Günter Krass - Tanzkurs


Ich war unsicher, das kann ich heute sagen, Tanzen interessierte mich überhaupt nicht, es war Gruppenzwang, so wie ich damals Alkohol trinken musste und Zigaretten rauchen, bevor ich 16 war, das ist hart heute, ich hätte meinem Sohn rechts und links, man weiß, was ich meine, also an die Ohren, jedenfalls war ich da und musste mit einigen Kameraden, haha!, Kameraden, was soll das denn wieder, wir waren nicht im Krieg, obwohl, vielleicht schon, jedenfalls sollten wir Schritte nachlernen, und ich kam nicht so klar, wie ich eigentlich wollte, schnell lernen und dann zack! Eintänzer in der Fischbratküche, diesen tiefsinnigen Scherz hatte ich damals noch nicht kapiert, sondern dachte, es sei etwas Besonderes, ich glaube, ich schreibe an anderer Stelle weiter, Tanzen ist doch ein Thema, das mich berührt, auch, wenn ich es niemals wollte...
(Foto: Manche Eier werden durch Tanzkurse überheblich.)

Gedichte mit Speisen: Georg Krakl - Suppe in der Gruppe (2010)


In der Gruppe
schmeckt auch schlechte Suppe,
mag sie wohl lasch und labberig
der Kohl vielleicht noch schlabbebrig,
verwürzt, verkocht,
mit Haaren drin und einem Docht,
mit Kieseln und auch Schweinemagen,
vom Mantel einen Kragen.
Den Menschen in der Gruppe ist das schnuppe.
Da isst man jede Suppe.

Besser wohl als Currywurst allein.
Denn Currywurst ist hohler Schein.

Das Gastgedicht: Ulla Huhn - Grippe (2010)

Bei meiner letzten Grippe
da stand ich auf der Kippe.
An meiner Unterlippe
hing, wenn ich richtig tippe,
ein zäher grüner Schleim.
Ich sah den Kerl mit Schippe,
er schrie: Du kranke Hippe!
Komm mit in meine Sippe!
Doch ich sprang von der Schippe
und lief trotz Virus heim.

(Aus: Gedichte mit Krankheiten drin)

Fido ist kein Spielhund


Fido tut nichts, das ist so abgegriffen, da lacht doch jeder, der das hört, da kann ich nicht mehr mit punkten, Fido ist ein Kampfhund, der will nur spielen, also, Spielhund fragt die Oma gestern, nicht die Handtasche festhalten, sage ich zu ihr, der hat 2 t Druck auf dem Quadratzentimeter, da bleibt kein Knochen heile, leises Summen hilft, gehen sie ruhig weiter, nicht umdrehen, die Tasche bringe ich Ihnen, genau, der Ausweis ist drin, da weiß ich gleich, wo Sie wohnen, nein, mach ich, von wegen, die Alte hat dann von zu Hause, da wo sie in Sicherheit war, die Bullen angerufen, ich hätte den Fido mal frei spielen lassen sollen, der ist nicht aggressiv, der tut nur so, haha, eigentlich ganz lustig, so ein Scherz, Fido hält sich nicht immer an die Regeln, aber da muss ihm schon einer krumm gekommen sein, und die alte Frau gestern war schon zickig, ich persönlich kann das ja auch nicht ab, aber die Bullen erst, da knurrte der Fido, die haben sofort Pfefferspray eingesetzt, ich sage, der ist harmlos, nein, gleich voll drauf, das arme Tier. Wer denkt eigentlich an das arme Tier? Heute hat er entzündete Augen und die Leute halten ihn für noch gefährlicher. Unmenschlich, sage ich, da ist der Schritt nicht mehr weit, so mit Menschen zu verfahren. Verwarnung hin oder her. Ich hätte den Fido frei spielen lassen sollen.

Fischplatte im Norden


So sind die Norweger, da freut man sich auf eine lecker Fischplatte am Abend, denkt an Fisch satt ohne Grenzen, an Schlemmen und Schlotzen, an fetttriefende Mundwinkel, an gurgelnde Geräusche, wenn das Seegetier den Magen hinuntergespült wird, und was ist? Der asketische Nordling meinte Fischplatte! Getrockneten Meeresbewohner, der zum harten Brett verdunstet wurde und den man wahrscheinlich drei Tage in Flüssigkeit legen muss, damit er eine bleiche, faserige Gestalt annimmt, die eher an Wasserleichen als an Rollmöpse erinnert. Kulinarisch ist da oben, wo das Licht im Winter immer schnell ausgeht, wirklich nichts los. Das Auge isst mit! Das kann bei diesen Beleuchtungsverhältnissen nicht stimmen. Da stellt sich der Wettergegerbte einfach mal ans Gerüst und knabbert die Nahrung direkt von der Stange, so als wenn wir an der Imbissbude eine kalte Schale Pommes verdrücken.Er sieht ja nichts. Nichts mit Candlelight-Dinner. Nicht mal Ketschup gibt's dazu. Schade um die Erfahrung, die man in kalten Zonen machen muss.

