Günter Krass - Erinnerungen: Hässliche Puppe

Wie hieß es früher, wenn wir Grimassen schnitten: Dein Gesicht bleibt stehen! Es muss nur noch die Stubenuhr schlagen, dann bleibst du so hässlich. Und: Dass das nicht der liebe Gott sieht! Es wurde mit dem Zeigefinger gedroht und mit Hölle, wenn es nicht fruchtete. Das mit dem lieben Gott ist bis heute ein Rätsel geblieben: Der sah doch sowieso alles, hatten wir gelernt. Heimlich schnitten wir weiter Grimassen; heute empfiehlt man das sogar, um die Muskeln im Gesicht zu lockern. Das soll bei Verkäufern vekausfördernd wirken, und wer will nicht erfolgreich in seinem Beruf sein? Hässliche Puppen wurden uns vorgezeigt und darauf hingewiesen, dass man selber eines Tages so aussehen könnte, wenn man sein Verhalten nicht änderte. Keiner wollte so aussehen wie eine hässliche Puppe, wir dachten eher an die feinen Züge eines Winnetou oder das herb-markante Gesicht von Old Shatterhand. Wir achteten deswegen lediglich darauf, dass zur vollen Stunden niemand ein dummes Gesicht machte, was denen, die sowieso eins hatten unmöglich war, und schnitten in den knapp 60 Minten zwischen den Schlägen locker unsere schiefen Gesichter. Heute wissen wir, wenn wir hässliche Menschen sehen, dass die wohl nicht auf die Zeit geachtet haben. Vielleicht ging ihre Uhr auch ganz einfach vor.

Für Freunde der Monarchie: Der Mensch braucht einen König


Soll ich dein König sein?
Eigentlich nicht.
Aber jeder Mensch braucht einen König.
Mein König heißt Fußball.
Ach so, na dann, nichts für ungut.
Passt schon. Aber Kaiser, wenn du Kaiser sein könntest…
Tut mir leid. Ich könnte nur den König geben.
Schade.
Finde ich auch.

Naturkunst: Mändi Geldwerti - Geknickter Busch

Geldwerti hat hier eine Allegorie gechaffen: Geknickter Busch. Vielschichtige Botschaft in schlichter Naturkunst untergebracht. Es ist was im Busch, denkt jeder sofort und assoziiert Blechdosen, Plastikmüll oder aufkommendes Unheil. Es ist was im Busch. Die Gedanken schweifen zu George W., in dem außer Restalkohol niemand etwas vermutet hat, zu oft nannte man ihn ein hirnloses, ferngesteuertes Monster, das willfährig den Machtgelüsten seiner Gönner entsprach. Auf den Busch klopfen, hat sich jeder damals gewünscht, wüste Bilder haben uns in den Nachrichten verschreckt, und es war nicht einmal alles, was passiert war. Das Bild vom guten Amerikaner wurde erschüttert, wir konnten nur mit drei Folgen Bonanza kompensieren, was letztlich nicht half. Auf den Busch klopfen. Häme und Hass paarten sich in uns. Das ist nicht gut. Auch ein Busch kann geknickt sein, vielleicht, weil man auf ihn gehauen hat. Goldwerti appelliert an uns, zu vergeben, zu lieben, anzunehmen. Der Wanderer, der des Weges kommt, und vielleicht unbedacht sein Wasser abschlagen will, wird zurückspringen und denken: Halt! Hier mahnt mich Kunst! Hier kann ich nicht tun, was mir der Körper vorschreibt, hier müssen Geist und Seele obsiegen, hier muss einmal klar werden, dass Menschen Fehler machen können, auch wenn das Tausende gekostet hat. Tausende Menschenleben.

Zen-Gärten für Anfänger

Wie ungemein beruhigend! Welche Kraft und innere Sammlung strahlen diese Zen-Gärten aus, die wir von Fotos oder von gepflegten deutschen Grundstücken, die für Wochenende gefegt und geharkt worden sind, her kennen. Fast sinken wir bei ihrem Anblick in eine tiefe Meditation und wir ahnen, welche Dimensionen wir betreten.
Niemand sollte sich scheuen, selbst ein Gartenbild zu gestalten, wenn er Zeit und Garten oder Sandfläche hat. Selbst auf Baustellen kann der arbeitende Mensch Zeit und Muße finden, sein Bild in den Boden zu kratzen und dem Passanten von der Schönheit seines Berufes erzählen, in dem er solches tun kann. Nicht mit den Kollegen herumstehen und rauchen. oder warten und mit dem Handy spielen, nein, der Seele etwas Gutes tun, wenn der Chef gerade weg ist und die Arbeit warten kann. Ein Zen-Bild kratzen! Mit neuer Kraft geht es dann später ans Tagewerk, und eine Schotter- oder Asphaltdecke an der Kanalpromenade strahlt praktisch von innen, weil die Menschen, die sie bauen, in sich ruhen und nicht neben sich stehen und Pause machen.

