Mit Kindern essen

Es ist nicht einfach, medienverwöhnte Kinder und Jugendliche zum Essen zu bringen; der Phantasie der Eltern, die auf eine nahrhafte Speise für die Zöglinge Wert legen, wird einiges abverlangt.
Immer lauter wird in diesen Tagen der Schrei nach Fingerfood, ohne dass die Schreier wirklich wissen, wonach sie brüllen.
Eltern, besorgt, die unangemessenen Ansprüche ihres Nachwuchses nicht erfüllen zu können und damit zum familiären Alteisen zu gehören, hantieren hektisch mit Gummihandschuhen und eingefärbtem Geliermittel, um ein paar Hände mit 4-5 Fingern zu produzieren, die der nächsten Generation, mit einer gehörigen Portion Ketchup zum gewohnten Geschmacksniveau gepusht, wohl munden könnte.
Iiiih!, Das sind ja Glibberhände!, schallt es durchs Wohnzimmer und übertönt den Flimmerkasten, der entsprechend glibbernde Nahrung für den Kopf bietet.
Was passen könnte, will nicht in den Schlund. Den Eltern bleibt nichts anderes, als den Händen die Finger abzuschneiden und einen erneuten Versuch zu starten.
Fingerfood heißt genau genommen nicht Speise aus Fingern sondern Fingerspeise, nämlich irgendein Gematsche, das man mit den Fingern essen kann, ohne ein Besteck zu benutzen, was ja vielen Grobmotorikern sowieso schwer fällt.
In vielen Ländern hat man gerade den Pürierstab erfunden, aber in unseren Breiten verschwinden die zivilisatorischen Errungenschaften.

Locken oder glattes Haar?



Wie gern hätte Bob die Haare glatt gehabt, damals, als lange Haare modern waren. Wie lang seine Haare,
die sich in wüstenLocken kräuselten, letztendlich waren, konnte man nur im Hallenbad sehen, wenn sie richtig nass waren. Aber auch dann gaben sie nicht richtig nach und standen quer vom Kopf ab.
Bob ließ die Haare wachsen und wachsen, bis er Mühe hatte, ein Zimmer zu betreten, weil sein Kopf zusammen mit dem Bewuchs einen zu großen Durchmesser hatte und nicht durch den Türrahmen passte.
Zwar wurde der Afrolook kurz darauf erfunden, aber nicht nach Bob benannt.
Lang waren die Haare aber doch nicht, höchstens sperrig oder breit.
Langhaariger! Das klang revolutionär! Aber Breithaariger? Das war, als ob Frisur und Frisör zusammen einen gesoffen hätten. Querkopf ging gerade noch so, aber die gab's schon; vor allem hatten die oft kurze Haare und waren um die 50, hatte weder Frau noch Familie. Die lebten auf dem Land und wählten noch nicht mal CDU, was ja schlimm genug gewesen wäre.
Wozu Locken wirklich da waren, konnte der traurige Möchtegernlanghaarige erst mit der Erfindung der Minipli-Frisur erkennen, dem Vorläufer des Mikrofaser-Wischmops, den vorsätzlich Volksmusikanten und abgehalfterte Schlagersänger trugen.Zumindest wurde nach Bob ein bekanntes Sportgerät benannt.Und ein halber Hund. Vielleicht weil er eben kein Langhaariger war.






Kurts Geschichten: Machulski

Hans Kurt: Bodo war kein Flachlandtiroler
Zu zweit konnten sie gut spielen, da hatten sie ihre Ruhe. Sie stritten einmal am Tag und vertrugen sich dann wieder. Manchmal wälzten sie sich auf dem Rasen, nach hartem Ringkampf, denn sie waren beide gleich stark. Ein kleiner Fehler, eine falsche Fussstellung konnten dazu führen, dass einer zu Fall kam. Minutenlang lagen sie verhakt und verklammert auf dem Gras und bewegten sich kaum. Später war alles wieder gut.
Wenn Harald Machulski dazu kam, war alles anders; dann schlug sich Piet auf die Seite von Machulski, und Bodo war der Außenseiter. „Ihr seid Flachlandtiroler!“, sagte Harald Machulski immer, wenn sie ihn besuchten. Er wohnte 50 Meter über dem Meeresspiegel, am Wiehengebirge und da waren nicht die Alpen. Er fühlte sich wegen dieser 50 Meter als Bergmensch.
„Flachlandtiroler!“, dachte Bodo wütend, während Piet und Machulski lachten. 
Dann zeigte Machulski stolz seine Baumburg, die er aus zusammengeklauten Holz gebaut hatte. „Es liegt ja da so rum, und wenn es keiner abholt, dann kann ich es auch 
nehmen!“
Machulski, der Bergmensch. Der über Menschen, die 30 Meter über dem Meeresspiegel wohnten,  sagen konnte, sie seien Flachlandtiroler. Machulski hatte seine eigene Moral.
Machulski war nicht ganz sauber. Er roch irgendwie nach Körper. „Wahrscheinlich kommt das Leitungswasser nicht bis in diese entlegene Bergregion“, dachte Bodo und grinste mit einer Prise Häme.
Irgendwann ging Bodo Machulski aus dem Weg, und wenn er sich mit Piet im Gras wälzte, war sein Griff härter als sonst.
Es gab keine Freundschaften zu dritt. Aber Piet war ja auch kein Freund, Piet war Cousin.

Kurts Geschichten: Schnellrechnen

Hans Kurt: Benno bekommt kein Spielgeld



Lieber Gott, lass mich morgen wieder Erster im Schnellrechnen werden, betete Benno jeden Abend. Er wusste, dass Schnellrechnen jeden Tag dran kam. Üben.


