Rolf Zuckomisch: Kinderlied

Vögelkinder machen piep,
denn sie sind sehr lieb.
Hundekinder machen wau,
denn sie sind sehr schlau.
Ziegenkinder machen mäh,
schningderassa und tatä.
Hasenkinder machen nix,
dafür sind sie fix.
Rinderkinder machen muh,
denn sie sind wie du!

Quasselkopp




Allergiefant ?

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Löwenzahnherz

Nadja! Lange nicht gesehen! Ich kämpfe im Blumenbeet gegen Löwenzahn und sehe Nadja, die ihrem Schwiegersohn bei der Gartenarbeit hilft. Das müsste sie nicht tun, ihre Tochter, die Frau meines Nachbarn, wohnt schon lange nicht mehr hier, aber Nadja hilft gern und andere Arbeit findet sie nicht mehr. Ich verlasse mein Beet und gehe zu Nadja, die mir gleich von ihrer Familie erzählt, von ihrer Hüfte und vom Alkohol, mit dem man sich nicht zu sehr anfreunden sollte, denn der hat ihre letzte Putzstelle bankrott gehen lassen. Zwischendurch bückt Nadja sich, so gut es mit der Hüfte geht, zupft eine Löwenzahnblüte aus dem Gras und schiebt sie in den Mund. Nadja fängt an zu weinen, ihre Mutter ist so krank, dass sie bald sterben wird und Nadja hat nur einen Wunsch, sie möchte ihrer Mutter einenTeil ihres Leids abnehmen und ich glaube Nadja jedes Wort. Wieder bückt sie sich und isst Löwenzahn, im Rasen meines Nachbarn blüht reichlich Löwenzahn, so dass ich ihr nichts von meinem anbieten muss. Nadjas Tränen kullern über ihre rosigen, fleischigen Wangen, sie zerkaut die Löwenzahnblüte und ich möchte ihr gern was sagen, was Tröstliches, was ihrer russischen Seele gut tun könnte, aber mir fällt nichts ein, für einen kurzen Moment wünsche ich mir, dass mein Nachbar mit einer Balalaika aus dem Haus kommt und wir gemeinsam traurige Lieder singen, russische natürlich, aber mein Nachbar hat nur eine E-Gitarre, ich kann kein Russisch, vielleicht habe ich ein bisschen was Russisches in meinem Herzen, doch das kann ich Nadja auch nicht vermitteln, also sage ich nur, dass ihre Mutter hoffentlich eine gute Schmerztherapie bekommt. Nadja nickt. Nadjas Tochter, die Exfrau meines Nachbarn, ist Krankenschwester und würde, zur Not unter Morddrohungen, aus jedem Arzt einen ausgezeichneten Palliativmediziner machen. Nadja isst wieder Löwenzahn, ich frage mich, warum ich nicht viel eher auf diese Idee gekommen bin, was für ein Irrglaube, Löwenzahn besiegen zu können, bei den tiefen Wurzeln, ihn einfach aufzuessen ist genial und so was von Russisch. Vielleicht kann man ihn mit Wodka hinunterspülen. Und dann ist mein Herz ein bisschen schneller als mein Verstand, was bestimmt eine russische Eigenschaft ist, und ich werfe mich an Nadjas weiche Brust und fange ebenfalls an zu weinen und Nadja hält mich mit ihren kräftigen Armen fest und weint und tröstet mich gleichzeitig und dann bückt sie sich und schiebt mir eine Löwenzahnblüte in den Mund und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und ich bin sicher, dass ich irgendwo ein Rezept für eine Löwenzahnquiche habe.