Bildungsministerium tut was für Menschen am Kanal

Laut zentralamerikanischen Untersuchungen weisen mehr Menschen, die am, auf oder im Kanal wohnen, Buchstabenergänzungsdefizite auf, als Menschen, die mit der morgendlichen Tageszeitung in den Stadt oder sogar auf dem Lande groß und auch alt werden. Dem will das Bildungsministerium entgegenwirken. Zunehmend sollen Schiffsverkehrszeichen umgewidmet werden und den Leseschwachen als Rätsel und Aufgabe dienen, Buchstaben zu ergänzen und ihre Defizite auszubügeln. Am Mittellandkanal stehen bereits einige Aufgaben; jeweils beim Hafenmeister kann das für den Kanalabschnitt bedeutsame Lösungsheft gegen eine geringe Schutzgebühr erworben werden, natürlich erst, wenn der eigene Lösungsansatz vorgelegt und vom zuständigen Sachbearbeiter geprüft worden ist. Links auf dem Foto ist ein T abgebildet, in der Teilansicht, beziehungsweise ein auf der Seite liegendes H, oder auch richtig, ein auf der Nase liegende E, ein F käme auch in Frage. Das Bildungsministerium weist die Kritik, alles sei überstürzt und unausgegoren, voller Fehler und verwirrend, weit von sich, Experten hätten schließlich alles wissenschaftlich begleitet. Ziel sei vor allem, dass die Zielgruppe jederzeit in den Sendungen "Wer wird Millionär" oder "Richterin Barbara Salesch" teilnehmen könnten.

Hermann Döns: Huhn auf dem Dach (2009)

Huhn, du frisst und pickst gern flach,
doch manches geht nur auf dem Dach.
Zum Beispiel aus der Rinne trinken,
oder von den Pfannen winken.

"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Gartenpfostenmeditation

Die Zeiten sind unruhig, die Banken crashen, die Schulden wachsen, die Manager kassieren weiter ab. Das bewegt uns, macht uns unruhig, erhöht die Hektik unseres Alltags. Wir bekommen kein Stück vom großen Kuchen ab, weil wir zu bescheiden sind. Big Jo Ackermann wird zur Schablone für die Ethik unserer Zeit; das alles muss uns fern bleiben, denn wir leben nicht in dieser Kaste. Was bleibt uns, den Leuten mit dem kleinen Geldbeutel, denen keine Yacht gehört, die nicht von Angela Merkel eingeladen werden und noch dreißig weitere Gäste mitbringen dürfen? Wir können zur Ruhe kommen, können uns monoton vorsprechen, alles sei gleichgültig, im Sinne von gleich gültig, und nichts könne uns tangieren, weil wir in uns selbst ruhten. Die Bilder von großen Villen, fetten Autos, mächtigen Motorbooten und Shopping-Tours nach New York ziehen vorüber, wir halten sie nicht fest. Sie bedeuten uns nichts. Wir wenden unseren Blick nach unten und entdecken die drei Gartenpfähle, die zusammenstehen, wie eine Gruppe, wie Freunde, wie Menschen, die füreinander da sind. Wir halten unseren Blick und nehmen auf, was uns gegeben wird: Die Dreisamkeit, das Dreisein, das gleich nach dem Zweisein und dem Einssein kommt. Das Dreisein als Vorstufe für den Weg in die Erlösung, Einssein mit dem Universum. Dreisein ist wie Dabeisein. Wir werden ins Glück gehen, der mammonabhängige Broker landet in der Qual des inneren Feuers, das ihn verzehrt; da kann er noch so lange auf dem Dickschiff in der Sonne brutzeln und Schampus schlürfen. Wir spüren, wie die drei Gartenpfähle das Üble in uns lösen, es abschälen, dass es ausgeschwemmt werden kann und uns frei macht für das Gute. Ein gutes Gefühl steigt in uns hoch, wir ahnen, dass wir auf der richtigen Seite sind, wir haben vielleicht nicht so viel Spaß, aber wir haben die Moral, wir werden schließlich sagen können: WIR haben es immer gesagt. Was auch immer.
Langsam lösen wir uns von dem Bild der drei Gartenpfähle und kommen zurück in die Wirklichtkeit. Die Staatsverschuldung ist in der Zwischenzeit um 103 000 Euro gestiegen.
Vielleicht bleiben vom Kuchen doch ein paar Krümeln übrig, nur so für den Geschmack.

WinFried Hackeböller/Georg Krakl: Rostiges Rohr (2009)


Rostiges Rohr
schaust keck
aus dem Unterholz hervor
liegst im Dreck
und bist doch froh
dass die Welt nicht nur aus Eisen ist
es gibt auch Gras und Stroh
und Dinge, die man gern vergisst

Das Auge trinkt mit

Fürst Uranov steht auf der Flasche, Wodka ist ihr Inhalt gewesen; das Auge registriert und leitet ans Hirn weiter und das rastert mal schnell durch die Palette der Vorurteile und denkt sofort: Russenfrühstück! Traurig diese Stigmatisierung der vorwiegend russisch sprechenden Deutschen mit Migrationshintergrund. Hier hätte auch ein Berufsschüler oder ein mittelloser Enddreißiger mit Freude an frischer Luft und grobem Rindenmulch sitzen können; das ist dem Hirn aber zu differenziert.
Gut: Wodka und Uranov, das lässt natürlich sofort an den Osten denken, Tschernobyl fällt dazu ein, Uran als Brennstoff in einem maroden Atommeiler, in dem die Mitarbeiter wahrscheinlich aus der Flasche gefrühstückt hatten und nicht rechtzeitig den roten Knopf zum Runterfahren der Anlage drücken konnten. Vielleicht war auch gerade Fußballweltmeisterschaft, und da wird auch mal Fernsehen geguckt, besonders, wenn eine östliche Mannschaft mitspielt und eventuell ein Tor geschossen hat. Fürst Uranov - Das lässt an die alte Zarenzeit denken, als es noch kein Uran gab, bzw. keiner wusste, was man damit anfangen konnte. Mit der Oktoberrevolution kam dann auch der sogenannte Fortschritt und 4o Jahre später baute man lustig Atomkraftwerke, die ganz Europa gefährdeten.
Lecker wird dieser Wodka nicht schmecken, denkt das Hirn, neben dem radioaktiven Material assoziiert das Hirn noch den Namen Urinov, der für den gelben Körpersaft steht, den Carmen Thomas damals im Ü-Wagen hochhielt und postulierte, dass er für allerlei gesunde Dinge einsetzbar sei. Schmeckt trotzdem nicht, denkt das Gehirn weiter, und bleibt dabei: Russenfrühstück!