Puppen drehen durch


Die Frauen wussten es immer schon: Das Maskuline hat die Welt im Griff. Jeder will Mann sein. Frauen haben das Nachsehen und putzen sich die schniefende Nase. Aber, kann der Mann an sich etwas dafür?
Was hat sich die Evolution eigentlich dabei gedacht, dass der Mann als der männliche Typ und die Frau als eher weiblich dargestellt wird?
Wo ist das eingreifende Korrektiv? Das Korrektiv! Neutrum! Da haben wir es doch wieder. Das ist kindlich, will sagen, kindisch!
Mann ist Mann, und Frau ist Frau.
Das hatten wir doch schon tausendmal. Wieso wird immer wieder dumm nachgefragt?

Bodo läuft (Reinkarnation)

Bodo läuft wieder. Der Boden ist nicht mehr vereist.
Das Gras ist noch gelb-grau-braun. Wie immer denkt Bodo über das Leben nach und dass er doch gerade einen schönen Umweg gefunden hat: Der gleicht einer Schleife.
Ein schönes Stück ist das, denkt Bodo, ohne gewaltige Steigungen.
Da können doch gut die Schlechtkonditionierten rotieren. Im Kreis laufen. Die würden sich doch sonst verirren, wenn die allein und abgeschlagen auf den verschlungenen Waldwegen zurück bleiben müssten.
Hier kann nichts passieren, es geht immer im Kreis herum. Im Kreis zu rennen ist meditativ; da kommt der Läufer in die langläuferische Trance, in eine verschwitzte Abständigkeit, in eine Entrücktheit, in ein Laufen ohne Absicht.
Der Körper läuft wie von selbst. Er läuft ein Mantra und der Geist hat Ruhe. Nichts denken. Nichts wollen. Einfach da sein.
In Spiralen müsste der Körper sich auf höhere Stufen hochwinden können.
Schade, das geht hier nicht.
Auf dem Höhepunkt der Schleife angekommen, geht es wieder runter.
Das gleicht dem Wiedergeborenwerden ohne Lernerfolg.
Immer wieder in die gleiche Schnecke zurückgestopft, immer wieder das gleiche kriecherische Verhalten, immer wieder ein Leben auf der Schleimspur.
Ein Teufelskreis, den die Schnecke niemals verlassen kann.
Erstens weiß sie nicht, dass sie schon wieder wiedergeboren ist.
Zweitens ist sie zu langsam, um ihre Fehler zu korrigieren. Vielleicht fühlt sie sich wohl und eins mit sich und ihrem Leben, weil sie ein kleines Haus besitzt und sich keine Bausparverträge aufschwatzen lassen muss.
Ist das nicht paradox? Dass die Einfältigen in ihrem Glück nichts von ihrem Unglück wissen? Vielleicht war sie in einem früheren Leben Versicherungsvertreter.

Bodo sinniert über die Frage, ob Schnecken Fehler machen können, und wenn, welche?

Ein dumpfes Brummen schreckt ihn aus seinem Tagtraum auf. Ein graues Untier, für einen Esel zu klein, für eine fehlfarbene Wildkatze zu groß, für einen Tierheimhund zu ungeschickt, stolpert aus dem Unterholz, bleibt stehen, dreht sich um, schaut und wartet. Klappenohren wie die lederne Mütze des Barons von Richthofen.

Da! Das Blechmonster mit dem Frischluftkerl, der bei heruntergedrehter Scheibe vor Wochen an einer andere Stelle im Wald ventiliert hatte, der sich selbst an die Luft gefahren hatte, eine Art Autowanderer mit waidmännischer Färbung, taucht aus dem Dunkel des Unterholzes auf. Der Weg, den er fährt, ist so schmal, dass die Äste, die der Geländewagen streift, knacken. Bodo schaut nicht hin. Er hält die Szene für unmöglich. Unvorstellbar. Irreal. Aber sie ist wirklich.

Blöder Hund, blöder lederfliegerkappenklappenohriger Hund, du Ausgeburt des roten Barons, du miese Inkarnation mit deinem noch mieseren Herrchen, das seinen bequemen Arsch nicht aus dem beheizbaren Landroverfahrersitz kriegt, und stattdessen dem Wald die Luft nimmt, die dieser sich bemüht zu produzieren.
Der Wald ist sauer, stinksauer auf solche Umweltbanditen.

Abgassau! will Bodo sagen, denkt es aber nur. Ein Hund ist unberechenbar. Ein Mensch, der mit dem Auto durch den Wald fährt, um seinem Hund Auslauf zu verschaffen, wird nicht ohne psychische Einschränkung sein. Das kann sich auf den Hund abgefärbt haben! Hundeführerschein, genau denkt Bodo.

Halt deinen Schnauzer! könnte Bodo jetzt lostrompeten, denkt aber, dass das Untier, das er nun beim Wiedersehen durch diese Anrede aus der Mischlings- und No-Name-Abteilung in die genannte Rassekategorie einordnet hat, durch die Aufforderung „Halt deinen dämlichen Schnauzer!“ sensibel reagieren und sich genötigt sehen könnte, sein Herrchen, dem dieser Ausspruch zugedacht ist, zu verteidigen, obwohl lediglich die Bitte, wenn auch energisch, vorgetragen wird, den Hund zu halten.