Vincent van Eijnoor: Kopf tropft

Wenn der Kopf tropft,
lacht der Nachbar.
Armer Tropf,
neuer Kopf ist machbar.
 (Krass: Schwarzrotgold - und das Weiße in deinen Augen, 2012)

Vincent van Eijnoor: In der Menge

In der Menge liegt die Kraft.
Ich hab ja nichts gemacht.
Alle haben das nicht gewusst.
Niemand wusste was.
Also, dass.
Dass das so wahr war.
Geglaubt hat's jeder.
Obwohl, nicht so richtig.
War einfach nicht wichtig.
Ich kann ja nicht gegen den Strom schwimmen.
An mir hat es nicht gelegen.
Ich  bin nur ein Rädchen.
Nur ein Sandkorn in der Eieruhr.
Ich eier nur so rum.
Vielleicht ist das dumm.
Aber: An mir hat's nicht gelegen.
Ich bin  auch nicht schuld.
Wenn's nach mir gegangen wäre,
ist es aber nicht.
 Krass: Schwarzrotgold - und das Weiße in deinen Augen, 2012)

Vincent van Eijnoor: Nichtraucher werden

Nur durch Nichtrauchen kann ich Nichtraucher werden.
Der Raucher bleibt Raucher, solange er raucht.
Darüber muss man sich keine Gedanken machen.
Wahres bleibt wahr, und Falsches wird durch ständiges Wiederholen nicht richtig.
Oral rezeptiv.
Zu früh abgestillt.
Haltlos.
Keine Disziplin.
Genussmensch ohne Rückgrat.
Guter Rat
teuer.
Alte Schachtel.
Tausendmal gehört.
Unerhört.
(Günter Krass: Schwarzrotgold - und das Weiße in deinen Augen, 2012)

Knickeier

Das Wort Knickei hatte für Molli einen dynamischen Klang. Das Wort hatte Kick, etwas Kurzes, Knackiges. Die Eier hatten einen Knick, eine Macke, sie scherten sich nicht um Lebensregeln wie 'Ein Ei gleicht dem anderen'. Knickeier ließen hoffen, auf Ausnahmen und Individualität. Aus jedem stinknormalen, weißen oder braunen, s, m, l oder xl-Ei konnte bei falscher Technik der Legehenne, bei Rempelei im Stall oder bei Stromausfall ein Knickei werden. Und ein Knickei war immerhin noch kein Bruchei. Sicher, da gab es etwas, dass dem Ei seinen Anschein von Perfektion genommen hatte. Sicher, ein Ei kann man nicht reparieren, der Knick bleibt, Ausbeulen und Überlackieren ist nicht. Aber der Knick erst hob das Ei aus der Masse heraus.
Molli liebte Knickeier und war begeistert, wenn der Bauer der Mutter samstags beim Eierholen Knickeier anbot und díe Mutter, von Sparsamkeit getrieben, das Angebot annahm. Mollis kleine Schwester Milli kannte nur Tickeier und Mollis und Millis Vater liebte Spiegeleier zu den Bratkartoffeln, aber Mollis ganze Leidenschaft gehörte den Knickeiern.
Molli träumte. Von ausgebrüteten Knickeiern, also Knickhühnern. Am liebsten wäre sie selbst Knickeierglucke geworden, doch der erste und einzige Versuch ließ aus den Knickeiern doch noch Brucheier werden und bescherte ihrer Hose unschöne Flecken und verständnislose elterliche Blicke.
Molli liebte trotzdem die angedetschten, aussortierten Knickeier, den dynamischen Klang und die Knickeiersamstage.
Später kam es, wie es kommen musste. Milli bekam einen Tick und Mollis Leben bekam Knicke und an gemeinsam verbrachten Osterfesten leerten sie manche Flasche Eierlikör zu viel.

