Luis Trinker: Die vier Formen des Bergwanderns in den Dolomiten (5)


Luzides Wandern
Auch permanente Regenschauer können zu Erleuchtung führen, wenn der Begossene die Erfahrung transzendiert und damit sich aufhebt in den luziden, den hellen und strahlenden Bereich. Nur so verhindert er, sich als "im Regen stehen gelassen" oder als "begossener Pudel" zu fühlen und damit eher den gegenteiligen Effekt zu erzielen. 
Luzides Wandern: Nicht immer schöne Farben
Einfacher als das Gießen des Himmels zu transzendieren, ist es, auf besseres Wetter zu warten. Manchmal jedoch reicht die Zeit nicht, die wichtige Erfahrung zu machen, dass die Natur für Erkenntnisgewinn im direkten Verfahren sorgen kann: Sonne beschert luzides Wandern. 
Wenn aber doch die Sonne einmal scheint, dann hat das auf Grund vorangegangener Nasserfahrungen einen höheren Leuchtwert, faktisch eine eminente Strahlkraft. Selbst von den Gesichtern der Nasswanderer geht ein Glühen aus, das besonders in den Alpen große Anerkennung findet und dem immer Respekt gezollt wird.
Den luziden Wanderer  umgibt  die Aura des Glückspilzes, der in 50 Regenwochen des Jahres gerade die zwei herausgesucht hat, in denen der Himmel klar ist, in denen die Sonne scheint, in denen die Berge in voller Pracht zu sehen sind.Die Berge sind zu sehen und ihre Höhe, die Täler und ihre Tiefe!
Dann erst wird auch deutlich, warum es sich lohnt, 1000 km zu fahren. Alles andere kann mit der richtigen Einstellung auch im Oberharz erledigt werden.

Gedanken zum Jahresende

Ich liege zu einem Mittagsschläfchen unter Federn und denke: Was macht wohl Peter Eldrigde im Augenblick? Vielleicht lebt er in Australien und steht gerade Kopf, oder liegt mit dem Rücken zu mir und die Welt liegt zwischen uns.
Es ist doch faszinierend zu denken, dass zig Milliarden Menschen in diesem Augenblick vielleicht etwas ganz anderes machen als ein Mittagsschläfchen. Peter Eldrigde. Ich weiß nicht einmal, wie ich auf den komme. Peter ist ein bekannter Sänger, den kaum jemand kennt. Das ist absurd. Ein mir bekannter Sänger. Nicht gerade stadt- oder weltbekannt. Ich habe ihn noch nie persönlich getroffen, ich habe ihn noch nie singen gesehen, nur gehört habe ich ihn, von einer gebrannten CD, die mir ein Freund geschenkt hat. Hör mal rein, hat der damals gesagt, ist klasse. Meistens höre ich gebrannte CDs ohne Playlist von Künstlern, die ich nicht kenne, nie an. Bei Peter Eldrigde habe ich eine Ausnahme gemacht. Ok. Der singt gut, aber ich habe mir kein Stück eingeprägt. Das heißt: Er singt vielleicht viel zu gut.
Letztendlich könnte es mir egal sein, was Peter Eldrigde genau in diesem Augenblick macht, aber das ist ja auch Ausdruck der Gedankenlosigkeit unserer Zeit, der mangelnden Empathie. Vielleicht geht es ihm gerade nicht gut oder er ist stockbesoffen und schwankt nach Hause, vielleicht ist ihm auch schon schlecht und er beugt sich über den Bordstein, es war wohl ein Whisky zu viel, und nur, weil ihn Tilda verlassen hat, Tilda ist arrogant, erst fliegen solche Frauen auf gute Sänger, dann stellen sie fest, dass den kaum einer kennt und schon servieren sie ihn ab für einen krossbraunen Minigolfspieler, der das Vereinsturnier gewonnen hat, nur um den gegen einen bleich-verklärten Großgolfspieler, wenn es die überhaupt gibt,  einzutauschen.
Da kann einem schon schlecht werden.
Vielleicht macht Peter Eldrigde gerade was ganz ganz anderes. Vielleicht schläft er gerade, denn wenn es hier hell ist, ist es in Australien dunkel. Möglicherweise ist Peter Eldrigde aber gar nicht in Australien, sondern an einem geheimen Ort, sodass er keinem auffällt, aber auch keinem fehlt, weil ihn kaum einer kennt und nur einige Wenige gebrannte CDs von ihm haben. Das wäre schlimm. Aber so ist das Leben. Das war 2011 schon. Und bald kommt 2012. Vielleicht lebt Peter Eldrigde doch an der Datumsgrenze und er kann Silvester zweimal feiern. Nur - ob er das will? Also, ich nicht.

Silvesterfrisur

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Luis Trinker: Die vier Formen des Bergwanderns in den Dolomiten (3)


Voll frigide bei dem Wetter, die Bergwelt.

Frigides Wandern
Möglicherweise muss der Wandersmann, bevor er sich aus den nassen Kleidungsstücken schälen kann, noch ein erhebliches Stück des Weges bewältigen. In dem Fall kann die dichte Bewaldung im unteren Bereich der Bergwelt in den Dolomiten nicht darüber hinweg täuschen, dass es einfach kalt ist.
In Kombination mit Wanderkleidung, die sich im Stadium des Hauptwaschganges befindet, ist erhebliches Bewegungspotential nötig, um ein Abgleiten der Körpertemperatur zu verhindern. Neben der normalen Wanderbewegung bei erhöhter Schrittfrequenz - man will ja nach Hause! - sei empfohlen den Körper durch regelmäßig eingestreute Liegestütze warm zu halten.
Dem psychisch trainierten Bergfreund, der auch esoterischen Spielereien zugewandt ist, reicht es, die Innere Lampe anzuknipsen.

Zwischen den Jahren

Ein anstrengendes Jahr lag hinter den Märchenprinzessinnen. Rapunzel, Schneewittchen und Dornröschen hatten ihre Prinzen gefunden und Gretel die böse Hexe besiegt. Doch nach dem guten Ende war das Leben noch weiter gegangen und den vier jungen Frauen ging auf, dass das Leben nicht immer ein Märchen war. Regierungsgeschäfte und Beziehungen kosteten Kraft, die Prinzen hatten ihre Macken und die Damen bekamen die ersten Fältchen. Keine konnte sich schadlos halten, Gretel trug schwer an der Sache mit der Hexe, Schneewittchen empfand sich oft als platt und Rapunzel verfluchte ihr böses Lästermaul. Einkehr war nötig, zur Ruhe kommen mussten sie alle, jede auf ihre Weise und an ihrem besonderen Ort. Schneewittchen legte sich mit ein paar Flaschen Rotwein in ihren gläsernen Sarg und Dornröschen wollte hinter den Heckenresten einfach nur schlafen. Rapunzel hatte zu Weihnachten ein Meditationsbuch geschenkt bekommen und zog sich damit in den hohen Turm zurück, der so lange ihr Gefängnis gewesen war. Dort lagen noch ein paar lange blonde Haare, die Rapunzel zusammen mit dem mitgebrachten Weihrauch anzündete, bevor sie die Klangschale auspackte. Gretel ging tief in den Wald zum Hexenhaus. Im Ofen suchte sie nach einem geeigneten Knochen und band ihn an einem Lederband um den Hals, aus Pfefferkuchen, Asche und wer weiß noch was stampfte sie ein Gemisch für einen Talismann und hielt Nachtwache für die Hexe. Sylvester wollten die jungen Frauen gemeinsam verbringen und richtig feiern. Vielleicht fanden sie für Gretel ja auch noch einen Prinzen oder zumindest einen Frosch. Und dann eine Frauenband gründen oder ein Schuhgeschäft eröffnen. Aber jetzt brauchten sie Ruhe.