Deshalb heißen diese Leute doch Hundehalter!

Der fliegerlederkappenohrenklapprige Hund läuft frei herum. Gehört an die Leine! denkt Bodo und macht sich auf den Weg in die andere Richtung, vorsichtig nach hinten lauschend, fürchtend, dass das leise Flappen der Ohrenlappen oder Kappenklappen hinter ihm ertönt.

Nichts zu hören. Hund und Mann und Auto sind in eine andere Richtung. Bodo atmet durch und trabt entspannt weiter. Es gibt also Waldläufer und Waldfahrer, denkt er, ohne daraus eine besondere Erkenntnis abzuleiten.

Welcher Sünder mag in diesem Hund stecken und zum wievielten Male wohl schon? Und welcher in dem Hundehalter, der in seinem Auto durch den Wald spazieren fährt? Schlimmer noch, als wieder zur Schnecke gemacht zu werden.

Was muss eine arme Seele wohl tun, um da endlich rauszukommen?

Lückentexte für junge Männer mit Sprachschwierigkeiten (Umweltschuh)


Hey, du, kommstu kucken, hedu, Umweltschuh heißt das, total genau, Umweltschuh.
So mag es klingen und die jungen Männer mit Sprachschwierigkeiten grübeln den lieben langen Tag darüber nach, was denn wohl ein Umweltschuh sei, vor allem einer, der hier beginnt. Wieso hier?, fragt das Hirn des Intelligentesten. Dann müsste man ihn doch sehen! Da ist aber nichts.
Vielleisch....beginnt ein anderer und gerät ins Stocken, weil er bei vielleisch immer an Fleisch denken muss und jetzt gut eine fetttriefende Fleischtasche verputzen könnte. Der Bauch kommt vor der Moral und so bleibt die kritische Intervention auf der Strecke. Umweltschuld....ja genau....das ist es, genau, die Umwelt ist Schuld, dass die Umwelt so ist wie sie ist. Verantwortung übernehmen. Dafür gerade stehen.
Der Tag geht zu Ende, und wenn es dunkel wird, kann auch mal ein Schnäpschen über die Theke gehen. Vielleisch falsch geschrieben, fällt noch einem ein, Umwälzung könndasch heiße....Hedu, sach nischscheiße! Überhaupt, wo hast du das Wort her? Hastudiert?

Ein Deutschkurs, den man sich sparen kann. Lückentexte bringen Leuten, die gar keine Lücken empfinden, weil ihr Leben so voll ist, überhaupt nichts.
Die Lösung findet der Findige auf dem Umweltschutzamt der Stadt Köln, falls das nicht gerade eingestürzt ist.

Gedichte mit technischen Geräten: Georg Krakl - Toleranz (2010)


Wenn Elektroheimgeräte mal in Not geraten,
wenn zuviel Strom sie plagt, die Sicherungen zittern,
wenn Slips ersaufen, Toasts verbrennen, Hemden knittern,
Eier platzen, Blut und Milch gerinnen,
dann denk ich: Ach, Elektroheimgeräte dürfen auch mal spinnen.
Da bin ich tolerant
und werfe keines der Geräte an die Küchenwand.

Gedichte mit Tieren: Georg Krakl - Mein Schwein (2010)

Mein Schwein hat Grippe,
ob ich es noch essen kann?
Es hat auch Bläschen auf der Lippe,
gelben Hautausschlag, und dann:
Es riecht so aus dem Maul, hat Haarausfall,
es grunzt verrückt, es hat wohl einen Knall.

Ich mische Antibiotika ins Fressen,
das macht gesund und auch steril.
Das ist das Ziel!
Ansonsten müsste ich mein Schwein vergessen.

Man könnt es nur noch exportieren
und zur Mortadella feinpürieren.

Gedichte mit Städtenamen: Georg Krakl - Bremerhaven (2010)


In Bremerhaven
hab ich das Thema verschlafen.
Du, sprach es zu mir, die Stadt hat gar kein Thema.
Dann, sagt' ich, war's wohl das Schema.
Du meinst Silhouette, vielleicht Panorama?
Die Aura oder den Heiligenschein?
Die Stadt hat Substanz, ist alles nur Sein!

Mag alles so sein, wie du sagst, sprach ich traurig,
ich hab es verpennt,
aber in mir, du fühlst es, es brennt!
Bremen, das gierige Bremen,
das sollt ich zu allererst nehmen.

Und dann Bremerhaven,
wo Menschen die eigenen Themen verschlafen.