Historische Missverständnisse


Olli Khan, Nachfolger des großen Dschinghis in achter Generation, spricht zu seinen Vasallen und sorgt dafür, dass die Welt bald überbevölkert sein wird.

Gedichte mit überlangen Zeilen

Georg Krakl - Hohes C
Der Sopranistin trat der Bariton einst auf den Fuß. Das tat wohl weh.
Doch endlich sang sie bis zum hohen Zeh.

Wenn Farben sprechen könnten...


Holzhackschnitzel

Auf dem Programm stand: Bootsfahrt mit Animation und Verpflegung. Unter anderem sollte es Holzhackschnitzel geben. Mit Pommes frites und Erbensengemüse, wahrscheinlich, wenn man es genau überlegt. Was sonst sollte man den Holzhackschnitzeln beigeben?
Dann: Papenburg 09, Bootsfahrt durch den Industriehafen.
Entäuschung. Holzhackschnitzel sind nicht aufbereitete Klöpse, die dem Vegetarier munden sollen (aus reinen, unvergorenen Holzhacken), paniert und dann in der Pfanne irgendwie fritiert, wenn das denn geht, sondern es sind zerschredderte Holzteile von gefällten, gerodeten, umgefahrenen Bäumen, die zum Verbrennen noch zu feucht sind und auf den Abtransport nach China warten, um dort als Hundeschaschlik oder Doggyburger verkauft zu werden. Holzhackschnitzel - ein schönes Wort; seine Bedeutung aber ist profan.

Sexiest Man in politics - Warum nicht du?


Bodosweltservice bietet: Die Wirtschaftsministermaske zum Selberbasteln. Eine führende Frauenzeitschrift hat ihre entsprechenden Leserinnen gefragt. Der Graf mit seinen gegelten Haaren und dem durchsanierten Gebiss ist der Politiker mit dem größten Sexappeal. Warum zurückstehen? Mit der hier angebotenen Maske ist es möglich in allen Sektoren, die von der Witschaft tangiert werden, der umlagerte Womanizer zu werden. Und welchen Bereich berührt die Wirtschaft nicht? Mit dieser Maske ist es sogar möglich, die eigene Arbeit von anderen erledigen zu lassen und das noch mit Steuergeldern zu finanzieren. Very Gutt!

Mit dem überlangen Buli in der Stadt

Ein richtiger Landmann ist er nie gewesen, auch wenn er vor vielen Jahren auf dem Dorfe geboren wurde. Bodo ist eine Hausgeburt und wohnt jetzt zum dritten Mal in der Stadt. Ob er dahin gehört oder doch aufs Land, weiß er nicht so genau. Immer wenn er einen wohnungsnahen Parkplatz sucht, wünscht er sich auf den großen gepflasterten Hof von Frizz zurück, dahin, wo er direkt vor der Haustür parken kann. Tür auf und schon steht Bodo vor der Haustür.
Das ist jetzt anders. Er ist bereits die Straße einmal abgefahren, erfolglos wie häufig und hat sich in die Seitenstraße gequetscht, da wo auf beiden Seiten geparkt wird und wo ihm lieber kein anderes Fahrzeug entgegenkommen sollte. Er schließt dann beide Augen und hofft auf die wuchtige Erscheinung seines California Clubs mit Überlänge, die den Gegner zum Verharren hinter einem geparkten PKW oder in einer anders gearteten Lücke, wie etwa einer Garageneinfahrt zwingt. Ein Buli mit Überlänge ist Macht in der Stadt. Auf dem Lande belächelt der Treckerfahrer, der auf das bemooste Dach in 2 Meter siebzig Höhe blickt, ein derartiges Gefährt und gibt Gas, um zeigen, dass auch Trecker Tempo 80 in einer Ortschaft fahren können.

Überlänge! Wie kann man in der Stadt einen Buli mit Überlänge fahren? Ein normal langes Auto ist ja schon schwierig unterzubringen. Wenn dann Parklücken frei geworden sind, so meistens durch Autos, die die Parklücke sowohl längs als auch quer benutzen konnten. Lächerlich, diese Blechwürfel, vor denen man steht und nicht weiß, wo man einsteigen muss. Trotzdem: Das Problem der Überlänge bleibt. Es ist hart, um freie Plätze zu wissen, aber nicht hineinzukönnen. Wegen Überlänge. Dabei verknüpft man diese Eigenschaft doch in anderen Bereichen mit Positivem. Die Anfangszeiten eines Filmes mit Überlänge werden sogar extra geändert. Beim Parken ist Überlänge von Nachteil. Bodo nimmt Maß, er ist neben eine Lücke gefahren, die aussieht als könne sie den Buli aufnehmen, könnte knapp werden, aber mit etwas fahrerischem Geschick, das Bodo je nach Tagesform besitzt, wäre es möglich, den stattlichen Wagen dort abzustellen. Bevor Bodo nach vorn setzt, um Maß und Anlauf zu nehmen, entdeckt er die abgesenkte Bordsteinkante und ein kleines, verwittertes Schild: Einfahrt freihalten! und wünscht sich zähneknirschend eines dieser Automobile, die gerade das doppelte Volumen seines Körperinhaltes umfassen, in denen man keine Suppe kochen kann, in denen keine Kaltgetränke gelagert werden können, in denen ein Sakko nicht knitterfrei und mottensicher jahrelang aufbewahrt werden kann, in denen man nicht in Höckergrabstellung sein Butterbrot essen muss und auch nicht bei jeder Bodenwelle das Dachblech ausbeult, aber in denen man in diese, ganz speziell diese Parklücke passt.
Bodo gibt Gas und sucht weiter. Manchmal ist ihm das Glück hold, und ein genervter Konsument hat seinen Stadtbummel beendet und sucht nun das heimische Weite auf dem Lande. Je nach Wagentyp kann er dann dessen Parklücke übernehmen. Aber eben nur manchmal: Der Autofahrer hat längst seine Vorliebe für diese herrlichen, dekadenten amerikanischen Straßenkreuzer aufgegeben, sich am kurzen Kleinwagen orientiert und arbeitet nun in immer kürzer werdenden Fahrzeugen, die aber mit jedem Jahr an Höhe zunehmen. Autos, deren Höhe die Länge fast übersteigt, in die man fast aufrecht stehend einsteigen kann. In denen man als Fahrer fast einen Stehplatz hat! Wie schön die Zeit der Straßenkreuzer, die in ihrer Länge etwa der des Bodoschen Bullis entsprachen. Da war es noch ein Vergnügen, eine freigewordenen Parkstelle, zu okkupieren, zu besetzen, zu bestellen. Da hätte Bodo sich breit machen können, lang machen können. Jetzt nutzt auch Zusammenkauern nichts, der Bulli blieb groß und überlang.

