Primäres Bedürfnis: Wasser

Rolf: Ich habe Durst!
Dieter: Du sagtest es bereits.
Rolf: Ist auch nicht zu ändern, wenn es nichts zu trinken gibt.
Dieter: Ich weiß genau, hier muss irgendwo Wasser sein.
Rolf: Das hast du gestern auch gesagt.
Dieter: Halt doch mal den Rüssel.
Rolf: Das sehe ich nicht ein, das ist ein primäres Bedürfnis, das nach Befriedigung schreit.
Dieter: Ich habe auch primäre Bedürfnisse. Nach Ruhe zum Beispiel.
Rolf: Das ist kein primäres Bedürfnis, sondern ein sekundäres degenerierter Wohlstandswesen, die sich der täglichen medialen Berieselung nicht selbsttätig entziehen können und jetzt glauben, jeden ruhig stellen zu müssen, der mal ein primäres Bedürfnis äußert.
Dieter: Ich weiß, dass hier Wasser ist.
Rolf: Jaja, du und deine Instinkte, die sind doch alle verschütt gegangen, den ganzen Tag vor dem Fernseher und Fast Food dazu, die Beine hochgelegt und der Rüssel ist nur noch für die Fernbedienung da.
Dieter: Dann such du doch Wasser!
Rolf: Ich habe Durst.
Dieter: Du guckst doch auch den ganzen Tag Fernsehen.
Rolf: Tu ich nicht.
Dieter: Wohl.
Rolf: Schreibt man Wasser eigentlich mit Doppel-s oder Buckel-s?
Dieter: Mir doch egal.

Günter Krass: Assoziationskette

E hasst bestimmte Wörter: Königslutter und Buttercup. Beides bereitet ihm Übelkeit, denn er muss sich an die Kindheit erinnern, als ihm im nagelneuen VW Käfer des Vaters regelmäßig schlecht wurde, vielleicht in der Höhe von Königslutter, vielleicht aber auch nicht; der Buttercup ist ein Kürbis; einen richtigen Kürbis hat E er in seiner Kindheit ausgehöhlt und eine Kerze hingestellt, ohne, wie es die Jugendlichen ohne Sinn und Verstand tun, Geld dafür zu verlangen oder Saures anzudrohen; aber gegessen hat er ihn nie, weil es ihn nur süßsauer eingelegt auf den Tisch gab, und das wiederum Übelkeit erzeugte.
Warum kann Kürbis nicht Kürbis heißen, sondern Buttercup, das klingt so buttrig und überfettet, dass einem der Geschmack am Kragen steht. Hokkaido, das geht ja noch, denkt E, und ihm fällt ein, das Haiku ein kurzes japanisches Gedicht ist und Hokkaido eine Art Halbinsel bei Japan ist. Und im Zusammenhang mit Japan und dem Gedicht ohne Endreim Haiku, springt ihm jener Heiko G. in den Sinn, der eine japanische Flagge für ein Referat in der Schule auf Tonpapier anfertigen sollte. Jener Heiko nahm einen Din-A-2-Blatt rotes Tonpapier und zeichnete mit einem Zirkel einen Kreis in dessen Mitte. Dann überstrich er das restliche Rot, das weit mehr als das Doppelte der Fläche des Kreises aufwies, mit Tipp-Ex, welches zwar weiß wie die restliche japanische Flagge war, aber eigentlich nur für das Übermalen von Tipp-Fehlern auf Schreibmaschinen gedacht war, also für kleinere Flächen. E kann sich nicht entsinnen, was jenen Heiko motiviert haben konnte, denn eine japanische Flagge so anzufertigen erzeugte schon erhebliche Kosten für einen Schüler, die nur betuchte Eltern für den Zögling übernahmen, ohne dass dieser körperlichen oder seelischen Schaden aufgrund einer Standpauke mit stumpfen Impulsen erleiden musste. Vielleicht roch er gerne an Tipp-Ex, so wie manche Jugendliche heute noch gerne daran riechen, wenn sie dem Kameraden oder einem Mädchen durchs Gesicht geleckt haben, was dann stinkt; das Tun kommt immer wieder für Menschen infrage, die ein Bedürfnis nach Körpernähe und gleichzeitig würziger Geruchswahrnehmung verspüren.
Als E sich diesem Gedanken hingibt, klingelt der Postbote, die Assoziationskette reißt ab; der Bote bringt ein Paket aus Königslutter, das von seiner Größe her einen Buttercup beherbergen könnte. E verweigert die Annahme, stellt aber nach Intervention des Boten fest, dass es sich um ein Paket für den Nachbarn handelt, das man heutzutage üblicherweise  bei den Nachbarn dieses Nachbarn abgibt, und um weitere Zustellung oder einen Anruf beim Empfänger mit der freundlichen Aufforderung zur Selbstabholung bittet.
E denkt: Gut dass die Kette hier abgerissen ist, wohin hätte das führen können? Hatten nicht Atompilze die Form eine umgedrehten Buttercup, und war Königslutter nicht der Gegenspieler des Papstes, bzw. wurde der nicht erschossen, weil er ein schwarzer Bürgerrechtler war?

Da lacht der Zahnarzt: Deutschlehrer auf dem Stuhl

Zahnarzt (überrascht): Das ist doch die Krone!
Patient: Öddmmfummmmghhh!
Zahnarzt (räumt Absaugschlauch, fünf Tampons, das Handstück des Bohrers und weitere Kleinteile aus dem Mundraum des Patienten): Bitte?
Patient: Krönung, das muss heißen: Krönung. Ausdruck des Erstaunens, umgangsprachlich.
Zahnarzt: Das ist die Krone. Da ist was faul drunter.
Patient: Hahaha! Das heißt "Da ist was faul im Staate Dänemark"! Hamlet, eindeutig. Metapher für "Das stinkt mir gewaltig".
Zahnarzt: Ist Dänemark denn ein Staat? Ich dachte, das gehört zu Grönland.
Patient: Scheinbar schon.
Zahnarzt: Dann woll'n wir mal. Einmal weit ganz weit aufmachen! So, da haben wir das Ding auch schon. Ja, stimmt, da stinkt was gewaltig.....Da scheint Dänemark zu liegen....
Patient: Unghhh.