Im großen Auto hinter Fredo

Fredo ist speziell. Man sollte morgens, wenn man das selbe Ziel wie Fredo hat, viel früher losfahren, gesetzt, man hat Kenntnis von Fredos Abfahrtszeit. Fredo bei unsicheren Witterungsverhältnissen ist noch spezieller. Im Auto hinter Fredo wird man verrückt, wenn es eventuell Eis auf der Straße geben könnte. Hier wünscht sich der Hinterfredofahrende einen Konjunktiv III, der auch die Unwahrscheinlichkeit mit umfasst und eine Möglichkeit von 3% ausdrückt. 3% Eis auf der Straße, heißt im Umkehrschluss: 97 % freie Straße, freie Fahrt, normale Geschwindigkeit.
Fredo hat ESP im Auto. Sein ESP hat aufgeleuchtet. Fredo fährt nach Vorschrift: Wenn sein ESP aufleuchtet, fährt er langsam, damit sein Wagen nicht kaputt geht. ESP könnte heißen: Etwas schleimiges Profil, deshalb Rutschgefahr!
Fredo fährt sofort 25 km/h, da wo 100 erlaubt sind. Hinter Fredo hat sich bereits ein Stau von 30 Autos gebildet. Fredo ist froh, der erste Wagen zu sein. Hinter Fredo drohen die Fahrer: Wenn der aussteigt, dann hau ich ihm in die Fresse! Die Aggressionen sind gestaut. Blöder Sack, die Straße ist frei, die Sicht ist gut, nichts vor ihm, warum fährt der 24km/h? Fredo variiert die Geschwindigkeit. Er fährt 28, dann 24, in einer geschlossenen Ortschaft beschleunigt er auf 30 km/h.
Ich fahre hinter Fredo; mein Auto ist groß, Fredos ist klein und metallicblau. Ist es die Farbe, die mich aggressiv macht? Ich werde nicht überholen, auch wenn alle hinter mir denken, dass ich der Langsamfahrer ohne Grund bin, der Staugrund, der Grund fürs Zuspätkommen, der Grund für Adrenalinausschüttung, die, wenn nicht sofort abgebaut, zu Herzinfarkten führen kann. Kuhfänger hülfen, den Kerl auf die Schüppe zu nehmen, ihn an seinen großen Ohren aus dem Wagen zu zerren. Der Indiefressehauer aus Wagen 12 steigt auch aus. Für Fredo wird die Luft knapp. Fredo, hau ab!
Fredo fährt weiter 25 km/h und wir wiederentdecken die Langsamkeit. Auch schön. Mir war nie aufgefallen, wie langweilig die Landschaft auf dem Weg zur Arbeit ist.
Fredo fährt immer noch ESP. Vielleicht heißt ESP auch extrem schleimiges Profil....

Gedichte mit fehlerhaften Reimen: Georg Krakl - Mein Ei Klaus (2010)


Mein Ei hieß KLaus
und sah sehr lustig aus.
Ich habe es geköpft,
es hat nicht mal getröpft.

Theo von Doeskopp: Mono (Neo-Dadaismus)

MONOTONIE
MONOTONIE
MONO
ONO
O NO
NO
O
O TONI
TONI
TONI
O NIE
NIE
IE
I
I
NIE
O NIE
TONI
TONI
ON NIE
O TONI
NO TONI
O NO TONI
O NOT O NIE
O NO TONI
MO NO
O NO
MONOTONIE

Missverständnisse durch fehlende Kommata


Mancher sagt: Kinderwahnsinn!
Gemeint ist aber: Kinder, Wahnsinn!

Georg Krakl: Die Katze grüßte (2010)


Es grüßte mich die Katze
Mit ihrer Tatze.
Ach nein, sie drohte.
Beim Grüßen heißt es Pfote.
Doch diese Katze winkt
Und grüßt und nickt.
Sie wedelt mit dem Schweif,
vielleicht auch Schwanz.
Am Halse trägt sie einen Reif,
vielleicht auch Kranz.
Mit Katzengliedern ist’s verzwickt,
denn sie entschied:
Der Katzenschwanz, der ist kein Glied.
Auch nicht der Kranz.
Und trotzdem bleibt die Katze ganz.

Neues aus der Meeresforschung: Fische unter sich


Fisch 1: Sag doch mal was!
Fisch 2: Ich sage nichts.
Fisch 1: Seit zwei Jahren redest du nicht mit mir!
Fisch 2: Fische sind stumm.
Fisch 1: Du meinst taub!
Fisch 2: Nein, stumm. Sie können nicht reden.
Fisch 1: Hast du es denn schon mal probiert?
Fisch 2: Nein.
Fisch 1: Na, also.
Fisch 2: Was heißt hier „Na, also“?
Fisch 1: Probier’s doch mal.
Fisch 2: Ich bin taub.
Fisch 1: Was soll das denn jetzt?
Fisch 2: Ich höre nichts.
Fisch 1: Das kann doch nicht wahr sein.
Fisch 2: Das ist, als wenn du einen Brief schreibst und ihn aber nicht lesen kannst.
Fisch 1: Wo soll ich denn jetzt Papier hernehmen?
Fisch 2: War nur ein Beispiel.
Fisch 1 (schwimmt weg): Voll Panne! Fischstäbchen! Blödes Fischstäbchen!

Sie spielen unser Lied!

