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Round up your Body!


Gruppentreffs stärken den Gruppenzusammenhalt

Schon wieder Gruppentreff, er hielt es nicht mehr aus, jede Woche die langweiligen Gesichter, die abgeschmackten Kleider, die pappig-vergelten Frisuren, der traurige Blick und die feuchten Hände. Gruppentreffs stärken das Gemeinschaftsgefühl, hatte der Therapeut gesagt, ja, hallo, welche Gemeinschaft? Gemeinsam gemein sein? War es das? Hier dachte doch jeder nur an sich, alle waren doch hier, um sich dieses verschissene Gruppengefühl zu holen, damit sie nicht zu Hause in der Sofaecke versauerten, damit sie sich nicht abgetrennt von der Welt fühlen mussten, dafür nahm jeder diese üblen Gestalten in Kauf, die alle am selben Problem litten. Was aber war das Problem? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Irgendwie waren sie zusammengekommen, irgendwer hatte mal die Leitung gehabt, der war dann abgehauen, hatte sich aus dem Staub gemacht. Seitdem hatten sie sich aus Gewohnheit getroffen, ohne noch zu wissen, warum. Eine Stunde standen sie herum und starrten die Wände und den Fleck auf dem Lackschuh des Gegenüber an. Was war das Problem? Waren das hier die Anonymen Amnesietiker? Alles vergessen, oder was? Hinterher ging er immer einen trinken. Allein, natürlich. Anonymer Alkoholiker konnte er wohl nicht sein. Obwohl - in der Kneipe kannte er auch keinen, kannte ihn keiner. Anonym war er schon.
Was ist euer Problem?,brüllte es plötzlich aus ihm heraus. Halt's Maul, kam es leise zurück. Klappe. Schnauze. Halt die Fresse. Leise und zischend, so als habe er die Mittagsruhe in der Geschlossenen gestört. Dann eben nicht, dachte er und schwieg. Noch zehn Minuten, dann würde er einen trinken gehen. Vielleicht würde er den Wirt ansprechen und ihm seinen Namen sagen. Hauptsache nicht Anonymer Alkoholiker. Es war zum Heulen, aber die Blöße würde er sich nicht geben.

Im Spiegel

Bijonzi-Ravenna stand vor dem Spiegel und betrachtete sich. Wie es wohl ist, mich zu küssen?, fragte sie sich und presste ihre Lippen an das Glas. Mit der Zunge fuhr sie über die glatte Fläche und dachte: Wundersam glatt. Und kühl, fast kalt schon. Und man kommt auch gar nicht richtig weiter. Und alles so seitenverkehrt. Ja. Seitenverkehrt. Da wurde Bijonzi-Ravenna ganz traurig und begann sich zu schminken. Sei nicht traurig, Bijonzi-Ravenna, sagte sich Bijonzi-Ravenna, als sie den Kajal-Stift ansetzte, du musst dich ja nicht küssen. Das sollen andere tun.
Und damit wurde es doch noch ein schöner Tag.

Tod, wo ist dein Stengel ?(2)

Mensch: Du, Tod, man fragt doch so allgemein, Tod, wo ist dein Stängel?
Tod: Es heißt: Tod, wo ist dein Stachel.
Mensch: Was ich wissen wollte, ist, wie schreibt man eigentlich Stängel?
Tod: Es heißt Stachel.
Mensch: Schreibt man denn Stängel mit e oder mit ä?
Tod: Stachel.
Nein, Stängel.
Tod: Stachel.
Mensch: Stängel
Tod: Stachel.
Mensch: Stängel.
Tod: Stachel. Es heißt Stachel. Stachel. Stachel. Nicht Stängel.
Mensch: Ist ja auch egal.
Tod: Nein, ist es nicht.
Mensch: Meinetwegen auch das. Dafür bin ich jetzt aber der Klügere.
Tod: Ich glaube, es geht los.
Mensch: Ich habe nachgegeben.
Tod: Wann das denn?
Mensch: Eben gerade. Und es heißt: Der Klügere gibt nach.
Tod: Der Klügere sein, aber nicht wissen, wie man Stängel schreibt.
Mensch: Ich dachte es heißt Stachel.
Tod: Es reicht gleich.
Mensch: Stachel schreibt man mit a.
Tod: Das hat niemand bestritten.
Mensch: Und Stängel?
Tod: Stängel schreibt man mit ä, kommt von Stange.
Mensch: Ich dachte, man schreibt Stengel mit e.
Tod: Warum fragst du, wenn du alles besser weißt?
Mensch: Ich weiß es ja nicht, aber ich kenne  Stengel nur mit e.
Tod: Neue Rechtschreibung. Gilt seit Anfang 2000. Stängel kommt von Stange. Wird mit ä geschrieben.
Mensch: Und deinen Stengel, schreibt man den mit e?
Tod: Aus. Feierabend, es reicht, finito. Ich hol jetzt meinen Stachel.
Mensch: Bringst du den Stängel auch mit? Oder ist das sogar eine Stange?