Luis Trinker: Die vier Formen des Bergwanderns in den Dolomiten (2)


Nass eben
Liquides Wandern
Verdichteter Dunst, vertröpfelter Nebel und verwässerte Wolken bilden die Basis für das liquide Wandern, wenn alles von oben nach unten fällt, oder gefallen ist. Die Frage, wie die Trekkinghose später zu trocknen sei, verbindet sich mit dem Gedanken, in welchem Wanderstiefel wohl mehr Wasser platscht und ob die Haut an den Zehen bereits die Waschfrauenfingerkonsistenz erreicht hat. Die Sicht ist eingeschränkt durch in die Augen gezogene Kapuzen und das über die Augäpfel bzw. hinter die Brille rinnende Regenwasser. Der Proviant ist durchgeweicht, sodass undichte Müsliverpackungen ihren Inhalt auf doppelte Größe haben anschwellen lassen. Die Haftigkeit des Untergrundes ist stark eingeschränkt, mancherorts bereits vollständig aufgehoben, Schuh und Leben scheinen zu entgleiten. In dieser Situation kommt es zu Fallsucht, diesem inneren Zwang, sich hinzufallen zu lassen, um das Leben zu retten. Beim Aufstehen brechen unbearbeitete Probleme der analen Phase auf, die der Kontakt mit der schlammigen Bodenmasse verursacht hat.
Das liquide Wandern ist in erster Linie reduziertes Wandern, auf das Wesentliche reduziert. Das Wesentliche wird im Bewusstsein von "Der Weg ist das Ziel" erst beim Weiterschreiten und Stürzen und Aufstehen sicht- und begreifbar.
Alles ist feucht, man sieht nichts, das Essen ist aufgeweicht. Erinnerungen an Frauenleiber beim Schlammcatchen blitzen nur kurz auf; dann wieder die Trauer um den verquollenen Müslireigel, der jetzt wertvolle Nähstoffe spenden könnte, aber nur ein Auslöser von Ekel ist.
Der Sinn der Sache liegt in der Fortbewegung.
Raus aus dem stickigen Pensionszimmer, das von der Abluftanlage des angrenzenden Viehstalles beatmet wird.
Raus aus dem Regen.
Und: Raus aus den nassen Sachen.

Luis Trinker: Die vier Formen des Bergwanderns in den Dolomiten (1)

Humide Wetterlage der leichteren Form: Kann auch das Urlaubs-
gefühl verderben
Man unterscheidet vier Formen der alpinen Fortbewegung: Das
1.humide
2.liquide
3.frigide
4.luzide Wandern.

Humides Wandern
Die Dolomiten zeigen sich gern verhüllt. Die Hülle besteht aus feuchten Substanzen, die sich als Dunst oder Nebel oder Wolkenbrei darstellen. Das Reizvolle bzw. völlig Reizlose dieser Tatsache besteht darin, dass man bei Wanderungen in dieser klimatischen Umhüllung das Gefühl nicht los wird, man liefe im Oberharz auf markierten Wanderwegen, die etwas ausgetretener als gewöhnlich sind.
Das humide Wandern ist von mindestens zwei Komponenten bestimmt:
a) Von diesem Harz-Gefühl. Man fragt sich ständig, warum man 1000 km gefahren ist, wo's doch im Harz genauso schön sein kann. Weniger sehen kann man dort im Augenblick des humiden Wanderns auch nicht.
b) Von der Sorge um die Wanderkleidung. Da sich die Nebelhüllen häufig vertröpfeln und Form von Regengüssen auf die hoffnungsvollen Wanderer niedergehen können, kreist das Denken um die Fragen: Wie halte ich meine Trekkinghose trocken? Sollte ich die Hose in die Schuhe stecken oder die Schuhe in die Hose? Warum nässt meine Regenjacke an den Schweißnähten? War sie billig?
Ein Goretex-Funktions-Windbreaker, der in einem exklusiven Fachgeschäft gekauft wurde, wie etwa dem Globetrottel, und trotzdem innen feucht wird, evoziert Hassgefühle, wenn das Preisschild erinnert wird.

Zusammengefasst lässt sich bemerken, dass humides Wandern nur in seltenen Fällen der Steigerung des Urlaubs- oder überhaupt des sportlichen Genusses dient. Froh sein kann jeder Betroffene, wenn es eben zu keiner Vertröpfelung kommt und alles im Nebulösen und Diffusen bleibt. So lassen sich Gefühle einfacher kontrollieren.
Das humide Wandern steigert sich im liquiden Wandern. (Teil 2)

(Aus: Luis Trinker: Wandern mit andern, Komisch-Partenkirschen 1998, S. 113)

Der Gruß in der Bergwelt


Faszinierende Bergwelt voller skurriler Gestalten
Es gehört zum guten Ton eines Wanderers aus dem Norden, wenn er in der in- und ausländischen Bergwelt seine Touren macht, dem entgegenkommenden, vielleicht einheimischen Wanderer, seinen Gruß zu entbieten, womit er das Gastrecht des Fremden umsetzt und Respekt dem Gastgeber zollt, auch wenn dieser wenig mit der Beherbergung zu tun hat.
Der Bergweltler entgegnet meistens, denn er will nicht unhöflich wirken, auch wenn er die "Falchlandtiroler" insgeheim verachtet, er grüßt, weil die gute Geschäfte versprechen und selbst kitschigen Ramsch aus der Herrgottsschnitzerei entlohnen und nach Hause abschleppen.
Nicht immer ist beim Entrichten des Grußes zu erkennen, um welchen Landsmann es sich handelt. Der Nordmann will sich jedenfalls nicht anbiedern und verzichtet auf landestypische Floskeln. Er sagt ein deutliches "Guten Tag".
Was das Gegenüber dann durch die Zähne presst, ist oft nicht zu analysieren, und es fällt schwer, den Menschen einer Region zuzuordnen, was wiederum den Inhalt seines Grußes entschlüsseln ließe.
Oft handelt es sich um ein Psssssptttttt, wobei besonders das s und das t diskriminiert werden können, ob es sich in der Anlautung der beiden Silben wahrhaftig um ein P handelt, ist nicht zu beweisen, sodass der Inhalt des Grußes ganz unterschiedlicher Qualität sein kann.
Ein derart dauerhaft in der Zeit seines Urlaubs verunsicherter Nordmensch beginnt dann, einen eher gestammelten Grunzlaut als Gruß zu entbieten, der aus jeder Gegend Europas und auch des Balkans und Vorderen Orients stammen könnte: Mmmmmmnooooo! 
Vielleicht ist das ein archetypischer Laut, der in jedem Hörer stammesgeschichtliche Erinnerungen abruft, an die gemeinsame Feuerstelle der Vorfahren oder ein gemeinsam gejagtes und verzehrtes Mammut.
Mmmmmmnnnooooo! Der Italiener versteht da ein Bon giorno!, der Österreicher ein Fürt eich, joooo! und den Schweizer interessiert das ohnehin nicht, weil er sich lieber aus internationalen Verflechtungen heraushalten will.
Während der Mittel- und Nordeuropäer noch über den Charakter der Botschaft, gerade wegen des etwas burschikosen Herausbellens des Pssssspttttttt!, nachdenkt, ist der andere bereits von dannen geschritten, laut vor sich hin erzählend, als spräche er zu den Bäumen des Waldes oder den Murmeltieren, die keck die Köpfe emporrecken.
Vielleicht war alles auch gar kein Gruß.
Vielleicht eine Warnung vor dem Abgrund in 50 Metern oder eine schlichte Beleidigung.
Es reicht nicht immer guten Willens zu sein. Manchmal empfiehlt es sich einfach, zu Hause zu bleiben.