Why Can't We Live Together/Timmy Thomas

Timmy Thomas, dachte Paul, was für ein bescheuerter Name, da denke ich doch an Timmy von Lassie, diesen blondgesträhnten Bubi, der mit seinem fetten Freund Porky, Schweini auf Deutsch, und seinem humpelnden Hund die Gegend unsicher machte, immer irgendwie in Not kam oder jemanden traf, der in Not geraten war, und Lassie, der treue Collie, rettete dann alle. Collie, fällt mir doch Phil Collie ein, der nervige Fiestler, two sides of the story, jawoll, Trennungsgesülze, da nimmt der eine ganze CD auf, nur um seine Scheidung von wem auch immer zu rechtfertigen. Verarbeiten, nennen das dann die Promoter. Timmy Thomas, ich hasse dich, und dein Stück, unser Stück, Baby, sie spielen unser Stück!, ich ruf dich immer an, wenn’s im Radio gespielt wird, eigentlich bringt das kein Sender mehr, wegen der veralteten Hammondorgel, auch wenn die bei Retrotypen wieder hip ist, damals war das der Brüller, du hast mich immer angepestet wegen dieser Bikinifrau, die auf dem Schirm herumwackelte, tanzte, zuckte, ob ich auf die wohl stehen würde, bist bescheuert, habe ich immer gekontert, die doch nicht, das hat dich nicht beruhigt, wenn nicht die, dann wohl eine andere, danach rollte die große Scheidungswelle an, wir mittendrin, ist wohl jetzt in, ist modern, da muss man mitmachen, wir mittendrin in dieser Welle, und zack!, waren wir geschieden, unser Lied hatte klar formuliert: We can’t live together! Timmy Thomas dudelte auf seinen Tasten herum und Lassie rettete die Welt, nur wir waren nicht zu retten, oder wollten uns nicht retten lassen, ich hab gelacht, als Timmy in die Schweinkuhle gefallen war und Lassie stand bellend davor, während Porky und sein humpelnder Hund hilflos mit dem Kopf wackelten. Und wir mittendrin. Schweinegut, oder besser: Saudumm.
Paul drückt noch einmal den Wiedergabeknopf und die Hammondorgel begann ihr weinerliches Pfffftesrrrrrrrrrrt.

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Gewaltverbrechen nur schwer aufzuklären


In lang anhaltenden Kälteperioden mit Schneefall sind Gewaltdelikte nur schwer zu kaschieren. Blut auf dem weißen Untergrund löst im Menschen
archaische Empfindungen aus, nicht zuletzt werden
hier Verlust der Unschuld und Erbsünde assoziiert.
Die Aufklärungsquote von Verbrechen mit Blutfluss ist allerdings weiterhin gering, obwohl sich mit der ausgelegten DNS ein wichtiges Beweismittel anbietet. Allerdings wird allein dadurch nicht klar, ob das Blut vom Täter oder vom Opfer stammt, bzw. von einer ganz anderen Person oder gar einem Tier. Wenn sich gar kein Verbrechen ereignet hat, wird die Ermittlungsarbeit der Polizei unheimlich schwer. Um dem Ganzen doch noch einen Sinn zu geben, könnte man aus diesem Ansatz einen Tatort drehen, oder, vielleicht interessanter, eine Dokumentation über den Regelvollzug in deutschen Strafanstalten.

Pawel Pikass: Weiblicher Akt aus Klötzchen mit weißer Mütze (2010)


Für den Heimwerker stellt das Bild von Pikass eine schöne Vorlage fürs Badezimmer dar. Einfach Fliesen in elf oder zwölf verschiedenen, möglichst rötlichen Tönen, kaufen und an die Wand kleben. Wer hat schon ein Kunstwerk mit diesem Inhalt über der Badewanne?

Der ganzheitlich orientierte Mensch geht einfach ein paar Meter zurück und wird feststellen, dass das Hirn selbstständig ein Bild erzeugt, das dem weiblichen Akt mit weißer Mütze ähnelt; allerdings fehlen einige primäre Bestandteile. Wie weit wir uns täuschen lassen, zeigt die Tatsache, dass in Wirklichkeit die Farbsilhouette einer Rotbuche aufgelöst wurde. Beweis dafür, dass die Grundthemen der Menschheit, Sex und Verdauung, hier mal wieder- wahrnehmungs- und damit auch lebenslenkend waren.

Georg Krakl: Mein Ei (2010)




Mein Ei ist leergegessen,
es sieht so traurig aus.
Ich hab davor gesessen,
und wusst nicht ein noch aus.
Ich steckt ihm Käserinde durch die Schale,
da sah's gleich besser aus.
Ich schmierte Butter an den Rand
und streute feinen Vogelsand.
Doch wenn ich ehrlich bin,
ist's mit der Fröhlichkeit
und auch dem Gutaussehen
nicht weit hin.
Denn daran krankt die Zeit,
dass wir nur nach dem Äuß'ren gehen.
Das muss man erst einmal verstehen.