Dorfgespräch

Hast du schon gehört.
Nein, aber erzähl.Der soll doch.
Ach so, jaja, genau, habe ich auch schon.
Und sie auch.
Ach, na, gedacht habe ich mir das schon.
Also erzählen die Leute, aber irgendwas muss ja dran sein.
Er hat doch vor Jahren schon.
Ach, das wusste ich gar nicht.
Naja, du weißt doch, wie der so drauf ist.
Und sie. Komm, letztens hat sie eingekauft.
Eben. Grüßt kaum. Also wenn man sie nicht anspricht, von selber sagt die nichts.
Und die Nachbarn erst. Also, an deren Stelle möchte ich nicht sein.
Unangenehm, aber die haben das ja schludern lassen.
Der Hund ist ja auch aus dem Nachbardorf.
Die Katze streunt doch ständig bei uns im Garten und legt uns die Mäuse vor die Tür.
Er soll ja aus dem Osten sein.
Sieht man auf den ersten Blick nicht, aber er ist schon anders.
Mit ihr werde ich ja nicht warm. Also, Lieschen, sagt, die kann nicht mal backen.
Aufgetauten Kuchen von Kurz&Bündig.
Würde ich meinen  Gästen ja nicht anbieten.
Eben.
Und er. Na, ich weiß nicht. Dass der dieses Tütenzeug mag.
Zu dünn ist er ja nicht.
Na, kein Kostverächter.
Unsereins achtet ja doch auf die Linie.
Er soll ja auch nicht in der Kirche sein.
Naja, das muss ja jeder selber wissen. Geht mich ja nichts an.
Eben.
Aber sie auch nicht.
Beide nicht?
Ich sage immer: Jeder nach seiner Fasson. Aber wer dazugehören will, kann sich auch anpassen. Ich könnte das nicht, so immer gegen den Strom schwimmen.
Eben.
Ich muss, Horst kommt gleich und dann muss das Essen auf dem Tisch stehen.
Mach's gut, ich kuck noch mal schnell bei Lieschen rein, Herbert hat heute Geflügelverein.


Österliche Betrüger unterwegs

Ostern waren wieder einmal Betrüger unterwegs, die mit ein paar Eierlöffeln aus Plastik, hinter die Krempe eines nicht vorhandenen Hutes gesteckt, die Menschen verunsicherten und ihnen die Eier aus den Taschen locken wollten.
Es handele sich um eine Rückrufaktion, die Eier seien durch Dotter belastet und nicht für den privaten Verzeher gedacht.
Umgespritzt und neue gestempelt tauchten die Objekte dann wieder in den Lebensmittelläden auf, um dort zu überhöhten Preisen an den Mann gebracht zu werden. "Haltbar gemacht durch Ultrahocherhitzung (mind. 6 Minuten) " sollte suggerieren, die Eier seien nicht nur frisch, sondern auch haltbar.
Sonderermittler der Kriminalpolizei unter dem Stichwort "Falscher Hase" nehmen sachdienliche Rezepte entgegen.

Wochenspiegel




Zwei Gabel und ein Messer

Zwei Gabeln und ein Messer standen herum und überlegten, was sie wohl miteinander anfangen könnten.
Messer und Gabel, das ist ok, das gehört sich, da kann man lecker was essen oder sich ein bisschen aufs Tischtuch legen und warten, bis die Teller kommen.
Wohl wahr, sagte das Messer, eine weitere Gabel hat da eigentlich nichts zu suchen, es sei denn, es gäbe was zu naschen.
Wie meinst du das denn?, fragte die erste Gabel.
So allgemein, ohne besonderen Hintergrund, ich dachte nur so, äh, stammelte das Messer.
Ja,ja, diese Messer, sagte die zweite Gabel, da weiß man nie, was die so denken. Warst du mal wieder auf dem Schleifstein?
Das Messer stutzte. Wieso willst du das jetzt wissen?
Auch nur so allgemein. Die zweite Gabel war jetzt verlegen.
Du meinst wegen stumpf?, hakte das Messer nach.
Eben nicht, also nicht wegen stumpf. Die zweite Gabel schaute in eine andere Richtung, vielleicht war sie sogar rot geworden.
Also, machen wir jetzt was?, fragte die erste Gabel und es klang ein wenig genervt.
Was könnt ihr denn?, fragte das Messer.
Ich könnte "Messer raus", antwortete die erste Gabel.
Was soll das denn sein?, wunderte sich das Messer.
Na, wenn mehr als kein Messer im Raum ist, muss eins raus.
Sag mal, dich sticht wohl der Zinken!, wurde die zweite Gabel energisch.
Das Messer stöhnte.
Hätte ein schöner Nachmittag werden können, bisschen auf dem Tischtuch, bis die Teller kommen und sogar eine zweite Gabel für zum Naschen. Ihr habt gewonnen, Mädels, ich bin denn mal weg, "Messer raus", ich glaub, ich spinne, wo komm ich denn da hin?
Das Messer verschwand.
Das kannst du jetzt vergessen, zischte die zweite Gabel.
Der soll erst mal richtig Deutsch lernen, antwortete die erste Gabel.
Zwei Gabeln, das geht auch nicht, presste die zweite Gabel durch die Zinken , da könnte wir ja höchsten Schach spielen oder Mau Mau.
Au ja, rief die erste Gabel und hüpfte vor Freude.
Ich hab's geahnt, ächzte die zweite Gabel.