Lyrikschule(2): Reimlexikon

Jedem angehenden Lyriker steht es gut zu Gesichte, erst mal ein oder zwei Seiten aus dem Reimlexikon abzuschreiben. Dabei entwickelt sich sein Gespür für Haufenreime und er kann gleichzeitig erkennen, für wie viele Wörter es keine Reime gibt und vermeidet langes Grübeln.
Hier eine Beispiel:
Georg Krakl: Ummel (2011)
Bummel
Fummel
Gebrummel
Gefummel
Hummel
Pummel
Rummel
Stummel
(Reclam Reimlexikon S.377, Stuttgafrt 1997)
Der genervte Lyrikliebhaber mag das Werk von Krakl als sinnloses Abschreiben deklarieren, aber die Gegenwart hat gezeigt, wie viel Publicity das Abschreiben bringt und das ist es, was Lyrik braucht, damit die schmalen Bändchen nicht beim Antiquar vergilben.

Lyrikschule: Zahlenmystik und Tannenbaum

Das nebenstehende Gedicht kann jeder schnell selber zusammenstellen und erzeugt damit einen eigenartigen Effekt, besonders in Zeiten von Finanzkrisen, wo jeder mit dem Schlimmsten rechnet und froh ist, wenn ihm ein paar Zahlen angeboten werden.
Tipp: Einfach mit hundertundeins anfangen, dann entsteht etwas Eigenes und das Gedicht wird noch breiter.

Der König denkt über Siegfried und Hagen nach

Chic, einfach chic, die neue Drachenmütze
Der König wusste: Die neue Drachenmütze von Etirel war etwas Besonderes, sie war nicht nur totchic, sondern hatte eine Strahlkraft, die die Monarchie ins Unermessliche schleudern würde. Da konnte ein Siegfried nichts machen, ein Fafnir war nur ein schlecht koordinierter Würfelhusten und selbst Gunnar, der gute alte Gunnar, der Blender vor dem Herrn, der Trickster, der Oberaffenbetrüger, wirkte neben der Drachenmütze blass und verfroren.
Hagen, ja Hagen vom Trönchen, der hatte eine gewisse Größe, vielleicht, weil er nur ein Auge hatte, und der hatte diese negative Strahlkraft, der saugte alles auf, was neben ihm stand, da musste auch die neue Drachenkappe Gas geben, um sich nicht die Schau stehlen zu lassen.
Hagen war ein Wechselbalg, der wirkte im Vergleich zu all diesen Gleichstromkindern wie ein Gigant, leider im negativen Sinn. Da war zu überlegen, wie man den sinnvoll ins Programm einbauen konnte, Hagen konnte man nicht einfach abservieren, den musste man beschäftigen, sodass noch etwas Nützliches für einen selber dabei rauskäme. Sich selber müsste man natürlich auch in Acht nehmen, lächelte der König, Hagen war schon eine Nummer für sich, vielleicht könnte er dem Schnösel Siegfried mal eine Delle verpassen, dass der nicht immer auf Brünnhilde schielte, der sollte sich gefälligst an Krümhild halten, die hatte auch eine leicht gebogene Nase und trug nie etwas unter den Linnen, das war doch eine gute Partie gewesen, und er, der König, dachte der König, war sie endlich losgeworden, die hatte doch schon etwas Klettiges an sich gehabt, und dann immer das Gerede von einem Schatz, hach, und der müsse doch jetzt mal unters Volk, wollte heißen, an Krümhild dran in Form von Geschmeide und anderem Gehänge.
Siegfried war der Schlüssel zum Erfolg und Hagen die Hand, die ihn drehte. Der König grunzte leise und wusste, dass es gut werden würde.


Rotmützen irren umher

Menschen irren umher, sie wissen nicht wohin, keiner nimmt sie wahr, obwohl sie auffällig sind, sie werden ignoriert, jeder starrt an den Boden, in den Himmel, durch Fenster in Wohnungen oder ins Portemonnaie, um das restlich Weihnachtsgeld zu überprüfen. Niemand sagt ein Hallo!, niemand ein Guten Tag!, die Umherirrenden machen Angst oder halten den Spiegel vor und werfen die Mitmenschen zurück auf ihre erbärmliche Existenz, die es nicht zulässt, ein Hallo zu sagen oder den Blick vom Portemonnaie abzuwenden.
Seltsam muten sie an, die umherirrenden Menschen, sie haben Plateusohlen wie Treckerprofile und große Hände, als würden sie Säcke tragen, die mit Geschenken voll sind und ihren Inhalt in deutsche Wohnstuben kippen, um die gierigen und unersättlichen Kinder zu überhäufen.
Das Schlimmste: Sie tragen rote Mützen und bemühen sich, einen friedlichen und sanften Gesichtsausdruck zu stabilisieren, im Inneren kocht der Zorn aber eine giftige Suppe, die das Fest der Liebe verätzen könnte. Aus Gram über die Ignoranz und aus Wut über die Arroganz der Mitmenschen lassen sich die Irrenden Bärte wachsen, weiße Bärte und jagen hinter Rentieren her, damit sie die Schlitten mit den Geschenkesäcken nicht selber tragen müssen. Auch wenn die Rentiere, wie das Wort schon zeigt, der Rechtschreibung nicht wirklich mächtig sind, so können sie trotz falscher Schreibung eins: Rennen.
Da bleibt es für die Rotmützen bei einem jämmerlichen Trauerspiel, das erst in 14 Tagen und spätestens gegen Ostern enden wird.
Erbarmen!