Gefährliche Kinderspiele

Lilo war anders.
Lilos Großvater war Jäger.
Der Großvater war zornig: Lilo, hast du wieder die Geweihhörner abgeschraubt?
Lilo antwortete nicht, sondern schnaubte bloß wie ein angeschossener Rehbock.
Lilo, wenn du auf Rehbock machst mit abgeschraubten Hörnern, mit meinen abgeschraubten Hörnern, dann muss ich auf dich schießen.
Endlich bekam auch Lilo ein Wort heraus: Wieso?, fiepte sie.
Weil ich Jäger bin, und Jäger schießen nun mal, grunztre der Großvater.
Wieso?, fiepte Lilo.
Weil Jäger immer schießen, wenn es was zu schießen gibt. So will es die Natur nun mal, dozierte der Großvater.
Wieso?, fiepte Lilo.
Du wiederholst dich, grunzte der Großvater weiter.
Wieso?, fiepte Lilo erneut.
Ich hole jetzt die Flinte, sprach der Großvater.
Endlich. Lilo änderte ihren Text: Ich spiele doch nur.
Mit Hörnern spielt man nicht, sagte der Großvater, Hörner werden einem aufgesetzt. Wie damals, als Großmutter noch lebte. Der Postbote! Ich sage dir: Der Postbote. Na, ich sage dir, der trägt keine Post mehr aus, dieser Briefmarkenlecker! Und Oma...naja, du hast sie nicht mehr kennengelernt. Ich habe ihr gesagt: Hörner aufsetzen, das ist lebensgefährlich, wenn man einen Jäger zum Mann hat.
Lilo stutzte, so als begriffe sie plötzlich die Probleme der ganzen Welt und aller Jäger zusammen.
Ich hole jetzt die Flinte, sagte der Großvater, wenn ich wiederkomme, hängen die Hörner pieksauber wieder an ihrem Platz, oder es knallt.
Lilo piepste: Schon passiert.
Lilo hatte schnell die Hörner wieder an ihren Platz zurückmontiert und stand jetzt unsicher greinend und mit kahlem Schädel  vor der Wohnzimmercouch.
Na, also, sagte der Großvater zufrieden, dass man immer erst drohen muss. Die Finte mit der Flinte (hahaha!) klappt doch immer. Aber diesmal hätte ich geschossen..... Irgendwann reicht's doch mit dieser Hampelei, das hätten wir uns damals nicht erlaubt, wir haben Frösche aufgeblasen, bis sie platzten, das waren noch Jungenstreiche!, wir haben nicht die Wohnzimmerdekoration demontiert, vor allem, wir waren immer draußen, richtige Naturburschen, nicht so wie heute, immer vor der Glotze oder Ballerspiele ballern.....
Der Großvater murmelte weiter vor sich hin, was aber in Lilos Singsang unterging und in der bekloppt machenden Musik von WDR 4, Großvaters Lieblingssender.

Was Gärten ausdrücken

Haben Sie auch keine Lust, ständig im Garten herumzurennen, Kanten am Rasen abzustechen und Unkraut aus der Erde zu zupfen? Ständig auf der Suche nach Pflanzen zu sein, die vor allem aus Sicht der Nachbarn und Spaziergänger nicht in ihren und auch keinen anderen Garten gehören? Sind Sie es Leid, die Erdflächen zwischen den Büschen und Bäumen, zwischen Blumen und Bodendeckern mit der Feinharke zu bearbeiten, damit jeder sehen muss: Hier wird regelmäßig gearbeitet, hier herrscht Ordnung, nicht nur im Garten, sondern überhaupt. Der Garten als Abbild der Psyche, der geistigen Haltung, der politischen Einstellung. Wenn Sie die oben gestellte Frage bejahen, gehören Sie womöglich zu den Leuten, die alles Nichtbewachsene und vom Unkraut Bedrohte mit Rindenmulch zuklatschen. Der Gedanke liegt nahe: Hier wohnt ein fauler Hund. So wie der Arzt in der Regel mit Medikamenten Krankheitssymptome verdeckt, weil für eine genaue Diagnose die Zeit fehlt und das Wartezimmer voll ist, verdeckt der Privatgärtner seine Bequemlichkeit unter einer pseudoökologischen Variante der Gartenpflege. Gefaselt wird dann vom Mikroorganismen, die sich unter dem Mulch entwickelten, davon, dass das alles viel natürlicher sei und sich seltene Vogelarten ansiedelten, die hier Nahrung fänden. Außer geschwätzigen Drosseln, die andauernd das Rindenhack in den Rasen kratzen, kann der aufmerksame Naturfreund überhaupt keine Vogelarten erkennen. Selbst den selten gewordenen Spatzen ist es zu öde, auf Rindenmulch herumzuhüpfen. Rindenmulch ist und bleibt eine Illusion: Es wird suggeriert, der Garten sei gepflegt. Er täuscht aber nicht darüber hinweg, dass sich der Haus- und Gartenbesitzer lieber einen schönen Tag macht, als seinen schlecht verheilten Bandscheibenvorfall gründlich zu testen. Die begückte Halten bei der Gartenpflege ist eine Demutsstellung, das Dienen kommt hier immer wieder vor dem Verdienen. Sie erzeugt Bescheidenheit. Das geht der heutigen Zeit vollkommen ab. Die Menschen sind unbescheiden und schmeißen geschredderte Holzabfälle in ihre Gärten. Da ist Zubetonieren ehrlicher. Aber war es nicht immer so, dass Lüge und Faulheit Hand in Hand gehen? Quo vadis, Ziergärtner?

Gestern vor.....4032 Jahren: Der Schamane

Die Sippe verdreht die Augen. "Alte Labertasche", tuschelen einige, andere halten sich die Ohren zu. Der Schamane hat Sprechtag. Aber keiner wollte hingehen. Also kommt der Schamane zu den Menschen. Und predigte mal wieder:
"Wisset denn, eines Tages werdet ihr Menschen treffen, die eine Hand an ihr Ohr halten und in der Gegend herumrennen und sie werden achtlos auf und ab gehen und ihr werdet glauben, sie sprächen mit sich selbst. Sie werden euch nicht wahrnehmen, euch nicht grüßen, sie werden sogar ihr Kind in Kästen, die man herumschieben kann, schreien lassen, obwohl sie Hunger haben und der Brust oder eines guten Stückes Fleisch bedürfen, links liegen oder sitzen lassen.
Sie werden wirres Zeug sprechen, so als ob ihr eurem Nachbarn eine Frage stellt oder ihm eine beantwortet, aber ihr hört euren Nachbarn nicht.
Sie werden gestikulieren und "Ja, meine Güte, du wirst doch wohl einen Eimer Birnen pflücken können! Ja, die Leiter. Ja, die steht im Schuppen.", sprechen und dabei mit den Finger darauf zeigen.
Und wenn ihr heute die Wörter Leiter und Schuppen nicht versteht, so wird es euch wie Schuppen aus Haaren fallen und dann ist es Leiter zu spät. Wird es zu spät sein, will ich sagen.
Manche werden ihre Hände, in denen sie kleine Schachteln halten, vor den Bauch bringen und auf den Schachteln herum tippen, und ihr werdet sie nicht ansprechen können, weil sie nicht auf dieser Welt sind. Wisset, dass das das Ende der Sippe sein wird, dass das das Ende der Gemeinsamkeit, des Aufgehobenseins sein wird und obgleich diese Menschen meinen, sie hätten Freunde, werden sie einsam sein und traurig und ihr mit ihnen, vor allem wenn ihr nicht diese kleinen Kästen habt, die man ans Ohr halten kann und in die man dummes Zeuge hineinsprechen kann, das eigentlich keiner hören will."
Der Schamane wiegt sich hin und her und sein Oberkörper sieht ausgemergelter aus als sonst, denn niemand gibt ihm zu essen, weil keiner seinen Rat hören will, und weil der Harz vier noch ein Wald ist und keine Versorgungseinheit für Menschen, denen keiner etwas zutraut.
"Schamane, halt's Maul!", grunzt Neppo und die Umstehenden nicken erleichtert. "Du sagst es, Neppo!", murmelt die Gruppe, und wo Neppo Recht hat, da hat er Recht. Das war auch schon vor 4032 Jahren so.

