. Vielleicht stand der ja immer in dieser Riesenmenge und hoffte, dass die alle schlechter sangen als es. Falls das überhaupt ging.
Ein Passant warf ein 50-Cent-Stück in den Gitarrenkoffer und Tobias nickt ihm seinen Dank zu.
50 Cent waren der Anfang vom großen Geld.

Blues light

Kein Blaulicht am Sonntag, bekamen neue Kollegen mit auf den Weg, wenn sie zum ersten Mal mit Hotte auf Streife mussten. Egal, was passiert, kein Blaulicht, von Montag bis Samstag kein Problem, aber sonntags nur rufen, hupen, klatschen, was auch immer euch einfällt im Notfall, aber kein Blaulicht. Es war ein Sonntag, an dem Hotte Jahre zuvor seine Kollegen Kalle bei einem Einsatz in einem stadtbekannten Etablissement verloren hatte. Ich da, du da, hatte Kalle noch gerufen, aber Hotte hätte nicht nach da, sondern Kalle hinterherlaufen sollen, dann hätte er ihn vielleicht schützen können vor den Schüssen des Zuhälters aus dem Hinterhalt, vielleicht ... Als das Entsetzliche geschehen war, stand Hotte noch lange fassungslos am Tatort, er war mit dem Leben davon gekommen, aber dieses Leben sollte nun nur noch von montags bis samstags stattfinden, auch nach Jahren war der Sonntag jedes Mal ein kleiner Tod für ihn. Damals mischten sich Blaulicht und Rotlicht nach allen Regeln der Farbenlehre und nur Violet, die junge irische Prostituierte, konnte Hotte in dieser Nacht davon abhalten, seinem Leben ebenfalls ein Ende zu setzen. Er hat den Blues, murmelten die Kollegen sonntags traurig, denkt dran, kein Blaulicht am Sonntag.

Spinner verändern nicht immer den Lauf der Dinge

Die Nacht wartet auf das Endes des Tanzes

Die Welt dreht sich nicht, denkt Beppo, ich drehe mich. Und er tanzt und tanzt, bis die Sonne untergeht, denn er weiß, wenn er nicht tanzt, dann geht die Sonne nicht unter, aber wenn sie untergegangen ist, dann kann er rasten und sich ausruhen und später weitertanzen, damit die Sonne aufgeht, denn nur wenn er sich im Tanze dreht, passiert das, und es ist lebenswichtig für alle, für die Natur, die Menschen, für Beppo, denn Sonne spendet Licht, und Licht braucht jeder,damit er erkennen kann, wann es dunkel ist, denn wenn es immer nur dunkel wäre, könnte niemand das Helle sehen. Tanzen, tanzen, immer tanzen. Beppo hing der Job zum Halse raus. Ihm würde eigentlich auch die Nacht reichen, dann könnte er mal richtig durchschlafen, mal was träumen. Aber er war oft so erschöpft vom Tanzen, dass er nie träumte, oder nur selten, und dann träumte er vom Tanzen.
Die Welt könnte sich auch mal drehen. Ich habe jetzt tausend Jahre getanzt denkt Beppo. Es kam ihm jedenfalls vor wie tausend Jahre. Jetzt ist die Welt mal tausend Jahre dran.
Ich stehe jetzt mal nicht auf, jetzt bleibt es mal dunkel.
Beppo weiß nicht, dass sich die Sonne von einem Spinner nicht vorschreiben lässt, wann sie aufgehen soll. Es ist ihr Job aufzugehen und sie erledigt ihren Job gut. Egal, wer da tanzt oder nicht, wer da träumt oder nicht träumt. Wo kämen wir da hin?
Gute Frage, denkt Beppo, wahrscheinlich bis ans Ende der Welt.

