Tipps für Fotofreunde: Mach was aus deinem Bild

Oft sind Bilder langweilig, und wenn wir unsere Diashow den Verwandten und Bekannten zeigen, sind die ersten nach ein paar Minuten eingenickt, weil es nur fahle Farben zu sehen gibt, matte Motive und schlappe Schatten. Das muss nicht sein!
Jeder kann sein Bild aufwerten, wenn er etwas Geduld und Kreativität zeigt. Verwitterte Fensterinnenseiten werden leuchtend schön, wenn man einfach mal nachstreicht. Verkehrsschilder brauchen das auch gelegentlich, wenn sie nur als Stehimweg wirken und nicht den moralischen Zeigefinger in die Höhe halten und ein "Hier parken!" zuzurufen scheinen. Langweilige Hauswände kann man nach Herzenslust beschriften; ein "Peter ist doof" bietet für jeden etwas, der einfache Mensch freut sich, dass es Peter ist, der doof ist, und nicht er selbst, der Intellektuelle hat endlich einen Grund, sich über den Verfall der Kultur zu ereifern.
Tipp nebenbei: Nicht gleich die Fassade hochklettern und alles vor Ort neu gestalten; das kann Ärger geben, wenn einen die Polizei erwischt. Manchmal genügt es, ein wenig auf seinem Foto herumzumalen und es dann neu zu fotografieren. Verwandte und Bekannte weden es bei der nächsten Diashow danken.

Optische Täuschungen im Alltag

Da sieht man ein Bild, da ist ein Stück Rasen zu sehen, wahrscheinlich neben einer Jugendherberge, auf dem Rasen befindet sich eine Metallstange an der ein rechteckiges Brett befestigt ist, das weißgründig gehalten, von einem schwarzen Rahmen eingefasst ist, im Inneren des Brettes ein kleineres Rechteck, innen weiß, davor ein Metallring, daran ein Netz befestigt, das ganze Gebilde etwa 2,50 Meter hoch.Im Hintergrund gerade gewachsene Bäume,deren Äste nicht ganz ins Gleichförmige der Stämme passen wollen. Eine Brücke führt im Hintergrund weg von diesem Ort, ein mittelgroßes, bewaldetes Gebirge verdeckt den Blick auf den Horizont. Der Himmel ist grau. Eigentlich eine Szene, die den Gedanken an Selbstmord nahe legt, die schwere Depressionen evoziert, ohne Worte, nur durch Anwesenheit. Alles stellt sich aber als optische Täuschung dar.
Es handelt sich um ein Gestänge für Amateurbasketballer, der Rasen ist gar nicht grün, sondern besteht aus Moos und Unkraut, und die Bäume sind morsch und sollen demnächst von brennholzbedürftigen Exheizölverfeuerern in den Kamin gestopft werden. Die Brücke führt nach nirgendwo, vor allem aber nicht weg von diesem Ort, denn dann wäre ein kilometerlanger Stau zu erkennen, was man aber mitnichten tun kann. Der Himmel ist leer, nicht einmal Grau befindet sich dort, Grauen vielleicht. Das Wort Morgengrauen bekommt eine neue Bedeutung. Und das alles, weil man sich in einem schlichten Foto, das möglicherweise durch einen Bedienfehler des Kamerabesitzers entstanden ist, geirrt hat. Welche fatale Folgen das haben könnte! Also, Vorsicht beim unachtsamen Betrachten von Fotos, es besteht immer die Gefahr einer optischen Täuschung. Dem psychisch Labilen sei geraten, seine Speicherkarten möglichst nach Entnahme aus dem Gerät, spätestens aber noch vor morgen Früh zu löschen.

Der weise Mann sagt: Der Schwan







Neue Frühlingsfarben

Nach tristem Winter in Matschgrau endlich die neuen Frühlingsfarben! Der Meister der Farbe hat in die Gegend gekleckst, scheinbar ohne Sinn und ohne Struktur, und doch fügt sich alles harmonisch ineinander. Der Ökosockenliebhaber runzelt die Stirn, denn er vermutet Verstrahlung oder Okkupation durch Aliens, wenn der Vorbote des Sommers mal allzu kräftig in die Farbskala gegriffen hat. Der schwarzweißgekleidete Bänker sieht Hoffnung aufkeimen und dass eine Berufsgruppe, die zum Schimpfwort verkommen ist, wenigstens ihr Schnäppchen machen wird wie eh und je. Weg mit der Anzugdepression, hineingehüft ins frische, bunte Frühlingsgewand. Das hilft auch dem Bankkunden wieder, Vertrauen zu schöpfen, denn grelle Farben sind seit der Erfindung des Ostereis Garanten für Fruchtbarkeit und Erfolg. Es geht wieder aufwärts, zumindest in der Natur.

Endreimlyrik: Georg Krakl - Beinbehaarung


Im Licht des Abendscheins
Zählt’ ich die Haare durch auf meinen Beinen.
Vor Freude musst’ ich weinen.
Es fehlte mir nicht eins.

Der weise Mann sagt: Schrauben schrauben


Günther Krass: Erinnerungen - Meisterfleck

Als Schüler hatten wir immer davon geträumt, einen Meisterfleck zu produzieren, einen Fleck der sich abhob von der Menge der Flecken, die nichtssagend auf Hemden gekleckert worden waren, um sie zu versauen, wie wir es nannten, die aber mit Meisterflecken nichts zu tun hatten. Ein Meisterfleck verschönert, nein verschönt das Befleckte, er gibt ihm wertvolle Informationen, die es vorher nicht gehabt hat, und in der Summe ist es mehr, etwas Neues, das aus der Kombination von Fleck und Objekt praktisch neu geschaffen wird, geboren wird,als etwas, das es vorher nicht gegeben hat.So versuchten wir jahrelang, Meisterflecke zu erzeugen, immer aber blieb es beim Bekleckern, beim Einsauen und Verunreinigen. Den Schulkollegen schmierten wir Butter aufs Hemd, kippten Kakao auf ihre Nietenhosen oder bestrichen die Jacke mit Kalbsleberwurst, immer aber sah es nach einem selbst gemachten Fleck aus, der nichts mit wahrer Meisterschaft zu tun hatte. Dann eines Tages wollte in einem Biergarten an unserem Tisch eine Flasche mit Bluna umkippen, Georg hielt die Flasche im Kippvorgang auf, verhinderte, dass sich ein großer Teil des Flascheninhalts auf die Tischdecke ergoss, nicht aber, dass ein Spritzer genau ins Blumenmuster der Tischdecke gelangte. Und dieser Spritzer war es, der einen echten Meisterfleck zeugte. Einen, der sich symbiotisch mit dem Gewebe und seinem aufgedruckten Muster verband und etwas ganz Neues und Aufregendes gebar. Wir staunten mit offenen Mündern, in die wir voller Ehrfurcht Bier gossen, eins nach dem anderen, bis wir den Fleck erst doppelt sahen und schließlich nicht mehr erkennen konnten. Wir torkelten nach Hause und träumten noch einmal, wie unser alter Traum wahr geworden war. Danke, gute alte Blunaflasche!