Erfolglose Armee



Stillgestanden!
Wir haben doch gar nicht gewackelt!
Ruhe!
Wir haben doch gar nichts gesagt!
Das ist ein Befehl!
Was jetzt?
Stillgestanden!
Tun wir doch.
Ruheeee!
Als wenn hier einer was gesagt hätte.
Ruhääääää!
Ist gebongt. Und nicht wackeln, ok?

Günter Krass - Auf einem Bein stehen


Es gibt Menschen, die können wirklich auf einem Bein stehen. Auch wenn der Volksmund sagt, man könne nicht, und gleichzeitig motivieren will, einen weiteren Schnaps zu trinken.
Früher war es so, dass jedem Besuch Alkohol angeboten wurde, das gehörte zum guten Ton; alte Männer kamen mit stinkenden Zigarren in die Häuser, junge mit Zigaretten, die etwas weniger stanken, weil sie kürzer und dünner waren.
Rauchen und Alkoholtrinken galten als natürlich, so wie Atmen und Wassertrinken; selbst Löcher in den Zähnen aufgrund ungebändigten Zuckergenusses waren normal, komisch erschien es den Kindern, wenn keine Plombe ihre Löcher füllte, sondern das Gebiss ohne  - nach heutiger Sicht - Makel war. Eher war das Blendendweiße ein Makel.
Wenn ein erster Schnaps verköstigt worden war, gehört es sich für eine gute Gastgeberin oder einen guten Gastgeber, einen zweiten anzubieten, der dann aber auch signalisierte, dass der Besuch demnächst beendet sein würde, denn Alkohol hin oder her, es war schließlich noch kein Feierabend, sondern vielleicht früher Morgen, und das Tageswerk noch nicht vollbracht.
Einen einzigen Schnaps getrunken zu haben, hieße aber eben, auf einem Bein zu stehen, und das wollte man keinem Menschen zumuten, weil der sonst durch ganze Dorf gehüpft wäre und dadurch jedem klar geworden wäre, dass eine normale Gastlichkeit in jenem Haushalt, aus dem der Einbeinige gehüpft kam, nicht gepflegt wurde.
Das wollte sich keiner antun, denn man hatte nicht vor, die Dorfgemeinschaft zu verlassen, oder gar als Außenseiter geächtet zu werden.
So kam es fast wie Nötigung an, wenn jemand, der auf nur einem Bein stehen konnte und wollte, zu einem zweiten Schnaps überredet wurde. Letztlich war es nicht die Gastfreundlichkeit, die antrieb, sondern purer Eigennutz, und das ist eigentlich auch verwerflich; wenn es aber keiner merkt, so bleibt die Welt in Ordnung.

Georg Krakl - Gender Mainstream-Scheiß (2014)

Los, ihr Jungen, wollen Jungen sein und flitzen:
Schnecken
schrecken
Popel schmier'n in dunkle Ritzen
die die Nasen eben noch geziert
und dem Koch ein Ei stibitzen
oder zwei, und ungeniert
den Mädchen unter Röcke schielen
erst die Dünnen, dann die Dicken
fragen, ob wir denn gefielen,
ob sie mit uns gehen
stehen
vielleicht liegen wollen
mit uns Tollen
tollen
kommt ein Nein dann geh'n wir laufen
Bier aus vollen
Eimern saufen
bis die Augen stille stehen
Jungen, lasst uns gehen, lasst uns gehen!
Lasst uns flitzen,
zu den Schnecken, dann den Ritzen!

Typen: Der Akrobat (Günter Krass)


Es gibt Leute, die sind Akrobaten; sie stehen anderen auf den Schultern, strecken die Arme aus und fallen nicht runter.
Sie lieben das Risiko, auch wenn es keins ist. Die Menschen sollen die Akrobaten sehen, sollen staunen und klatschen, vor allem klatschen.
Klatschen, weil sie oben stehen, weil sie nicht fallen, obwohl sie die Arme ausgestreckt haben und sich nicht festhalten können. Dabei stehen sie auf den Schultern von irgendwem.
Über den spricht keiner, weil jeder denkt: Unten stehen, das kann doch jeder, das kann ja sogar ich, das ist doch keine Kunst, warum soll man denn da klatschen. Oben stehen und nicht runterfallen, das ist die Kunst.
Dem Untenstehenden schmerzt die Schulter, und er will sich gerne die schmerzhafte Stelle massieren, das würde aber bedeuten, sich zu bewegen, was wiederum die Stabilität des Obenstehenden gefährden würde.
Der Untenstehende hält aus und beißt die Zähne zusammen.
Der Akrobat nimmt irgendwann diese Duldsamkeit für selbstverständlich und hüpft und tanzt auf dessen Schultern, auf dass die Menschen ihn, den Akrobaten, immer mehr bewundern und beklatschen und bestaunen und ihn für ein menschliches Weltwunder halten.
Und dann, wie man sich denken kann, mit der Selbstverständlichkeit wächst der Mut, vor allem der Hochmut, und der paart sich mit Überheblichkeit.
Irgendwann ist der Träger die Schmerzen leid, krümmt sich ein wenig, um an die plagende Stelle mit den Fingern zu kommen, der Akrobat, mittlerweile unaufmerksam bezüglich seiner Balance geworden, fällt kopfüber und schlägt sich den Schädel auf. Die Schuld schiebt der Gestürzte natürlich dem Gequälten zu, er habe seine Pflicht aufs Unglaublichste vernachlässigt, habe seine, die des Akrobaten Gesundheit nicht nur gefährdet, sondern seine Versehrtheit verletzt. Kommt der Fall nicht nach dem Hochmut?, fragt der Träger, weil er belesen ist. Davon hat der Akrobat noch nie gehört und sucht  sich deshalb einen neuen Träger, auf dessen Schultern er stehen kann.
Der Untengestandenhabende fühlt sich missverstanden und allein. Er sucht sich einen neuen Akrobaten, den will er diesmal länger aushalten und nicht so selbstmitleidig dessen kunstturnerischen Übungen gefährden. Denn, so weiß er, jeder hat seinen Platz im Leben und sollte versuchen, an diesem und an keinem anderen zufrieden zu werden.
Der Akrobat beschließt, nie mehr abzustürzen.