Schlangenlinienfahren vor dir

Es ist nicht immer Alkohol, der Fahrerinnen und Fahrer veranlasst, merkwürdige Bewegungen mit ihren Fahrzeugen zu unternehmen. Das Schlangenlinienfahren, beliebt ab 1,3 Promille, deutet vielleicht auf Abusus von Hochprozentigem hin, aber manchmal ist es nur eine SMS, die vielleicht klemmt und nicht ihren Weg durch den Äther in das angeschrieben Mobilteil finden will. Der Blick nach unten verhindert dann, den korrekten Verlauf der Straße zu erkennen, und erst wenn der Grünstreifen touchiert wird oder ein Begrenzungspfahl, zwingt das die die Augen weg vom Display durch die Windschutzscheibe, um die Fahrtrichtung zu korrigieren.
Neben klemmenden SMS können unangenehme Gespräche per Handy dazu führen, das keine Hand mehr zum Lenken fei ist und die Knie bemüht werden, oder dem Wagen erst mal ein gewisser Freiraum gewährt wird, der bei neueren Modellen durchaus geradeaus geht, aber bei Karossen, die die Abwrackprämie verpasst haben, auch mal auf die Gegenfahrbahn ausgeweitet werden kann.
Mit der einen Hand wird das Sprechgerät an den Kopf gedrückt, mit der andere Hand wild gestikuliert oder verlegen am Armaturenbrett genestelt.
Ein der Nase entnommenes Ausgrabungsstück will sich nicht vom Finger lösen und erfordert volle Aufmerksamkeit, weil der auf Sauberkeit bedachte Fahrer dieses nicht auf dem Tachometer oder am Handschuhfach kleben haben möchte. Da heißt es Fingerfertigkeit beweisen und eventuell die zweite Hand zu Hilfe zu nehmen, was wiederum den Eindruck erweckt, hier habe man es mit einer Art kreativem Fahren zu tun.
Alles beweist: Autofahren ist langweilig, da muss man etwas nebenher machen, vielleicht ein Buch lesen oder einen Film auf dem Mini-DVD-Player vor dem Beifahrersitz anschauen.
Der nachfolgende Verkehr sollte also vorbereitet sein, Verständnis haben, schnell reagieren können und nicht sofort die Polizei rufen, und jammern, dass jemand alkoholisiert Auto fährt, in Wirklichkeit aber nur versucht, seinen Dackel auf dem Teppich zu halten. Denn wer will beweisen, dass das Wahrgenommene wirklich passiert ist? Mit dem eigenen Handy filmen? Das wäre fatal, den Fehler des Vordermannes durch einen eigenen zu dokumentieren, um ihn anschließend ahnden zu können.
Die Zeiten haben sich geändert. Empathie ist gefordert. Das Wort ist den meisten Hinterherfahrern genauso unbekannt wie die dazugehörige Eigenschaft.

Wer braucht zum Predigen einen Stuhl?

Zum Predigtstuhl, wie ihn die Norweger nennen, wanderte das theologische Seminar während der Exkursion. Die jungen Theologen waren angeregt von der körperlichen Betätigung und der frischen Luft und diskutierten lebhaft darüber, ob man im Sitzen predigen kann. Einige standen in Kleingruppen zusammen, die weniger Durchtrainierten setzten sich auf den Predigtstuhl. Obwohl auch sie die Meinung vertraten, niemals im Sitzen predigen zu werden. Das wirkt so statisch, ich bin doch kein Nachrichtensprecher, hörte man aus vielen gläubigen Mündern. Ich bin zu klein, im Sitzen verschwinde ich hinter der Kanzel, sagten manche. Ich habe doch schon einen Kurs in liturgischer Präsenz belegt, verkündigten andere, die hat man nur im Stehen, die Arme weit ausgebreitet, wie zum Fliegen, das verheißt Weite und Visionen. Sitzen ist hocken, nicht den Aufbruch wagen, was transportiert man da alles mit so einer Haltung. Niemand bemerkte den jungen Mann mit den traurigen Augen, der nicht zum theologischen Seminar gehörte. Er stand bereits am Rand des Felsplateaus, er breitete die Arme aus, wie zum Fliegen, er schloss die Augen, als sei er bereits in einer anderen Welt, er murmelte vor sich hin, vielleicht ein Gebet, vielleicht einen Segen, ein einsamer Priester mit einem letzten Predigtauftrag, liturgische Präsenz in Perfektion, schade, dass er nicht zum theologischen Seminar gehörte, vielleicht hätte er hier seinen Platz gefunden, einen Stehplatz. Doch der junge Mann wollte fliegen.

Was ist eigentlich Kunst?

Ehrlich gesagt: Keine Kunst
Mein Kunstlehrer schrie damals immer, wenn es zu laut war: Kunst kommt von können! Wer nichts kann, kann also keine Kunst können. Keine Kunst ist es, eine Flasche Scriptol, damals noch aus Glas, auf die Fliesen fallen zu lassen und alles schwarz zu bespritzen. Dann war der Ärger groß! Wer dann den Wischlappen nicht richtig entfaltete, der hatte verspielt. Du kannst (von: können) nicht mal richtig wischen!, brüllte er. Eigentlich hasste der Kunstlehrer Kinder, besonders wenn sie noch keine Bärte hatten. Das waren keine Menschen. So prägte das Bonmot über Kunst meine Generation, jedenfalls 40 davon. Wir bemühten uns, keinen Dreck zu machen, um dann nicht falsch aufzuwischen und als Nichtskönner dazuknien.Wir wurden eine saubere Generation; so, wie man sie sich heute eigentlich wünscht. Im Grunde ist das keine Kunst, so zu werden.

Schweiz: Der Papst kommt (Neue Flagge)

Schnell die Flagge aktualisieren.
Immer korrekt. Sicht nichts zuschulden kommen lassen. Und wenn, dann nicht auffallen.
Rechter Winkel.
Christliches Symbol, oder?
Aslo: Der Papst kann kommen.