Puschido: Ich bin sozialintergral


Hey Alter Zitronenfalter
was hängst du hier rum bist so dumm
bist am Kiffen die Straße versiffen
so geht das nicht jetzt ist mal Schicht
du musst dich bemühen nicht Wände besprühen
nicht rumlungern wenn andere hungern
mal arbeiten und sich integrieren
nicht hilflos die Straße anstieren
da ist doch nichts los ist kein Moos
das findest im Wald unter Bäumen
hör auf zu träumen musst dein Leben aufräumen
ich hab es geschafft hab mich aufgerafft
damit ich das werde auf dieser Erde
der Nabel der Welt der hält was verspricht
ist erpicht auf Fans keine Wenns keine Abel am Internetkabel
Millionen Klicks bin so fix
sag keine bösen Wörter von Möwen und Schwänen und bitteren Tränen
und sage: Gib Fakten, geh raus aus vertracktem Leben, daneben ist gestern ach Schwestern  jetzt helft ihm da raus 
mach was Neues, und sei mal wer Treues
und willst du nicht hören das kann ich dir schwören
ich bin kein Rassist doch was Hass ist
das wirst du dann spüren das kann ich dir schwüren
ich pick deine Futter
ich esse dein Brot aus Korn und aus Schrot
ich trink deine Milch du hoffnungsverlorener Loserknilch!

Ich bin so sozialintegral egal was das ist
egal wer du bist sozialintegral
totalintegral
normal und sozial
fatalintegral
(Chor: Meine Cosinus trägt nur ein Tangens)

weintraumen

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Dame mit Blumentopf auf der Fensterbank

Der frisch gelegte und tagelang gehegte Same im Blumentopf jener Dame, die ich betörte, störte irgendwie die Harmonie der Begegnung. Was Segnung sein sollte lahmte.
Es gab Stunk mit dem Skunk, so nannte ich den Hausmeister, der seinen Kleister im Treppenhaus vor der Dame kleinem Klaus, ihr Sohn wohl schon, verschmieren wollte. Tapeten an die Wände, geschickte Hände!, flötete der Mann. Jaja, ich kann. Das, was man Tapezieren nennt. Nicht als Verschmieren kennt! Zieren soll das Papier die Wände, nicht die Tür. Dann kam die Wende. Ich schenkte ihm keinen Blick. Der war mir zu dick. Ich spürte Hass auf dieses Fass. Stierte verstohlen und doch unverhohlen auf die Steckdose, die lose aus der Wand baumelte. Ich taumelte ein wenig. Der Hausmeister stand wie eine Eins. Sein Name: Heinz.
Zurück bei der Dame flüchtete ich in Gekrame in einer allein offen stehenden Schublade. Schade, sagte die Dame, es hätte was werden, auf dieser Erden, was werden können. Das Schicksal wolltes mir nicht gönnen. Der Blumentopf auf der Fensterbank, so blitz, so blank, in ihm keimte, weil es sich reimte, der Same. Er gehörte, was mich zu anfangs verstörte, der Dame. Nicht dem Topf. Ich ergriff die Gelegenheit, vielleicht auch Verlegenheit, beim Schopf. Ich verschwand kurzerhand.

Lachen stirbt aus

Meisen fressen keinen Kohl und sehen auch nicht so aus, erst recht haben sie ihn nicht gewählt, aber Möwen lachen gern und laut und lange konnte man ihr ausgelassenes Gelächter bis weit ins Binnenland hinein vernehmen. Doch das Möwenlachen wird leiser und seltener und Forscher haben herausgefunden, dass Lachmöwen sich mit der Fortpflanzung inzwischen schwer tun. Gerade noch drei Eier zählt das Durchschnittsgelege, wogegegen die kleine rührige Kohlmeise locker 14 Eier in ihr Nest schmeißt, ausbrütet und großzieht. "Die Ursula unter den Vögeln" wie Ornithologen inzwischen liebevoll über die Kohlmeise sagen. Warum die Lachmöwe immer weniger Nachwuchs produziert, liegt noch im Dunkeln, sie kommt ja viel rum, über die Meere und überhaupt, wahrscheinlich gibts da nicht mehr viel zu lachen und all das, was die Lachmöwen da so zu sehen zu bekommen, Plastikvermüllung und Überfischung, Flüchtlingsboote und verirrte Blauwale, scheinen ihr die Lust am Lachen und am Eierlegen ausgetrieben zu haben. "Wir vermissen das Lachen der Möwen so sehr", wird Knut Knutsen von der Insel Föhr zitiert, "früher war es nicht schlimm, wenn man mal das Ende von einem Witz vergessen hat, da hat immer einer gelacht, aber heute ist es manchmal ganz schön öde, ohne Pointe und ohne Lachen." So ist das eben, Lachen steckt an und Nichtlachen auch, nur Fortpflanzung funktioniert anders.

Was ist denn noch zum Lachen?

Nicht jeder, der einen Lichterkranz auf den Tisch stellt, will Piettät demonstrieren, oft geht es unterschwellig darum, sich über die Gebräuche der Mitmenschen lustig zu machen.
Da entstehen Objekte, die man eigentlich keiner Jahreszeit zuordnen kann und die sogar Opa zum Lachen bringt, sodass sein Gebiss sich formschön in das adventliche Tannengrün schmiegt, weil seine Haftcreme während der explosiven Lachsalve seine Haftigkeit verloren hatte.
Aber was gibt es denn wirklich zu lachen?
Soll das der Engel in der Streichholzschachtel sein, den man einfach zuschieben kann, wenn die Zeichen auf Ostern stehen?
Sind es die Nüsse, die dem eifrigen Eichhörnchen vorenthalten werden, das diese dringend  für den Wintervorrat braucht?
Ist es der vertrocknete Seestern, der den Betrachter auf die falsche Fährte locken soll, damit er in die Hölle wandert?
Das ist alles nicht zum Lachen.
Zum Lachen ist die FDP, zum Lachen ist der Bundespräsident, der einen 500.000-€-Kredit bei einer mittellosen Schmuckverkäuferin bekommt, weil die einen schwerreichen Mann hat, zu dem der Bundespräsident aber keine geschäftlichen Beziehungen unterhält.
Wenn man es genau betrachtet, dann gibt es eigentlich überhaupt nichts zu lachen. Es ist zum Heulen.

Wahrnehmungspsychologie: Wo hingucken?