Pilzebub - Wer ist das?

Vincent van Eijnoor: Gutkopp/Bettkopp
(2014)
Da nützt es nicht, einen schlauen Kopf zu haben, wenn einem der Rat gegeben wird, den Teufel mit dem Pilzebub auszutreiben.
Wer soll denn der Pilzebub sein?
Fragt man die schweigende Mehrheit im Lande, so tut sie, wie es ihrem Namen entspricht, sie schweigt. Diesmal nicht, weil ihr nix einfällt, nein, sie weiß auch nichts. Sie ist dumm. Stockdumm.
Sie schwafelt leise etwas davon, dass der Teufel im Detail stecke, aber das hilft kaum weiter, wenn nicht endlich klar ist, wer und wo der Pilzebub ist.
Letztendlich, nach monatelangem Rätselraten, erinnert man sich der Hörfehler, etwa jener, der uns statt Winni Two den doofen Namen Winni Poo hören ließ. Manni Two hielten wir für einen Herrscher, der Manni One gefolgt war und Josef Ackergold für eine Kartoffel, die man auf eine gute deutsche Bank legen konnte und keiner ließ sie mitgehen oder biss wenigstens mal ab.
Pilzebub, Pilzebub - Das konnte aber kein Hörfehler sein, und Teufel, das war doch auch deutlich.
Pelzebub, Pelzepup,Filzepopp, Vielzubob,Bildzuprobst und Baldzuweil....grausam, es wollte nicht gelingen, den Hörfehler zu entlarven, zu enttarnen, zu korrigieren.
Wie also den Teufel austreiben, oder warum, wo doch gar keiner weiß, wo er steckt? Denn die Hölle ist ja auch seit einigen Jahren weg. Da müsste noch mal so ein richtiger Papst kommen, der wüsste dann auch wo der Teufel steckt und was und wo und wer der Pilzebub ist.

Kindheitstraumata bewältigen

Vögeln missfallen spitze Hüte

Eines Tages läufst du ohne Kleider im Wälder herum; du denkst, du träumst, das sind doch die alten Angstträume der Kindheit, wo du ahntest, dass dich irgendwann im Leben alle bloßstellen wollen, wo sie hinter die Fassaden deiner Gelacktheit, deiner feinen Kleider, deiner Schminke äugen wollen, wo sie in deine Versace-Tasche oder unter dein Macbook gucken wollen, wo sie dich im wahrsten Sinne erkennen wollen. Der Wald würde dir keinen Schutz bieten, wenn du in den Wald flüchten würdest. Dass Tiere immer in einer natürlichen Nacktheit vegetieren, hilft dir nicht weiter. Der Hund im Regenmantel wird seltener erschossen als ein Hund ohne, weil der Sonntagsjäger ihn  für ein nacktes Reh hält, das seine Mutter sucht und das er von seinem Trennungsschmerz erlösen will.
So wird es dir passieren, wenn du ohne Kleider im Wald herumrennst! Statt dich für einen Hund zu halten, diagnostiziert der Waidmann: Reh. Also draufhalten, bevor es die Mutter vermisst.
Da hilft ein Hut. Der Hut! Der Spitzhut besonders, denn er scheucht die Vögel des Waldes auf, und das ist gut, denn mit Vögeln kann der Grünrock nichts anfangen, nur mit seiner Büchse, die wenigstens nicht nach hinten losgeht. Vögel sind schnell und flüchtig, da geht der Schuss schnell daneben und der Waidmann ist frustriert und sucht zornig ein mutterloses Reh, an dem er sich abreagieren kann. Manchmal erschießt er auch die Mutter des Rehs, was ihm gewissermaßen weiterhilft.
Deshalb: Traumata der Kindheit bewältigen. Hut tragen. Immer.

Sind Sie der Tod? (Günter Krass)

Hallo, sind Sie der Tod?
Sehe ich so aus?
Irgendwie schon.....
Wie sieht denn Ihrer Meinung nach der Tod aus?
Ja, irgendwie tödlich. Unlebendig. Also tot.Bleich, blass, blutrünstig.
Aha.
Der Tod hat auch so etwas Lauerndes, so was Packendes, als wenn er einen greifen und mitnehmen, holen will, meine ich. So mit kalten Händen und dann hat er so einen hohlen Blick, weil ja auch keine Augen mehr im Tod sind, die haben ja die Würmer geholt.  Und modrig, irgendwie modrig, wenn man das überhaupt sehen kann. Riechen auf jeden Fall. Verwesung. Genau, so ein leichter Geruch nach Verwesung.
Äh...
Haben Sie denn ihre Schippe nicht mit?
Wieso?
Man sagt doch: Da bin ich dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen...
Nein.
Was nein? Nicht Schippe, oder nicht Tod?
Beides.
Ach, dann sind Sie gar nicht der Tod?
Nein. Also ja, ich bin nicht der Tod.
Da bin ich aber froh, ich dachte schon, Sie wollten mich holen. Verdammt, da muss ich das nächste Mal doch genauer hinsehen.
(Aus: Günter Krass - Halbtod in Weiß, Erinnerungen am Stundenglas - MInden 2014, S.302)

Der Mann mit der Leopardentüte

Ein Film aus Bodos Welt.
Aus der Reihe: Wenn Männer ans Denken kommen, dann kommt immer ein Ergebnis heraus.
Hier ansehen: Klick

Gehirne zusammentun - Geht das?

Was nützt es, zwei oder drei Gehirne zu haben?, fragt Paul. Meinst du deswegen sind wir klüger? Ich glaube, die da hinten tanzen, nur eben ohne Musik, versucht Georg seine Argumente von vorhin noch einmal zu wiederholen. Tanzen soll das sein?

Hölzernes Herz (Theo von Doeskopp 2014)


Theo von Doeskopp: Holzherz, lila gestrichen (2014)
Dein hölzernes Herz spürt keinen  Schmerz, es ist fest und unzerpresst, es ist gut und tut nicht weh. Dein Zeh, der am linken Fuß, da wo wir alle hinken, und dein Schinken, der rechte, denn der ist der schlechte, schmerzen. Nicht die hölzernen Herzen. Und damit scherzen wir nicht, Pflicht ist das Klopfen, auf Holz, voller Stolz, mehr Pflicht als das stetige Tropfen, das höhlt, und wo der Betropfte grölt und brüllt im Unterirdischen,  so schmerzerfüllt.  Nach jeder neuen Liebe hölzerne Hiebe und ausgetriebene Triebe, du musst, du musst den Frust in rechte Bahnen lenken, denken, sagt der Therapeut, der sich nicht scheut, das in Geld zu rechnen, zu kassieren, das hätte nicht passieren dürfen, dass Heilemänner an dir schürfen, nach Gold und Geld. Hölzerne Hiebe, Liebe, die niemand will, nur das hölzerne Herz. Es ist wie das Pferd der Griechen, aus dem die Krieger kriechen und töten und Laken und Hemden röten. Das hölzerne Herz  darf niemand öffnen. Nicht zum Scherz und nicht aus Verlangen. Da musst du bangen um ungeküsste Wangen, um ungeliebte Leiber, um Männer und Weiber, um die, die ihre Unschuld verloren und dem Teufel verschworen für ein kleines Sekundenglück. Sie finden nicht zurück.