Der weise Mann sagt: Abitur


Die Lügen der Kuscheltiere

Kuscheltieren wird zu viel nachgesehen. Sie werfen sich heulend auf den Tisch und besudeln die gute Tischdecke rücksichtslos und man vergisst, dass Kuscheltiere ihre Existenzberechtigung durch gut gemachte Lügengeschichten erhalten. So ist ihrem Verhalten immer zu misstrauen. Jahrelang hat einem der kleine Kerl aufgetischt, er sei der einzige, der wahre, der beste Freund und das in guten wie in schlechten Zeiten, und hat damit eine der großen Lebenslügen geliefert, die ein normal Denkender nicht glauben wird: Man habe einen Freund. Das Perfide ist, dass es unser Kuscheltier ohne Worte tut. Es erwartet, dass wir seine Geschichte aus dem Stand heraus glauben, sie praktisch vor dem Glauben erfinden und seine Kosungen, die wir auch noch selbst herbeiführen müssen, als Bestätigung betrachten. Wenn man Kuscheltieren nicht gerecht wird, fangen sie an, unhandlich, schmuddelig oder flach zu werden, so als hätten sie Teile ihres Innenlebens verloren.
Wenn unser schlechtes Gewissen nicht spontan reagiert, täuschen sie die Folgen eines Organraubes vor, wobei jedes Kleinkind, das mal einen Teddy operiert hat, weiß, dass Kuscheltiere keine Organe besitzen, sondern nur Holzwolle oder Plastikkügelchen.
Ist das schlechte Gewissen da, setzt die Sorge um das Tier ein, das man wohl irgendwann unbeaufsichtigt gelassen hat und kassiert jetzt die Strafe. Man kann letztlich nur im Innenleben des Knuddelkerles prokeln und nach verschwundenem Material suchen, das aber keiner finden wird, da es ja verschwunden ist. Was bleibt, ist, eine Handvoll Basmatireis in den schlaffen Körper zu füllen und zu hoffen, dass dann wieder alles gut ist. Wenn das nichts bringt, sollte jeder Kuscheltierbesitzer deutlich zeigen, wer der Herr im Haus ist und mal „Kochbeutelreis“ spielen, da platzt dem Kleinen dann der Kragen.

Alter Zwist auch an Currywurst

Der alte Zwist zwischen Vegetarier und Fleischesser bricht immer wieder auf, besonders an der Fritteusebude mit Bratwurstrost, wo neben den vegetarischen Pommes auch die sogenannte Currywurst angeboten wird.Der fleischlose Naturköstler, der heimlich gerne Gummibärchen vertilgt und glaubt, die seien nicht aus gemahlenen Knochen gestorbener Tiere, versucht dem Fleichesser die Mahlzeit zu verderben, weil der ihm am letzten Samstag wieder den kleinen vegetarischen Auflauf auf der Betriebsfeier vor der Nase weggelöffelt hat. Na, wieder feingeraspelten Allesfresser auf der Pappe? In Eigendarm? Sehr lecker, hormonangereicherte Fettkinkel zu verspeisen, die mit Milcheiweiß und Farbstoff in eine Art feste Masse stabilisiert worden sind, inklusive einem Beutel, der vormals Exkremente durch das Verstorbene transportiert hat. Da kann man doch froh sein, wenn das Schwein kurz vorm Schlachthof die Herzmittel und Betablocker gekriegt hat, die zu deinen passen! Ich würde lieber noch mal den Arzt, Apotheker oder Schlachtermeister befragen, falls die was sagen dürfen. Kann auch sein, dass die ein Schweigeabkommen oder Schweineabkommen, kommt sich eh gleich, mit der tierkörperverarbeitenden Industrie geschlossen haben, das ihnen Auskünfte verbietet, dafür aber kostengünstiger unbelastetes Qualitätshack beschert. Na, dann guten Appetit, wünscht der Vegetarier, und wischt sich das Fett aus den Mundwinkeln, das die Pomme frites hinterlassen haben. Fleischessen in derÖffentlichkeit ist nicht mehr selbstverständlich ungestört; die Salatfreunde werden mutiger.

Klimawandel und Vorratshaltung

Klimawandel hin und her, letztlich weiß man nicht mehr, woran man ist, mal ist es kalt, mal warm. Verstehen kann man, dass die Mammuts damals aus Verwirrung ausgestorben sind, weil sie aus Versehen dem Eis entgegengelaufen sind, und nicht, was besser gewesen wäre, vor ihm zu fliehen. Auch in bürgerlichen Haushalten scheint sich Verwirrung auszubreiten. Hat man die Vorratshaltung alkoholischer Getränke normalerweise dem nachbarlichen Auge vorenthalten, scheint sich heute der abgeklärte Mensch des 21.Jahrhunderts ungeniert der unvorhergesehenen Kälte zu bedienen. Was der Kühlschrank nicht mehr fasst, wird dem Balkon anvertraut, der bereits Stützstreben vorinstalliert hat, Marke "Neue Eiszeit"; niemand hat scheinbar mehr Angst, als Alkoholiker zu gelten, fröhlich wird auf den Niedergang der Erde gezecht, wer weiß was es morgen noch zu trinken gibt, und vielleicht ist das Bier dann viel zu warm. Dieses Riskio will heute niemand mehr eingehen, jedem ist die eigene Leber die nächste, und was kümmern uns Mammuts, die kennen wir nur aus dem Zoo, dort heißen sie allerdings Elefanten und sind noch gar nicht ausgestorben. Das gibt Hoffnung, dass wir weiter machen können wie bisher, denn sonst wären wir gar nicht da, wo wir jetzt sind. Und - wer will denn unbedingt woanders sein? Prost.

