Luis Trinker: Die vier Formen des Bergwanderns in den Dolomiten (2)


Nass eben
Liquides Wandern
Verdichteter Dunst, vertröpfelter Nebel und verwässerte Wolken bilden die Basis für das liquide Wandern, wenn alles von oben nach unten fällt, oder gefallen ist. Die Frage, wie die Trekkinghose später zu trocknen sei, verbindet sich mit dem Gedanken, in welchem Wanderstiefel wohl mehr Wasser platscht und ob die Haut an den Zehen bereits die Waschfrauenfingerkonsistenz erreicht hat. Die Sicht ist eingeschränkt durch in die Augen gezogene Kapuzen und das über die Augäpfel bzw. hinter die Brille rinnende Regenwasser. Der Proviant ist durchgeweicht, sodass undichte Müsliverpackungen ihren Inhalt auf doppelte Größe haben anschwellen lassen. Die Haftigkeit des Untergrundes ist stark eingeschränkt, mancherorts bereits vollständig aufgehoben, Schuh und Leben scheinen zu entgleiten. In dieser Situation kommt es zu Fallsucht, diesem inneren Zwang, sich hinzufallen zu lassen, um das Leben zu retten. Beim Aufstehen brechen unbearbeitete Probleme der analen Phase auf, die der Kontakt mit der schlammigen Bodenmasse verursacht hat.
Das liquide Wandern ist in erster Linie reduziertes Wandern, auf das Wesentliche reduziert. Das Wesentliche wird im Bewusstsein von "Der Weg ist das Ziel" erst beim Weiterschreiten und Stürzen und Aufstehen sicht- und begreifbar.
Alles ist feucht, man sieht nichts, das Essen ist aufgeweicht. Erinnerungen an Frauenleiber beim Schlammcatchen blitzen nur kurz auf; dann wieder die Trauer um den verquollenen Müslireigel, der jetzt wertvolle Nähstoffe spenden könnte, aber nur ein Auslöser von Ekel ist.
Der Sinn der Sache liegt in der Fortbewegung.
Raus aus dem stickigen Pensionszimmer, das von der Abluftanlage des angrenzenden Viehstalles beatmet wird.
Raus aus dem Regen.
Und: Raus aus den nassen Sachen.