Ästhetik des Banalen

Was Schönes, Mutti, was Schönes!
Mutti müht sich. Sie hat es geschafft, den Zögling durch die Menschenmenge zu zerren, er hat schon ein Eis weg, eine Tüte Pommes und eine Cola light, aber er quengelt, denn sie weiß, dass der Zögling weiß: Das war nichts Schönes, was er gekriegt hat.
Komm, kuck mal, ein schönes Teelicht in einem Glas, das ist doch schön, da kannst du nachts mal eins anmachen, dann kannst du das Nachtlicht ausschalten, das spart ja auch Strom und du kannst trotzdem weiter wach bleiben.
Der Zögling zerrt.
Eine Schildkröte! Ja, das wär doch schön, sagt die Mutter und deutet auf eine Plastikamphibie, die Säuferaugen hat und am Hals aussieht wie ein Faltenbalg nach 40 Jahren Einsatz im Gebläse eines Dudelsacks, oder noch schlimmer.
Wäääääh, schreit es aus dem Hals des Zerrers, und die Mutter weiß: Auch nicht schön.
Kurzfristig denkt die Mutter an kriminelle Entsorgung und dann überlegt sie sich eine gesellschaftlich tolerierte Alternative: Der Nachwuchs als Schönheitstester. Es gibt so viel Hässliches auf der Welt, denkt sie, und wir merken es nicht. Das könnte man doch vermarkten. Der Junge kann doch bei Ebay so etwas werden wie Schönheitsberater. Später könnte er dann mit einer kurzen Fortbildung Finanzberater werden. Und Cash machen.
Jetzt spart die Mutter erst mal Geld, weil das Kind nichts will.

Schweiz lässt nicht locker: Neuer Entwurf

Der polnische Designer Patryk Polpowski hat sich seine Landesfahne einmal vorgenommen und die schlichte Zweigeteiltheit in Rot und Weiß auf Schweizer Verhältnisse zugeschnitten. Der Schweizer brauche mehr Weiß, mehr Unschuld, mehr Unbeflecktheit, mehr Unbekanntes, mehr Frieden. All das symbolisiere die Farbe Weiß, so Polpowski.
Es sei aber unvorteilhaft ganz auf das Rot zu verzichten, denn dann müsse man das weiße Kreuz rot streichen, was wiederum eine falsche Assoziation abrufe.
Insgesamt hat es sich Polpowski zu einfach gemacht.

Kampf gegen das Fremde

Jetzt bauen sie wieder. Die Angst vor dem Fremden beflügelt sie, gibt ihnen Kraft. Wie können sie sich retten? Sie wissen nicht, wie das Fremde aussieht, wie es sich anfühlt, welche Sprache es spricht und mit welchem Geld es bezahlt. Sie wissen nur: Es ist fremd. Das macht ihnen Angst, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt.
Aber sie werden sich wehren. Sie haben Zäune gebaut und horten Coca Cola und Hamburger, mit der sie das Fremde begießen werden, mit denen sie das Fremde bewerfen und in die Flucht treiben wollen.
Als hätte das Mittelalter nicht gelehrt: Bewerft eure Menschen nicht mit minderwertigen Lebensmitteln, gießt nicht üble Flüssigkeiten über sie, denn sonst werden sie eure Burg schleifen, eure Stadt schänden und gewaltig herumferkeln.
Um das zu verhindern, jetzt ein Holzzaun mit bunten Griffen, der das Fremde verunsichern soll, weil ihm bunte Griffe vielleicht unbekannt sind. Hoffen wir, es klappt. Einfacher wäre, dem Fremden einen Plastikbecher mit dem klebrigen, braunen Getränk in die Hand zu drücken und freundlich zu fragen: Einen Hamburger vielleicht? Oder etwas zu essen?

Gelbes Land am weißen Kreuz: Schweiz - Neuer Flaggenversuch

Goldene Schweiz, gelbes Land zwischen hohen Bergen.
Land der Autonbahnmaut. Land der Tunnel durch festes Gestein.
Geheimnisvolles Land.
Land der Banken und Tresore.
Goldene Schweiz.
Golden eure Nasen, die ihr die Geheimnisse bewahrt.

Überraschungen auf dem Geburtstagstisch

Rippe blickte auf seinen Geburtstagstisch. 12 Tuben Duschgel. Hair&Body. Auch für den Kopf verwendbar. In den Geschmacksrichtungen blau und hellblau.
Eigentlich war es doch eine nette Feier gewesen, alle hatten gelacht, hatten auf ihn angestoßen. Alle hatten Geschenke mitgebracht. Duschgel eben.
So, als hätten sie sich abgesprochen. Es konnte nicht sein, dass sie die selbe Idee gehabt hatten. Es konnte kein Zufall sein.
Aber abgesprochen? Bruno kannte Trudi doch gar nicht, und Hippo hatte mit Erwin nichts zu tun. Und doch hatten sie ihm Duschgel geschenkt. Wo war die versteckte Botschaft? Was sollte er aus dem Ganzen herauslesen?
Rutsch nicht aus auf der Schmierseife des Lebens? Das war keine Botschaft. Das war schlicht Unsinn. Seifig. Oder als Imperativ: Sei fig! Aber was war fig? Das Wort gab es doch gar nicht. Feig. OK. Aber fig. Du Schgel! Was war denn ein Schgel? Und wie war man, wenn man einer war?
Rippe war sprachlos. Ratlos.
Rippe beschloss, einfach mal eine Tube auszuprobieren. Sicher, Wasser war nass, und Wasser kam an den Körper. Aber wie sollte er das Geheimnis lüften, wenn er die Geschenke nur von allen Seiten betrachtete? Die inneren Werte zählten, darauf kam es an.
Drück mal auf die Tube! Vielleicht war das die Message.
Der blaue Glibber quoll aus dem Loch und Rippe gab ihn auf die flache Hand. Er drehte den Wasserhahn auf und beschloss ganz, ganz stark zu sein.