Berlin bleibt Berlin?

Ach, waren das Zeiten, als Berlin noch Berlin war, eine schöne Mauer hatte, über die man nur an zwei Stellen gucken durften, um sich anzusehen, wie man auf keinen Fall leben wollte. Da galt noch der Spruch, wenn jemand an den bestehenden gesellschaftflichen Zuständen herumnörgelte: Geh doch in den Osten! Schon war der Nöseler stumm. Berlin zu erreichen war aufregend; die herrischen und kalten Grenzbeamten, die dich mit eiskaltem Blick musterten, dich weiterwinkten oder festhielten, da wusste jeder sofort, woher der Begriff "Kalter Krieg" kam. Heute werden an solchen Stellen Pommes frites gegessen oder gymnastische Übungen von ungelenkigen Autofahrern gemacht. Und überhaupt: Berlin hat sich verändert, es ist farbiger geworden, es ist größer geworden, sogar das Brandenburger Tor hat sich verändert, seit die Telecom sich dort breit gemacht hat. Die Quadrilla sieht nicht mehr aus wie früher, die Menschen laufen häufig hilferufend und Arme empostreckend durch die Gegend und suchen eine U-Bahn-Station, die sie nach Hause bringt. Andere wiederum schmeißen mit Bargeld um sich, in der Hoffnung den Hut eines Straßenmusiker zu treffen. Berlin ist Hauptstadt. Bonn war leichter zu schreiben.

Bodos Landleben

Jetzt neu! Auch für dich, ob du Garten hast oder nicht:
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Mal reinschauen!

Günther Krass – Erinnerungen: Hühnerschlachten

Eine Tötung zweiter Klasse, also weniger laut, weniger dramatisch, weniger rührend, weil unser Herz nicht am Opfer hing, wie etwa einem Kaninchen, war das Hühnerschlachten. Der Tod begleitete die Jungen auf dem Dorf ständig, weil immer irgendein Tier zu Tode gebracht wurde, um der Familie oder den Nachbarn Nahrung zu sein. Gleichsam wurde der eigene Tod und der der lieb gewonnenen Verwandten vorbereitet und seine Verarbeitung trainiert.
Der Großvater trug in der Linken das Huhn an den Füßen zum Hauklotz, auf den schon Generationen der Eierleger ihren Kopf hatten legen müssen. In der rechten Hand hatte er das Beil fest im Griff. Mein Cousin Walter und ich hielten uns auf Abstand. Eigentlich verabscheuten wir das Töten, und doch faszinierte es uns, fast heimlich beobachteten wir das mörderische Tun der Älteren, obwohl es uns nie verboten worden war.
Dann ging es los, der Großvater wirbelte das wie starr hängende Tier durch die Luft, windemühlenflügelartig drehte der Arm Runde um Runde, mit ihm das verurteilte Huhn, das durch diese wilde Bewegung benommen werden sollte, um sich nicht den anschließenden Tötungsakt zu vergegenwärtigen und eher überraschend den Schlag mit kalten Eisen zu empfangen.
Nach der Schleuderbewegung zog der Hühnerschlächter das Tier über den Klotz, so, dass Kopf und Hals flach auf diesem zu liegen kamen und der Hals gleichzeitig ein wenig gestreckt wurde.
Mit der Rechten holte der Großvater aus und ließ das Beil auf die dargebotene Blöße sausen, um Kopf und Hals vom Rumpf zu trennen. Nicht immer traf der Großvater punktgenau, manchmal ging der Schlag völlig daneben, manchmal wurde nur ein Teil des Halses getroffen und in jedem solcher Fälle war ein zweiter Schlag notwendig. Der Kopf fiel nach erfolgreicher Tat zu Boden auf einen kleinen Haufen mit Sprickern, klein geschlagenen dünnen Zweigen, die beim Feuermachen benötigt wurden. Blut blieb auf dem Klotz zurück. Der Großvater hielt den zuckenden Rumpf fest in der Hand und wartete, bis der rote Saft aus dem verstümmelten Huhn geflossen war und es allmählich ruhiger wurde. Das sind nur die Nerven, beruhigte man uns Beobachter, wenn wir fragten, was das Huhn denn nach dem Beilschlag noch mitbekomme. Hühner, die ausgelegt hatten, waren zäh und landeten meistens in einer Suppe, die uns immer gut schmeckte. Sie wurde am Sonntag serviert, den Rest gab es montags. Nur das Fleisch wollte uns nicht recht munden, denn wir dachten darüber nach, wie lange ein Wesen Schmerz empfindet, wenn ihm der Kopf abgeschlagen worden war. Vielleicht war ihm jetzt sogar die Suppe zu heiß? Und- was machte, nein, dachte der Kopf wohl gerade?
(Foto: Wüste Träume verfolgten uns gelegentlich in den Nächten nach dem Schlachten.)

Der weise Mann sagt: Die Zeit vergeht


Bach oder Beethoven

Herr W: Das ist doch Bach, was da läuft...
Herr G: Nein, Beethoven.
Herr W: Klingt aber wie Bach.
Herr G: Bach war doch blind.
Herr W: Beethoven war taub.
Herr G: Nicht ganz; dafür konnte er noch gut sehen.
Herr W: Beethoven konnte sich nicht mal selber hören.
Herr G: Da gab's noch keine CD-Player.
Herr W: Aber Orchester.
Herr G: Die laufen aber nicht.
Herr W: Bach war jedenfalls blind, oder stark sehbehindert, weil er im Dunkeln Noten abegeschrieben hat.
Herr G: Wie das denn? Im Dunkeln?
Herr W : Vielleicht hatte er eine Kerze an, aber mehr nicht.
Herr G: Ich dachte, der sei blind gewesen.
Herr W: Hinterher. Deswegen ja.
Herr G: Könnte auch Schubert sein.
Herr W: Das da? Nicht im Leben.
Herr G: Schubert hatte Syphilis.
Herr W: Ach.
Herr G: Musiker sind oft nicht gesund.
Herr W: Da ist was dran.
Herr G: Vielleicht ist es ein früher Schubert, als er noch nach Bach klang.
Herr W: Wann soll das denn gewesen sein?
Herr G: Na, damals.
Herr W: Hast du auch was von Jethro Tull da?
Herr G: Heute nicht.