Lass mich morgen eine Eins schreiben, betete Benno an Abenden vor einer Klassenarbeit.
Oft klappte das, und Benno war mit Gott im Reinen.
Eines Tages holte der Klassenlehrer eine Mappe aus seiner Tasche und legte seinen Inhalt auf den Tisch: Spielgeld, das die Sparkassen nur an ganz besonderen Tagen, wie etwa dem Weltspartag, ausgaben und nur in ganz geringen Mengen, sodass Benno nie etwas abbekommen hatte. Er war immer zu spät mit seiner Spardose da gewesen und hatte sich mit Bleistiften und Radiergummis begnügen müssen.
Heute gab es Spielgeld für schnelle Rechner. Das Geld sah fast genauso wie das echte aus, war nur etwas kleiner.
Benno sah den Haufen schon vor sich.
Die Klasse sollte Kettenaufgaben rechnen. Kein Problem für Benno. Er hatte schnell ein Ergebnis. Er rannte nach vorne, wollte Erster sein und einen Batzen Spielgeld kassieren.
Der Lehrer schüttelte den Kopf. Das Ergebnis war falsch, schoss es Benno durch den Kopf. Das konnte nicht sein. Er rannte zum Platz und versuchte sich zu erinnern, was falsch gelaufen sein musste.
Er hatte ein neues Ergebnis und legte es hastig vor. Zwei Schüler hatte ihre Gewinne schon eingestrichen.
Bennos Ergebnis war wieder falsch. Wie konnte das sein?
Benno rannte an diesem Morgen noch dreimal nach vorne, kein Mal mit Erfolg; dann war das Spielgeld vergeben. Benno war leer ausgegangen.
Lieber Gott, was ist los?, fragte Benno zornig nach oben.
Aber der liebe Gott antwortete nicht.
Dabei weiß jeder, dass Geld eine Erfindung des Teufels ist.

Martinstag im Tierreich

Auch im Tierreich wird der Martinstag gefeiert. Zwar laufen die Zeitgenossen nicht von Tür zu Tür, um durch schrägen Gesang die Menschen so zu erschrecken, dass sie mit Süßigkeiten auf Plastiktüten in Händen von Kindern zielen, aber sie gedenken dem Mantelteiler und Bischof von Tours, der seinerzeit einem Bettler die bessere Hälfte seiner Robe überließ.
Sogar der Goldkäfer, der das ganze Jahr kein Wort rauskriegt, weil er Angst hat, man würde ihn wegen seines Goldes klauen und dann sei weg, gibt da, wo es nötig ist und da, wo es geht.
Erst in diesem Jahr kam er an einem einsamen Tisch in einem Ausflugslokal in Brandenburg vorbei, das sich auf dem Gelände einer Schrebergartenanlage befand und in das sich aus diesem Grunde niemand traute. Dem armen Tisch fehlte ein Bein, sodass er immer wackelt und, wären Gäste da gewesen, sich niemand an ihn gesetzt hätte, weil man ja an wackligen Tischen schnell sein Kaltgetränk verschütten kann.
Der Goldkäfer aber sprach: "Armer Tisch, dir fehlt ein Bein, sodass sich niemand an dich setzen will, weil er Angst hat, sein Kaltgetränk zu verschütten und überhaupt sich gar nicht traut diese scharf bewachte Schrebergartenanlage zu betreten? Nimm eines von meinen, ich habe derer acht und kann auf sieben immer noch prächtig stehen ohne zu wackeln."
Der Tisch dankte es dem Goldkäfer und hörte fortan auf zu wackeln, sodass sich endlich Menschen mit Kaltgetränken setzen konnten oder so ähnlich.
Der Goldkäfer aber merkte erst zu Hause, dass er in Wirklichkeit nur sechs Beine gehabt hatte. "Na, sei's drum, auf drei Beine mehr oder weniger kommt es ja auch nicht an", sprach und dachte, dass er jetzt ja auch viel weniger Beinsalbe verbrauchen würde, was seinen Spartopf erheblich füllen könnte, denn nicht alles ist Gold, was glänzt, und da muss man eben auch fürs Alter vorsorgen.
Der selige Martin schaute aus dem Himmel und dachte, dass das doch tierisch lieb gewesen sei von dem Goldkäfer, einem Tisch, an dem niemand sitzen wollte, ein Bein zu spendieren.

Fragen zur Welt: Schwarz und Weiß?

Die Welt ist doch nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt. Ist es nicht vielmehr in Links und Rechts?

Pawel Pikass: Roter BH (2010)