Woran ich denke, wenn ich denke

Liebes Tagebuch!
Ich denke so viel und so oft. Nur am Morgen bin ich etwas schwerfällig, besonders beim Zeitungslesen. Heute morgen geht es gleich los: Heilfasten lässt Pfunde furzeln, lese ich, weil sich nach Fund eben ein furzeln anbietet, gemeint war aber purzeln, dass Pfunde purzeln. Ich hatte früher Schwierigkeiten einen Pruzelbaum zu machen, wohin die Pfunde purzeln, weiß ich nicht. Heute morgen scheine ich viel im unteren Bereich des menschlichen Körpers zu denken, auf einem Foto, an einem Bootsanleger geschossen, lese ich, dass die Slipeinlage für Wasserfahrzeuge gesperrt ist. Das Schild müsste bei dieser lustigen Verwechslung wahrscheinlich lachen, wenn es könnte, denn auf ihm stand das Wort Slipanlage. Ich konnte mir nur zusammenreimen, was eine Slipanlage ist. Mein Finanzberater hätte wohl nicht zu einer solchen geraten, und es schied wohl auch ein größeres Objekt, eine Anlage eben, mit tausend Slips befüllt, aus, vielmehr drehte es sich  um eine Art Gleitanlage für Boote, damit diese besser ins Nasse kommen können. Warum eine Gleitanlage - könnte man nicht Rutsche sagen? - warum also eine Gleitanlage Slipanlage heißen muss, ist mir nicht bekannt. Der Slip hieß früher Schlüpfer, und das ist ein deutsches Wort, das jeder versteht. Schlüpferanlage klingt aber  nicht gut. Vielleicht ist das europaweit normiert, damit auch der Österreicher genauso wie jeder andere Europäer sein Boot gleiten  lassen kann.
Als ich im Auto zur Arbeitsstelle fuhr, sagte die Ansagerin, dass man mit großer Mühe das Asylpaket eingetütet habe. Sonst heißt es immer, dass ein Paket geschnürt wurde, was aber keiner mehr macht, die meisten kleben ihr Paket mit Paketklebeband zu, was ja auch reicht. Das Asylpaket mit großer Mühe zugeklebt - wie klingt das denn? Auch wenn dieser bildhafte Ausdruck mal was Neues wäre und der Wirklichkeit entspräche, so klingt er eher lächerlich. Man weiß ja auch nicht, wie groß das Paket ist. Es kann allerdings auch nicht groß sein, wenn es in eine Tüte passt. Das Asylpaket wurde mit großer Mühe eingetütet. Ich wusste nicht, dass man Pakete in Tüten steckt. Trägt man die dann in diesen zur Post, um sie dort auszutüten und aufzugeben? Das Asylpaket ist mit großer Mühe aufgegeben worden, das klingt verständlich und irgendwie ehrlich. Ein Paket zukleben und aufgeben. Überhaupt die ganze Asylgeschichte aufgeben, weil die ja im Paket steckt. Arme Flüchltinge!Armes Deutschland!
Nach Feierabend habe ich noch ferngesehen und von der Trennung eines Prominentenehepaares gehört und gesehen. Die Namen habe ich vergessen, weil mich ein Zitat der beiden irritierte: Wir haben uns getrennt, weil unsere Lebensmittelpunkte wohl zu weit voneinander entfernt waren. Ich musste sofort an Rabattmarken denke und Klebehefte, und dass die beiden wohl beide Sammler waren, vielleicht um eine teflonbeschichtete Pfanne als Treueprämie 10 € günstiger zu bekommen, und irgendwie hatten sie diese Lebensmittelpunkte zu weit auseinander geklebt, sodass das Rabattheft nicht korrekt beklebt war und damit die Prämie hinfällig, auf die die beiden sich so gefreut hatten. Das ist vielleicht ein Grund, sich zu trennen. Auf jeden Fall kommt man mit einem solchen Zitat ins Fernsehen. Vielleicht ist das auch von Edeka gesponsort worden. Ich musste dann an die armen Verkäuferinnen denken, die tausendmal am Tag fragen: Haben Sie die Deutschlandkarte?
Ich will  immer antworten: Welchen Ort suchen sie denn? Vielleicht kann ich Ihnen auch so helfen. Nein, denke ich überhaupt nicht, ich denke, vielleicht kaufe ich mir eine Schirmmütze, auf der steht "Ich habe keine Deutschlandkarte und will auch keine haben, ich habe nie eine besessen und ich hasse es, Sammelpunkte zu sammeln, weil man sonst nichts mit ihnen machen kann, und ich möchte auch nicht gefragt werden, ob ich eine Deutschlandkarte habe, hatte oder haben wollen gehabt werde. Ruhe! Was muss ich zahlen?" Leider passt soviel Text nicht auf eine Mütze, und wenn, dann wäre es sehr kleingedruckt und könnte von der Frau an der Kasse nicht gelesen werden, weil die ja sitzen bleibt und nicht aufsteht, um meine Mütze zu lesen.
Ich glaube, ich höre jetzt auf zu schreiben, weil schon wieder Dinge denke, die ich vorhin noch nicht gedacht habe, und dadurch das, was ich vorhin gedacht habe, vielleicht vergesse. Bis morgen, liebes Tagebuch!