Endreimlyrik: Georg Krakl - Weiße Möwe

Weiße Möwe vor rosa Grund,
im Landeanflug, die anderen nicht interessiert,
halten den Schnabel, wie wir unseren Mund,
sitzen auf Stahl exponiert.
Weiße Möwe vor rosa Grund,
ernährst dich von Müll, das ist nicht gesund.
Ach, introvertiert
wirkt der Rest und etwas geziert.
Weiße Möwe vor rosa Grund,
zurück an die Nordsee!
Von Fisch und Touristen, so sollst du dich nähr'n,
Zurück an die Nordsee, da(nn) hab'n wir dich gern!

Die Parabel vom Brückengeländer

Eines Tages sagte das Brückengeländer zur Brücke: "So viele Jahre nun bin ich schon Brückengeländer, so viele Jahre habe ich Menschen Halt gegeben, die diesen Fluss überqueren wollten, so viele Jahre musste ich mir selbst immer Halt sein, wenn es mir einmal schlecht ging. Ich will nun losgehen und etwas anderes tun. Ich will ein anderes, ein neues Leben."
Die Brücke war darüber traurig und auch gekränkt; sie fragte: "Habe ich dir nicht auch immer Halt gegeben? Ohne mich lägst du im Fluss, müsstest vielleicht um dein Leben kämpfen oder wärst längst ertrunken und würdest im Schlamm des Flussbettes verrosten?"
Das Brückengeländer sprach: "Brücke, das habe ich nicht bedacht, aber ich will es auch nicht mehr bedenken, ich will schon heute losgehen, denn jede Minute des Wartens ohne Handeln ist eine verlorene Minute."
Die Brücke versuchte das Geländer umzustimmen, denn sie hatte Angst, allein zu sein, Angst, dass die Menschen sie nicht mehr überqueren würden, wenn sie ganz ohne Geländer dastünde: "Bedenke, wie viele Jahre wir gemeinsam Verbracht haben, wie gut es uns immer gegangen ist und wie viele Jahre wir noch gemeinsam in Harmonie, ja in Symbiose, verbringen könnten! Bleib und sei mit deinem Leben zufrieden!"
Das Geländer aber ließ sich nicht umstimmen: "Ich weiß nicht was Harmonie und Symbiose sind, das hat mir niemand gesagt, weil ich immer nur hier an diesem Ort, auf dieser Brücke gewesen bin. Ich will aber losgehen und es lernen, so, wie ich auch andere Dinge erfahren und lernen möchte. Mein Entschluss ist gefasst!"
Die Brücke schwieg und Tränen standen ihr in Ritzen,Fugen und an den Nieten.
"Ich habe beschlossen, mir einen schönen Wagen zu suchen, mich mit diesem zusammen zu tun und ein Geländerwagen zu werden. Da werde ich endlich einmal am Anfang eines zusammengesetzten Substantivs stehen!"
Die Brücke wusste nicht genau, was zusammengesetzte Substantive sind, aber sie wollte sich nicht die Blöße geben, danach zu fragen. Eines aber wusste sie: Es gab keine Geländerwagen. Vielleicht meinte das Geländer, das nun seine Sachen packte, einen Geländewagen. Die Brücke schwieg aber weiter, denn sie war gekränkt und sie wusste, dass es keinen Zweck haben würde, diesen Irrtum aufzuklären, zu entschlossen war das Geländer, diesen Ort zu verlassen. Eines Tages würde es aber den fatalen Irrtum erkennen und vielleicht zurückkehren. "Die bitterste Form des Lernens", murmelte die Brücke, "ist die durch Erfahrung." Das Geländer sagte: "Tschüss, Brücke, mach's gut, alte Stahlbetonplatte!""Bis denn", sagte die Brücke, sah dem Geländer nach, bis es hinter den Bäumen verschwand und dachte: "Warum hat es mich 'alte Stahlbetonplatte' genannt?"

Der weise Mann sagt: Farbige


Rembrandt: Der Mann mit dem Synthetikhelm

Berühmt geworden ist nur das Bild Rembrandts "Der Mann mit dem Goldhelm". Dabei ist sein Pendant "Der Mann mit dem Synthetikhelm" zu Unrecht in den Abstellkammern der Kunstgeschichte gelandet, verstaubt und nicht beachtet.
Das Bild, das während des 30jährigen Krieges entstand, ist Sinnbild für die aufschreiende Kreatur, für das sinnlose Sterben in mörderischer Zeit. Und alles im Namen der Religion!
Was mögen diese blinden Augen gesehen haben, was hat die spitze Nase gerochen, was der zahnlose Mund geschmeckt?
Kriegskost ist dem Mann Speise gewesen, der Tod hat ihm seine Beute auf den Tisch gelegt; ob dessen ist er wahnsinnig geworden. Was mögen seine Ohren gehört haben? Tief hat er sich den Helm heruntergezogen, um nicht das Jammern und Wehklagen zu hören. Verzweifelt an seinem eigenen Tun, nur noch Maske, entäußert seiner Menschlichkeit, Fassade das Gesicht, als könnte der Betrachter hinter die Leinwand schauen, hinter diesen Schuldigen im ewigen Treiben der Kriegsherren, so mahnt uns das Bild zur Umkehr. Das rote Bänzel am Helm ist die Hoffnung; es hängt da, wo das Hirn sitzen sollte, als Erinnerung daran, das wir als Menschen denken können und uns des Tuns gewahr werden: Kein Tier führt Krieg, wir aber sagen: Der hat sich tierisch daneben benommen. Dabei meinen wir menschlich.
"Der Mann mit dem Synthetikhelm" gehört in die größten Galerien, damit ein jeder sich mit dem eigenen Ego konfrontieren kann, um aus dieser Provokation geläutert und als neuer Mensch hervorzugehen.