Camping 1 (Karl Friedrich "Kahlef" Motzke)

Pawel Pikass: Camping (2008)
Heringe, wenn sie bei großer Hitze in harten Boden geschlagen werden müssen und dabei in ihrer Festigkeit abnehmen, führen zu Krisen. Zerknirschung entsteht, Aggressionen bauen sich auf, Streit ist programmiert, wenn zwei Personen ein Zelt aufbauen, was der Fall ist, wenn zwei Personen das Zelt bewohnen wollen, und es einer gar nicht schaffen würde. Weil er zu kurze Arme hat. Das Zelt ist ein Bungalow. Die Hitze gibt das ihre dazu. Die Mücken. Die Nachbarn, die aus den Zelten und Wohnwagen gekrochen sind und ein lustiges Nachmittagsunterhaltungsprogramm erwarten. Wann fliegt der Gummihammer? Mäßigung, reiß dich mal zusammen. Dumme Kuh!

Zwischendurch Rechtschreibprobleme: Schreibt man Heringe oder Häringe? Mit e natürlich meint Onno; er hat extra vor der Abfahrt im Lexikon nachgesehen, denn die Diskussion gab es schon im letzten Urlaub. Häringe käme von Haar! Das härene Kleid heiße es in älteren Texten. Karl schüttelt den Kopf, das könne ja jeder behaupten, der Duden stünde ja sicher zu Hause. Karl geht zu seinem Reisebulli. Er seufzt zufrieden, denn er hat einen Kühlschrank mit Kaltgetränken. Die Zeltaufbauer kühlen im Fluss. Der Fluss hat gefühlte 20°. Französisches Bier schmeckt nur bis 14°, wegen des missachteten Reinheitsgebots. Doris gluckst.

Heringskrisen spitzen sich weiter zu, werden hochwirksam verschärft durch fehlende Stöpsel zur Luftmatratze, auf der nächtens geschlafen werden soll. Der Schlaf ist heilig und heilsam. Ohne guten Schlaf keine Erholung.
Hast du die Stöpsel eingepackt? Die waren doch immer dabei, hingen an einem Bindfaden an der Matratze. Wer hat die Luftmatratze zuletzt gehabt? Lisa? Auf dem Rockfestival? Und wo sind jetzt die Stöpsel? So kann ich nicht schlafen, grunzt Onno. Ich brauche meinen Schlaf. Doris: Ich hab sie nicht. Da hätteste auch vorher mal gucken können! Ist das meine Tochter oder deine? Doris schluckt. Deine. Zack. Das saß. Patchworkfamilie, kombiniert der Nachbar rechts.
Mit Leukoplast umwickelte Stöckchen aus Pappelholz sollen die Stöpsel ersetzen. Eine Luftmatratze ohne Luft ist keine. Eine Nacht ohne Schlaf, gut, da muss mehr Rotwein her. Wo ist der Schlauch? Ach, da hätten wir noch vorbeifahren müssen?
Tagesaufgaben für morgen: Erkundung der umliegenden Geschäfte nach Luftmatratzenstöpseln und gegebenenfalls deren Erwerb, zur Not auch deren Totalentwendung. Kauf mehrerer Schläuche Biorotweins, ist zwar teurer, aber trinken müssen wir zu Hause ja auch.
Onno: Ich geh noch mal zum Kiosk und hol etwas Luft für die Matratze, jaja, Wein natürlich, der normale tut’s ja auch, Hauptsache da ist was drin, damit die Nacht rum geht.
Schließlich sind gute Heringe eine Anschaffung fürs Leben. Wie schön, wenn sie mit wuchtigen Hieben des
Zweipfünders in jeden Boden getrieben werden können, ohne in der Festigkeit abzunehmen. Das macht so froh.
Ein Reisebulli kommt praktisch ohne Heringe aus.

Dem Universum danken

Wie lange hasst du schon dein Spiegelbild, morgens, kurz nach dem Aufstehen? Du hast Salben und Pasten aufgetragen, hast massiert und grimassiert, hast geklopft und geklatscht, geschoben und gedrückt, hast es mit positivem Denken versucht, mit Merzspezialdragées, weil Schönheit von innen kommt, hast Kopfstand an der Kellerwand geübt, hast Rollkuren gemacht, dir orale Einläufe verpasst und bist mit dem Kopf vor die Wand geknallt; nichts hat geholfen. Du siehst beschissen aus. Da hilft nichts. Du fühlst dich allein, und weißt im Stillen, du bist der hässlichste Mensch auf der ganzen Welt.
Und dann begegnest du jemandem, der siehst noch beschissener aus. Du dankst dem Universum für die Gnade, die dir zuteil werden durfte. Man hat dich nicht vergessen, man hat deine Gebete erhört, hat deine Bemühungen nicht ignoriert. Das ist schön: Du bist nur der zweithässlichste Mensch auf der ganzen Welt.
Hömma, Meister, sprichst du den Fremden an, hast du eigentlich schon mal in den Spiegel geguckt?

Behäbigkeit

Da denkst du, endlich hast du deine Ruhe gefunden, nein, mehr, du ruhst in dir, du kannst die Dinge betrachten ohne Aufregung, kritisch zwar, und immer mit einem Kommentar, der den anderen zeigt, wo du stehst, oder wo du sitzt, und wo jene stehen und sitzen, du bist auf dem Weg, das Leiden zu überwinden. Und dann kommt eine Person, meistens eine weibliche, und sagt: Nä, wenn ich das sehe, wie behäbig du da sitzt, so selbstgefällig, so unbewegt und unbeweglich, nä, da könnte ich mich aufregen, da könnte ich explodieren, da geht mir die Hutschnur auf, das macht mich fertig, nichts kann mich aufregen, aber du in deiner Behäbigkeit, in dieser pseudoabgeklärten Haltung, das ist doch arrogant, das ist doch zum Heulen. Aber die Person, meistens eine weibliche, explodiert nicht, nein, sie hüpft herum, schwenkt die Arme und zeigt Waden, ja, die sind zu dick, ja, da sind Strümpfe drüber, dann kann man eben denken, die Strümpfe seien zu dick, aber bei dir ist doch alles zu dick, die ganze Haltung eben, die ist dick, auch wenn der Rest noch gerade so geht, ich habe das so dicke, das glaubst du nicht.
Da denkst du dann, was habe ich den Frauen getan? Was ist passiert? Ist das das Gandhi-Syndrom? Durch Nichttun provozieren, durch Wangehinhalten, durch passiven Widerstand?
Und dann wirst du froh: Nach 2000 Jahren hast du es geschafft, eine Frau aufzuregen, dass sie sich über den Mann erhebt. Super! Da haben wir, vor allem die männlichen Personen, doch gewartet, dann können wir uns doch endlich zur Ruhe setzen, da können wir doch endlich behäbig werden, auch wenn wir das für das In-Sich-Ruhen halten. Da könne wir doch endlich unsere Innere Frau erwecken und uns mit ihr versöhnen.
Und die aufgeregten Frauen? Lass sie doch!