Der alte Kleckser Pikass hat mal wieder etwas auf den Tisch des Kunstmarktes geworfen. Ganz ohne besondere Kleckerei ist es abgegangen, etwas rote Farbe wurde vergeudet und sonst besteht das teure Objekt aus einem Foto, das er irgendwoher hat, und etwas Kunststofffolie, mit dem das Ganze eingeschweißt wurde. Materialwert: Nearly nothing.
Gehalt des Bildes: Gegen Null.
Gehalt des Künstlers: Unangemessen.
Welche Botschaft soll in dem zusammengetackerten Machwerk denn stecken? Hier wird mit den klischierten Lustsignalen gefummelt: Ein junge, gut aussehende Frau steht mit angewinkelten Armen, feuerspuckend, scheinbar in einer Waschanlage für PKW, leicht bekleidet, sie trägt lediglich ein Longjacket, dessen Gürtel lasziv am Oberschenkel hängt. Die Frau blickt streng, denn sie spuckt ja Feuer, so als ob sie sagen will: Lass die Waschanlage aus, sonst sprenkelt mir die Düse die Flamme aus.!
Betont wird die Aussage durch die wie militärisch gehaltenen Arme, die Hände auf die Hüften gestützt, befehlsgewohnt, wissend, dass man gehorcht, und damit den Unterleib arretiert oder auch gleichzeitig angeboten; keiner weiß doch wirklich, was Pikass da will. Und dann der rote BH, der dem Bild den Namen gibt. Ja, da hat doch die Pappnase einfach drübergemalt! Nur er allein, dieser unselige Künstler  allein will von sich sagen dürfen: Ich weiß, was drunter ist, was drunter war, ich habe es gesehen und einfach drübergemalt.
Da lobt der Kunstliebhaber doch eher die rote Schlange, die sich auf der linken Seite der Dame abgelegt hat. Na, was das alles symbolisch bedeutet, kann sich doch jeder denken. Da kriecht's einem doch kalt den Rücken rauf oder auch runter.
Pikass, Pikass!

Helene Fischer singt doch deutlich

Endlich richtig gestellt: Helene Fischer singt "Du hast mein Herz berührt" und nicht, wie fälschlich in der Regenbogenpresse berichtet, "Du hast mein Herz püriert".
Wenn man genau hinhört, ist der Unterschied auch deutlich zu hören.
Warum ihr Kollege auf der Bühne auf den Kniescheiben rutscht, wird nicht klar. Das Herz lässt sich bequemer im Stehen erreichen.
Genau hinhören

Schöne Gärten in der dunklen Jahreszeit

Kurz vor dem Dezember fängt der Radikalgärtner an, seine Rabatten zu dekorieren, um vorzutäuschen, das etwas in seinem sterilen Biotop blüht. An der Schießbude  zusammengeschossene Plastikblumen erfüllen den Zweck, den Nachbarn von seinen Vorurteilen zu befreien. Hier im Garten gibt es nicht nur zerhackte und geraspelte Bäume auf Anti-Unkrautfolie, nein, es gibt  auch Farbe, es gibt auch Formschönes. Gerade in der trüben Jahreszeit ist der Nörgler schon so weit in die Depression gerutscht, dass er jeden Strohhalm, der nicht grau ist, ergreift und ihn sinnbildlich auslutscht, um aus ihm Energie zu zapfen und über die Feiertage zu kommen.
Der Sterilgärtner lacht sich darüber ins Fäustchen, wohl wissend, dass Plastikblumen die schöne Übersichtlichkeit des Gartens nicht stören werden, denn sie vermehren sich nicht und ziehen auch keine unliebsamen Kleintiere an.
Wenn es des Hinsehens zu viel wird, kann schnell der Kunststoffweihnachtsbaum zwischen den Jahren das Schießbudenobjekt ersetzen.

Vorsicht bei Billigflügen

Im Zuge der Billigflüge kann der Fluggast nicht mehr neuste Technologie und schnittigste Maschinen erwarten. Wer wenig zahlt, muss auch in etwas krumpeligen Flugzeugen fliegen. Das Ziel ist auch nicht immer das, was man am Schalter ausgewählt hat. Wer einen Mondflug gebucht hat, kommt vielleicht hinterm Mond raus, und was da liegt, weiß kein Mensch. Endlich ist Flugangst wieder berechtigt.

Grundgefühl des Lebens: Abgetrenntsein

So wie sich das Rote vom Gelben abgetrennt fühlt, so fühlt sich die junge Frau allgemein von der in den Medien propagierten und protegierten Fühligkeit der Menschen abgetrennt: Alle müssen viel herumlieben und mindestens viermal die Woche einen Bluterguss am Hals aufweisen, den der Volksmund auch als Knutschfleck bezeichnet.
Der Volksmund selbst küsst so gut wie gar nicht, was aber zu einem elaborierten Liebesspiel dazugehört; er äußert sich nur abfällig über das Sexualverhalten, wie in den Medien präsentiert, abfällig oder kritisch, um den Verfall der Sitten zu verhindern
Die junge Frau von heute steht einsam mit ihren pinkfarbenen Synthetikdecken an der Ecke, als wollte sie sagen: Komm, schöner Mann, ich wärme dich. Ich habe prima Synthetikdecken in Rosa, die man im Dunkeln nicht erkennen kann. Aber die wärmen enorm, und das ist es , was du brauchst. 
Der schöne junge Mann ist aber gerade unterwegs zu einem Fußballspiel und reichlich angetrunken; die junge Frau liegt überhaupt nicht auf diesem Weg, und so bleibt sie mit ihren Synthetikdecken in Rosa stehen und ist traurig. Trauring und traurig sind Wörter, die eng miteinander verwandt sind. Viele junge Frauen sind traurig, weil sie ohne Trauring sind.  Weil sie ohne schönen jungen Mann sind, der Synthetikdecken liebt und gewärmt werden muss. 
Da kann uns das Fernsehen erzählen, was es will: Es geht gar nicht um Sex. Es geht um Wärme. Um Zusammengehörigkeit. 
Wenn der schöne junge Mann das erst mal erfahren hat, dann vergisst er auch sein Fußballspiel und kann sich frohen Herzens den menschheitserhaltenden Dingen des Lebens zuwenden. Sonst sind die Fußballer irgendwwann, genau wie Rennfahrer, ausgestorben.

Depressive Schachfiguren

Schwarz: Fühlst du dich auch so matt?