Vladimir Kanniksky - Freiheitsstatur (2011)
Frauen, das weiß man mittlerweile zu genau, sind multitaskingfähig. Auch wenn Männer das mit dem Wort mutti-taskingfähig persiflieren wollen, hat sich erwiesen, dass Frauen zwei Dinge und mehr zu gleich Zeit machen können, etwa Stricken und Fernsehgucken.
Wenn Frauen Bilder mit Frauen betrachten, geht ihr Blick immer in zwei Richtungen: Einerseits wir der Untergrund abgesucht, um festzustellen, ob sich dort eine Maus oder ein ähnlich kleines Tier befindet, andererseits prüft sie die Frisur der dargestellten Konkurrentin auf dem Gattenwahlmarkt und stellt sich die Frage: Mag er das?
Manchmal bleibt sie an einer besonders hässlichen Variante hängen und übersieht, dass am Boden ein Kleinsäuger sein Unwesen treibt. Akute Gefahr wird überlagert von Eitelkeit und Geschmacklosigkeit. Neben der Frisur wird, falls vorhanden, auch die Sonnebrille kritisch überprüft und meisten mit einem "Ihhhbäh" oder einem "Das ist ja eine Schweißerbrille" kommentiert und abgetan.
Der Mann blickt gar nicht erst so weit, er bleibt in der Mitte hängen und sucht nach Lohnenswertem. Was interessiert ihn die Frisur, wenn es nachts dunkel ist. Und Mäuse sind sowieso out of bounds bzw. ein no-go für die männliche Wahrnehmung.
Nachdem der Mann den Mittelteil der Dargestellten betrachtet hat, kommt er zu der Erkenntnis: Die ist doch gar nicht ganz da.
Damit wendet er sich einer anderen Dame zu. So schnell geht das.
Die Frau denkt noch über Frisur und Maus und Brille nach; der Mann ist schon weg. Er kann immer nur eine Sache: Hier sein oder da sein.

Guten Morgen!

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Hummer als die Polizei erlaubt

Wachs, Lachs!
Der Chef steht am Beckenrand und schreit ins Wasser. Choleriker eben.
Nebenbei streut er Futter und eine gute Portion Antibiotika in die Fischgruppe.
Der Lachs an sich denkt: Ich wachs doch nicht, wo käme ich denn da hin? In so eine eingeschweißte Plastikschachtel. Ich bleibe klein, dann lebe ich länger. Krank werde ich auch nicht, denn es gibt täglich Antibiotika.
Du bist ja dummer als ein Hummer!, schreit der Chef jetzt.
Selber hummerdumm, denkt der Lachs und schlägt leicht mit dem Schwanz, kannst ja nicht mal den Komparativ von dummer richtig bilden. Aber das Wort Antibiotikum in den Mund nehmen! Hanswurst!
Dümmer als die Hümmer, das geht auch nicht, denkt der Lachs weiter, dumm-dümmer-Steinhuder Meer, ach wie lustig, grinst der Fisch und seine Kollegen fragen sich: Was hat der denn geschluckt? Oder vergessen zu schlucken?
Steinhuder Meer ist aber Süßwasser, denkt der Fisch weiter; der Chef schreit immer noch oben am Tageslicht: Wachs, du blöder Lachs! Der Lachs weiß aber, das Lachszüchter richtig blöde sind, weil sie gelegentlich von ihren Produkten essen und das ist auf Dauer nicht gesund.
Der Fisch fängt an zu reimen, auch eine Folge des Antiinfektionsmittels:
Der Lachs ist stumm
der Chef ist dumm
der Hummer
dummer
Der Fisch schlägt noch einmal mit dem Schwanz und summt stumm vor sich hin: Ich liebe Doppelkonsonanten, besonders das mm.
Der Chef bekommt einen Herzanfall. Da hilft ein solides Antibiotikum sowieso nicht.
Lachsölkapseln hätten da vorgebeugt.
Antibiotika werden total überschätzt. Das nützt dem Chef jetzt nichts mehr.


Versessen auf richtiges Sitzen

Pawel Pikass: Stuhlstudie zu einem Studienstuhl (2011)
Also das ist so. Eigentlich sitze ich zwischen Hillu und Tanja, Hillu links, Tanja rechts, weil ich auf dem rechten Ohr besser höre. Walter sitzt neben Tanja.
Heute betrete ich den Raum, sitzt Walter auf meinem Platz und spricht mit Hillu. Tanja ist auch schon da und sagt nichts. Sie guckt geradeaus durchs Fenster auf den Hof.
Ich sage: Höi, Walter, was machst du da auf meinem Platz!? Ich tue so, als sei das ein Scherz, ist aber keiner. Walter grinst und sagt, er würde natürlich aufstehen, wenn ich das jetzt wollte. Das meint er auch als Scherz, und es ist wohl auch einer.
Bleib ruhig sitzen, sage ich, ich muss sowieso noch mal raus. Fünf Minuten später komme ich neu rein und Walter sitzt immer noch auf meinem Platz.
Ich setze mich auf Walters Platz, drehe meinen Kopf nach rechts, wie ich es gewohnt bin, also halbrechts, und will Tanja ansprechen, die eigentlich links von mir sitzt, sonst aber rechts, und aus dem Fenster starrt. Rechts von mir ist der Tisch zu Ende, da sitzt niemand, mein Satzanfang geht ins Leere, als ich mich ganz nach rechts drehe, sehe ich, dass Tanja gar nicht da sitzt. Sie sitzt ja links.
Vielleicht kann Tanja ihre Nackenverspanntheit so mal lösen, denke ich, wenn sie sich beim Sprechen immer nach links zu mir dreht, wird der Muskel auf der rechten Schulter immer gedehnt, während der auf der linken immer zu kurz ist. Das führt zu einer Dysbalance. Gut, manchmal redet Tanja auch mit Walter.
Ich will ihr das sagen und drehe mich nach rechts. Wieder falsch. Rechts ist der Tisch zu Ende, da sitzt niemand.
Ich fühle mich wie abgetrennt, wie weggebissen. Walter hat mich weggebissen. Was soll ich tun? Er hat mich auch noch auf so eine freundliche Art weggebissen, dass man in der Öffentlichkeit nicht gut zurückbeißen kann. Was aber notwendig wäre, um den Gesetzen der Natur zu entsprechen.
Wir sind doch zivilisiert, da tut man sowas nicht, würde Hillu sagen. Mit der rede ich aber wenig, und wenn, schaue ich dabei aus dem Fenster. Wegen der Ausgeglichenheit der Nackenmuskulatur. Scherz.
Meine Welt ist in Unordnung geraten.
Vielleicht kommen wir nicht umhin, andern ans Stuhlbein zu pinkeln, um das Revier zu markieren.
Das wäre jetzt aber mein Stuhl, auf dem ich normalerweise sitze. Keine gute Idee.
Ich muss sehen, was das mit mir macht. Drüber schlafen.
Morgen ist Walter nicht da. Gut für ihn.

Geheule an Weihnachten

Neue Zeiten erfordern neue Verhaltensweisen. Die Zersplitterung der Gesellschaft findet eine analoge Entsprechung in der Anordnung der Weihnachtsgeschenke. Früher hatte der Weihnachtsmann oder das Christkind die Präsente sorgfältig angeordnet, keiner wusste wie er und es  das machte in seiner knapp bemessenen Zeit.
Der Weihnachtsmann ist tot, postuliert der Zeitgeist. Und das Christkind soll männlich sein; das widerspricht aller Erfahrung, auch wenn diese letztlich fiktiv ist.
Die Kinder heulen, es fehlt der Baum, zum Essen gibt es den MacX wie X-mas oder XXL, auch wenn die Bezeichnung an Malcolm X erinnert, dem radikalen Vertreter der Black Panther-Bewegung, Bio-Pute und ganzheitlich gemästeter Gans.
"Rasse statt Klasse" sind die unlauteren Schlagwörter der damaligen Zeit, heute regiert die Verlogenheit, die Abschreiber für die Kontrolle des Anschreibens besoldet und sich nicht zu schade ist, auf den Weihnachtsbaum zu verzichten.
Wenn die Geschenke dann noch  bieder sind, wenn Migräne-Barbie und ein Ballerspiel fehlen, dann ist das Geheule groß.
Kinder, wie die Zeit vergeht. Und wir gehen mit.