Verirrte Menschen - Verwirrte Menschen


Der Krieg musste zu Ende sein. Kalle drehte die Dose Bohnen hin und her. Wie viele Jahre hatte er es nicht gewagt, aus dem Bunker hinauszutreten. Einem Bunker, der nicht aussah wie ein Bunker. Spitz und lang wie eine Zigarre. Ein Phallussymbol, das den Feind abschrecken sollte, das zeigen sollte, wer hier den Hammer hatte, wer die Macht besaß, wer kämpfen würde bis zum Ende.
Überall Häuser und Hallen, dachte Kalle, und rieb sein bleiches Kinn. Frische Luft, dachte er weiter, das war etwas anderes als die stickige Bunkeratmosphäre. Der Krieg musste zu Ende sein. Der Bunker hatte abgeschreckt, denn sonst wären hier nicht Halle um Halle, Haus um Haus gewachsen. Die Dose Bohne blieb zu. Manchmal hätte er sich einen Treffer gewünscht. Vielleicht wäre die Bohnendose aufgeplatzt, er hätte endlich etwas auslöffeln können. Andererseits hätte ihm auch etwas passieren können. Höchstwahrscheinlich sogar. Bohnen schmecken nicht, wenn der Unterkiefer zerschmettert ist. Egal. Es war wohl Frieden. Welch komisches Wort. Kalle holte aus und warf die Dose mit aller Kraft vor die Betonwand. Zerbeult lag sie am Boden, aber immer noch geschlossen.

Winfried Hackeböller: Beruhigungssauger vor Rostrot (2009)

Erziehungsmethoden im Wandel


Bobbi hat mal wieder bei Tisch randaliert, und das, obwohl Tante Trude da war, oder wahrscheinlicher: weil Tante Trude da war. Einem Zappelphilipp wurde früher die Finger gestutzt, um ihm ein für allemal beizubiegen, wer das Sagen hatte. In erfolglosen liberalen Phasen versuchte man mit antiautoritären Mitteln das Kind in die richtige Richtung (Ich mache was ich will und nenne das Selbstverwirklichung) zu beten, was aber letztlich nur Loser und Depressive erzeugte, denen man bescheinigte, sie hätten keinen Herrn und keinen Hirten.
Mit der Erfindung des Nutellabrotes änderte sich einiges: Erstmals treten hyperaktive Kinder auf den Plan, einige zusätzlich mit einem Aufmerksamkeitsdefizityndrom ausgestattet. Die Wörter konnten sie nicht schreiben, aber aussprechen, immer dann nämlich, wenn ihr Verhalten abweichlerisch war, wenn sie die Mitmenschen mit ihrem unkontrollierten Getue an den Rand der Weißglut brachten. „Das habe ich auch schriftlich!“, warfen sie in das aufgeregte Gemurmel der Bevölkerung ein, die gerade einen Masterplan zur finalen Lösung des Problems aufstellte. Sie hatten es immer schriftlich, damals Legasthenie, heute Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom. Das hatte dann der Arzt geschrieben, denn auch Mutter war überfordert mit dieser Krankheit.
Die Geduld der betroffenen Eltern ist auf eine harte Probe gestellt worden; mittlerweile sind die meisten durchgefallen. Andere Maßnahmen mussten her: Individuelle Förderung. Nicht mehr dieses „Dafür müssen Sie Verständnis haben, er kann ja nichts dafür.“
Lernen in idyllischer Abgeschiedenheit, Lernen bei unterschiedlichen Außentemperaturen, Lernen an frischer Luft. Früher hieß das: „Den habe ich erst mal rausgeschmissen!“ Heute umschreibt man eher mit: „ Geh du mal nach draußen in deinen stillen Stuhl. Wenn du deinen Mund hältst und keinen Unsinn veranstaltest, darfst du dir eine Jacke, eine Mütze und ein Nutellabrot mitnehmen.“
Solange man den Zögling nicht hereinholt, funktioniert das.
Aber - es ist ein Anfang. Erziehung war immer ein Abbild der Gesellschaft. Und Bobbi kann wirklich nichts dafür.

Karl-Friedrich "Khalef" Motzke: Aus meinem Campingtagebuch - 8/ Menschen auf dem Platz

Der Hundebesitzer ist froh, ein Wesen zu haben, das ihm gelegentlich gehorcht und das sich freut, wenn er zur Tür herein- oder heraus kommt. Der Rülpser will sagen: Ich kann auch anders! Ich kann’s auch hinten rauslassen! Oder: Hallo, hier bin ich! Habt ihr mich übersehen oder vergessen? Ich bin da! Ich grüße euch. Mein stilles Nabend ist zu unbedeutend. Ich mache euch aufmerksam. Also. Der Angler will nicht angesprochen werden, denn das vertreibt die Fische, die nicht an den Haken gehen werden. Der Angler ist der, der noch hoffen kann. Er hofft, dass eines Tages ein Fisch an seiner Angel hängt, der eine kleine Familie oder wenigstens ihn selbst satt macht. Bis dahin will er kontemplieren; abspannen; seine Ruhe.
Der englische Patient liest unter Neonlampe mit glasbausteiniger Brille. Er hat seine Blumenkübel im Wohnwagen mitgebracht. Er wird bleich bleiben, weil er nicht aufschaut, um die Sonne zu betrachten. Er kann überall lesen, da, wo seine Neonlampe ist. Die Welt um ihn herum ist unwichtig geworden. Das ist Teil des Urlaubs, Teil seiner Entspannung. Er will einfach nur im Freien unter einer Neonlampe lesen, weil er das zu Hause nicht kann. Dort regnet es den ganzen Tag.

Georg Krakl: Valjum (2010)


Das Frühstück gegessen,
die Nerven nicht blank;
es gibt nichts zu stressen,
der Valjum sei Dank.