"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Masken

Ist es nicht so, dass wir unser Lebven lang mit Masken zu tun haben? Dass wir unser wahres Ich, unser Selbst, unser Innerstes niemals präsemnieren? Nicht dem Mitmenschen, und nicht mal uns selbst. Dass wir es auch gar nicht präsentieren könnnen, weil Mann und Frau ganz unterschiedlich sind?
Der Mann versucht jeden Morgen mit einem doppelklingigen Rasiermesser diese Maske abzuschälen und zum Kern seines Wesens vorzudringen. Auch wenn Blut fließt, ist das ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist.
Die Frau ist da ganz anders: Jeden Morgen legt sie Pasten und Farben auf, um die Maske zu erneuern, ja, um selbst diese mit einer neuen Maske zu überdecken, damit sie nicht enttarnt werde. Der Mann  ist durch Neugierde motiviert: Da muss doch noch mehr sein als ein bärtiges Gesicht!, ist sein Satz. Die Frau will den Mann nicht ent-täuschen, sie will nicht, dass er an der Wahrheit zerbricht, denn schlimm wird es für ihn sowieso schon, wenn die Suche nach dem Mehr hinter dem bärtigen Gesicht erfolgreich wird.
So hat jedes Geschlecht sein eigenes Kreuz zu tragen.

Neue Sammelmethode wirkt

Menschen mit ausgeprägter Geldsammelleidenschaft und wenig Möglichkeiten, einer richtigen Arbeit nachzugehen, haben eine neue Geschäftsidee entwickelt. Nachdem der Kniebettler, der in der Einkaufspassage auf seinen Fliesenlegerplastikgelenkschonern ruht und einen Napf von sich streckt, etwas an Beliebtheit eingebüßt hat, kommen nun haustierähnliche Wesen auf die Platte, die uns liebevoll an Ruff, Bello oder Maunzerle erinnern wollen, die zu Hause darben, während wir in der Innenstadt unser Portemonnaie für  nutzlosen Tand leeren, anstatt einem armen Menschen ein paar Cent oder Euro zukommen zu lassen. Dass wir dem fetten Hauskater lange seine Streicheleinheiten verweigert haben, kommt dieser Ich-AG zugute. Schnell sind ein paar Münzen in den Topf gewandert und unser Gewissen ist beruhigt. Dass die alte Katze zu Hause gerade nach dem Gummibaum auch noch die neue Couch ruiniert, entzieht sich unserer jetzigen Kenntnis und wir ziehen frohgelaunt, weil nicht nur um ein paar Geldstücke erleichtert, sondern auch um eine Sorge, weiter, um noch ein Paar Schuhe oder ein Jackett, einen Rock, oder ein Kollier zu erwerben.

Geschichten ohne Bild: Szenen einer Ehe - Nudelgerichte


Schön, dass es das gibt!, scheint Klaus hin und wieder angesichts des Haufens Nudeln auf seinem Teller zu sagen. Er weiß, dass er lügt, aber Liebe treibt ihn zum Äußersten. Er weiß auch, dass die Verletzungsgefahr bei dieser Art von Gerichten sehr hoch ist, denn man muss mit Gabel und Löffel hantieren, was nicht einfach ist,  aber was sein muss, das muss sein. Als Gatte der ihm  gegenüber sitzenden Dame, die ihn verlegen anlächelt, um sich fast zu entschuldigen, dass es wieder nicht zu einer Packung Miraculi gereicht hat, weil sie einen hohen Anspruch an Küchenkunst hat, und es selbstgemachte Kohlehydrate gibt, weiß, was seine Pflicht ist: Lächelnd und frohen Mutes seine XXL-Portion rein schaufeln, um der Angetrauten ein schönes Leben zu bereiten. Denn: Essen hält Weib und Seele zusammen. Das ist doch klar.

Haltungstipp: Auf die Seite kommt es an

Wer lässt schon gern seinen Bauch heraushängen? Wenn's denn nicht anders geht, sollte man wenigstens auf die Haltung achten. Also: Niemals in der Nähe von Süßgetränken aufhalten, und niemals seitlich von diesen stehen. Besser in der Nähe von Sauregurkenständen stehen und mit dem Rücken zum Betrachter.
Vielleicht auch durch Zusatzkleidung das schwabbelnde Fettgewebe kaschieren. Wer diese Ratschläge berücksichtig, kann sich möglicherweise vor dummen Bemerkungen von Bekannten, die zufällig des Weges kommen, schützen: Na, du wächst wohl noch? Diesmal aber nach vorne, was?
Interessant zu wissen, was Frauen unter ihren Kopftüchern so alles zu verbergen haben. Da wäre aber ein anderer Tipp fällig.

Grammatik: Neue Form gefunden - Präteritaler Imperativ

Oft haben wir Chancen verpasst im Leben und trauern ihnen nach. Bei einem feudalen Essen, das unser Chef finanzierte, konnten wir uns nicht entspannen, weil der ein Auge auf die Angetraute hatte, wir aber nichts sagen durften, weil sonst die persönlichen Stellenbesetzungsaussichten geschrumpft wären. Die feinen Speisen blieben uns im Hals stecken, oder gingen uns quer runter. 
Die Sprachentwickler haben jetzt eine geniale Lösung dieses Problems gefunden: Den präteritalen Imperativ.
Mit unnachsichtiger Direktheit befehlen sie förmlich zu genießen. Da aber das Objekt des Genusses, etwa die Frau des Chefs - hier war die Genussqualität durch ein schlechtes Gewissen gegenüber der Angetrauten eingeschränkt, aber wenn sich die Dame einfach so vom Vorgesetzten des Gatten beäugen lässt, bitteschön - weit in der Vergangenheit liegt, der Imperativ "genieße" also fehl am Platze wäre, platziert der findige Sprachler diese in die Vergangenheit, sprich: ins Präteritum.
"Genosse!", muss es dann lauten, und schon ist die schäbige Vergangenheit in die rechte Gefühlswelt gerückt.
In den linken Reihen der Politik, die sich ja kumpelig mit Genosse anreden, hört man ein Aufatmen. Die langatmigen und langweiligen Sitzungen der Vergangenheit mit den Parteigenossen (haha!) erhalten posthum quasi eine angenehme Komponente, sodass es sich herrlich in der Vergangenheit suhlen lässt.
Weiter so!