Lücken im Alltag

Vladimir Malewisch: Lücken im Alltag (2016)
Manchmal fehlt uns was im Alltag, es befinden sich Lücken an Stellen, wo wir dringend Informationen bräuchten und wir irren umher, um diese Lücken zu füllen, mit Lückenfüllern vielleicht, und wir fragen uns, was ist eigentlich ein Lückenfüller und womit ist der eigentlich befüllt, damit er unsere problematischen Löcher im Alltag reparaiert? Wird er mit einer Patrone geladen oder mittels Fass und Schraubpumpe auf Vordermann gebracht, um dann seine Aufgabe erfüllen zu können? Gibt es einen Erfüllungsgehilfen, oder heißt der richtig Befüllungsgehilfe? Wo kauft man den Inhalt von Patrone und Fass, bzw. diese beiden mit dem magischen Inhalt, der den Alltag vollständig macht. Wir stellen fest, dass dieses Wissen fehlt, und dass es selber eine Lücke ist, eventuell sind es sogar drei oder vier.
Wir irren weiter umher und suchen den Füller, ohne zu wissen, dass es ihn gar nicht gibt, nicht von Lamy, nicht von Pelikan, und schon gar nicht von Geha, die sind nämlich pleite, was aber so ziemlich egal ist. Möglicherweise sollte wir froh sein, dass unsere Lücken nicht gefüllt werden, denn dann könnte man die Wirrniss des Alltags erkennen, wäre verstört ob der schrillen Buntheit und verworrenen Linieführung, ob der unstrukturierten Pinselführung des Lebens, das sich erlaubt, mit fettem Strich durch unsere Rechnungen zu malen.
Seien wir froh, dass wir nicht alles erkennen, denn dann wären wir vielleicht Lückenbüßer, die für das nicht Vorhandene die Rechnung zu zahlen hätten.
Also: Es muss nicht immer alles komplett sein. Oft reicht es, wenn es das Kartoffelpüree aus dem Paket ist. Den Rest denkt man sich einfach dazu, denn dazu sollte das Gehirn eigentlich da sein, wenn es denn da ist.

Wo bitteschön liegt Mendocino?