Günter Krass: Was geschrieben werden muss

(mit preiswerter Tinte aus dem Discounterdruckerpatronenshop)

Warum verharren meine Finger, schreiben zu lange nicht
was offensichtlich und auf Parteitagen
trainiert wurde, an deren Ende wir als Verratene
allenfalls Stimmvieh sind.

Es ist das behauptete Recht des Mannes auf dem Plakat,
den man fälschlicherweise als Maulhelden deklamierte,
zu sagen, ICH liebe Kinder, besonders Jungs, und deshalb sitzt ein Kind
auf dem Plakat, das mich brav und verliebt anschaut,
als hätte ich ihm gerade eine Tüte Chips geschenkt,
als wäre ich nicht  der Mann, der böse Mann, weil nicht aus
dem liberalen Lager  stammend, wo die Guten sitzen,
die aber keiner haben will, weil sie Nösler und ähnlich heißen,
die ungewollt bleiben, obwohl mit uns verbündet,
als wäre ich nicht  der böse Mann, vor dem uns unsere Eltern immer gewarnt,
von dem sie sagten, nimm keine Tüte Chips
und setz dich nicht auf ein Plakat mit ihnen,
und niemals mit dem Mann, der eine tiefe Grube in seinem Kinn hat,
denn da lauert der Abgrund, das Vernichtende, das Verlogene,
denn er wird dich missbrauchen, um seine perfide Botschaft
zu verbreiten, unters Volk zu streuen,
um Macht zu erlangen über uns alle,
auch über Kinder, aus deren Augen er Politik machen will,
wie damals ein unbekannter Gott, der den Schädel eines Feindes in einen Trinkbecher verwandelte
und die Augen in Diamanten,
um damit seinen Wahlkampf zu finanzieren und seine Mätresse zu betören,
-ich verliere mich, ich, der ich dies schreiben, so viel Wut,
so viel heiliger Zorn-
Politik aus den Augen unserer Kinder.
Aus den Augen aus dem Sinn.
Ich liebe Jungs, sagt das Bild,
und das Grubenkinn grinst in die Kamera.
Der Junge will eine zweite Tüte Chips.
Wenn wir gewonnen haben, gibt es aber nur noch eine vom Discounter, ok?