Positive Psychologie: Tasse Kaffee im Spülbecken

Das steht eine Tasse Kaffee im Spülbecken der Büroküche, sie ist voll und wohl längst kalt. Einen Meter weiter die Spülmaschine, unser Lieblings-Maschinensklave, der nur noch die Frage stellt: Wer räumt sie aus?
Dass das nicht immer reicht, zeigt das Objekt seit 2 Tagen im Blechbecken. 
Wer kann es dahin gestellt haben und warum? Was geht im Kollegen oder gar der Kollegin vor, dass er oder sie das ihren Mitmenschen zumutet?
Den Anhängern einer Positiven Psychologie formt sie die Frage um: Was wird uns Gutes getan durch diesen Gegenstand in Fehlstellung?
Vielleicht möchte der Hinsteller erreichen, dass sich der Einzelne Gedanken macht über seine Mitmenschen und dann auf Fragen kommt, wie oben bereits gestellt?
Vielleicht soll es aber auch das Aufräum- und Putzverhalten trainieren, als Impuls, für Ordnung zu sorgen, für Sauberkeit.
Ordnung und Sauberkeit vermitteln ein Gefühl von Überschaubarkeit und Reinheit. Rückkehr in den Zustand der Unschuld sogar im Einzelfall.
Dann diskutiert du es mit einem vertrauten Menschen und vielleicht wird eine bei dir latent vorhandene Unzufriedenheit und auch Besserwisserei deutlich, du versuchst es zu diskutieren, versuchst Gründe zu finden, genannt zu bekommen und dann die Krönung jeder  dysfunktionalen Kommunikation: Eine Gegenfrage! Lässt du nicht auch immer alles rumstehen?
Was haben denn jetzt meine Socken im Schlafzimmer, meine Zahnbürste auf dem Esstisch und ein angebissener Keks auf dem Bücherregal mit einer Tasse im Spülbecken der Küche des Büros miteinander zu tun? Ich möchte eine Erklärung, wetterst du ein bisschen zu ungehalten los. Und da ist auch schon der Beweis: Du bist überhaupt nicht besser als der Tassenschlamper und hast solche Fragen gar nicht zu stellen; du weißt doch die Antworter selber, du bist doch Experte!
Frustriert denkst du: Warum sich an die eigene Nase fassen, wenn  es auch andere gibt?
Ich frage nichts mehr. Und erzählen? Ich denke gar nicht daran.
Da hilft es, wenn du dir die Vorteile der Positiven Psychologie vor Augen hältst. Was kannst du von deinem unbequemen Gegenüber lernen?

Endlich keine Schulreform

Endlich ist die Schulreform überflüssig, warum viel Geld for nothing investieren, wenn es für 50 Cent auch geht? Bildungsfrühstück mit 1 Bild+1 Kaffee+1 Brötchen für 2,99€!
Das ergibt die Nahrung für Kopf und Körper, wenn man eine stille Republik will, wo Demokratie höchstens am Stammtisch stattfindet bzw. zerschmettert wird. Immer noch besser als den richtigen Staat kaputtzumachen, denn wir brauchen Ventile, wenn der Druck im Kopf steigt.
Bild sorgt für die heiße Luft, Kaffee und Brötchen tun das ihre, obwohl sie nicht mehr als Sinnbilder sind: Der Kaffee, bekanntlich aus Übersee, steht für das Kosmopolitische, das Brötchen für die Grundnahrung, der nur noch die Spiele fehlen. Dafür kann man aber auch die Bildzeitung nehmen, die man zusammenrollt und "Wer schlägt im Kuhstall die meisten Fliegen tot?" spielt.
Wir brauchen endlich wieder Bildbürger, schreit die Politik; alles werde teurer, warum dann nicht am falschen Ende sparen, denn irgendwo müsse man schließlich anfangen. Schließlich anfangen, auch so ein Paradoxon. Hauptsache keine weiteren Kosten für Schulreformen! Man muss auch mal mit dem zufrieden sein, was immer schon war. Bild ist ja auch Bild geblieben. Und doof bleibt doof, da helfen keine Pillen; das war doch früher schon so. Tradition eben. Wie Bild.
Mehr dazu

Blötschkopp will nisch lernen

"Dä Blötschkopp will nisch lernen", heißt die Erklärung aus dem Mund einer Mutter einer bildungsfernen Schicht.
Was ist gemeint?
1.Selbstbildungsindulgenz
2.Selbstbildungsintoleranz
3.Selbstbildungsinkontinenz?

Nur ein Begriff ist richtig; schwachsinnig sind allerdings alle drei.
Auflösung gegen Ende Dezember a.a.O.

Lyrikkritik: Doris Dörr - Der Kick

Der Kick

Der Kick ist der freie Fall.
Der Kick ist der Flug im All.
Der Kick ist der Tag danach.
Der Kick kommt im Schlafgemach.
Der Kick kommt beim Höhlentauchen
Atemnot kommt vom Rauchen.
Der Kick ist der Sprung aufs Trampolin.
Der Kick ist pures Adrenalin.
Der Kick macht frei und high.
Der Kick ist immer schneller vorbei.