Franc Marz: Gartenschmuck in Tecklenburg

Der Gartenfreund macht sich Mühe, er dekoriert das Blühende und Grünende mit allerlei Schnickskram, von dem ganze Insdustriezweige und Handwerksgilden leben, damit dem Auge nicht vorborgen bleibt, dass Menschen diese Fläche verwalten und gestalten. Gartenobjekte als persönliche Note, oder, wenn besonders hässlich, als persönlicher, künstlerischer Ausdruck, den man bei der VHS in einem Töpferkurs entwickeln konnte. Nun kommt so ein Künstler daher, Franc Marz, der von der Namensähnlichkeit mit Franz Marc profitieren will, und macht dieses Naturrecht des schlichten Menschen, der sich als soziales Wesen in die Gemeinschaft, etwa der Kleingärtner gefügt hat, zunichte, er stellt es nicht einmal in Frage, nein, er macht es kaputt, zerstört es, indem er schwarze und weiße Krakel über ein schönes Foto zieht, Flächen einfach überpinselt, natürlich mit dem digitalen Gerät, damit es nicht kleckst und er alles wieder rückgängig machen kann, und glaubt, er könne damit Geld verdienen; denn das ist doch die Absicht jeder schlechten Kunst: Geld, Geld, Geld. Schnöder Mammon diktiert hier bildhafte Pamphlete in die zittrige Hand des Malers, oder wie man diesen Zeitgenossen bezeichnen will. Es bleibt nur das einfache Urteil: Ätzend.

f. GERD: Weißes Kreuz


Kommunalwahl in NRW - Miese Touren

Gurke ist grün und möchte Bürgermeister werden. Tomate, seit einiger Zeit rot, diffamiert Gurke, sie sei in Wirklichkeit Zucchino (ein Mann) und käme aus Italien, dürfe also gar nicht gewählt werden, weil die meisten Menschen den Namen weder aussprechen (Zutschino) noch schreiben (Zuckino) könnten. Gurke sei wohl ein guter deutscher Name, aber Tomate habe das Zeug zum Bürgermeister, denn sie sei rot. Schwarzwurzel (nicht im Bild) mischt sich ein und lässt die BLIND-Zeitung schreiben, dass Tomate rassistische Züge habe, sie selbst aber ganz gut mit Kartoffel könne, weil es blaugelbes Gemüse nicht gebe. Kartoffel sei braun, aber die könne man schnell weichkochen und Brei draus machen.
Deutlich wird mal wieder: Im Wahlkampf läuft inhaltlich gar nichts, es wird polemisiert, diffamiert und undifferenziert. Traurige Weisheit, aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte gepresst.

f.GERD: Rotes Kreuz 2

Das ist doch Malen ohne Zahlen. Da kann doch der Hobbykleckser auf der Staffelei weniger Unheil anrichten, als GERD mit seinem sogenannten roten Kreuz 2! Einmal mit dem Spachtel über die Platte geputzt und schon hat man ein gesellschaftskritisches Gemälde, mit dem man eine Weltreise finanzieren könnte. Das ist Verhohnepiepelung des Publikums, die teure Ausstellungen besuchen und dann nicht mal kostenlos fotografieren dürfen. Ein Kreuz sieht doch wohl anders aus, oder? Minimalismus schön und gut, da freut man sich, wenn Überladenes und Überflüssiges wegfallen, aber das Wesentliche muss doch wohl da sein. Gesellschaftskritik? Nur, weil das Rote Kreuz seine Altkleidersammlungen als wohltätig deklariert, die aber nicht selber sortiert und an die Bedürftigen ausgibt, sondern sie in dicke Ballen presst und in Drittweltländer verscherbelt, wo sie auf den Märkten für richtiges Geld an die Einheimischen verkauft werden? Das sichert doch Arbeitsplätze im Verkaufsbereich, auch wenn die heimische Produktion dadurch behindert wird.
Und dass Geld gemacht wird mit Blut, das der Bürger kostenlos spendet? Es gibt doch immer auch einen Imbiss, früher gab's sogar ein Schnäpschen. Denn: Auch das Rote Kreuz muss irgendwie über die Runden kommen, und dazu braucht es Geld. Da sollte sich mancher Künstler wirklich zurücknehmen. Den Kunstkennern kann man aber solch dilettantischem Geschmiere und solch inhaltsleerer Kritik nicht kommen.
Hier kann man Rotes Kreuz 1 sehen: Rotes Kreuz 1