Kurts Geschichten:Schneebälle


Klausi hatte sich vorbereitet. Torsten würde ihm nicht davonkommen. Der Schneeball vorgestern hatte Klausi am Kopf getroffen. Ein nasser, feuchter, schwerer Ball war auf seiner Stirn zerplatzt. Es war gar nicht der Schmerz, sondern die Demütigung, die Niederlage gewesen, die ihn unruhig hatte schlafen lassen. Mit dieser Schneeballformmaschine von Onkel Joe aus Amerika hatte er die Zukunftstechnologie unter dem Weihnachtsbaum hergeholt und in den Kampf geführt. In den Straßenkampf gegen Torsten, der in jedem Jahr aufs Neue losbrach. Klausi mochte Onkel Joe nicht besonders, aber das Weihnachtsgeschenkt in diesem Jahr war ein echter Kracher gewesen. Auf so etwas konnten nur Amerikaner kommen, diese Erfinder von Kaugummi, Mickey Mouse und Neutronenbomben.
112 Bälle hatte er gestern Abend geformt, so als ob man in der Eisdiele Kugeln für die Waffeln formt, Schoko, Banane, Vanille. Über Nacht waren sie hart wie Stahlkugeln gefroren. Diesen Geschossen würde Torstens weiche Birne nicht standhalten. Die Zeit war gekommen, den ewig währenden Kampf zu entscheiden. Und überhaupt, was bildete sich Torsten eigentlich ein? Man warf nicht ins Gesicht, man warf keine schweren Matschkugeln, man traf nicht am Kopf. Torsten hatte alle Gesetze außer Kraft gesetzt. Genfer Konvention, das war doch gelacht. Es war Zeit, unkonventionell zu werden. Dem Gegner klar zu machen, dass er sich zu weit nach vorn gewagt hatte.
Klausi spürte ein warmes Brennen an der Stirn, das der Treffer nicht verursachen konnte. Die Schmach war in seine Seele gebrannt wie mit einem Brandeisen. Sollte er sich aus dem Haus wagen!
Möglichst vor dem nächsten Tauwetter.
Klausi blies in die kalten Hände und zählte noch einmal seinen Vorrat an knallharten Schneebällen. Einhundertundzwölf. Da sollte wohl ein schöner Kopftreffer dabei sein. Und diesmal würde der Schneeball nicht zerplatzen. Nicht der Schneeball.

Kurts Geschichten: Bettelbarbie


Bettelbarbie saß am Straßenrand und schaute die Menschen mit ihren großen blauen Augen an. Niemand nahm Notiz von ihr und sie wunderte sich anfangs, um dann später in eine tiefe Depression zu versinken, was auch immer das sein mochte. Wie herzlos die Menschen doch waren. Sie, die Schöne, die die Welt mit ihrem Dasein beglückte, die von allem Hässlichen ablenkte, die die Sonne an einem Regentag war, wurde ignoriert. Sie schob sich die weißen Strümpfe auf die Schuhe hinunter und nahm ihre rosafarbene Fotokamera hervor, weil sie arme Kinder fotografieren wollte, die vorbeikommen würden und ihr kein Geld in den Schoß legten, weil sie keines hatten. Sie würde ein Foto machen und milde lächeln, so als müsste sie ihnen verzeihen, dass sie keine milde Gabe für ein bedürftiges Blondlöckchen hatten. Das Foto würde sie zu Hause in dem alten Fotolabor entwickeln, das Ken nicht mitgenommen hatte, als er ausgezogen war. Dann würde sie die Fotos vergrößern und Schwarzweißabzüge davon machen und den Kindern schenken. Die aber waren dann schon weg, wenn sie überhaupt vorbeigekommen wären. Bettelbarbie schwirrte der Kopf. So viele Hauptwörter, die aus mehreren Teilen bestanden, so viele unterschiedliche Orte, und dann die vielen Kinder. Das machte sie ganz wuschig. Ken konnte ihr obendrein gestohlen bleiben. Und das Fotolabor konnte er sich in die Haare schmieren, wenn das überhaupt möglich wäre. Heute gab es ja schon Kameras, auf denen man die Bilder sofort wieder löschen konnte, und das wäre sowieso einfacher. Arme Kinder fotografieren und dann wieder löschen, weil man nicht hinter ihnen rumlaufen konnte. Sie waren doch immer so unstet. Erst mal mussten die armen Kinder kommen. Nicht mal die armen Erwachsenen blieben stehen. Ob das an ihrem Parfüm lag? Oder am Make up? Bettelbarbie fror an den Beinen und beschloss, die Strümpfe wieder hochzuziehen und vielleicht noch mal nach einem neuen Top für den Frühling zu gucken. Bettelbarbie, was sollte das denn sein? Sie hatte nicht eine müde Mark erbettelt.