Plattschüppe

Erst spät erinnerte Ariane sich an die Plattschüppe, die das Konfirmationsgeschenk von Opa gewesen war. Opa war längst tot; Ariane erinnerte sich an sein zahnloses Grinsen und die Vorstellung, dass Oma ihm mit eben dieser Plattschüppe die Vorderfront rausgehauen hatte. Oma war bei der Konfirmation schon längst tot und Ariane verstand nicht recht, was die Plattschüppe sollte, aber war gerührt, dass Opa ihr solch ein persönliches Geschenk machte.
Es folgten lange Jahre in Plattland und jedes Jahr bescherte Ariane ein stummes Zwiegespräch mit dem Horizont, einer langen, durchgehenden Linie, die nicht erahnen ließ, ob sie 10 Meter und 60 Kilometer entfernt war. Neben dem Nichtwissen, wie weit der Horizont entfernt war und ob er wirklich ein dünner Strich war oder nicht, störte Ariane vor allem das Gefühl der Perspektivlosigkeit. Plattland bot keinen Anhaltspunkt für eine Perspektive. Wenn Ariane beim Erdbeerenpflücken in die Hocke ging, war der Strich etwas weiter oben, stand sie auf der Leiter beim Kirschenpflücken, war er weiter unten. Ariane zweifelte an Plattland, an der großen ebenen Fläche, und Ariane zweifelte am Horizont, ja sogar an dem, was dahinter liegen mochte, obwohl ihre paradiesähnlichen Vorstellungen von einem Land hinter dem Horizont sie seit Kindertagen begleitetet und beglückt hatten. Nun hatte Ariane sich von diesen schon verabschiedet, doch bevor sie ganz verzweifelte und vielleicht sogar ihre oben-unten-Orientierung verlor, erinnerte sie sich an Opas Plattschüppe, die noch immer im Schuppen stand. In die fruchtbare, weiche Frühlingserde von Plattland stieß sie Opas Plattschüppe. Ariane schwor sich, so lange sie diese vor Augen und die Zähne im Mund hätte, würde sie das Wort Perspektivlosigkeit meiden wie die Murmeltiere Plattland.

 

Plattlandlyrik: Peter Fußke - Plattes Land


Plattes Land.
So platt.
So glatt.
So übersichtlich.
Nullkomma Tand.
So frühgeschichtlich.
(Vergleichsweise außergerichtlich)

Peter Fußke

Engel weinen, wenn Ampelmännchen vorbeischreiten

Warum flieht der Mensch vor Engeln? Warum bewirbt der Mann sich als Anzeigeperson des Gehens für Fußgänger, die eine beampelte Straße überqueren wollen, obwohl ein Engel am Straßenrand steht?
Karriere ist das Ziel, nicht das spirituelle Ende der Entwicklung, an der bekanntlich ein Engel steht und sagt: Nee, Chef, das war jetzt nichts, da werden wir doch noch mal wiedergeboren und versuchen das Ganze noch mal.
Klar, dass der Mann, der Mensch, die Frau frustriert sind und beschließen, auf solchen Schnickschnack fürderhin zu verzichten.
Wenn Gott das zulässt, selber Schuld!, kräht es aus der Lichtzeichenanlge in Ostberlin und am Horizont drohen schon dunkle Wolken: Die Mauer wird fallen und mit ihr alle Lichtzeichenanlagen im Osten.
Gefehtl! Wette verloren.
Bitter für den Wessi, der immer auf das beste Pferd setzt.
Der wackere Mann in Grün wird sich halten. Vielleicht wird er nicht ins Nirvana einschreiten oder -schweben, aber ihm wird, neben den Spreewald-Gurken, eine sichere Zukunft blühen, wie den Feldern, die Angela Merkl schon damals beschwor, als sie noch die pagenkopffrisierte Freundin von Birnekohl war.
Die Engel heulen sich die Augen aus, gemeinsam mit der Ampelfrau, die beschließt, eine Ampelkoalition zu begründen. Welch weiblicher Wahn!
Die Engel sind ewig, die Ampelmännchen aber dauern.

Georg Krakl: Plattland (2013)

Weites Land.
Mais bleibt Mais.
Stille Hand
grüßt nicht mehr.
Eis bleibt Eis.
Willst du Meer?

Georg Krakl: Imperative (2012)

Kein Geruckel
an Muttis Buckel!

Kein Genuckel
vor Muttis Buckel!

Kein Geschuckel
auf Muttis Buckel!

Kein Gebuckel
mit Muttis Schnuckel!

Mehr über Muttis Buckel: Hier klicken!