Mehr von f.GERD: Gerdwin Kunstraum

Günter Krass: Erinnerungen - Verliebt in Fräulein Megis

Als Fräulein Megis den Raum betrat, war es um uns geschehen. Wir waren Drittklässler und schauten meistens gelangweilt auf den Tisch. Als Fräulein Megis vor uns stand, blickten wir auf und verliebten uns sofort. Kollektiv. Die Jungen. Die Mädchen wollten Fräulein Megis zu ihrer besten Freundin haben. Sie roch gut, sie hatte ein Strahlen in den Augen, sprach mit sanfter Stimme und lächelte so warm, dass uns das harte Eis aus der Milchhalle von Lükings in Sekunden geschmolzen wäre. Fräulein Megis aber liebte mich, nur mich, nicht die anderen, sie sah mich an und lächelte, und ich wusste, ich war ihre Wahl. Wenn sie mit den anderen sprach und diese anblickte, tat sie das nur, um nicht zu zeigen, dass sie mich liebte. Mich. Günter. Fräulein Megis schenkte uns allen ein Buch und wir durften es einer nach dem anderen lesen; als ich an der Reihe war, las ich es langsam und genussvoll. Ich roch an dem Buch, aber es duftete nicht nach Fräulein Megis. Es roch nach Schüler und Papier, ein Hauch von Zigarettenqualm haftete ihm an. Jürgens Eltern rauchten, er hatte das Buch vor mir gehabt.
Fräulein Megis war wie ein schönes Lied, wie eine Wolke, so leicht, so beschwingt, so sanft. Sie war bestimmt 15 Jahre älter als ich; aber sie würde warten, bis ich sie heiraten konnte. Fräulein Megis würde nicht altern, sie würde auch warten; Fräulein Megis war zeitlos, sie war ewig. Ich wusste wir waren für einander bestimmt.
Eines Tages verabschiedete sich Fräulein Megis von uns. Sie sagte, sie habe ihre Ausbildung beendet und schenkte uns ein weiteres Buch. Ich war starr vor Schreck. Wir waren seelenverwandt, wir waren füreinander bestimmt, und sie ging. Das war unmöglich! Es war möglich.
Ich merkte, dass auch die anderen trauerten; ein kollektiver Liebeskummer erfüllte den Raum.
Am nächsten Tag übernahm wieder unser alter Klassenlehrer Haddenhus den Unterricht; der roch relativ gut nach Rasierwasser, aber ihm fehlte die Ausstrahlung, dass man ihn für einen Seelenverwandten halten konnte.
Ich las das geschenkte Buch nicht, das war wohl etwas für Kinder. Ich aber war an dem Tag, als Fräulein Megis sich verabschiedete, erwachsen geworden und nahm mir den "Lederstrumpf" vor.

Wir wollen noch nach Köln


Georg Krakl - Köln (Alberne Gedichte mit mehreren Ös und Ungereimtheiten, Köln 2009)
Wir wollen noch nach Köln
und da zwei Kölsch bestöln.
Was soll man sonst in Köln,
wenn nicht zwei Kölsch bestöln?
Ach, drei bestöln? Dann lieber zwölf.
In drei ist doch kein ö...

Günter Krass - Erinnerungen: Mein Nyltesthemd

Ich hatte mich immer gegen Nyltesthemden gewehrt, aber sie waren Revolution; die Hausfrauen jubelten: Einmal durchs Wasser ziehen und schon sauber! Auf die Leine gehängt, glatt ohne zu bügeln. Plötzlich hatten Hausfrauen Zeit und fingen an, über eine eigene Berufstätigkeit nachzudenken, damit sie endlich eigenes Geld zum Shoppen hatten. Das Wort Emanzipation kannte man in diesem Milieu nicht, erst Alice Schwarzer brachte es in ihrer herben, unweiblichen Art in die Haushalte, weil man sie in brave Talkshows eingeladen hatte. Das war aber viel später. Vorerst löste das Nyltesthemd ein diffuses Gefühl nach Freiheit aus, versprach grenzenlose Unabhängigkeit und ein Leben an der Seite eines Mannes, dessen Hemdkragen immer blitzsauber und strahlendweiß war.
Nyltesthemden gab es auch in anderen Farben. Mein Nyltesthemd, an das ich mich erinnern kann, obwohl ich mehrere davon gehabt haben muss, war hintergründig maschinenblau mit weißen quadratischen Rahmen. Nyltesthemden vergällten mir die Freude, überhaupt ein Hemd zu tragen. Ich wollte Baumwolle, auch wenn man das bügeln musste, und man war die Mutter. Die hatte die Zeit und das Knowhow. Mir waren schon vorher ein oder zwei Exemplare aufgezwungen worden, gegen die ich mich beharrlich zu wehren versuchte. Aber gekauft hieß auch: Tragen! Das maschinenblaue mit den weißen Quadratrahmen schenkte mir der bäuerliche Haushalt der Schäfers zur Konfirmation. Daneben gab es von anderen Handtücher mit Monogramm, Taschentücher, Socken und was man sonst als junger Mensch nicht selber kaufen würde. Ich wollte kein Nyltesthemd. Wenn es kalt war, fror man darin, wenn es heiß war, klebte es auf der Haut. Der Tragekomfort ging gegen null, der Pflegekomfort gegen unendlich. Ich musste es tragen, die Mutter musste es pflegen. Das führte zunehmend zu einer Entzweiung, was oberflächlich als pubertäres Gehabe, als Widerborstigkeit ohne Grund oder als Begleiterscheinung gymnasialer Einflüsse gedeutet wurde, als eine Art Rebellion, die man sanft aber beharrlich niederdrücken wollte, wenn es sein musste mit einem Nyltesthemd. Das musste getragen werden; es nicht zu tragen, wäre Verschwendung gewesen. Verschwendung ist aber gerade zur Konfirmationszeit Sünde. Der älteren Generation war das Nyltesthemd Medium zur Unterdrückung, für mich der Impuls zur Befreiung. Nicht Rebellion, nein Revolution! Ich fiel anschließend vom Glauben, lernte Flügelhorn im Posaunenchor, ließ mir die Haare wachsen und kaufte von meinen Ersparnisse eine Gitarre der Marke Framus, für die 80 DM, eine ungeheure Summe, hinblätterte und wurde ein neuer Mensch. Alles gegen den Willen meiner Eltern.