Hilfe für echte Männer

Wenn Männer professionelle Unterstützung bei den vielfältigen Aufgaben ihres Lebens brauchen und suchen, gehen auch sie gerne in den Wald, denn das kostet nicht viel und Körpergeruch fällt nicht negativ auf, sondern gehört einfach dazu. Versteckte therapeutische Angebote bieten Rittergruppen, die den kindlichen Spieltrieb und die männliche Kampfeslust bei gruppendynamischen Übungen, Wettkämpfen und Spanferkelgrillen vereinigen. Vor allem die Männer, die sich endlich eingestanden haben, dass sie echte Männer sein möchten, dass sie ihren weichen Kern gar nicht preisgeben möchten und dass sie ihre harte Schale brauchen und lieben, finden echte Unterstützung in diesen Gruppen. Sie bereiten sich auf den Moment vor, in dem sie zu Hause ihrer Partnerin trotzig entgegenschleudern: Ich bin nun mal ein Mann, ich will nicht reden, sondern handeln, ich wappne mich, mit allem, was mir zur Verfügung steht und ich will die Verkleidung nicht ablegen, auch du sollst meinen matschigen Kern nicht zu sehen bekommen, ich will nur hart sein, vorne und hinten, im Wald und am Küchentisch und im Büro und im Bett, nur nicht am Wickeltisch, da stelle ich mich nämlich gar nicht mehr hin, der Kleine kriegt doch einen Schreck fürs Leben von so viel harter Männlichkeit, das machst du ab heute allein, überhaupt mache ich jetzt eigentlich nichts mehr, die Rüstung ist so schwer, der Schild erst recht, ich bleib jetzt einfach mal sitzen. Für diesen Auftritt müssen die Männer lange Zeit in ihrer Horde verbracht haben, um sich dann mutig dem Einzelkampf zu stellen.

Hilfe für haltlose Menschen

Menschen, die seit Jahren keinen Halt haben und Gefahr laufen, zu straucheln, kann jetzt geholfen werden. Psychomotorische Trainingskurse in Mischwäldern sollten zurück ins Leben führen.
Anfangs noch gesichert durch Karabinerhaken und Laufgeschirr werden Stellungen wie "Spring doch, du Feigling, ich fange dich sowieso nicht auf" und "Titanic" geübt. Letztere kommt besonders gut bei Frauen an, die sich in die Rolle der Maude auf den Bug des Untergangsschiffes denken und ein kurzes Glück mit Harold  erleben, später aber auf einer feuchten Planke landen, was sie wieder ins wahre Leben zurückführt. Harold ist ertrunken und war sowieso viel zu alt für eine Upperclass-Lady, die im Grunde Besseres zu tun hat, als neben Eisbergen herum zu dümpeln. Gerade die Weite des Meeres dient dem Öffnen nach vorne, das diese Gebeutelten besonders brauchen, um aus der Hockstellung des Alltags in die Offensive einer Vision zu gehen.
Allerlei Allegorien jedenfalls in der Therapie, von der noch niemand so recht weiß, wohin es bei den Probanden gehen soll.
Auf jeden Fall sollte sich etwas ändern, aber das tut es ja auch, wenn man nichts tut.
Schön ist aber die frische Luft und der würzige Geruch vermodernden Laubes, das an die Vergänglichkeit erinnert im Sinne von: Heute wäre ein schöner Tag zum Sterben, aber leider haben wir gleich noch Stammgruppe.

Hansi und die rote Frau (4)

Klar. Hansi stutzte. Sie war weg! Die rote Frau war weg. Oder: Sie war heute Abend nicht da. Der Mond war auch weg. Hansi biss in die Bettdecke. Vor Verzweiflung, vor Wut, aus Frust, eine Chance verpasst zu haben.
Hallo, rote Frau, warum sitzt du nackt auf dem Fensterbrett, auf meinem Fensterbrett, willst du vielleicht etwas von mir? Diesen Satz konnte er sich jetzt ins Poesiealbum schreiben! Oder auf eine Rolle Klopapier! Vierhundertmal. Es war niemand mehr da, der antworten konnte. Nicht einmal der Mond, aber auf den hätte er ja allemal verzichten können.
Hallo, rote Frau, schön, dass du jetzt nicht nackt auf meinem Fensterbrett sitzt. Das ging doch gar nicht. Was nützten die schönsten Sätze, wenn keiner da war, der sie  hörte? Das war doch in die hohle Hand gehustet!
Verschwendung! Heute hätte er die rote Frau angesprochen und vielleicht hätte sie sogar geantwortet. Vielleicht hätten sie sich unterhalten. Vielleicht hätten sie sich jeden Abend unterhalten. Vielleicht hätten sie sich besser kennen gelernt. Hansi schossen die Tränen in die Augen, und er wollte sich die Bettdecke über den Kopf ziehen. Aber da war sie schon.