Da lacht der Leser: Hoch zu Ross

Wer morgens mit verklebten Augen, den ersten dampfenden Kaffee in der Hand, in die regionale Morgenzeitung schaut, merkt vielleicht nicht viel, sein Hirn hat noch keine Betriebstemperatur erreicht, es genügen ein paar Fotos und eingängige Textzeilen in Großdruck, damit der Leser zufrieden ist. Das Unterbewusstsein reagiert subtiler, irgendwann flüstert es dem Leser ein: Da ist was falsch, man will dich mal wieder aufs Glatteis führen, sie verkaufen dich für dumm. Und dann kommst du drauf: Hoch zu Ross - So ist ein Bild in der unterhaltenden Rubrik untertitelt, du schaust dir das gerasterte Foto an, das ja nur aus kleinen Punkten und weißen Flächen besteht. Da macht es Klick! Wo sind denn die Pferde, auf denen die Damen hoch sitzen sollen? Es stehen zwar ein paar der Vierbeiner hinter ihnen, aber die wie im Zirkus kostümierten Damen sitzen definitiv nicht auf diesen. Sind die Tiere nicht im Bild, denn auch die Unterleiber der Damen sind nicht abgebildet? Dann muss es sich um Zwergponies handeln, auf denen man aber nicht "hoch zu Ross" sitzen kann. Da Männer für den Reitsport begeistert werden sollen, wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, hier auch Männer abzubilden, die nicht hoch zu Ross sitzen, quasi als Impuls, sie auf die Reittiere zu hieven. Vielleicht sind die Zirkusdamen in Wirklichkeit Männer, das kann man allerdings nicht erkennen. Möglicherweise hatten sie vorher als "Damen ohne Unterleib" gearbeitet und sich nach einer kurzen Zeit der Arbeitslosigkeit männliche Unterleibe anbringen lassen, um in Bereichen arbeiten zu können, die Zukunft haben.
Der Leser ist verwirrt am frühen Morgen. Hoffentlich kann er darüber wenigstens lachen.

Der weise Mann sagt: Atmen


Dogma-Film: Das Leben ist ein langer, brauner Fluss

Was wissen wir über den Dogma-Film? Er ist immer etwas wacklig, weil mit der Handkamera gefilmt, man kann nicht direkt erkennen, worum es geht, kryptische Sprüche, häufig auf Dänisch, verwirren uns und irgendwie wirkt alles verschwommen. So, wie das Leben spielt. Wir stellen Fragen und bekommen keine Antworten, Kindergeschrei potenziert die aufkeimende Aggression, dass man Zeit und Geld verschwendet hat, sich das Machwerk anzusehen. Wir schmettern unsere dänischen Legos an die Stollenwand und das Einzige, an das wir uns positiv erinnern, sind die orangefarbenen Würste, die es in dänischen Vergnügungsparks haufenweise gibt, die aber keinen Schaden anrichten können, weil wir sie nach der nächsten Achterbahnfahrt wieder auswürgen. Der Dogmatiker ist's zufrieden und reibt sich die gichtigen Hände.
Hier der Film: Das Leben ist ein langer, brauner Fluss

Fliesentisch für Moderatorenteam

Ein begeisterter Zuschauer des WDR-Fernsehens, der aber nicht genannt werden will, der aber besonders gern Aktuelle Stunde guckt, hat uns ein Foto mit diesem Anschreiben geschickt:
"Ich bin völlig begeistert von den Moderatoren Thomas und seiner Assistentin Susanne, die immer so locker und mit viel Witz durch die Aktuelle Stunde führen, einfach amüsant, wie sie sich gegenseitig die Wurst vom Brot zu nehmen versuchen, Thomas immer auf der Suche nach einer witzigen Formulierung, und dabei fasst er schon mal in die Klamottenkiste oder auf den Grabbeltisch, das ist dann besonders lustig, Susanne immer auf lockiges Haar bedacht und ein Dekolleté, das ihre Jugendlichkeit unterstreicht, dabei merkt doch jede Halbintelligenz, dass ihr das Altern unheimlich schwer fällt, da wird schon mal zur Tusche gefasst und die Falte links, die neu ist, genauso übertüncht wie die anderen, die schon gestern oder seit mehreren Jahren da sind. Um meine Freude über die beiden, die so gut zusammenpassen, auszudrücken, habe ich einen Fliesentisch gebastelt. Es zeigt die beiden bis zum Bauch, Thomas hält seinen Ansagentext gerollt lässig in der Hand. Susanne ist gut drauf wie immer, vielleicht ein Spritzer Migräne zu viel im linken Auge.Thomas hat sein Hemd mit dem Muster an, das aussieht wie verquirlter Taubenkot, und Susanne ist perfekt gestylt.
Das Schöne an Fliesentischen ist, dass sie Ausdruck höchster Popeligkeit sind. Sie sehen nicht nur hässlich aus, sie sind auch unpraktisch, weil man an keiner Stelle sein Glas abstellen kann, ohne dass es wackelt. Meistens kippt es sogar um, wenn man es weiter zur Tischmitte schieben will. Das Allerschönste am Fliesentisch aber ist, dass man Thomas' schlechte Witze nicht hört und dass Susannes Falten geglättet werden, ganz ohne Messer und Betäubung. Ich weiß jetzt nur nicht, was ich mit dem Tisch machen soll, denn in mein Wohnzimmer passt der nicht. Das Motiv finde ich sehr schön, könnte auch als Kirchenfenster dienen, wenn die Fliesen durchsichtig wären. Wenn jemand Rat weiß, bitte melden! "
Wer das Taubenkot-Muster sehen will: Hässliches Hemd