Fairschnitten, tut mir leid


Was soll man von einem Frisiersalon halten, der sich "Fair Schnitt" nennt?
Oberflächlich betrachtet, denkt man, ja, hallo, da gibt es endlich einen fairen Haarschnitt. Was das nun sein soll, kann aber keiner sagen. Fair im Verhältnis zur Haarpracht oder fair in Bezug auf das Gesicht.
Manches macht nicht schöner, ist das unfair? Wem gegenüber denn fair?
Dem Mitmenschen, der vielleicht mit einer grottenhässlichen Hochsteckfrisur oder einem Fassonschnitt herumlaufen muss?
Dann drängen sich Erinnerungen aus der dunklen Vergangenheit auf:
Der Weinbrand ist verschnitten, und ist jetzt billig und schmeckt auch so.
Das ist was abgeschnitten, was über war. Falsch geschnitten.Verschnitt, das klingt wie daneben. Nicht geglückt. Voll misslungen.
Ausschuss.
Da gibt es das Geld zurück, ohne das gezahlt wurde.
Ist es denn nicht geschäftsschädigend, wenn man den Salon "Fair Schnitt" nennt? 
Fairtrade heißt auf deutsch verdreht, denkt der Ottonormalbürger.
Fair handeln ist in Ordnung. Wird aber schon komisch, wenn es um Fairhandlungen geht, weil wohl fairverhandeln gemeint ist.
Also, Meister der Schere, den Ball flach halten, sonst kein Verplay, nur Verschnitt.
Die Sprache verliert sich und mit ihnen ihr Inhalt. Und wir sind verdammt zur Sprachlosigkeit und zum Unerhörtsein.
Die Kirche ist auch genervt, wenn sie liest:
Hair, fairgib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun…
Aber, wer ist denn jetzt die Kirche?

(Den Laden findet man an einer regional bekannten Kreuzung, wo sich die Lübecker Straße und der Bayernring treffen, mag sein auch der Schwabenring.)

Fertigsprache

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Depressive Wanderungen meiden

Da geht man nichtsahnend durch das Feuchtbiotop in der Nachbarschaft und trifft auf die Hinterlassenschaften eines Alkoholikerfrühstücks oder einer Zusammenkunft Gestrauchelter ohne Freizeitinhalte.
Man steht vor einem Haufen Scherben und denkt: Da ist mein Leben, da liegt mein Leben. In Scherben.
Wenn man ein gemachter Mann ist oder eine gestandene Frau, dann kann solches Denken die Leitplanken des Lebensweges wegbrechen lassen.
Alles hatte bisher gut geklappt, die Konkurrenten in Beruf und auf dem Beziehungsmarkt waren immer und immer wieder weggekickt worden, ohne dass das eigene Leben Schaden genommen hätte.
Und jetzt das!
Da konnte kein Glaser Erste Hilfe leisten.Da gab es keinen Glaskleber, der ohne bleibende Riefen, das durchsichtige Zerbrochene zusammenfügte.
Aus und vorbei.
Im Grunde müsste man im Sumpf des Biotops versinken und die bohrenden, destruktiven Gedanken zum Schweigen bringen.
Oder so weiter machen wie bisher: Wegkicken und erfolgreich sein.

Schläge als Erziehungsmittel

Jochen roch so gern an Muttis Buckel. Er duftete nach Formkuchen und vermittelte Jochen das Gefühl, es sei Sonntag.
Mutti hatte das nicht gern, vor allem nicht in der Öffentlichkeit, denn damit bekam ihr Buckel mehr Aufmerksamkeit, als ihm zustand; vor allem mehr als Mutti.
Da half es nicht, die Haare zu toupieren und ein schickes Täschchen um den Arm zu legen.
Einzig der Buckel war Mittelpunkt des Interesses, vor allem wenn Jochen an ihm schnüffelte.
Jochen, du kannst nicht in der Öffentlichkeit an Muttis Buckel schnuppern!, sagte sie in scharfem Ton.
Jochen aber machte ein O-Gesicht und lächelte. Der riecht aber so schön nach Kuchen, da kann ich nicht widerstehen, flüsterte er und duckte sich, denn Mutti hatte zu einer ordentlichen Ohrfeige ausgeholt.
Ein paar Schläge haben noch keinem geschadet, betete er abends im Bett, und am Kuchen zu riechen ist keine Sünde., betete er weiter. Und er wusste, dass das kein richtiges Gebet war, aber das Wasser lief ihm im Munde zusammen.