Auf der Straße nach Mendocino, sang Michael Holm damals, ein schmaler Kerl mit seltsamer Frisur, die wirkte als, wären die Haare immer schnell fettig und müssten ständig gewaschen werden. Bei Fernsehauftritten waren sie natürlich gewaschen, und deshalb machte Michael Holm immer einen ordentlichen Eindruck bei Frauen, die einen anderen Partner suchen. Er sah aus wie frisch geduscht und parat für eine keimfreie Umarmung. Er hätte gut der freundliche Verkäufer aus der Drogerie sein können, der einem die Fehler auf seinen Urlaubsfotos erklärte, ohne, dass man ihn darum gebeten hatte. Er wollte einfach freundlich sein.
Wo liegt denn Mendocino?, fragten wir uns, weil wir keine Ahnung hatten, als wir den Song im Original und auf Englisch hörten, wir, die wir nur rudimentär Englisch sprachen. Das Rätsel wurde von einem Quintett von Langhaarigen dargeboten, die wie dauerbekifft aussahen, wie wir später feststellten, nachdem wir mehr über Softdrogen erfahren hatten. Mendocino war ein Rätsel für uns, aber intuitiv spürten wir, dass das Lied aus lediglich zwei Akkorden bestand und damit überschaubar war. Anfänger im Gitarrespiel hätten gute Chancen gehabt, bei dem Lied mitspielen zu können.
Trotz aller Schlichtheit der Struktur blieb das Mysterium: Wo liegt Mendocino?
Und dann kam Michael Holm, der uns erklärte, dass es eine Straße nach San Fernando gab. Da stieg ein Mädchen ins Auto, die wollte nach Mendocino. Jetzt hatten wir schon zwei Orte, deren geographische Lage wir nicht kannten und natürlich auch kein Internet, um mal nachzugooglen, was da los war.
Jener frisch geduschte Michael Holm sah jedenfalls die Augen, die Haare und zwei goldene Spangen des Mädchens, die gleichzeitig einräumte, sie sähe jenen Holm gerne wieder. Just in diesem Augenblick vergaß der Sänger jedoch ihren Namen. Irgendwie musste das Mädchen mit dem an Amnesie leidenden Holm doch nach Mendocino geraten und ausgestiegen sein.
Die Lage des Ortes blieb dem Sänger im Gedächtnis, wie er dort hingekommen war, bleibt uns verborgen. Da er den Namen der jungen Frau nicht erinnern konnte, aber wohl das eindeutige Angebot eines weiteren Treffens, das ihm 1000 Küsse versprach und wohl auch noch etwas mehr, fuhr er dann ständig nach Mendocino und fragte die Menschen an den Türen, ob sie jenes Mädchen ohne Namen kennten. Hier haben alle Namen, war die schroffe Antwort genervter Dörfler in Mendocino, die es allmählich leid waren, immer dieselbe Frage zu hören, auf die es keine Antwort gab.
Mittlerweile schließen sich die Türen und man hört die Bärte der Schlüssel in den Löchern knacken, wenn Michael Holm in seinem PKW von der Straße nach Fernando in den Ort Mendocino abbiegt.
Dem Sänger bleibt die bittere Erkenntnis, dass keiner sein Mädchen ohne Namen kennt in Mendocino.
Michael Holm hat uns aber mit seinem traurigen Lied geholfen, in die raue Welt des Beats zu gelangen und festzustellen, dass nicht alles, was wie Englisch klingt, auch einen Sinn ergib oder besser als ein deutscher Schlager ist. Manchmal macht es nur die Frisur, und da hatte Michael Holm eindeutig punkten können.


Der Verschluckplattenspieler der 60er Jahre

Onkel Horst hatte einen Verschluckplattenspieler, in dem Singleplatten verschwanden. Immer hatte sich Bodo gefragt, was in diesem geheimen Kasten hinter dem magischen Schlitz passierte. Der Onkel und manchmal der Cousin, des Onkels Sohn, der vier Jahre älter war als Bodo, steckten eine Schlagerplatte in die schmale Öffnung, und es wirkte so, als ob der Apparat auch selbst mithülfe, indem er die schwarze Scheibe in sich sog. Was dann geschah, blieb dem Betrachter verborgen. Nach einigen Sekunden dröhnte Musik aus dem Kasten, immer die, die auch auf der Plattenhülle stand. Die Musik hatte unterschiedliche Qualität, aber gefiel dem Onkel. Alternativen gab es nicht, denn der Plattenschrank des Onkels war begrenzt. Die große Platten, auf denen sich bis zu 4o Minuten Musik befanden, passten nicht in den Kasten und blieben stumm. Auf den kleinen befanden sich Stücke, die man häufig im Radio hörte und durch das Hilfsmittel des Verschluckplattenspielers jederzeit zum Hören gebracht werden konnte. Der Verschluckplattenspieler sorgte dafür, dass man sich Musikstücke schneller überhörte, dass man ein feines und unangenehmes Zittern der Nerven spürte, wenn das Stück "schon wieder" im Radio gespielt wurde.
Was aber der Verschluckplattenspieler mit den Platten machte, wenn sie durch seinen Schlitz gedrungen waren, das blieb geheim.
Am Ende des Stückes spuckte er die schwarzen Platten aber immer wieder aus, so, als hätte er sie über.

Literaturzitat:Der Morgen des Abendlandes

Malewisch: Hingeschmierter Morgen (2016)  

Wie ein Fluß goldener Lava ergoss sich das Licht in die Landschaft und ich wusste: Es war Morgen. Das Abendland hatte dicht gemacht, auch wenn alle Farben vorhanden waren: Schwarz, Rot, Gold und das verhasste Weiß, aus dem die Spaziergänger die Reichsflagge basteln wollten, indem sie das Gold einschmölzen und in die Schweiz karren würden.
Nun aber hatten sie sich die Finger verbrannt und schauten aus tumben Augen in dumpfen Schädeln auf das Ende, der ein Anfang war...( Aus: Brechmeier, Rolle - Als ich meinen Arsch vor der Pegida gerettet gehabt hatte, S.296, Leipzig und Dresden 2017)