Dieter aus Köln ist aus dem Häuschen

Wer ist Dieter?

Selbsthilfegruppen für hilflose Selbsthilfegruppen

Björne: Mach du.
Kuddel: Davon habe ich keine Ahnung.
Fredo: Ich dachte, dass ist eine Selbsthilfegruppe.
Maxi: Davon weiß ich nichts?
Ruud: Warum bin ich denn dann hier?
Björne: Wenn du das nicht weißt. Sollen wir das wissen?
Ruud: Deswegen bin ich doch hier.
Kuddel: Na, also.
Fredo: Das ist voll Stress hier.
Björne: Ich hau ab.
Kuddel: Super, wenn's mal nicht klappt, sofort abhauen.
Fredo: Ich komm mit.
Maxi: Ich auch.
Kuddel: He, eine Gruppe besteht aus mindestens 3 Leuten, weil, sonst ist es nur ein Paar!
Maxi: Wusste gar nicht, dass du mit Ruud zusammen bist...

Die Parabel von den vier Rohren


Eine Geschichte, dem Herrn W. ins Ohr vorzulesen zu seiner Erquickung:

Vier Rohre hatten überlegt, in die weite Welt zu ziehen. Sie waren in die Jahre gekommen, hatten schon ein paar Dellen, und hier und da war auch eine Stelle verkalkt und nicht mehr so durchlässig, wie es sich für Rohre gehört. So machten sie sich von Bielefeld aus auf den Weg über Minden und Uchte, bis nach Bremen, dann Bremerhaven und schließlich bis Cuxhaven, wo das Land aufhört und das Meer beginnt. In Cuxhaven standen sie am Strand und schauten zum Horizont. Und wo ist jetzt die weite Welt?, fragte das eine Rohr. Ja, wohl hier hinter dem Meer, antwortete das zweite Rohr, das immer alles ein bisschen besser wusste als die anderen. Woher weißt du das?, fragte skeptisch Rohr drei. Das weiß man eben, konterte Rohr zwei, das gehört zur Allgemeinbildung. Und wie kommt dieses Meer hierhin?, wollte Rohr vier von Rohr zwei wissen. Nun, gab das zweite Rohr zur Antwort, das steht auf einem anderen Blatt Papier. Es wusste nämlich die Antwort nicht, wollte das aber nicht zugeben. Gehört wohl nicht zur Allgemeinbildung, bemerkte das erste Rohr ironisch, das wohl bemerkt hatte, dass es mit der Allgemeinbildung des zweiten Rohres nicht weit her war. Sie kamen so recht ins Grübeln, als der weise Rohrwurm des Weges kam und bei den vieren stehen blieb: Na, ihr Rohre, warum schaut ihr so betrübt? Ich bin der weise Rohrwurm, vielleicht kann ich euch helfen.? Das zweite Rohr rief fröhlich aus: Hurra, der weise Rohrwurm! Jetzt wird alles gut! Das erste Rohr murmelte: Weiser Rohrwurm? Wer soll das denn sein? Nie von dem gehört… Die Rohre drei und vier schauten verwundert drein, sagten aber nichts. Der Rohrwurm fuhr fort: Nun gut, ich habe jetzt zwei Fragen frei. Und wenn ihr die richtig beantwortet, dann sage ich euch, wie ihr in die weite Welt kommt. Ja, genau, riefen die vier Rohre wie aus einer Stange. Die erste Frage lautet: Was ist ein Nawwi? Ein Nawwi? Was soll das sein? Kenn ich nicht!, schrieen die Rohre durcheinander. Lasst euch Zeit, beruhigte sie der Rohrwurm, dreimal dürft ihr raten. Eine Antwort ist schon weg. Jetzt aber erst die zweite Frage: Was habt ihr als Zielort eingegeben? Zielort? Zielort?, grübelten die Rohre und alle blickten zu Rohr zwei, weil der immer alles ein bisschen besser wusste. Ja, wo wollen wir denn hin? In die weite Welt doch eigentlich, wenn wir wüssten, wo die liegt?, schlug Rohr drei vor. Alle jubelten und brüllten: Genau, das ist die Lösung! In die weite Welt, Rohrwurm.
Richtig, das gibt einen Punkt, antwortete der Rohrwurm freundlich. Aber nun noch einmal zur ersten Frage: Was ist ein Nawwi? Die Rohren antworteten aufgeregt: Das wissen wir doch nicht! Das haben wir doch eben schon gesagt! Der Rohrwurm wurde ernst und sagte: Jetzt sind zwei Antworten weg, überlegt euch gut, was ihr als drittes antwortet. Vielleicht geht ihr zurück in euren Heimatort und findet erst mal heraus, was ein Nawwi ist. Die Rohre nickten nachdenklich und machten sich auf den Rückweg. Wie weit ist das denn?, fragte Rohr drei enttäuscht. Genauso weit wie der Hinweg, nur andersrum, zischte Rohr zwei genervt. Sagt mal, wunderte sich Rohr vier, wieso hatte der weise Rohrwurm eigentlich zwei Fragen frei? Die hätten wir doch frei haben müssen? Keine Ahnung, murmelte das erste Rohr und schlurfte weiter Richtung Altenwalde, wo es auf die Autobahn ging. Also kehrten die vier Rohre über Bremerhaven und Bremen, über Uchte und Minden nach Bielefeld zurück. Auf der A 2 kurz vor Bielefeld wurden sie von der Polizei angehalten, weil sie die vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit nicht erreicht hatten.Verkehrsbehinderung, grunzte Rohr zwei verächtlich, zu langsam für die weite Welt! Na dann, prost Mahlzeit!