Der Titel verspricht dem Fußballbeflissenen einen netten Text über seine Lieblingssportart; weit gefehlt, selbst der Reimefreund kommt nocht auf seine Kosten, wenn er auf schlüpfrige Reime über das Titelwort hofft.
 Der Tradition verbunden dichtet Dörr im klassischen Endreim, ungewöhnlich das Wort high, das sich auf vorbei reimen soll und dem englischsprachigen Raum entlehnt ist. Das Gedicht umfasst zehn Zeilen, von den neun mit "Der Kick..." beginnen, eine Zeile, die sechste, stellt ohne Artikel das Wort Atemnot an den Anfang und zerschlägt damit die wohltuende Monotonie eines Lebens, das nach immer neuen Höhenpunkt sucht, vielleicht sogar süchtig ist.
Geht man die Liste der Vorgänge durch, die einen Kick verschaffen, kann man die Bedeutung dieses Wortes näher beschreiben: Freier Fall, das All, das Schlafgemach, Höhlentauchen und ein Trampolin können schaffen, was in Zeile sieben als pures Adrenalin bescheinigt wird, den Kick nämlich, die Erregung, das Aufwallen mit der anschließenden wohltuenden Entspannung, wenn Angst und Ekstase nachlassen und ein Prickeln von tausend Nadeln über die Haut wandert.
Ein Kick, nein, der Kick macht frei. Der freie Fall aus großer Höhe befreit vom anstrengenden Leben, der Flug ins All macht zeitlos, mit Lichtgeschwindigkeit bewegen wir uns, und unsere Freunde sind verschwunden, wenn wir zurückkehren, weil sie längst gealtert und gestorben sind. Der Tag danach, egal wonach, nach dem ersten Mal, nach dem letzten Mal, nach dem vierundsechzigsten Mal, egal, der macht frei. Höhlentauchen, wenn der Tiefenkoller kommt und Trampolinspringen, wenn die Lunge unter die Zungenwurzel drückt, das sind Empfindungen die ins Existenzielle reichen. Schließlich überrascht uns das Profane: Der Kick geht vorbei, immer schneller, wir brauchen immer mehr, und wir brauchen ihn immer öfter, wir sind süchtig.
Mittendrin: Atemnot wegen Rauches. Das schmerzt. Das ist übel, das macht übel. Die Regierung erhöht die Tabaksteuer und das ist gut, denn den wirklichen Kick bekommt man erst am Tag danach.
Ein großer Wurf von Doris Dörr. Schlicht auf den ersten Blick, aber voller Tiefgang. Und nicht allein wegen des Höhlentauchens.

Bodos Briefe: Lieber Wolfgang Schäuble!

Wir haben es immer geahnt: Von wegen "armer Mann, der nicht mehr laufen kann"! Du bist ein Mensch, der sich nicht einfach von der politischen Bühne schieben lässt! Du trittst auch mal nach unten, selbst wenn die Beine nicht mehr wollen. Dein schrulliges Auftreten als Minister haben wir mit dem Mitleidsfaktor in erträgliche Grenzen gerechnet. Menschlich gesehen hast du allerdings verloren: Jetzt hält man dich für einen verbitterten Mann, der seinen Vertrauten öffentlich bloßstellt, nur weil der seine Unterlagen nicht pünktlich auf den Tisch legt. Das ist doch sein Job!, denkst du und ärgerst dich, dass der Mann zwar laufen kann, aber nichts geholt hat. Niemals leer gehen!, predigst du immer und weißt, wie wertvoll ein Gang an den Schreibtisch sein kann. Dein Pressesprecher hat wohl nichts gelernt.
Gut, über vergossene Milch soll man nicht jammern. Aber: Von der Rolle sein kann sich ein Minister nicht erlauben! Selbst, wenn er auf zweien sitzt.
Gruß
Bodo

An der Lebenskante stehen

Eines Tages ist es dann so weit: Man steht an der Lebenskante und muss sich entscheiden. Soll ich stehen  bleiben? Oder vielleicht soll ich mich doch lieber setzen?
Auf jeden Fall nicht weitergehen. Dann hinter der Lebenskante kann es gewaltig abwärts gehen. Da ist es dunkel, und keiner weiß wirklich, was da kommt. So sind Mythen entstanden und Rituale, die die Furcht vor dem Dahinter bewahren sollen.
Klar ist ja wohl, dass es hinter der Lebenskante so richtig abgeht, dass es da rund geht, dass die Post abgeht, also, dass da richtig was geht, wenn man es in der reduzierten Version der Jüngeren unter uns sagen will, denn schreiben ist ja nicht mehr deren Sache.
Milch und Honig fließen in dieser Zone hinter der Kante, Sekt in Strömen, Hefeweizen tropft aus riesigen Flaschen und Onkel Dittmeyer, den man damals totmachen wollte, hält frisch gezapften Orangensaft bereit. Die Rente wird stündlich erhöht und es gibt die Deutschlandcard an jeder Ecke; ein einfacher Rülps erzeugt schon drei Punkte im privaten Rabattsystem und am Ende wird abgerechnet. Wer am  meisten gebechert und Punkte gesammelt hat, kommt in die Hölle. Und das ist ein echt heißer Ort. Da wir gefeiert wie zu besten Ballermann-Zeiten. Die Zweifler und Asketen leben ja im Augenblick noch, aber die holt sich die andere Seite demnächst ins Paradies. Da können sie dann mit den Dschihad-Krieger um die versprochenen Jungfrauen feilschen. Das muss nicht lustig werden, denn jeder darf ein Lieblings-Teil mit an den angeblichen schönen Ort nehmen. Die Selbstmord-Attentäter greifen da am liebsten zur Schusswaffe.
Patronen gibt es allerdings nur in der Hölle in Hülle und Fülle.
Also: Vorsicht, wenn du an einer Kante stehst! Es könnte die Lebenskante sein...