Flüssige Träume

Conni stöhnte, ihr war schlecht, sie lag im Bett und träumte und stöhnte. Sie erinnerte sich. Aber nur schwach. Da war diese Feier. Getränke. Menschen. Musik. Gelächter. Nun war die Feier vorbei, zumindest hatte sie das Fest verlassen und ihr Körper rächte sich auf furchtbare Art für ihre Maßlosigkeit. Das Erinnern tat weh, aber irgendwie tat alles weh und vielleicht ginge es ihr besser, wenn sie zumindest Klarheit darüber hatte, was und wen sie alles konsumiert hatte. Undeutliche Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Vielleicht waren die Flüssigkeiten, die sie getrunken hatte, gar keine Getränke gewesen. Vielleicht waren die Menschen, mit denen sie getrunken hatte, gar keine Freunde gewesen. Vielleicht lag sie gar nicht in ihrem Bett, sondern in der Notaufnahme. Das Wort vielleicht und die Gedankenschleifen, die im Nichts endeten, steigerten die Übelkeit entsetzlich und Connis Magen entleerte sich, zum Glück stand da jemand und hielt ihr etwas entgegen. Kleine, bunt schimmernde und gar nicht so übel riechende Seifenblasen stiegen nun auf und platzten an Connis Nase. Eine genervte Stimme sagte etwas von 'Vielleicht doch der Selbstmordversuch einer Putzfrau' und 'Magen auspumpen' und Conni verzichtete aufs Erinnern und erlaubte sich großzügig eine vorübergehende Amnesie.

Georg Krakl: Tagescreme (2011)

Was denkt die Tagescreme,
wenn ich sie nur nachts mal nehme?

Neue Tiere und Klimawandel

Den Klimawandel kann man immer zuerst in Industrie und Handel erkennen. Neue Produkte strömen auf den Markt, die den veränderten Lebensbedingungen in einer äußerlich wärmer werdenden Welt entsprechen. Wenn wir längst nicht mehr schwitzen, weil wir kräftig arbeiten, sondern auch, wenn wir müde im Liegestuhl in die Sonne starren, dann ist es klar: Der Klimawandel ist schweißtreibend. Entsprechend reagiert auch die Tierwelt, der es in nahem Osten und tiefem Süden längst zu anstrengend geworden ist. Sie wandert aus Richtung Norden, sprich: Zu uns. Längst haben Arten Fuß und andere Gliedmaßen gefasst, die niemand sich außerhalb eines Albtraums hätte vorstellen können. Aus der kleinen Fruchtfliege ist die angsterregende Schweißfliege, mancherorts auch Schmeißfliege oder auch Schweizfliege geworden, die sich auf den Misthaufen und in den Sickergruben der Gegend ihren Lebensraum erkämpft. Da hilft nicht mehr die gebräuchliche Fliegenklatsche, die sich biegsam, ja fast zärtlich auf dem Stubenfliegenkörper niederlässt, um diesen sekundenschnell zu zerquetschen; für die Fliege, die ja ganz anders wahrnimmt, natürlich eine Ewigkeit.
Jetzt hat die Industrie reagiert und kräftige Schlagschaufeln entwickelt, die gezielt und konsequent, quasi in robustem Mandat, eingesetzt werden können.
Die Nahost- und Tiefsüdfliege sollte es sich noch einmal genau überlegen, ob sie sich hier niederlassen will. Ein schneller Tod zur rechten Zeit kann allerdings auch ein Gewinn an Lebensqualität bedeuten. Wie auch immer.

Adliges Unterbewusstsein

Ich bin kein Fan von Monarchie,
von William, Kate und Lady Di,
von Mette-Marit und Albert,
das Knicksen fiel mir immer schwer.

Doch auch wenn ich nicht träum vom Throne,
so trage ich doch eine Krone
am Schlüsselbunde mit mir rum
und weiß doch selber nicht warum.