Georg Krakl: Duden lesen (2011)


Alte Rechtschreibung? Längst fort.
Und mein Duden? Ganz verwittert.
Meine Leselampe? Ist zerknittert.
Bin doch erst bei S wie Sport.

Nicht ein Mensch versteht,
wie die Zeit vergeht.
Wie die Schreibung sich verändert, sich entstellt,
einer Katze gleich, die bellt.

In dieser Wandlung überhaupt zu lesen,
das ist schwer.
Lohnt kaum mehr.
Lesen? Das ist's wohl gewesen...

Steif oder beweglich

Echt oder unecht? Wirklichkeit oder Fake? Wie oft verschwimmen die Grenzen und die Orientierung im Leben fällt so unendlich schwer. Gibt es den Weihnachtsmann oder gibt es ihn nicht? Was ist mit UFOs? Aliens? Weltfrieden? Der wahren Liebe? 'Gibts das wirklich?', fragen kleine Kinder. 'Ist das echt?' - noch eine Frage, die helfen soll, sich zwischen den Welten zurecht zu finden, aber ohne Anfassen sind diese Fragen immer schwerer zu beantworten. Eine kleine, aber wirkungsvolle Hilfe im Alltag können Knöpfe sein, Knöpfe im Ohr von Stofftieren, großen oder kleinen, exotischen oder heimatlich angesiedelten. Sie sagen eindeutig: Ich bin echt, du musst keine Zweifel haben und darfst mich ruhig drücken, an den richtigen Stellen gedrückt mache ich sogar Geräusche. Du fragst noch 'Was ist denn echt? Echt echt oder echt Steiff?' Aber das war die eine Frage zu viel und wieder versinkst du in der Orientierungslosigkeit. Über manche Fragen sollte man nicht zu lange grübeln.

wer ?

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Die Damen vom Ponyhof

Stolz wie Oskar sollen sie gewesen sein, die Damen vom Ponyhof, die früher als "Die drei Damen vom Grill" belächelt wurden, weil sie so gerne kross gegrillte Ponybratwurst aßen.
Jetzt traten sie nach einem echten Coup, der die Plakette "Zivilcourage" verdient, als Fury, Black Beauty und Rin Tin Tin an die Öffentlichkeit und verhelfen den vielleicht vergessenen Ponys und früheren Fernsehstars zu neuem Ruhm.
Unlängst hatten Sie einen dreisten Dieb beim Diebstahl eines Klodeckels erwischt und mit lautem Wiehern, das, wie sie selber sagten, ein gemeinsames Lachen über die Frage "Ja, welcher Idiot klaut denn gebrauchte Klodeckel, und dann noch von der Damentoilette?"gewesen sein soll, erschreckt hatten, sodass der Einbrecher sogar vergaß zu fliehen. Der Täter wurde samt Klodeckel (hinten links) von der örtlichen Polizei festgesetzt und dem Haftrichter zugeführt. Der Klodeckel dient mittlerweile, nachdem er spurensicherungstechnisch behandelt worden ist, den Menschen wieder in der für ihn vorgesehenen Weise.
Alle Achtung, meine Damen!

Freiheit, die ich meine

Meine neuen Gummischuhe in den neuen Modefarben 2011, so warm, so wohlig und dann auf dem roten Laminat, das Hammer letzte Woche erst  verlegt hatte, die Wollsocken in weinrotem Strickmuster, das passte alles so genau aufeinander, als hätte das Leben es diktiert. Vor 10 Jahren hätte ich mir nicht träumen lassen, überhaupt in Gummischuhen herumzulaufen, das war was für Leute, die auch bei Regen Rasen mähten, für Leute, die im Schlachthof Schweine killten oder für Fetischisten, die sich ohne Gummi in der Freizeit nur langweilten.
Meine neuen Gummischuhe. Ich hatte mich gleich in sie verliebt. Sie hätten eigentlich in den Stiefel gehört, den ich am 5. Dezember vor die Tür gestellt hatte, aber da passten sie nicht hinein, weil sie genauso groß waren wie die Stiefel.
Mit meinen neuen Gummischuhen würde ich richtig was hermachen bei uns im Schrebergarten, in der Badeanstalt und auf dem Campingplatz an der Unterweser. Meine neuen Gummischuhe waren mein Symbol von Freiheit. Gut, dafür musste ich noch eine Begründung finden, aber ich hatte ja noch Zeit bis zum Frühjahr. So lange würde ich auf dem neuen roten Laminat herumlaufen und meine Freiheit genießen.

aufgeräumt

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Beziehungskitsch

Wolle, die alte rückfettende Socke, dachte Betti, dieser überholte Öko, Wolle düst jetzt mit dem Bulli durch die Gegend, ziellos, planlos, spritverjuckelnd, das war nicht öko, nicht bio, das war dämlich.
Wolle hatte das Foto gefunden mit Betti auf dem Bärenfell und hatte sofort durchgestartet: Wer hat das denn gemacht, das Bild kenne ich überhaupt nicht, weißt heißt hier, das war vor meiner Zeit?
Haha, eine Freundin, dass ich nicht lache, jaja, ich weiß, dass du auch schon einen Freund vor mir hattest, aber der hatte angeblich keinen Fotoapparat. Eifersüchtig. Meine Güte. Wolle kam doch sonst nie aus dem Quark und hier drehte er durch, als hätten sie ihm einen Turbolader reingeschoben.
Die erste Rundewar glatt an Wolle gegangen, der hatte sich jetzt aus dem Staub gemacht, da war nichts zu kontern. Natürlich hatte das Foto keine Freundin gemacht.  Beziehungskiste, das Unwort von 1984 oder wann, wie sie das hasste, Beziehungskrise, Beziehungsclinch, jetzt wurde es hinten matschig, Clinch und Kitsch. Clinch war regelwidrig, wenn du jetzt umklammerst, gibt es Punktabzug, da fliegst du aus dem Ring, wenn du nicht aufhörst. Aber Wolle war gefahren, hatte den Ring verlassen, Betti war Sieger nach Punkten, trotz der ersten Runde, Wolle war gar nicht mehr angetreten, hatte gekniffen, das passte zu ihm. Beziehungskitsch. Das war auch ein schönes Wort. Betti holte die alte Russenmütze aus dem Regal, die hatte Wolle aufgehabt, als sie ihn kennengelernt hatte auf einer Demo. Betti hatte die Mütze jahrelang getragen, weil Wolles Geruch in ihr haftete. Jetzt war es Zeit, Platz zu schaffen, alte Knoten zu lösen. Luft holen. Dritte Runde. Russenmütze gegen Bärenfell. Betti schnupperte am Pelz. Sie konnte Wolle nicht riechen.