In der Militärkapelle

Was spielen die da? Das stimmt doch vorne und hinten nicht, ich habe hier As-Dur, vier B-en, das klingt aber wie fünf, oder wie Kreuze, meine Güte, ich mach mal weiter, das merkt doch keiner, die Bässe, die kommen von irgendwoher und keiner weiß, ob es sich um einen Ton oder ein Darmeräusch aus dem Publikum handelt. Das Instrument stinkt mir sowieso, dieses Geschleppe, das passt nicht mal richtig in die Schutzhülle, aber nein, es muss ja dabei sein, wegen der Optik schon, sieht ja eher aus wie ein angeschraubtes Ofenrohr, das man mit einem Vorschlaghammer auf die richtige Größe gekloppt hat. Bekloppt. Mit den Noten, ok, das macht doch keiner hier, jeder blättert da in seinem Schnellhefter und versucht heil durch die Sache zu kommen. Hauptsache nicht länger spielen, als der Chef das anzeigt, bloß nicht unangenehm auffallen. Warm ist das obendrein. Mit Handschuhen spielen bei 30°C, nur damit das Instrument blitzblank bleibt. Alles Optik. Dann hört auch keiner so genau hin.

Gedichte mit Fremdwörtern: Georg Krakl - Axiell (2009)

Die Frau zum Mann: So axiell
gesehen
riechst du sehr speziell.
Du musst vielleicht mal sprayen....
Der Mann zur Frau: Erklär nur schnell,
was heißt axiell?

Ja, so im Unternoberarmbereich.
Ach so, da spray ich gleich.

Männer spielen Krieg (Bückeburg 2009)


Soldat: Dein Bart sieht scheiße aus!
Soldat 2: Guck dir erst mal deinen an!
Soldat: Trotzdem.
Soldat 3: Der gehört zur Uniform.
Soldat: Mit so einem Bart würde ich nicht rumlaufen.
Soldat 4: Tust du aber.
Soldat: Misch dich nicht ein!
Soldat 4: Nicht in diesem Ton, ja?
Soldat: Pass auf, gleich knallt's!
Soldat 2: Sind die Roten nicht die Feinde?
Soldat 3: Genau.
Soldat: Na, dann haltet euch mal schön dran.
Soldat 4: Ich seh gleich rot!
Soldat 3: Deckung!
Soldat: (im Liegen) Voll panne. Diesen Bart gab es doch erst viel später....
(Es knallt)

Déja-Vu: Der Osterhase im August

Irgendwo hatte ich diesen Hasen schon mal gesehen, und doch erinnerte er mich nicht an einen Hasen, der Eier in Nester aus grüngefärbter Holzwolle legte. Das war nicht der Osterhase. Dieser Bart wollte mir nicht aus dem Sinn, dieser Bart, den man heute nur noch selten sieht, weil er irgendwie negativ besetzt ist. Das abgeknickte Ohr ähnelte einem Seitenscheitel und eigentlich fehlte da noch eine Mütze, eine militärische Mütze, und dann die Pfote erhoben zum Gruß. Die Eierleger hatten ihm zum Gruß die Flügel gestreckt in die Höhe gehalten, und er klappte seine Pfote eher lässig, aber sehr souverän mit angewinkeltem Arm vor der Brust hoch. Dabei blickte er entschlossen in die Menge. Dann begann er eine Rede hinauszuschreien. Die Eierleger jubelten, auch wenn die ersten Reihen von Speicheltropfen getroffen worden waren.
Ich kam nicht drauf....



Achtung vor dem Alkohol - Wie es früher einmal war...