Hansi und die rote Frau (3)

Sie hatte es versaut. Hansi hätte heute gesprochen: Hallo, rote Frau, was sitzt du so nackt auf meinem Fensterbrett, hast du keine Angst, dass das abbricht und du auf den gußeisernen Heizkörper fällst, dir vielleicht einen Arm brichst und ohne Kleidung ins Krankenhaus musst? Man sollte immer eine saubere Unterhose anhaben, nur für den Fall, dass man mal ins Krankenhaus muss, sagt die Mutter, auch die Fußnägel müssten geschnitten sein. Das macht einen guten Eindruck, dann gilt man als Mensch aus einem anständigen Haus. Aber ohne Unterhose? Das ist vielleicht dem Notarzt peinlich, oder dir auch, rote Frau.
Jetzt saß die blöde Kuh  auf dem Fensterbrett in voller Montur, vielleicht hatte sie sich eine Pferdedecke umgehängt, weil sie fror! Der Mond war auch weg. Ein Vollmond, den man in klarer Nacht nicht sehen konnte, war ja wohl ein Fake. Jawohl, Fake. Hansi hatte das Wort neu gelernt und benutzte es gern, auch wenn es nicht immer passte.
Die rote Frau war die Riesenenttäuschung.
Hansi fehlten die Worte. So einfach war das nicht, jetzt umzuschwenken: Hallo, rote Frau, willst du nicht deine Pferdedecke ablegen, damit ich dich ansprechen kann?
Hansi zog sich die Bettdecke übers Gesicht und fluchte leise: Fake, fake, fake. Oder so ähnlich.

Weiter unten Teil 1 und Teil 2.

Es wird Zeit, es den Energiekonzernen zu zeigen

Du willst es den Stromgiganten mal so richtig zeigen. Endlich mal Farbe bekennen, Schluss mit Profitspirale und Umweltzerstörung, Schluss mit Atomstrom und überhaupt, die letzte Rechnung war ein Desaster! Das muss aufhören.
Dem Konzern den Stecker ziehen!
Zeigen: So geht das nicht! Du, Konzern, bist auch von mir abhängig!
Tja, da ziehe ich mal den Stecker. Früher habe die ihre Colts gezogen, ich ziehe den Stecker. Jetzt kannst du Leine ziehen, Stromgigant!
Im Hintergrund hörst du ein leise Lachen. Es ist der Energieriese, der hat sich hingehockt und lacht leise vor sich hin. Er lacht über dich. Aber nur leise, denn er weiß, du wirst wiederkommen.
In deinem Haus sind die Lichter aus.
Und jetzt erkennst du es: Der Stecker gehört zu dir. Es ist dein Stecker, den du gezogen hast. hastig verfolgst du die Schnur. Sie endet in der Kaffeemaschine.
Die Dose ist der Konzern!
Leider kann man die Dose nicht ziehen.
Du hockst dich neben den Energieriesen und lachst auch leise. Verstohlene Tränen fließen dir die Wangen hinab.

Mein Urlaub

Liebste Lilli,
der Urlaub ist fast vorbei. Das Schiff gehört natürlich nicht mir, ist nur so eine blöde Aufschrift vom Reiseunternehmen, aber ich wills auch gar nicht haben. Mein Kapitän wär mir lieber oder mein Steward oder von mir aus auch mein Bordmechaniker. Leider kann ich nur 'Mein Sonnenbrand' ins Fotoalbum schreiben, aufs Foto dazu verzichte ich lieber. Mein Magen-Darm-Infekt ginge auch. Meine Güte, eigentlich doof, dieses Besitzstreben. Ich teil mir einfach mit tausendfünfhundert Menschen ein Schiff. Dafür muss ich es dann auch nicht sauber halten. Wäre beim Bordmechaniker ganz schön aufwändig.
Viele Urlaubsgrüße
deine Natascha

Hansi und die rote Frau (2)

Heute Nacht wollte Hansi Fragen stellen, heute Nacht würde er sich trauen. 34 Nächte Vollmond, 34 Nächte eine rote Frau, die nichts am Leibe trug. Was sollte das bedeuten?
Und dann war sie wieder da. Und der Vollmond auch.
Hansi stutzte.
Die rote Frau war nicht mehr unbekleidet, sie gab sich keine Blöße.
Sie hatte sich eigentlich noch nie eine Blöße gegeben, weil sie immer seitlich zu ihm gesessen hatte und er nur hatte erkennen können, dass sie keine Kleidung trug.
Sogar der Vollmond trug eine Art Badehose oder ein Mondkleidungsstück, wenn es so etwas gab.
Gut, dachte Hansi, dann nicht. Wenn die rote Frau nackt gewesen wäre, dann hätte man ein Gespräch beginnen können, vielleicht über Nacktheit an sich und warum manche Menschen da ein Problem hatten.
Aber so? Worüber sollte Hansi denn reden? Über schwarze BHs? Damit kannte sich Hansi nicht aus. Über Badehosen, die sich der Mond anzieht? Wer hatte denn schon jemals gehört, dass ein Mond eine Badehose trägt? Und überhaupt, wo sollte der Mond denn baden? Im Mare Tranquilitatis, im Meer der Ruhe, das es auf dem Mond gab? Ja, man kann doch nur in sicher selber ruhen, aber nicht in sich selber baden!
Vielleicht morgen Nacht.
Vielleicht wäre dann wieder alles wie vorher.
Hansi zog sich die Bettdecke über den Kopf und versuchte zu schlafen. 34 Nächte Vollmond, eine Nacht Vollmond mit Badehose. Und dann die rote Frau. Jetzt mit Unterwäsche. Unfassbar.
Teil 1 hier klicken