Tapeten zum Altwerden

Endlich, nach Jahren des Umherirrens und Suchens hatte ich die Tapete meiner Träume gefunden, die Tapete mit dem richtigen Farbton und dem richtigen Muster, eine Tapete, mit der ich alt werden wollte und die mit mir alt werden sollte. Es war zum Niederknien.

Vorlaute Steine auf dem Lande

Es ist November, die Ernte eingebracht, der Acker bereitet für Winter und Frühjahr, der Ackermann müde, aber bereit,  in ein paar Monaten wieder in den ewigen Kreislauf des Lebens mithilfe von Trecker und Gummiwagen zu fahren.
Endlich hat der Feldbesteller Zeit, sich an den reich gedeckten Tisch zu setzen und sich der Früchte seiner Arbeit zu erfreuen.
Teller und Tasse stehen freudig bereit, ein Franzosenkraut lacht aus dem Topf und zwei Äpfel wispern: Iss mich, ich bin der Frühling.
Zwei Steine auf rotkarierter Tischdecke murmeln: Großmutter, warum hast du einen so großen Hammer?
Der Landmann, der sich seines Lohnes freuen möchte, raunt den beiden Nutzlosen zu: Wenn ihr noch einmal Großmutter zu mir sagt, zieh ich euch eins mit dem Hammer drüber!
Zum Steinerweichen die wirklich dumme Antwort der beiden: Ist klar, Oma!
Wie schön könnte die Welt sein, wie umgepflügt schön, wenn es nicht immer ein paar Bekloppte gäbe.
Denkt sich auch der Landmann, der sich fast die beste Herbstlaune hätte verderben lassen, und holt zu einem gewaltigen finalen Schlag aus. Besser: Zu zwei.

Schwierige Sprache: Zusammengesetzte Substantive

Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, Nomen zusammenzusetzen.
Zum einen gelingt es ihnen nicht, eine korrekte Schreibweise hinzubekommen und einzusehen, dass man das zweite, quasi drangesetzte Nomen klein schreibt, weil es sich einem vorne stehenden unterordnen muss. Zum anderen schaffen es viele nicht, die richtige Reihenfolge einzuhalten, denn auch unter den Nomen gilt, wer zuerst steht, hat gewonnen. Es wundert dann niemanden, dass auch unter den Hauptwörtern ein erbitterter Kampf um Platz 1 entstanden ist. Falsche Reihenfolge schafft falsche Informationen. Da wird zusammengesetzt aus Gerüchte und Küche das Wort Gerüchteküche. Gemeint ist aber in Wahrheit Küchengerüche, denn die Sprachdilettanten haben es nicht einmal gelernt, dass der Plural von Geruch nicht Gerüchte heißt. Nicht einmal die Erklärung, es handele sich um eine Art nominatives Präteritum kann man durchgehen lassen. Gerüche können alt sein, genau wie Küchen, aber man kann keine Zeit aus ihnen bilden. Wer dieser babylonischen Sprachverwirrung entgegenwirken will, sollte einfach seinen Mund halten.

Der Dicke (ohne Knochen): Werzalith

Werzalith. Das Holz der 70er Jahre. Die pflegeleichte Geschmacklosigkeit. Das Muss. Das Statussymbol.

Nicht einfach Organe herausschneiden, um Geld zu verdienen

Die Ärztekammer will jetzt dem willkürlichen Herausnehmen von intakten Organen aus Profitgründen entgegenwirken. Um nicht gleich mit repressiven Maßnahmen auf dem OP-Tisch aufzutrumpfen, hofft man auf Appell und Einsicht.
Jeder Medizinstudent soll in einer Art Vorkurs erst einmal lernen, wie schwer es ist, ein Organ herzustellen. Aus einer knetgummiartigen Fleischmasse werden dann lebenswichtige Organe modelliert, die dem Original möglichst genau entsprechen sollen. Groß wird immer die Enttäuschung sein, wenn der angehende Schnitter feststellt, dass sein "Herz" gar nicht an zu pumpen fängt, sondern kühl und schlaff auf dem Arbeitstisch liegen bleibt, so als wolle es sagen: Der liebe Gott muss mir noch Leben einhauchen. Das kriegst du nicht geschissen. Du kannst es höchstens bis zum Halbgott in Weiß oder Hellgrün bringen. Du kannst nicht der liebe Gott sein, denn du kostest viele Patienten das Leben und die Krankenkassen Unsummen an Honorar. Und glaub bloß nicht, dass Knetmasse, das sich wie Fleisch anfühlt, irgendetwas mit Organen, Patienten und Leben zu tun haben. Das hier ist plumpe Ergotherapie, um von überfüllten Schnitttechnikseminaren abzulenken. Wer zahlt schon gern 500 € Studiengebühr und knetet dann einen Brei zusammen? Das kann man billiger an der VHS in Ton haben. Und hinterher wird es noch gebrannt, sodass man es verschenken kann.
Schlimmer als profitgierige Chirurgen sind sprechende Organimitate. Leider kann man die nicht herausschneiden, weil sie gar nicht drin waren.