...und es heute nicht mehr ist. Mittlerweile schlendert der deutsche Mitbürger zügig, ohne nach links oder rechts zu gucken, an den Bierwagen, an die Theke oder in den Getränkeshop, um seinen täglichen Bedarf an alkoholischen Getränken zu decken, zügig, um nicht vom Mitkonkurrenten das Regal leergeräumt oder das Fass ausgetrunken zu bekommen. Form und Etikette sind vergessen, das zweite hält man mittlerweile, wenn überhaupt noch bekannt, für einen Aufkleber auf der Flasche.
Schöne Sitten in die Gegenwart zu retten, nennt man Traditionspflege, und so machen sich hin und wieder Zeitgenossen mit diesem Unterfangen im Herzen auf, um das respektvolle Trinken nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Angetan mit historischer Kleidung, als Hopfen und Malz noch die Braukunst beflügelten und ein gutes Bier erst mal erarbeitet sein wollte, schreitet der Traditionspfleger wacker fürbass, froh unter der Perücke nicht sofort vom neugierigen Nachbarn erkannt zu werden, und nähert sich gemessenen Schrittes, obgleich es im Mundraum brennt, einer Örtlichkeit, die Alkoholika feilbietet.
Anstatt nun ans Verkaufsbrett zu stürzen, beginnt der Traditionsfreund mit einigen Dehnübungen, die besonders den Rücken- und Brustbereich, aber auch die Armmuskulatur auf beiden Seiten betreffen. Ausgeführt in der überlieferten Weise gleichen sie Demutsbezeugungen, wirken sie wie Respektserweisungen der Braukunst gegenüber, aber auch dem Nahrungsmittel, das durch das alte Handwerk zum berauschenden Getränk veredelt wurde; letztendlich auch der Mutter Erde, der alles zu verdanken ist. Mit der Betonung der weiblichen Elemente in dieser Tradition wird endlich der Biertrinker mit der Frau versöhnt, die sinnbildlich hinter der Wohnungstür mit dem Nudelholz wartet, um dem trunkenen Schädel zum morgigen Kater noch ein passendes Horn zu servieren.
Warten, dienen, Respekt zollen und in mäßigem Tempo trinken, auch wenn es insgesamt länger dauert, führen zu Achtung vor dem Alkohol, der gerade in unseren Zeiten durch Wörter wie "Komasaufen, Flatratesaufen und Saufenbisderarztkommt" in Misskredit geraten ist.

Gute Unterhaltung (Ping, Ping)

Deutsche Bahn: Wie Kino und du bist dabei.

Kennzeichen Dreispitz

Mathilde saß im Biergarten. Sie hatte wohlweislich auf eine Bestellung verzichtet; die Bedienung hatte geknurrt, aber ein Getränk konnte verräterisch sein. Viele Männer schlossen von den Getränken, die eine Frau konsumierte, auf deren Charakter. Das galt es zu vermeiden. Aber, wo blieb er? Der Herr am Nebentisch konnte es nicht sein, er hätte einen Spitz, einen weißen Spitz bei sich gehabt. Die waren gar nicht mehr in Mode, die wurden so schnell schmuddelig und in sauberen Zeiten hatten dreckige Hunde keinen Platz in der Gesellschaft. Kennzeichen Dreispitz. Das war nicht zu übersehen, in Kombination mit dem gepunkteten Kleid eine echte Hausnummer, da konnte sich keiner verlaufen. 15 Minuten war er schon über der Zeit, drei Männer mit Hunden waren in der Nähe vorbeigegangen. Wie sah ein Spitz überhaupt aus? War der vorne spitz, oder hinten, überall oder am Unterbauch? Nun, es galt, Geduld zu üben, diesmal musste es gelingen; die Sehnsucht zerrte in Mathildes Brust, unter dem dünnen Synthetik-Stoff, der leicht zu reinigen war und schnell trocknete. Vielleicht war es doch einer der Hundehalter gewesen. Warum hatte sich keiner zur ihr gesetzt? Alles war doch so pefekt und so eindeutig, und sie liebte doch Hunde, das spürten die Tiere sofort. 10 Minuten wollte sie ihm noch geben. Vielleicht bestellte sie doch vorsichtshalber ein Hefeweizen. Die Bedienung hatte schon wieder nachgefragt und einen schnippischen Ton angeschlagen. Der Dreipsitz saß korrekt. Vielleicht war die neue Bekanntschaft Legastheniker im Bereich Rechnen, da gab es ein spezielle Wort, das fiel ihr aber nicht ein. Aber bis drei zählen konnte doch wohl jeder. Mathilde seufzte.

Können Männer Freunde sein?

Männer sieht man nicht Arm in Arm flanieren, das können nur Frauen, ohne dass sich die Nachbarschaft das Maul zerreißt. Männer fassen sich beim Bummeln nur an, wenn der eine nicht mehr stehen und der andere nicht mehr gehen kann, häufig auf dem Nachhauseweg von ihrer Stammkneipe. Männer ziehen nicht die gleichen Kleidungsstücke wie Frauen an, denn dann könnten sie für Zwillinge gehalten werden, auch gehen sie niemals gemeinsam aufs Klo, das könnte man missverstehen. Die gesellschaftlichen Vorurteile gegen Männer sind vielfältig und die diskriminierte Gruppe vemeidet natürlich, diesen zu entsprechen. Sie gehen immer im Abstand von anderthalb Armlängen nebeneinander her und tragen möglichst unterschiedliche Kleidung; hat der eine lange Hosenbeine, trägt der andere Hochwasser, ungekämmte Baumwolle wird durch Wildleder kontrastiert. Der eine lässt die Arme baumeln, der andere fasst sich energisch an die Nase oder bohrt sogar darin herum, alles im Dienste der Vorurteilswiderlegung. Sogar der Blick geht einmal zum Boden, zum anderen in die Ferne. Weiter entfernt können Männer nicht sein. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie in dieselbe Richtung gehen. Aber irgendwas müssen sie ja tun, sonst könnten sie keine Freunde sein. Über ihnen aber, für die Männer unsichtbar, schwebt das magische weiße Kabel, das alles Näherkommen, alles Verbindenwollende unerbittlich auseinanderdividiert, ein weißes Kabel, das aussieht, als habe man es bei der Demontage der letztjährigen Weihnachtsdekoration vergessen, das aber in Wirklichkeit ein Fluch ist von alten Frauen, die nicht drei beste Freundinnen haben. Der Mann kann nicht zwei Dinge auf einmal tun, er kann nicht Freund sein, sprich: Freundschaft pflegen und Flüche abwehren. So muss er sich entscheiden, und so bleibt er immer gefangen in der Widersprüchlichkeit seines Seins: Egal, was er tut, es wird immer falsch sein.