Eselspiel für Esel

Kinderbelustigungsfest-Beschicker, was willst du denn verdienen, wenn du für 10 € ein Eselspiel anbietest? Das kann doch jeder, der einen bisschen in der Umgebung herumspäht, viel günstiger bekommen: Esel laufen genügend herum und mit denen kannst du wunderbar spielen, ohne dass die etwas merken. Jede Menge Affen, vom dummen bis zum Lackaffen, kratzen sich die verschuppte Schädelfläche und halten sich für den Leithengste. Die Herde flüchtet derweil in die andere Richtung. Alles für nichts. Alles kostenlos!
Drum: Bleib nicht auf dem Spiel für 10€ sitzen. Beziehungsweise dahinter stehen!
P.S.: Vielleicht suchst du ja nur dumme Esel, die das Kleingedruckte, das in manchen Verträgen auch Keingedruckte heißt und dadurch Rechtsfreiheit beschert, nicht lesen können und dir 10€ geben, ohne etwas dafür zu bekommen. Solche nennt man dann Idioten.
Geh lieber nach Hause, bevor dich deine Wurzeln schlagen!

Skandinavische Krimis weiter schreiben: Oslo ist teuer

Harry Hole schämte sich ein bisschen, dass so viele Touristen den Tatort sehen konnten, obwohl die Leiche schon fortgeschafft worden war. Nun war offensichtlich, dass auch die Norweger darunter litten, dass Oslo die teuerste Stadt der Welt ist. Trotz Öl und Lachse konnten viele den hohen Lebensstandard nicht halten. Harry hatte mit eigenen Augen gesehen, was den Touristen und den anderen Schaulustigen nur der Kreideumriss und die markierten Fundstücke am Tatort verrieten: Die Joggerin war mit Gummistiefeln unterwegs gewesen, Laufschuhe waren unerschwinglich geworden und Barfußlaufen aufgrund des Klimas nicht zu empfehlen. Die Frau hatte eine deformierte Hand und offenbar kein Geld um sich von einem Spezialisten behandeln zu lassen. Das Handy - von Opfer oder Täter - war mindestens zehn Jahre alt. Sogar der Mörder hatte nichts als einen billigen Plastikknüppel aus Fernost um seine Tat auszuführen. Harry mochte es nicht, dass fremde Menschen solch einen Einblick in die Abgründe seiner Heimatstadt bekamen. Wenigstens sieht sie auch im Tod noch sportlich aus, wie sie da liegt, als ob sie immer noch liefe, einmal durch die Telemark, hin und zurück, dann eben in Gummistiefeln, dachte er. Und er war fast ein bisschen stolz auf die Leiche und hätte den immer noch glotzenden Touristen gern einen kleinen Vortrag über die Willensstärle und den Stolz seiner Landsleute auch in schlechten Zeiten gehalten. Als Harry gerade einem Reporter vom Aftenposten seine Bewunderung für den Mörder mitteilen wollte, weil es fast eine unvorstellbare Leistung darstellte, mit einem leichten Plastikbaseballschläger solch einen Schaden anzurichten, merkte er, dass er immer noch nicht wieder ganz nüchtern war. Warum kann ich mir eigentlich immer noch Alkohol leisten, fragte er sich, wenn hier alles so teuer ist.

Hansi und die rote Frau

Hansi war aufgewacht und da war sie wieder, die rote Frau auf dem Fensterbrett bei Vollmond. Hansi dachte: Ganz schön blöd - Rote Frau auf dem Fensterbrett bei Vollmond! Das ist doch kein Name. Aber die Frau war nackt, etwas propper, aber auch etwas knackig, so griffig mehr, wenn man sie hätte anfassen dürfen; das traute sich Hansi aber nicht. Welchen Namen hätte er ihr geben sollen? Rotraud wäre ja sehr simpel und platt, und Rosa hätte gar nicht gepasst, aber Else oder Walli auch nicht. Vielleicht hatte sie gar keinen Namen.
Hansi hielt den Atem an. Was machte die rote Frau auf dem Fensterbrett? Sie schaute nicht einmal den Mond an, der auch bei Neumond voll war. Immer wenn die rote Frau auf dem Brett saß, war es Vollmond. Hansi hatte noch niemals im Leben so viele Vollmonde hintereinander gehabt. Bei Vollmond dreht ja alles etwas schneller, der Alkohol lässt sich wie Öl schlucken und die Hormone kreisen, der Schlaf ist unruhig und man fühlt sich wie ein Wehrwolf, der zuviel Knoblauch gefressen hat. Knoblauch! Da war nichts mit Hingehen zum Fensterbrett und fragen: Hallo? Wie geht's denn so?
Sollte Hansi die Frau siezen? Er kannte sie doch eigentlich nicht, obwohl, sie saß jetzt schon zum vierungdreißigsten Mal drei Meter von seinem Bett entfernt auf dem Fensterbrett. War das ein Grund zum Duzen? Und sie war nackt. Frag mich nicht, wieso!, flüsterte Hansi zu sich selbst. Duzt man Nackte nicht eher? Wenn sich jemand vor einem ausgezogen hatte, war das schon ein Akt der Vertraulichkeit, es sei denn, man selbst ist Arzt und die Frau eine Patientin. Warum aber war sie nackt? Es war doch gar nicht so warm, dass man ein leichtes Kleid nicht hätte aushalten können. Nicht, dass es Hansi störte, dass sie unbekleidet war. Aber merkwürdig war es schon, Hansi hatte noch nie bei fremden Frauen nackt auf dem Fenstersims gesessen und den roten Vollmond nicht angestarrt. Denn die Frau interessierte sich definitiv nicht für den Trabanten. Aber auch nicht für Hansi. Sie starrte auf ihre Armbeuge, da wo bei Hansi immer Blut abgezapft wurde, wenn es mal sein musste.
Hansi schloss die Augen. Für heute Nacht ist erst mal Schluss mit dem Weiberkram, sagte er sich und zog die Bettdecke ein wenig höher.
Morgen. Morgen wäre wieder Vollmond. Dann würde er Fragen stellen.