I've looked at life from both sides now

Wolle konnte schrecklich einseitig sein, dachte Betti. Betti hatte auf dem Bärenfellfoto noch eine Dauerwelle, ihm musste doch klar sein, dass es lange vor seiner Zeit aufgenommen worden war, also piepegal, von wem. Lange vor seiner Zeit. War jetzt nach seiner Zeit? Wann war ihre Zeit? Solche Überlegungen konnte sie mit Wolle in dessen Eindimensionalität gar nicht besprechen. Aber zwei Seiten würden ihr auch nicht reichen. Jemanden von seiner anderen Seite kennen lernen verheißt auch nichts Gutes. Die andere Seite ist immer die schlechtere, die dunklere, die bösere. Hat jemand nur zwei Seiten, kann das nur schwarz oder weiß, vertraut oder fremd, Mann oder Frau, Drachenhaut oder Dünnhäutigkeit sein. Einmal rundherumgehen oder sich auf die andere Seite setzen und man weiß Bescheid. Vielseitigkeit klingt immer positiv, ja, vielseitig sollte Wolle sein, interessant wie ein Buch mit vielen Seiten und Kapiteln, sie wollte blättern ohne sich zu langweilen, lachen, sich gruseln, mitfiebern, weinen, aber Wolle konnte höchstens noch für den Spruch des Tages herhalten. Betti hörte Joni Mitchel. 'Ich habe die Wolken (die Liebe, das Leben) von beiden Seiten betrachtet.' Dunkel oder hell, grau oder strahlend weiß, mit Wolle oder ohne Wolle. Betti war das zu zweiseitig. Sie wollte den dicken Roman zum Blättern. Und das Bärenfell. Und keine Dauerwelle.

Dreckige Wäsche

Susi bereute ihre Affäre mit dem niedersächsischen Hygieneartikelhersteller zutiefst. Wie kam dieser Blödmann bloß auf die Idee, ihr mit einem Produktnamen ein Denkmal zu setzen? War es Rache, weil sie ihn sitzen gelassen hatte (er sei ihr zu schmierig, hatte sie ihm als Begründung genannt)? Oder war es echte Liebe (sie rieche immer so gut, hatte er ihr oft ins Ohr geflüstert). Natürlich hatten ein paar Kollegen schnell herausgefunden, dass es nun in zahlreichen Kneipen- und Kinotoiletten einen Seifenspender mit ihrem Namen gab. Vielleicht hätte sie Ulla doch nicht so viele schlüpfrige Details erzählen sollen. Seifensusi kochte vor Wut. Beim Wichteln im Kollegenkreis kurz vorm Weihnachtsfest fand ihre Schmach einen vorläufigen Höhepunkt. Ulla gab weitere pikante Details von sich und Susi wurde doch tatsächlich von einem älteren Kollegen aus einer anderen Abteilung gefragt, ob sie auch für ihn mal schäumen würde, vor Wut oder warum auch immer, aber ihr würde da ein gewisser Ruf vorauseilen. Susi wollte weg, ganz weit weg, aber da sprach Ulla sie an: Wann zeigst du denn dein Wichtelgeschenk, Susi? Susi bewies Mut, hielt den Eimer Schmierseife in die Höhe und rief laut in die Wichtelrunde: Ich bin die Seifensusi!! Hat jemand dreckige Wäsche zu waschen? Der Abend gehörte ihr.

Täglich Zeitung lesen

Wissenschaftliche Studien haben belegt, dass das Lesen einer Tageszeitung nicht nur die Rechtschreibung verbessert, sondern gleichzeitig verschlechtert. Je nach dem, was in der Zeitung stünde.
Das ist mal wieder ein Ergebnis, das den Steuerzahler fragen lässt: Wo werden denn unsere Gelder hinverschleudert?
Dem Herrn sei's gepfifffen, wie der Bischof gerne lässig sagt.
Aber recht hat er damit auch nicht unbedingt.

Menschen, die auf Handys starren

Da guckst du das Handy an und denkst: Hallo, warum klingelt das denn nicht? Was nützt ein Handy, das nicht klingelt, und zwar ohne, dass man es stumm geschaltet hat? Ja, früher, als es noch keine Handys gab, da interessierte das keinen, wenn das Handy nicht klingelte, denn niemand wusste, dass es irgendwann so etwas geben würde, anfangs gab es ja noch nicht mal Schnurlostelefone, und davor nicht einmal Telefone, ja, was haben denn die Leute damals gemacht? Wohl nicht auf etwas gestarrt, das einem Handy ähnelte, vielleicht einem Brikett oder einem Butterbrot. Vor allem: Wieso hätte man auf ein Butterbrot gestarrt, wenn es sowieso nicht klingeln würde, weil ein Butterbrot nicht klingeln kann. Man hätte es gegessen, wenn man Hunger gehabt hätte. Oder die Fliegen beobachtet, wenn man keinen gehabt hätte, die Fliegen, die das Butterbrot umkreist und angeknabbert hätten.
Wenn ein Handy klingeln soll, muss jemand deine Nummer gewählt haben, hat ein weiser Mann gesagt und alle Menschen in Erstaunen versetzt, die einfach losgegangen waren, sich ein Handy gekauft hatten und jetzt glaubten, dass sie pausenlos angerufen würden. Wenigstens dass das Handy klingeln würde, was ja dem Beitzer eine Art Wichtigkeit zuweist.
Das Starren auf Handys nutzt nichts, sagt der weise Mann weiter, du musst auch Leute gewinnen, die dich anrufen wollen, ohne dass sie dafür bezahlt würden. Und die lernst du nicht kennen, wenn du pausenlos auf das Handy starrst.
Aber so ist unsere Zeit: Wir sind Menschen, die auf Handys starren und vergessen darüber, ein Butterbrot zu essen. Trotzdem haben viele Menschen zu viel auf den Rippen. Letztendlich fragen wir uns: Worauf warten wir denn noch? Aber unsere Zeit hat auf nichts eine Antwort. Da müssen wir schon selber googeln, wo wir bleiben.
Wenn ein Kind geboren wird,
geht ein Licht an in der Welt.