Gerupftes Huhn

Gerupftes Huhn: Gott? Bist du da? Ich weiß, dass du da bist.
Gott: Wo bin ich denn?
Gerupftes Huhn: Du sitzt auf dem Dach vom Hühnerstall.
Gott: Stimmt. Und ich weiß, dass du einen grünen Bademantel trägst. Was soll der Quatsch?
Gerupftes Huhn: Ich musste ein paar Federn lassen. Sehe gerade nicht so gut aus.
Gott: Soso.
Gerupftes Huhn: Meinst du, dass die wieder nachwachsen, die Federn?
Gott: Hühner sind normalerweise tot, wenn sie gerupft werden. Keine Ahnung, wie das bei lebenden Hühnern ist.
Gerupftes Huhn: Aber du hast doch, du warst doch, damals, beim Urhuhn, du weißt schon, du musst das doch wissen.
Gott: Mein Gott, wie mich diese Detailfragen langweilen. Meinst du, ich habe das alles bis ins Letzte durchdacht. Das war mehr so ... learning by doing.
Gerupftes Huhn: Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich dachte, das alles macht einen Sinn.
Gott: Nunja.
Gerupftes Huhn: Und warum bewache ich dann ein goldenes Ei?
Gott: Oh. Du hast ein goldenes Ei?
Gerupftes Huhn: Bist du nicht mal allwissend? Ja, ich habe ein goldenes Ei. Vorgestern gelegt. Jetzt sitze ich drauf.
Gott: Das ist mal ein interessantes Detail.
Gerupftes Huhn: Achja? Und soll ich es nun weiter bewachen? Und ausbrüten? Oder ausliefern?
Gott: ---
Gerupftes Huhn: Und was ist drin? Ein goldenes Küken? Ein Drachen? Neue Federn? Sekundenkleber? Eine Zyankalikapsel? Dioxin? Gott?? Gott???
Gott: Beruhige dich. Ich bin eigentlich ziemlich sicher, dass es keine goldenen Eier gibt.

Georg Krakl: Das Huhn ist tot (2012)

Ein Huhn tropft aus dem Hals,
es ist sein Blut.
Es sieht so kopflos aus,
was auch verständlich ist.
Das Beil, das tut,
als sei sein Part des GAUs
verschwindend klein.

Damit ihr endlich wisst,
was mich bewegt,
so spricht das Beil,
ich bin nur Instrument, und das ist Mist.
Ich bin nicht Hammer, nur der Keil.


Und Schuldgefühle wegen Tatbeteiligung? Sind weggefegt.

Das Beil ist rot,
wohl nicht aus Scham.
Das Huhn ist tot.
Der Hahn verzehrt vor Gram.




Schule in den 60ern: Heiße Milch


Im Winter gab es warme Schulmilch, die in einem Wärmegerät als Antwort auf die Außentemperaturen erhitzt wurde. Wir wünschten uns kalte Milch, denn warme Milch schmeckt nach Kuh, nach Euter, nach Kuhstall. Das war eklig. Die Milch war nicht warm, sie war heiß.Irgendwie musste sich das Erhitzungsgerät nicht richtig regulieren lassen; an eine Missetat des Hausmeisters, der für die Milch- und Kakao-Versorgung zuständig war, dachte niemand. Der Strohhalm, der aus Plastik war, verbog sich, wenn wir das angespitzte Ende bis auf den Boden der Trinkflasche durch die Alufolie gestoßen hatten. Vielleicht wollte man herausfinden, was man alles mit Kunststoff, dem neuen Material, von dem alle Welt schwärmte, weil es unzerstörbarer war als Bakelit, alles anstellen konnte. Wir waren die Versuchskaninchen.
Kaninchen landeten, wenn sie fett waren, im Topf und wurden gegessen. Trotzdem stachen wir mutig durch den Metalldeckel der überhitzten Milchflasche und sogen den überhitzten Kuhtrank durch verborgene Halme.