Zeichen der Zeit: Offene Schubladen

Jeder wird sich fragen: Was kann daran schlimm sein, dass Schubladen offen stehen? Eigentlich wohl nichts. Oberflächlich betrachtet. Aber die Vorstellung – angenommen du liebst es, dass Schubladen geschlossen sind – mit einem Menschen die Wohnung zu teilen, im Extremfall sogar verheiratet zu sein, der Schubladen, nachdem er sie geöffnet und das Gesuchte oder Gebrauchte entnommen hat, diese nicht schließt, d.h. schon schließt, aber eben nicht ganz, sagen wir, 3cm ragt die Lade noch aus dem Schrank heraus, die Vorstellung also kann belastend sein; vielleicht treibt sie keinen Nachtschweiß wie nach Albträumen hervor, aber sie kann für unruhigen Schlaf sorgen.
Dass jemand Schubladen, die in der Basisposition geschlossen sind, zwar bedarfsgerecht öffnen kann, dann aber nicht verschließt, teilt doch einiges über die Persönlichkeitsstruktur mit. Was ist los mit diesem Menschen?
Gehen wir erst einmal vom Normalen aus: Eine Schublade ist verschlossen, um das Eingelagerte vor Staub zu schützen und um durch Öffnen schnellen Zugriff auf Gesuchtes zu ermöglichen, das in einer thematisch zugeordneten Lade Platz gefunden hat. Besteck findet man in der Besteckschublade. Gummibänder hingegen in der , nennen wir sie Gerümpelschublade, den Pfannenwender in der Abteilung für Küchenwerkzeuge, Heftpflaster in der Notfallabteilung zusammen mit der Abszesssalbe, dem Leukoplast und den Fotos vom letzten Betriebsausflug. Das Schubladendenken der Menschen findet hier eine nützliche Entsprechung. Der Mensch erleichtert sein Leben durch Ordnung. Er beschäftigt sich einen guten Teil des Lebens damit, Dokumente, Andenken und Teile, von denen er nicht weiß, ob er sie einfach wegschmeißen darf, zu ordnen, um sie im Ernstfall wiederzufinden und bereit zu haben; darüber hinaus ist es gut, wenn diese Dinge vom Tisch sind, falls einmal überraschend Besuch kommt. Erklärungen, warum die Einmachhilfe auf dem Fenstersims liegt, sind dann nicht nötig, und der Haushalt macht immer einen aufgeräumten Eindruck. Die geschlossene Schublade ist Ausdruck des entwickelten, selbständigen und selbstbewussten Menschen. Sein Leben ist geordnet; das Wesentliche ist sichtbar, das Nebensächliche in Schubladen verborgen, aber jederzeit präsentierbar. So können wir kommunizieren: Ich zeige dir, Fremder oder entfernter Bekannter, das, worauf es mir ankommt. Aber es sollen Geheimnisse bleiben, die es zu entdecken gilt. Wenn der oder die Richtige kommt, heißt es im übertragenen Sinn: Öffne meine Schubladen. Sieh, was in mir steckt. Dem Schrank werde ich ja überhaupt erst gerecht, wenn ich seine Gestalt respektiere: Diesem harmonischen Holz- und Glasquader, in dem, äußerlich auf die kleinsten Maße gebracht, so viel steckt. Wie wäre unsere Welt, wenn überall und jederzeit Schubladen und vielleicht sogar Schranktüren offen stünden. Unerträglich! Der Schrank in seiner wohlgefälligen Grundstellung vermittelt Sicherheit: Es gibt mehr, als wir sehen können. Er hat somit metaphysische Funktion, er führt uns sensibel in die Geheimnisse des Lebens; wenn denn seine Schubladen und Türen geschlossen sind.
Das akzeptieren einige Menschen nicht. Der unheile Mensch benutzt den Schrank, um sich immer wieder einer ihm adäquaten und angeratenen Therapie zu entziehen. Er benutzt ihn, um sich tagtäglich in eine Schludrigkeit zu fliehen, die ihm eines Tages fatal entgegenstürzen wird. Und damit nicht genug: Er quält und missbraucht den entwickelten Menschen.

Schaufensterpuppen können entlastend sein


Aggressive Schaufensterpuppen sind im Trend. Die Bevölkerung weiß nicht wohin mit ihrer Wut, ihrem Zorn über Bankmanager, Schurkenstaaten, die Schwarzgeld verstecken und Regierungen, die Zahnärzte und Rechtsanwälte bevorzugen, weil sie einem vietnamesisch aussehendem Deutschen ermöglichen, als Gesundheitsminister zu arbeiten. Lippen werden zerbissen, Fäuste geballt, Fingernägel in die Handflächen gebohrt, Mundwinkel nach unten gezogen, Angela!, die Stirn gekraust, die Augenlider zusammengekniffen, geknurrt, gegrunzt, geschnauft!
Und Schaufensterpuppen machen mit! Sie sind solidarisch. Nicht das Geld in der Schweiz verstecken! Ausgeben, sich entlasten, kompensieren, kanalisieren!
Frustabbau durch Einkaufen. Gönn dir eine merkwürdig-komisch karierte Jacke, eine Hose mit unpraktischen Taschen! Dann geht’s dir gleich besser. Das Geld kann dir keiner mehr nehmen, jetzt hast du einen Gegenwert, den dir auch keiner nehmen will, denn mal im Ernst: Wer will schon mit einer komisch karierten Jacke herumlaufen und einer Hose mit falsch angenähten Seitentaschen?
Nicht einmal Bankmanager, um von sich abzulenken.