Verwaschenes Leben

Manchmal erscheint unser Leben so diffus, so verschwommen, so verwaschen, so verwackelt, als habe uns ein riesiger Zeigefinger in eine unangenehme Schwingung gebracht, so als wackelten wir durch den Alltag und das schöne Bunte erscheint uns nur bunt, aber nicht schön, weil es so wackelig ist.
Dann aber erkennen wir, dass das Ganze auch in Schwarzweiß hätte sein können, und das wäre dann wirklich übel gewesen. Schwarzweiß und verwackelt, das erinnert uns immer an die alten Geschichten mit den noch älteren Fotoapparaten, vor denen nichts wackeln durfte und die selber auch nur mit extrem ruhiger Hand ausgelöst werden sollten. sonst wäre das Bild verwackelt und ein kostspieliger Akt - Entwickeln und Abziehen- vollzöge sich in einem fernen Fotolabor ohne Sinn und Nutzen. Wer wollte schon ein verwackeltes Foto in sein Album kleben, auf dem man nicht einmal erkennen konnte, ob es Oma oder Opa war, der da vor sich hin griente?
Der Drogist würde bei der Übergabe der Negative und der Abzüge ein wenig klugscheißern und erklären, woran es gelegen haben musste: Verwackelt. Bei 1/30 muss man eine ruhige Hand haben. Schnell zahlte man dann auch die missratenen Abzüge, um den Laden verlassen zu können, bevor die halbe Nachbarschaft vom fotografischen Desaster erfuhr.
Wenn einem heute das Leben verschwommen vorkommt, man aber kein Foto in der Hand hält, dann sollte man erst mal das Naheliegende vermuten: Die Brille könnte verschmiert sein.
Nicht immer gleich zum Arzt oder Apotheker rennen, nicht gleich den Therapeuten anklingeln! Brilleputzen ist die beste Therapie, einfach und wirksam. Wer keine Brille hat: Schlichte Lesemodelle gibt es schon ab 1,-€ im 1,--€-Shop oder in der Drogerie ihres Vertrauens.

Ich bin ein Hund, na und?

'Ich will doch nur spielen', sagte mancher Mensch zu Barnie, wenn dieser verängstigt Schutz bei seinem Herrchen suchte. 'Ich tu nichts' oder sogar 'Ich beiße nicht' bekam Barnie aus Menschenmund zu hören, wenn jemand einfach noch nicht akzeptieren konnte, dass Barnie gar nicht gestreichelt werden wollte. Ein Hund, der nicht getätschelt und hinter den Ohren gekrault werden wollte, passte nicht in das Weltbild der Zweibeiner, die offenbar ständig darauf aus waren, Abhängigkeiten ins Leben zu rufen und sich beliebt zu machen. Barnie galt als gestört, verängstigt, vielleicht mit bösen Erfahrungen ausgestattet - Kinder, die ihn gequält oder Vorgängerfrauchen, die ihn an der Autobahn ausgesetzt hatten, dabei hatte Barnie nichts dergleichen erlebt und wollte einfach nur seine Ruhe. Meistens fuhr er gut mit seiner Masche. Irgendwann hörten die Menschen auf. Barnie war erstaunt, als er eines Tages doch den starken Wunsch verspürte, angefasst zu werden. Es waren die Gummihandschuhe, die ihm bei der Putzfrau seines Herrchens auffielen und plötzlich nie gekannte Gefühle bei ihm auslösten. Barnie wünschte sich nichts mehr, als dass Miranda ihn mit ihren Gummihandschuhen kraulen und herzen würde, am besten am ganzen Hundekörper, Barnie wusste, dass er sich diesen Gummihandschuhen bedingungslos hingeben würde. 'Er mag dich', rief Barnies Herrchen, wenn Barnie Miranda Zimmer für Zimmer verfolgte und von einem ungestörten Platz aus ihren Tätigkeiten zusah. 'Ja, aber nur so lange ich ihn nicht anfasse', rief Miranda zurück. Barnie jaulte auf. Nein, er würde nicht nach Katzenart um Mirandas Beine streifen. Barnie bedauerte, dass er nicht nach Menschenart seinen Kummer ab und an ertränken konnte. Barnie war der erste Hund, bei dem die Störung nicht auf die bösen Erfahrungen folgte, sondern umgekehrt.

Betrunkene Reinigungskraft

Bernie hatte sich noch eimal aufgebäumt und mit seiner Digitalkamera ein Foto geschossen. Er lag neben dem Fernsehtisch und die 34 Jägermeister hatten ihre Wirkung getan.
Miranda war neben der Couch zu liegen gekommen, und sie wirkte leblos, vielleicht komatös.
Alles war verschwommen.
Warum hatte sie die verdammten Gummihandschuhe nicht ausgezogen?, hämmerte es in Bernies Kopf. Sie hatte doch auch Putzeimer und Aufnehmer beiseite geschoben. Ohne Alkoholeinwirkung. Oder mit ganz wenig. 3 kleine Fläschchen vielleicht.
Was hatte er argumentiert, geflötet und geraunt, gewispert, gehaucht, fast gebettelt. Nichts. Sie hatte die verdammten Dinger anbehalten. Jetzt war es sowieso egal. Miranda lag im Tiefschlaf oder sonstwo und Bernie fühlte sich auch nicht wohl.
Miranda. Was für ein Name!
Miranda - schoss es Bernie durch den Kopf. Eigentlich lächerlich, der Name. Mirabelle.Veranda. Miraculi.
Bernie lachte leise und etwas Mageninhalt schoss ihm in die Speiseröhre. Er sollte jetzt lieber den Mund halten.
Guter alter Jägermeister. Er hätte lieber Wodka nehmen sollen.

Kriecher

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Georg Krakl: Meine Jacke (2011)

Mein Hemd ist so gehemmt,
und meine Jacke ist mir fremd.
Auch meine Hose macht ein komisches Getue.
Genau wie meine Schuhe.

Nur die Krawatte, die so keck von meinem Halse schaut,
ist mir von meinen Kleidungsstücken eng vertraut.

Fremde Jacke

Es war Frau Holle gewesen, Lars erinnerte sich genau. Frau Holle als Theaterstück in der Adventszeit. Die Schneeflocken waren Federn gewesen und mit dünnen Fäden an ein Kissen genäht. Immer wenn Lars sich, andere oder sein Leben als fremd empfand, erinnerte er sich an die Frau-Holle-Aufführung, die er mit der Grundschulklasse besucht hatte. Er erkannte nach der Aufführung seine Jacke nicht wieder, die schwarze, die er schon den zweiten Winter trug. Hartnäckig weigerte er sich, diese Jacke als seine zu akzeptieren, obwohl mehr als vierhundert Kinder offenbar mit ihren eigenen Jacken und Mänteln nach Hause gegangen waren und nur Lars, die schwarze Jacke und Frau Häupel, die Grundschullehrerin, zurückgeblieben waren. Lars mochte seine Lehrerin und ihr hilfloser, aber liebevoller Blick waren offenbar stärker als das Gefühl der Fremdheit, das er plötzlich für diese Jacke empfand. 'Zieh sie an, Lars, es muss deine sein', sagte Frau Häupel matt. Lars zog sie endlich an, in den Taschen fühlte er Kaugummi, das er selbst dort hineingesteckt hatte. Die Jacke war wieder seine geworden, offenbar ein Zauber, vielleicht hatte Frau Holle ihre Hände im Spiel. Jacken konnten sich also von einem entfremden, lernte Lars. Vor allem im Theater. Aber sie können auch zurückkehren und dann sind sie ein bisschen hinterlistig und tun so, als ob sie nie fremd gewesen sind. Und Frau Holle hätte bestimmt mal Lust auf ein Kaugummi gehabt, aber sie hat sich beherrscht, damit nichts auffällt. Aber Lars hatte alles durchschaut.