Der Schein trügt in der Aktfotografie

Immer wieder versuchen ungelerntee Fotografen junge Frauen anzulocken, indem sie ihnen großartige Karrieren als Models oder Popstars versprechen. Sie müssten sich lediglich ihrer Kleider entledigen und fotografieren lassen, damit sie ein Portfolio erstellen können. Da viele  junge Frauen nicht wissen, was ein Portfolio ist, nicken sie einfach, anstatt nachzufragen, ob das so etwas wie ein Leporello sei.
Natürlich ist ein Portfolio kein Leporello, müsste der Pseudofotograf antworten.
Worin besteht denn der Unterschied?, ist die empfohlene Folgefrage, auf die der Dilettant hinter der Linse wahrscheinlich keine Antwort präsentieren kann.
Damit wäre der Nacktkörpersammler enttarnt und das angehende Model könnte nach Hause gehen.
Leider fällt den jungen Damen das Wort Leporello in der Regel nicht ein, da es weder zu ihrem passiven, noch zu ihrem aktiven Wortschatz gehört. Dabei kann kann man sich leicht merken, dass ein Leporello eine Mischung aus Klapprollo und Lepra ist, was dann ein witziges Kartengebilde ergibt, das man von 7 cm auf einen Meter fünfzig entfalten kann.

Gedichte, die keiner versteht: Theo von Doeskopp - Stadtteil

Stadtteil,
nicht die ganze Stadt!
Holzkeil,
nicht das ganze Holz.
Zum Teil auch Ebbe, Flut und Watt,
dazu ein bisschen Stolz.
Geküsst
auf Baugerüst.
Der Menschen kann so zufrieden sein,
wenn man ihn nur drängt.
Es ist beengt:
Statt Stadtteil, Teil der Stadt.
Und teil die Stadt, statt Teil zu teilen!
Von dort dann schleunigst zu  enteilen.
Statt Stadt Statistenteile teilen.

Pedro Fußke: Kopftücher für Jungen


Seine Frisur war nicht in Mode; auch nicht seine Koteletten, die bis an den Unterkieferknochen reichten. Aber es gab ihm das Gefühl von Sicherheit. Seine langen, dunklen Haare umwehten seinen Kopf. Die blaugefärbte Pilotenbrille erlaubt ihm, anderen wenigstens kurz in die Augen zu schauen. Und die Koteletten: So als trüge man eine Badekappe unter den Haaren. Das muss du dir vorstellen. Marktlücke! Die Badekappe, die unter dem Haupthaar getragen werden konnte! Vielleicht sah es aber insgesamt eher wie ein Kopftuch aus, das nachlässig gebunden worden war. So wie es Mutter nie geduldet hätte. Damals hatte er, als Junge!, ein Kopftuch tragen müssen, wenn er aus der Badeanstalt kam mit nassen Haaren und natürlich auch nassen Ohren, weil er getaucht war. Ein Kopftuch! Seine Mutter hatte ihn dem Spott der Nachbarn preisgegeben. Nur damit er keine Mittelohrentzündung bekommen sollte. Die Koteletten, die heute niemand mehr ernsthaft trug, und die jetzt dunkel und feist seine Wangen entstellten, waren sein Kopftuch, seine doppelte Badekappe, seine Tarnkappe. Seine Ohren waren verschwunden unter seinen strähnigen Haaren. Nichts mehr mit Mittelohrentzündung, Mutter, und wenn, dann würde er keinen Mucks von sich geben. Keinen Ton würdest du hören. Nie mehr. Nie mehr Kopftücher!

Der weise Mann sagt: Krokodil

Ein Krokodil gleicht dem Menschen wie ein Ei dem Andersdenkenden.

Pedro Fußke: Dienen und Bedienen

Meister, einen Kaffee!“ Sergej, russischer Adel ohne Geld im Westen, spreizte den kleinen Finger von der rechten Hand, lächelte sein Aristokratenlächeln und hoffte, der Ober würde seinen Wunsch bevorzugt erfüllen. Aber dieser Ober trug eine blöde Mütze und bewegte sich wie seine Kollegen nicht hinter einem stählernen Tresen hervor. Kunde um Kunde ließ sich etwas zu essen oder zu trinken an diesem Tresen geben und schien auch dort zu zahlen. Obszön diese Unart. Niemals geht ein Herr von Welt zu einem Ober; das würde doch auch den Ober beleidigen. Dienen wurde durch bestimmte Verhaltensmerkmale des Dienenden und des Bedienten definiert. Das war unumstößlich. Ein Sakrileg, sie zu verändern oder eines auszulassen. Der Ober hatte zu kommen; der Herr von Welt wartete, weil er Zeit hatte. Unendlich viel Zeit. Sergejs Zeit wurde knapper, nein, seine Geduld schien sich von seinem Aristokratendasein gelöst zu haben. Verdammt, er hatte den Ober mit „Meister“ angesprochen. Das war Unterklasse. Aber zwei Stunden zu warten, das konnte niemand ernsthaft erwarten. Zwei Stunden ignoriert zu werden, während in der gleichen Zeit zig schrill-bunte Menschen neben grau-pomadierten Langeweilern bedient wurden. Am Stahltresen. Ach, wie vermisste Sergej das sanfte Stöhnen des Samowars, diese Beschaulichkeit, die die Zeit dehnte und zu einer Strecke ohne Ende machte, zu einer Geraden in die Ewigkeit ohne Stahltresen und bekappten Obern, die von Oben und Unten, von der Ordnung der Welt überhaupt nichts wussten.
„Meister, einen Kaffee!“ Ein letzter, unterklassiger Versuch, um die ihm zustehende Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wie erniedrigend jetzt aufzustehen.