Der weise Mann: Lustiger Kerl


Stream of consciousness - Technique: Günter Krass - Wilma

"Wilma?" Mein Kaffee, es wird Zeit, ich glotze hier schon eine Weile, will sagen seit heute Morgen um 7 auf den leeren Bildschirm, der spiegelt meinen leeren Kopf wider, weiß wie die Unschuld, aber ich mache mich"Wilma!"schuldig, wenn ich nicht endlich etwas produziere, etwas Schöngeistiges, das erwartet ja der Leser, da ist das Programm festgelegt, und nicht der Name Programm, krass wie Krass, da zahlt keiner, wenn ich ein dünnes Büchlein vorlege, Tautologie, klarer Fall, wie weißer Schimmel oder apfeliger Apfel, ein dünnes Büchlein für Dünnbrettbohrer, für Kaffeefilterzweitaufgießer, "Wilma!Schatz!Es ist halb neun!",Hergottnochmal, wo bleibt sie nur, Frauen, also ich will keine Vorurteile auswalzen, aber ehrlich gesagt und unter uns, Frauen haben einen Hang zum Zuspätkommen, die Scheißsocken aus der rückfettenden Wolle, Öko, sage ich, Frauen sind öko, widerlich eigentlich, öko, kommt wohl gleich wieder diesem Blümchenkaffee, Muckefuck gegen hohen Blutdruck und für fairen Handel, damit beschäftigen sie sich, die Frauen, als ob sie nicht mal den Garten überarbeiten oder mal ein neues Regalbrett anbohren könnten, das steht da seit einem Vierteljahr herum, das wolltest du doch machen, Günter, heißt es dann, aber habe ich Zeit?, nein, habe ich nicht, ich muss schreiben, damit Geld rein kommt, die Frauen, die Frau, Wilma schafft es ja nicht einmal in angemessener Zeit einen Kaffee zu servieren, "Wilma!Darling", ich muss wieder laut werden, dabei bin ich gegen Aggressionen, gegen Gewalt, auch lautes Schreien, wieder Tautologie, wie nasses Wasser oder weißer Schnee, "Wilma! Mein Kaffee, du weißt doch, dass ich den jetzt brauche!", jetzt muss ich wieder diesen leidenden Ton anschlagen, wie ich das hasse, früher war das anders, da ging das zackzack, heute glauben die Frauen doch, sie könnte hier auf Emanzipation tun, ich habe Zeit, sagen sie sich, ich habe Zeit, der kann warten, wenn der auf Pascha mimt, das geht mir am Hinterteil vorbei, da höre ich doch gar nicht hin, "Wilma!Schatziliebling!", ewig dieses Gesäusel und alberne Getue, vielleicht hast du die überaus großzügige Güte, deinem untertänigsten Brötchenverdiener eine schlappe, nach Spülwasser schmeckende Tasse Kaffee zu serviere, ohne dass hier alte Herrschaftsstrukturen des Patriarchats aufbrechen! Ist das zuviel verlangt?, würde ich sagen, die lässt mich schmoren, wenn dieser Ehevertrag, also, diese blöde Socke, ich zieh dich nicht mehr an, nur weil es ein Geburtstagsgeschenk war, die Selbstgestrickten von Mutter habe ich auch heimlich entsorgt, die kratzen, ich krieg die Pimpernellen, "Wilmi!Wilmileini!", bäh ist das widerlich, wie widert mich das an, dieses Honigumsmaulschmieren, diese Kniefälle, das ist hier ja nicht mal ein innerer Monolog, bei der Erzählperspektive,"Wiiiiilmmmmmaaaaaaaaa!", sie hat es wieder geschafft, ja, sie hat es drauf angelegt, ich gehe jetzt Socken verbrennen, diese mistigen Dinger, kratzen wie Hulle, Geburtstagsgeschenk hin und her, gibt es nächstes Jahr eben keine, gibt es eben gar nichts, auch gut, hab sowieso schon alles, und was braucht der Mensch mehr, wenn er alles hat, ist doch nur Überfluss und Tand und Klimperkram, ich bin das so leid, "Oh, Wilma, Schatz, ein Kaffee, wie lecker, wie nett, wie schön, eine schöne Idee, die kann ich gut gebrauchen, jetzt, ach es ist schon halb neun, genau die richtige Zeit für einen Kaffee, der beflügelt, komm, Küsschen, jajaja, danke!", heiß ist der, shit, Lippen verbrannt, war klar, ist klar mal wieder, habe ich doch gesagt, Spülwasser, fair gehandeltes Spülwasser!Morgen werden die Socken verbrannt.
(Aus: Günther Krass: Ein Tag mit Wilma, Band 2, "7.00 bis 9.00Uhr", S.2o3)

Menschen mit dicken Armen

Auf manchen Zugfahrten begegenen sie dir: Menschen mit dicken Armen, die kaum Platz hinter dem Steuerrad eines normalen PKW finden, und wenn sie sich zwischen Autositz und Armaturenbrett befinden, nicht mehr in der Lage sind, die entsprechenden Hebel und Schalter zu bedienen, um das Auto sicher von hier nach da zu bugsieren.
Jahrelanger Missbrauch mit Anabolika, die den Körper durch übermäßigen Muskelaufbau entstellen und schädigen, zwingen nun zu Fahrten mit der Deutschen Bahn, wenn der Betroffenen einmal seine Großmutter oder einen entfernten Verwandten in der Lüneburger Heide besuchen will. Zwar staunen die Kleinen von Cousin Peter immer und wollen die dicken Arme anfassen, aber den Angefassten stehen die Tränen in den Augen. Nicht so sehr, weil ihre Arme kaum in Jacken von der Stange passen, nicht weil sie jeden Hemdsärmel zum Platzen bringen, sondern vielmehr, weil sie sooft Zug fahren müssen. Das kann ein normal gebauter Mensch nicht nachempfinden, denn er hat immer das Gefühl, frei entscheiden zu können zwischen Asphalt und Eisenstrang, zwischen dem bequemen Unterbringen seines Koffers im Kofferraum seines Opel oder dem Risiko, dass der Kasten zum Spielball für betrunkene Fußballfans wird, die die Langeweile plagt und die aggressiv werden, weil ihnen der Alkohol ausgegangen ist. Da kann jeder froh sein, seinen Körper nicht einem Schönheitsideal geopfert zu haben. Lieber etwas schlaffer an Elle und Speiche, aber dafür den Komfort einer leise surrenden Limousine auf der Autobahn genießen!