Oma häkelte Mandalas

Es hatte etwas Beruhigendes, wenn die Oma ihre Hände unruhig im Schoß bewegte. Ich wusste nicht wirklich, was sie tat. Ihr Blick war eher starr und schaute nach unten oder in die Ferne. Die Hände immer in Arbeit. Ein Motto war hier Fleisch geworden: Die Ruhe liegt in der Arbeit. Die Eltern brüllten: Steh mal auf! Andere arbeiten schon und du liegst noch im Bett. Dabei hatte ich mich gerade hingelegt. Ich hatte die Zeitungsfrau freundlich gegrüßt und die Rollläden, die manche auch Rouladen nannten, heruntergelassen. Ich war noch in der Flachschlafphase, also gerade in die Narkose gefallen, weil betäubt von der Feier, von der ich gekommen war. Es arbeiten doch immer irgendwelche, stammelte ich, und dachte an die Nachtschichtarbeiter, die anfingen, wenn die ordentlichen Menschen zu Bett gingen. Um 10 Uhr.  Abends. Warum krähte die Mutter jetzt herum? War sie nie jung gewesen? Ich hatte frei. Ich wollte leben. Beziehungsweise schlafen, um weiterzuleben.
Die Oma fummelte in irgendeinem Zimmer an ihren Händen oder an dem, was sie in diesen hielt, herum.
Später wusste ich: Sie war eine Schamanin. Sie störte es nicht, dass ich zu Bett ging, wenn die Eltern aufstanden.
Sie häkelte. Mandalas. Diese schönen runden Dinger, die man auch an Tischdecken nähen konnte, damit keiner wusste, welcher Zauber in ihnen steckte. Sie hatte die Magie in ihren Fingern: Mandalas.
Schade, dass sie gehäkelt waren.

Kurt Zundknapp: Meine Hose schaut micht an

Immer wenn mich meine Hose anschaut, denke ich, was schaut mich meine Hose an? Was denkt sie wohl, wenn sie mir ins Gesicht sieht? Ich betrachte die schmalen Streifen auf meiner Hose und denke: Was für eine elegante Hose! Diese Rillen zeugen von Struktur, von Geradlinigkeit, von Harmonie, vom Einssein mit dem Tuch und mit der ganzen Welt sogar.
Was mag sie sehen? Meine Rillen vor der Stirn, die sich eher unregelmäßige in die Haut gefräst haben, die unendliche Geschichten erzählen könnten, weil sie meinem Kopf Sorgen bereitet haben.
Aber dann denke ich: Darf eine Hose überhaupt nachdenken über das Gesicht ihres Besitzers? Darf sie sich praktisch erheben über ihn und ihn bewerten? Ist das, was ich als Struktur und Geradlinigkeit bezeichnet habe, nicht eher Arroganz?
Und dann erscheint mir ihr Blick so leer, so durch und durch augenlos, so als habe man meiner Hose eine Brille aufgesetzt, um zu suggerieren, sie könne sehen. Und denken? Zum sich Erheben und Bewerten gehört das Denken! Da, wo ich das Gehirn der Hose vermute, nämlich etwas oberhalb der Brille und unterhalb des Stoffes, da sitzt mein Oberschenkel und bestenfalls das Knie. Und die denken nicht. Die sind aus Fleisch und Knochen. Der Oberschenkel ist einfach da, sorglos und unbekümmert. Das Knie ist kompliziert, ein schwieriges Gelenk, aber denken kann es nicht.
Ich sollte mir vielleicht doch nicht so viele Gedanken um meine Hose machen.
Allein schon wegen der Rillen auf der Stirn.