Alle Uten raus! (Georg Krakl 2014)


Pawl Pikass: Gute Ute (2014)
Auf den Allëuten
will man alle Uten,
also, Frauen, die noch Ute heißen,
aus dem Land rausschmeißen.
Auf die Frage: Ja, warum?
Heißt es: So sei’n die Statuten
Für die Allëuten.
Für die Frauen ist das dumm.

Nackte mit Gasmaske

Siebzig Prozent Steigung, für Oma und Trude ein Nichts. Früher hatten sie darüber gelacht. Wir sind doch eigentlich so ganz Hundertprozentige, hatten sie gescherzt, wohlwissend, dass man dann am Hang doch abschmiert, wenn man nicht ein paar zünftige Nägel in die Wand haut. Siebzig Prozent ist auch nicht schlecht, husteten sie jetzt vor sich hin und hofften insgeheim, dass sie endlich zu Hause wären, denn die Einkaufsbeutel schnitten unangenehm in die Hände.
Nun renn doch nicht so, rief Oma hinter Trude her, du bist doch auch nicht mehr die Jüngste. Ruhe, schnaufte Trude, sonst kommst du ins Altersheim. Jaja, wenn du nicht mehr kannst, dann fängst du mit dem Altersheim an. Ruhe jetzt, spar dir deinen Atem für den Berg!, kommandierte Trude. Oma lenkte ein: Hast du eben die nackte Frau mit der Gasmaske am Straßenrand vor der Leitplanke gesehen?
Ja, habe ich, antwortete Trude.
Und?, fragte Oma weiter.
Ich weiß nicht, japste Trude, denn der Berg war immer noch steil, ob das die neuste Mode ist? Oder geistige Verwirrung.
Ist doch meistens dasselbe, hechelte Oma, die sich ranhalten musste.
Aber nackt? Ist das denn Mode? Daran kann doch keiner was verdienen. Man verdient doch nichts an Nichts.
Da hast du auch wieder recht. Vielleicht verdienen die an der Gasmaske was, schlug Oma vor.
Ach, die sind doch aus dem Internet, von Ihbäh oder Emmerson.Gebraucht und zum Selberabholen. Abrüstung quasi.
Mann, ist das heute weit, grunzte Oma.
Nicht weiter als sonst, sagte Trude.
Wo du Recht hast, hast du Recht, schnaufte Oma.
Sag ich doch.
Haste gar nicht.
Denk ans Altersheim!
Ich hatte es gerade vergessen.
Eben.

"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Die Magie des Hasenbrotes

In der schnelllebigen Wegwerfgesellschaft kennt man das Hasenbrot nicht mehr. Es ist verschwunden. Dabei schmeckt es so lecker nach Aktentasche und Butterbrotdose.
Hasenbrote, wenn man das einem jungen Menschen von heute erzählte, der würde dich komisch angucken. Aber das tut er ja auch so.
Hasenbrote sind nämlich nicht mit Schnitthasen belegte Stullen, sondern die morgens geschmierten Broten am Abend.
Das klingt kompliziert. Ist aber einfach. Hasenbrote atmen den Geist der 60er Jahre.
Der Vater fährt zur Arbeit und hat in seiner Lederaktentasche eine Butterbrotsdose mit Frühstücksbroten. Diese Brote soll er im Laufe des Tages verzehren, um seine Arbeitskraft zu erhalten. Aus einem der Mutter nicht näher bekannten Grund, etwa weil Willi auf seinen neuen VW-Käfer einen ausgibt, verweigert der Vater den Verzehr zweier Schnitten, die in der Butterbrotsdose und der Aktentasche verbleiben und so bis zum Feierabend den Geruch bzw. den Geschmack der Behältnisse annehmen. Aus den normalen Schnitten sind plötzlich Hasenbrote geworden.
Sie schmecken besonders lecker, vergleichbar mit einem 12 Jahre lang in Eichenfässern gelagerten Whisky, der auch ein  bisschen holzig oder nach Fass schmeckt.
Die Hasenbrote tragen den harten Kampf in der Arbeit in sich, das Mühen um die Existenz der Familie, sie sind die Symbole für das tägliche Brot, dass es erst mal zu verdienen gilt, und natürlich auch, dass Willi auf seinen VW-Käfer einen ausgegeben hat.
Oft ist es ein Kind der Familie, das abends dieses Hasenbrot isst, oft der Sohn, der später auch einmal für seine Familie sorgen wird, und der hier bereits die Kraft des Hasenbrotes in sich auf nimmt, das alles beinhaltet, was er für den täglichen Kampf ums Überleben braucht.
Das weiß das Kind nicht, aber es spürt die Magie des Hasenbrotes.
Es fragt deshalb nicht: Warum heißt Hasenbrot eigentlich Hasenbrot? Denn es spürt, dass die falsche Frage, weil eine dumme Frage, diesen Zauber brechen kann, und dass es dann nur ein altes Butterbrot, das nach Aktentasche riecht, in sich hineinstopft.
Deshalb: Man muss nicht alles hinterfragen, und man muss auch nicht alles wissen. Annehmen, hinnehmen,einnehmen, das will geübt sein.