Der weise Mann: Nackte Frau


Die Parabel vom Cent auf dem Boden

Zwei Jahre lang hatte der Cent auf dem Boden gelegen und niemand hatte sich nach ihm gebückt und ihn aufgehoben. Er dachte an die Zeiten, als es noch wertbewahrende Sprüche gab: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist den Taler nicht wert. Wer wusste denn noch von Pfennigen und Talern? Heute war alles Rechnen gebunden an Euro und Cent und Aktien und Dividenden. Wer den Cent nicht ehrt, ist den Euro nicht wert! Das klang nicht gut, das klang zu neuzeitlich, zu modern, so als habe sich das ein Besserwisser ausgedacht, das klang nicht, als sei es altes Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Eines Tages kam ein junger Mann vorbei in schniekem Anzug und Aktentasche aus Krokodilleder, das eine gut gemachte Imitation war. Er blieb vor dem Cnt stehen und betrachtete ihn: Ein Cent, der schon zwei Jahre auf dem Boden liegt, und niemand hat sich nach ihm gebückt und ihn aufgehoben. Das will ich aber tun, denn, wer den Cent nicht ehrt, ist den Euro nicht wert. Oder heißt es des Euros?, sagte der junge Mann und sprach weiter: Ach, egal, ich hebe ihn auf, und dann kann ich richtig Euros machen!
Unglaublich, dachte der Cent, denn sprechen konnte er nicht, unglaublich, dass mich dieser Opportunist aufheben will, hat nichts anderes im Kopf, als Euros zu machen, der Mittel heiligt die Zwecke, ich werde nur benutzt, um die Geldgier des jungen Mannes zu befriedigen! Das hat nichts mit ehren zu tun. Ach, kann man mich nicht um meiner selbst willen ehren?, klagte der Cent.
Der junge Mann hob den Cent auf und lächelte: OK, das hat nichts mit ehren zu tun, wenn ich dieses relativ wertlose Geldstück aufhebe. Einmal Bücken, das kostet schon etwas mehr, wenn ich mal meine Arbeitszeit bedenke, die ich hier investiere. Materialwert? Ist doch gleich null. Auch wenn die Kupferpreise gestiegen sind. Wer den Cent nicht ehrt, ist den Euro nicht wert.Oder heißt es des Euros? Sicher ist sicher, ich will das Schicksal nicht herausfordern und hinterher sagen, hätte ich mann den Cent aufgehoben.
Er steckte die Münze in die Hosentasche.
Der Cent seufzte: In der Hosentasche eines Opportunisten zu stecken ist immer noch besser, als bei jedem Wetter auf der Straße zu liegen.
Der junge Mann ging mit dem Cent in der Hosentasche und einem guten Gefühl in die nächste Sparkasse. Jetzt würde er die große Finanzwelt erobern. Ein Opportunist ist ein Mensch, der seine Chancen nutzt, seien sie auch noch so gering, was daran kann falsch oder schlecht sein?, murmelte der junge Mann.
Der Cent aber war in der warmen Hosentasche unter einem kaum benutzten Papiertaschentuch eingeschlafen und träumte von großen Ehrungen, die ihn die Menschen zuteil werden ließen.

Nordsee und Lebensmittel

Oh, denkst du, das sieht aus wie ein vergilbter Taschenkrebs, der ertrunken ist, vielleicht hat jemand auf ihn getreten, aber wo sind seine Zangen? Dann denkst du weiter: Das ist ja ein aufgeweichtes Brötchen, was ist denn da drauf? Also Wurst kann das nicht sein, Schmierwurst vielleicht. Käse?
Du betrachtest das Objekt genauer und stellst endlich fest: Eine Apfelsine! Wie kommt die hierher, hierhin an die Nordseeküste? Zerplatzt und salzwasserdurchtränkt! Wer will die noch essen? Das ist unappetitlich! Selbst der größte Hungerleider dreht sich angewidert weg. Aber die salzige Frucht hat auch etwas Mitleiderregendes. Hilflos liegt sie im flachen Wasser auf sandigem Boden. Niemand wird sich um sie kümmern, niemand wird ihre Wunden heilen, niemand hat ein tröstendes Wort. Sie hat einen weiten Weg hinter sich, vielleicht von Afrikas Nordküste oder gar von Südamerika mag sie kommen, hoffnungsfroh ins Schiff geladen, nach Europa zu kommen und vitaminbedürftigen Menschen Nahrung zu sein. Vielleicht hat ein Leichtmatrose sie achtlos über Bord geworfen, vielleicht ist sie beim "Fang den Ball" versehentlich in die Fluten gefallen. Wir wissen es nicht. Ihr Ende ist traurig, hier in Wasser und Sand wartet sie auf die Flut, die sie zurückholt in den großen Ozean, aus dem wir alle stammen und in den wir letztendlich zurückkehren werden.

Der weise Mann sagt: Älterwerden


Familiendramen: Das schönste Foto

Es war in irgendeinem kalten Sommer in dem Langeweiledorf an der Nordsee, ich war mit Mutti und Vati und Axel da, wobei es eigentlich egal war, ob ich mit war, denn die anderen ignorierten mich wie sie mich im Alltag ignorierten, ohne dass sie jemals gesagt hätten, warum. Ich bin nie auf Fotos erschienen, wurde nicht in der Hauschronik erwähnt, so als sei ich nie da gewesen.
Ich muss mich korrigieren: Sie erinnerten sich meiner, wenn sie etwas gebracht bekommen wollten: Hol doch Axel mal einen Doughnat, sei so gut. Ich selber durfte mir keinen mitbringen. Mach doch mal ein Bild von uns, komm, so schön wie wir hier im Urlaub sind, uns erholen und uns lieb haben. Ich habe Tausende von Fotos gemacht, nie bin ich auf einem gewesen, denn ich war immer derjenige, der die Bilder macht, der den Apparat mit dem Finger auslöste, der immer hinter der Kamera stand oder saß.
Mein schönstes Foto heißt: Mutti und Vati und Axel. Es hängt vor meiner Kloschüssel und dahinter, so dass ich es im Sitzen und im Stehen betrachten kann. Ich habe es mit meinem Fotobearbeitungsprogramm grün gefärbt, so als dürfte ich mich nicht grün ärgern, wenn ich über damals nachdenke. Mutti und Vati und Axel. Die Eltern sind nur von hinten zu sehen, ihre Schokoladenseite. Axel- Wo ist Axel? Der ist auf dem Bild gar nicht drauf, und das ist so schön! Mutti und Vati und Axel, und Axel ist nicht drauf. Es hat bisher noch niemand bemerkt, der meine Toilette benutzt hat. Alle denken und manche sagen: Was für ein schönes Foto! Für mich ist es mein schönstes, denn Axel ist nicht mit drauf. Vielleicht holt er gerade einen Doughnat für mich, ich glaube es allerdings nicht.
Jim R.


