Es
gibt Leute, die sind Akrobaten; sie stehen anderen auf den Schultern, strecken
die Arme aus und fallen nicht runter.
Sie
lieben das Risiko, auch wenn es keins ist. Die Menschen sollen die Akrobaten
sehen, sollen staunen und klatschen, vor allem klatschen.
Klatschen,
weil sie oben stehen, weil sie nicht fallen, obwohl sie die Arme ausgestreckt
haben und sich nicht festhalten können. Dabei stehen sie auf den Schultern von
irgendwem.
Über
den spricht keiner, weil jeder denkt: Unten stehen, das kann doch jeder, das
kann ja sogar ich, das ist doch keine Kunst, warum soll man denn da klatschen.
Oben stehen und nicht runterfallen, das ist die Kunst.
Dem
Untenstehenden schmerzt die Schulter, und er will sich gerne die schmerzhafte
Stelle massieren, das würde aber bedeuten, sich zu bewegen, was wiederum die
Stabilität des Obenstehenden gefährden würde.
Der
Untenstehende hält aus und beißt die Zähne zusammen.
Der
Akrobat nimmt irgendwann diese Duldsamkeit für selbstverständlich und hüpft und
tanzt auf dessen Schultern, auf dass die Menschen ihn, den Akrobaten, immer mehr bewundern und
beklatschen und bestaunen und ihn für ein menschliches Weltwunder halten.
Und
dann, wie man sich denken kann, mit der Selbstverständlichkeit wächst der Mut,
vor allem der Hochmut, und der paart sich mit Überheblichkeit.
Irgendwann
ist der Träger die Schmerzen leid, krümmt sich ein wenig, um an die plagende
Stelle mit den Fingern zu kommen, der Akrobat, mittlerweile unaufmerksam
bezüglich seiner Balance geworden, fällt kopfüber und schlägt sich den Schädel
auf. Die Schuld schiebt der Gestürzte natürlich dem Gequälten zu, er habe seine
Pflicht aufs Unglaublichste vernachlässigt, habe seine, die des Akrobaten
Gesundheit nicht nur gefährdet, sondern seine Versehrtheit verletzt. Kommt der Fall
nicht nach dem Hochmut?, fragt der Träger, weil er belesen ist. Davon hat der
Akrobat noch nie gehört und sucht sich deshalb einen neuen Träger, auf dessen Schultern er
stehen kann.
Der
Untengestandenhabende fühlt sich missverstanden und allein. Er sucht sich einen
neuen Akrobaten, den will er diesmal länger aushalten und nicht so selbstmitleidig
dessen kunstturnerischen Übungen gefährden. Denn, so weiß er, jeder hat seinen
Platz im Leben und sollte versuchen, an diesem und an keinem anderen zufrieden
zu werden.
Der
Akrobat beschließt, nie mehr abzustürzen.