Die Gedanken sind frei: Elvira

Manchmal macht Liebe blind
Die Gedanken sind frei, wenn ich diesen Quatsch höre, kann ich nur sagen: Überhaupt nicht. Den ganzen Tag muss ich an Elvira denken, an die süße Elvira mit ihren Zöpfen und der vollgeschriebenen Schiefertafel, und dass sie den gleichen Griffel hatte wie ich, dass sie auch lieber warme Milch als warmen Kakao trank und so schön lächeln konnte. Einmal saß ich neben ihr, und ich konnte sie riechen.
Dann kam Horst, der blöde Arsch, und der hat sie dann geschnappt, dieser Tölpel, dieser Schiefertafelablecker, dieser Griffelfatzke, dessen Spitze immer abgebrochen war. Aber das mit der abgebrochenen Spitze war ja wohl kein Omen, immerhin hat ihm Elvira drei Kinder geboren und sah auch irgendwie glücklich aus. Dabei hatte ihr Blick etwas Kuhäugisches, fehlte noch, dass ihr die Zunge raushing, wenn sie die Horstbrut vom Kindergarten abholte.
Horst. Immer der Letzte im Schnellrechnen. Aber beim Draufhauen immer obenauf, immer was auf die Zwölf verteilt, immer ein Treffer an der Schießbude, immer eine Plastikrose für Elvira parat.
Dumm wie Stroh, aber ein Frauenbeeindrucker.
Hoffentlich hat der Nachwuchs ein bisschen was von Elvira. Drei Horste mehr auf dieser Welt wäre der Untergang.
Immer muss ich an Elvira denken, an die von damals; die von heute sieht schon breitgewalzt aus und hat auch etwas von Horst im Blick. Wahrscheinlich trinkt sie keine warme Milch mehr und hat auch keinen Griffel. Die Schiefertafel ist zerbrochen. Endgültig.

Spenden (Tonnes Tagebuch)


Liebes Tagebuch!
Heute habe ich einer Bettlerin einen Euro geschenkt. Ich war erst an ihr vorbeigelaufen, dann hatte ich aber so ein komisches Gefühl von aufwallender Mildtätigkeit, dass ich zurückgegangen bin und ihr das Geld in den Plastikbecher geworfen habe. Gelegt habe, Ich musst mich nämlich bücken, so als verneigte  ich mich vor ihrer Armut. Sie bedankte sich und ich blickte sie kurz an. Ach, blitzte es in mir auf, die Rumänen sind wieder da. Das ist doch eine Professionelle. Fast war ich geneigt, das Geld wieder aus dem Becher zu nehmen, dann aber dachte ich, dass auch eine Professionelle für ihr Geld arbeiten muss, denn das Wort professionell impliziert das schon.
Woher ich wusste, dass es eine Rumänin war, wusste ich auch nicht, aber höchstwahrscheinlich stimmte es, weil es meistens die Rumänen sind, wenn es nicht die Polen waren. Neulich sah ich ein rumänisches SUV-Fahrzeug neusten Datums in der Erotikzone von Hannover, der vor einem Glücksspielladen hielt. Es stiegen zwei dunklerhäutige Burschen aus, denen man nicht nachts begegnen möchte. Sie traten selbstbewusst auf den Bürgersteig, obwohl jeder weiß, dass Rumänien ein armes Land ist, und dass arme Leute eher unterwürfig auftreten. Ich fragte mich, was die hier wohl in der Erotikszene von Hannover machten und wie sie wohl diesen Wagen finanziert hatten? Ich jedenfalls wartete hier, weil in der Nähe ein Facharzt seine Praxis hat.
Die beiden sahen aber nicht aus, als wollten sie einen Arzt aufsuchen; sie wirkten recht proper und kerngesund.
Als ich ein paar hundert Meter weitergegangen war und meinen Euro schon fast vergessen hatte, saß da ein männlicher Bettler herum, der wie der Bruder der Rumänin aussah. Dem gab ich nichts , weil ich ja bereits dem ganzen Konsortium einen Euro hatte zukommen lassen. Mein Gefühl gelungener Mildtätigkeit wurde durch dieses Wissen von einem organisierten Bettlerring geschmälert. Das mag ich nicht. Wenn ich schon mildtätig bin, soll das Gespendete auch an die richtige Adresse.
Irgendwie war mir jetzt nicht mehr gut; dabei sollte Spenden, auch wenn es nur ein Euro ist, ein gutes Gefühl hinterlassen. Ich beschloss dann, die nächste knieende Frau zu übersehen und vielleicht einem Mann mit Hund, der auf dem Boden sitzt, etwas zu geben, denn niemand würde einen Hund aus Rumänien mitbringen, und ich könnte sicher sein, dass der Hund 20 Prozent meines Gespendeten abbekommt, sodass das Herrchen nicht alles in Alkohol umsetzt.
Bedingungslos Spenden, das ist das einzig wahre Spenden. Bedingungslos Spenden, das ist die einzige Bedingung, hahaha, musste ich lachen, und es ging mir schon etwas besser.
Ach, da fiel mir noch ein, dass Peter Maffay ja auch Rumäne ist, und was wohl aus seinem dicken Muttermal unter der Nase geworden ist. Wenn mir seine Musik besser gefiele, könnte ich jeden Tag Beifall spenden, der kostet nichts und da muss man auch kein schlechtes Gewissen oder ein mulmiges Gefühl haben. Leider gefällt mir die Musik nicht so gut.

Welttag der schwedischen Identität

Na, alter Schwede? Diese Frage hat doch jeder schon mal gehört und sie heißt übersetzt so viel wie: Na, alter Finne, hast du wieder deinen Norwegerpullover an und willst mal richtig auf die Kacke hauen? Was dem Kern der Sache nur ungefähr nahe kommt.
In Wirklichkeit heißt es: Na, alter Deutscher? Aber das darf man nicht sagen, weil der Deutsche nicht deutsch sein darf, denn die Vergangenheit legt ihr Veto ein, und Nationalstolz darf er auch nicht zeigen, was mit der historischen Komponente ebenfalls zusammenhängt.
Alter Schwede! Da denkt jeder sofort an IKEA und an essbare Flachverblender aus dem Baumarkt, die WASA-Knäckebröt heißen. Man denkt an Bullerbü, wo die Kinder immer lachten und an Nils Holgerson, der andere nicht Gans schalt, sondern auf einer flog, die wohl Martin  hieß.
Der Schwede ist also voll der Mythen und Ungereimtheiten, da taucht Pippi Langstrumpf auf, das Pferd wird Präsident und wir greifen uns ein paar Schwedenhappen, die aus was weiß ich bestehen. Köttbulla heißt wie es schmeckt.
Die Schweden sind moralisch den Deutschen unterlegen, weil die Frauen schon mal freizügig und initiativ bei den Männern um gemeinsame Feizeitaktivitäten nachfragen und sich nicht scheuen, unbekleidet in die Sauna zu gehen. Das Nackte gab es nur in der DDR, in der BRD war immer Tuch darüber, bis die Quick kam und die Neue Revue dazu, letztlich auch die BILD, denn warum sollte es BILD heißen, wenn keine Bilder drin sind, und wenn schon Bilder, warum nicht schön anzusehene?
Wenn also gefragt wird: Na, alter Schweder?, so heißt das, dass man all das dem Befragten unterstellt und davon ausgeht, dass er ein mächtiges Repertoire an schwedischen Erinnerungen und Erfahrungen hat. Vielleicht auch an die schwedischen Gardinen, hinter denen es den Schwedentrunk gab, den Carl Gustaf der schwedsche Adolf erfunden haben soll, um die Katholiken zum Platzen zu bringen.
Insgesamt ist klar: Soviel Wirrwarr verlangt nach einem Welttag, der dem einzelnen Schweden hilft, seine Identität zu finden. Und das könnte doch heute sein, wo doch gestern Tutenchamun-Tag gewesen ist.
Also los, alter Schwede, finde deine Identität!