Philosophie im Trend - Mäeutik: Die Kunst des Fragenstellens

Lehrer: Was war eher da, Ei oder Henne?
Schüler: Was ist denn Henne?
Lehrer: Ein weibliches Huhn.
Schüler: Haben die denn Eier?
Lehrer: Ich stell hier die Fragen.
Schüler: Wieso das denn?
Lehrer: Hallo! Nicht mitgekriegt? Ich stell hier die Fragen.
Schüler: ....
Lehrer: Jetzt habe ich die Frage vergessen. So kommt das eben, keiner hört mehr zu, alle haben Fragen, Fragen,Fragen, eine blöder als die andere, aber Antworten, Antworten, da sieht es ganz dünn aus, ganz, ganz dünn aus, ich weiß nicht, ob wir früher auch so waren, also wenn, nein, das glaube ich nicht, wir haben noch auswendig gelernt, das will doch heute keiner mehr, und überhaupt Philosophie, wer kann denn das Wort noch schreiben, ja guckt nicht so, das wird nicht mit f geschrieben, zweimal nicht mit f, das würde ich mir merken, dann habt schon ein Bisschen was verstanden, worum's in diesem Fach geht, klar?
(Aus: Projekt "Philosophie für alle" -Antworten sind auch wichtig, wozu wären sonst die Fragen da?, Teil 1)

Aggressive Küchenhelfer

Lange Zeit haben sich Wischlappen im Küchenbereich ruhig und unauffällig gezeigt, haben ihren Job getan und wenn sie an zu stinken oder zu stehen begannen, konnte man sie, ohne dass sie murrten, in die Waschmaschine oder den Treteimer tun.
In den letzten Jahren wurde den Küchenwerkzeugen immer mehr Bedeutung beigemessen, besonders durch Sendungen wie „Die Superputze“ auf RTL; gleichzeitig erstarkte auch das Selbstbewusstsein von Spülbürste und Wischlappen, stellvertretend für die Armada der Saubermacher. Nachdem die Spülbürsten durchgesetzt hatten, dass sie vor der endgültigen Entsorgung noch einen Gang in der Spülmaschine mitmachen dürfen und eine zweite Chance in ihrem Tätigkeitsbereich bekommen, konnte man immer mehr Wischlappen beobachten, denen diese Verbesserung des Arbeitsalltags fehlt, wohl, weil es ihnen nicht gelingt, akzeptable Verbesserungsvorschläge zu machen, sodass sich die Wischlappen immer wieder und mehr aggressiv gegenüber anderen Hygienegeräten. Die seien kratzbürstig, heißt die fadenscheinige Erklärung, man wolle sich lediglich zur Wehr setze. Besonders nach längerem Gebrauch, wenn der Lappen anfange zu stinken und nach der Trocknungsphase „Stand“ bekomme, konnte dieses Verhalten vermehrt beobachtet werden. Wer also als Küchenbesitzer und -nutzer deeskalierend wirken will, sollte seinen Wischlappen regelmäßig in die Waschmaschine tun, am besten unter Beimengung eines intensiven Geruchsstoffes. Hat sich ein Wischlappen mal an der Spülbürste vergriffen, gehört er natürlich sofort in den Restmüll, denn recyceln will aggressive Lappen niemand.

Der weise Mann: Betrachte den Henkel


Hörbücher sind im Kommen

Wer hat heute noch Lust, lange Texte zu lesen, wenn es eine bequeme Alternative gibt: Das Hörbuch? Wie mühsam konnte es sein, Buchstabe für Buchstabe zu entziffern und dann in ein Wort umzuwandeln, ein Vorgang, der Belesenen vielleicht selbstverständlich erscheint, für denjenigen, der gerade mal die Angaben auf einer Briefmarke entschlüsseln und für sich verwerten kann, eine Heidenarbeit. Unvorstellbar, welche Zeit verstreichen müsste, um einen Ken Follett mit 1200 Seiten zu verarbeiten, die Lebenszeit könnte knapp werden. Je langsamer sich der Leser durch den Text quält, desto mehr verliert er den roten Faden, vor allem, wenn erst mal keiner zu entdecken ist. Oft hat der arme Mensch, der eben nicht nur Fernsehen gucken oder vor dem PC spielen will, in Zeile 17 schon vergessen, was in Zeile 5 gestanden hat, und dann heißt es: Von vorne beginnen. Das motiviert nicht.
Der Buchhandel hat diese Tragik erkannt und darauf mit Hörbüchern reagiert. Endlich habe ich jemanden gefunden, der mir etwas vorliest, sagt mancher, und hat vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben die Erfahrung gemacht, wie intim es ist, wenn eine andere Person einen Text in sein Ohr säuselt. Die Oma, der diese Aufgabe in seiner Kindheit zugestandene hätte, hat vielleicht damals auch nur vor dem Fensehapparat gehockt und Was bin ich? Oder Daktari geguckt. Da blieb keine Zeit für ein gutes Buch
Hörbücher wirken insgesamt kürzer als die Romanvorlagen, auch wenn Lesezeiten wie 68 Stunden auf 19 DVDs natürlich erstmal abschrecken. Es geht auch kürzer. Ein gutes Beispiel ist der straffe Roman „Ödland“ von Georg Krakl aus dem Jahr 1971, der jetzt als Hörbuch vorliegt. Er stammt aus der Trilogie „Romane mit Ö“. Zuerst schreckt das Wort Roman ab, man glaubt an einen Text, der mehr als 100 Seiten hat, dann schreckt auch das Wort Trilogie, was bedeutet, dass es mindestens drei Werke sind, die mehr als 100 Seiten haben. Das Hörbuch jedoch entspannt: Ödland ist im Nu gehört, der Leser lernt eine neue Kategorie des Romans kennen, und wird sich nicht scheuen, auch die beiden Folgebände „Ödem“ und „Ödipus“ zu konsumieren. Da macht Literatur Spaß.
Hier anklicken: http://www.youtube.com/watch?v=u4hW5vnekl8&feature=channel_page

Der weise Mann: Nicht wie der Apfel