Neue Flagge geplant

Die Schweiz hat einen neuen Flaggenentwurf, der von vielen Scheizern (Druckfehler!) befürwortet wird. Die Erinnerung an "Einfahrt verboten" schwingt mit: Das heißt: Wer in die Schweiz will: Wir müssen leider draußen bleiben. Es sei denn Tourist oder Schwarzgeldparker.
Schade um ein schnödes Volk. Schönes Volk, meinte ich.
Albert.

Frau am See (Günter Krass 2014)

Neulich schwamm ich im See so vor mich hin und dachte darüber nach, wie es wohl wäre, eine Stunde auf einem Holzsteg zu knien und was die Leute wohl dächten, die mich dort so knien sähen.
Plötzlich erblickte ich eine Frau, die vollkommen ohne Badeanzug dort auf dem Holzsteg kniete, der zufällig auf meinem Weg über den See lag, denn ich nutzte gerne die Ufernähe, um von hier nach dort zu gelangen.
Ich dachte, warum sie wohl kniete und nicht stand und ob es sie nicht schmerzte, auf nackten Knien zu knien, was ja schon komisch klingt, und ob sie vielleicht fröre, denn sie war unbekleidet und vielleicht sogar feucht vom vorherigen Bad im See, und ob sie vielleicht ihren Badeanzug verloren hätte und darüber demütig trauerte und vielleicht sogar Tränen vergoss. Ich sah auch keine weitere Kleidung auf Steg liegen und fragte mich weiter, wie denn die Frau ohne Kleidung nach Hause komme wollte, ohne Aufsehen zu erregen, und ob möglicherweise hilfreiche Hände ihre Blößen mit Mäntel und Tüchern bedecken würden, auch um sie zu wärmen? Wie war sie hierher gekommen, etwa im Badeanzug? Vielleicht war sie vom anderen Ufer über den See geschwommen und hatte unterwegs den Anzug verloren, weil er ihr zu groß gewesen war und durch ihre kräftigen Schwimmbewegungen vom Körper geglitten.
Fragen über Fragen stellten sich mir und ich schluckte plötzlich etwas Seewasser, sodass ich nicht fragen konnte, sondern husten musste. Mein Husten bemerkte die nackte Frau, die auf dem Steg kniete, aber nicht, und so hielt ich es für besser wortlos von dannen zu schwimmen. Ich dachte darüber nach, ob ich an das Knien auf dem Steg gedacht hatte, als die Frau kniete, oder weil sie kniete, oder ob sie kniete, weil ich an das Knie gedacht, oder nachdem ich daran gedacht hatte.

Groß in Japan (Diesjahr vor 30 Jahren)

Vor dreißig Jahren war der Hit der Gruppe Alphaville aus Münster auf Platz 1 der deutschen Charts! Also, übers Jahr verteilt. Big in Japan hieß er, und wir dachten darüber nach, was wohl daran Besonderes sei, in Japan groß zu sein, denn jedes Kind weiß, das Japaner eher klein sind und viel fotografieren, um die Fotos hinterher in Ruhe betrachten zu können. Warum schreibt man also ein Lied darüber, dass man größer als ein Japaner ist; das ist  diskriminierend, denn der Japaner hat kulturell einiges zu Wege gebracht.
Er hat einen Kaiser, den die Deutschen längst nach Holland verschreckt haben, und sie haben den grünen Tee mit entsprechender Zeremonie, sie haben Geishas, von denen der Deutsche träumt und der Japaner kann sich mit Karate und seiner Handkante durch jeden Dschungel, auch den Großstadtdschungel, schlagen. Toyata muss genannt werden. Und Mitsubishi. Mitsu, Mitsu, Mitsu ist eine hoch verehrte Dame, die schon ein Schlagersänger in den 50er Jahren besungen hat. Dass der Japaner etwas kleiner und gedrungener ist als der Deutsche, sollte man ihm musikalisch nicht unter die Nase reiben, denn gegenüber Gerüchen ist der Japaner empfindlich, besonders wenn es sich um alten Schweiß handelt. Da Schweiß und Scheiß eng beieinander liegen, kann man sich vorstellen, wie der Japaner die Nase gerümpft hat, als er solchen Scheiß gehört hat. Oder die Ohren, denn auch der Japaner hört nicht mit der Nase.

Frau (Jacko Metti 2014)

Jacko Metti - Frau (2014)

Jacko Metti hat mal wieder gebastelt. „Frau“ nennt er seine Materialcollage und jeder denkt sofort: Woher kommt mir der Name Jacko Metti bekannt vor? Und was will uns der Künstler mit dem Kram sagen?
Eine Frau im Sommerkleid, florales Muster obligatorisch, nackte Arme, ab dem Hals nach oben eine lässig hingekritzelte Zeichnung, die einen depressivien Frauenkopf mit flockigem Haar zeigt, und ein paar Brüste aus weißer Knete mit roten Warzen - das sind die Elemente einer Materialcollage, die man in zehn Minuten dahinwerfen kann, um dann zu suggerieren, hier handele es sich um Gesellschaftskritik. Der Unterleid fehlt - und da stutzen spätestens die Männer und fragen sich: Warum fehlt der Unterleib? Das ist doch nur eine halbe Frau! Oder ist es die Attraktion im Wanderzirkus von damals, als Zirkus noch Ersatz für RTL II war und die Dame ohne Unterleib ein Publikumsmagnet? Vielleicht will Metti andeuten, dass der Kopf der Frau unbedeutend ist, dass das Kleid in schönen Farben billigend in Kauf genommen wird und sich alles um die zwei Brüste dreht, die allerdings hier erhaben ins Auge springen,  denn sie verlassen als einziger Bestandteil die Zweidimensionalität.
Womit den Männer ein Zerrspiegel vorgehalten wird: Euer Verhältnis zur Frau ist reduziert auf ein paar weiße Fleischkugeln und Nippeln, die an die Ära des Saugens und Trinkens erinnert und in sie zurückversetzt, als der Mann nämlich noch Säugling war und sich als Mittelpunkt der Welt begriff.
Möglicherweise hatte Metti aber einfach nur Lust, mal etwas auszuprobieren, ohne zu wissen, warum? Wir wünschen ihm, dass er jemanden findet, der ihm das Ding abkauft, damit er sich ein neues Pfund Knete leisten kann.