Gedichte mit Haushaltsgeräten drin: Georg Krakl - Mein pinkes Küchensieb

Mein pinkes Küchensieb,
ich hab dich lieb.
Auch wenn du anderen siebst,
die du nicht wirklich liebst,
noch schlimmer: dich an ihnen reibst,
du bleibst
mein flinkes
pinkes
Küchensieb.
Ich hab dich lieb.


In Gesichtern lesen

Manche psychologisch Interessierte behaupten, man könne in Gesichtern lesen, könne so einiges erfahren über den Lebenswandel und die Vorlieben und was in den letzten drei Tagen so alles passiert sei. Die haben vielleicht sogar recht. Entscheidend ist natürlich, ob mich als Betrachter das wirklich interessiert.
Da kommt uns der Nachbarsjunge entgegen, keine 17 Jahre alt, Augenringe bis an die Ohren und ein verlegenes Grinsen, das mir sagen will: Frag mich jetzt nichts.
Wer nichts fragen darf, macht sich so seine Gedanken und nimmt dürftige Informationen, um daraus eine schöne Geschichte zu machen, die sich in der Nachbarschaft, die gegenüber der des Nachbarsjungen liegt, erzählen lässt.
Die dunklen Ringe um die Augen lassen schließen, dass der junge Kerl kaum geschlafen hat, hat die Nacht zum Tag gemacht, macht jetzt auf Waschbär, was bedeuten soll, dass er mit allen Wasser gewaschen ist, aber jetzt in den Winterschlaf hinabgleiten will, wobei gar nicht klar ist, ob Waschbären in den Winterschlaf fallen oder eher in eine Starre, wie sie nur bei Amphibien vorkommt. Amphibien leben im Wasser, streng genommen ist der oben genannte Bär ein Exemplar dieser Abteilung Tier.
Der Waschbär braucht Anerkennung und ein paar Streicheleinheiten. Die Augenringe erzählen aber auch: Wenn du meine Ringe zählst, Meister, weißt du, wie alt ich bin. Hundert Jahre.
Bedeutet: Da hat einer was durchgemacht, das hat ihn schnell altern lassen. Wenn man kaum 17 ist,  hinterlässt das keine wesentlichen Einschränkungen, wer das mit 50 macht, fühlt sich wie 70.
Das kann man keinem erzählen, wenn man selber 51 ist.
Der Junge braucht professionelle Betreuung, wahrscheinlich ist er sogar noch Auto gefahren, wird nächsten Januar Vater und hat seinen Dispositionskredit erheblich überzogen. Er hat eine alte Frau über die Straße geschupst, die hat sich die Knie aufgeschlagen und ist auf die Hände gestürzt, auch die sind blutig. Er hat sich Geld von einem Mafia-Angehörigen geliehen und ein paar Drogen gekauft, die er unglücklicherweise zur Hälfte an Umstehende verkaufen wollte, unter denen ein Fahnder war, dem er entwischt ist. Der rennt jetzt hinter ihm her, der Junge ist aber schon zu Hause.
Eine schöne Geschichte nimmt hier ihren Anfang. Das kann man gut erzählen, weil die Geschichte sich aus den Räuberpistolen der Gelben Presse heraushebt, ein Live-Mitschnitt eben,der durch seine Frische glänzt.
Der Junge mit den Augenringen schläft jetzt. Der Beobachter geht mal nach drüben auf eine Tasse Kaffee. Schön, dass es Psychologie gibt!

Schulgeschichte: Schlechter Leser

Eine Brille ist nicht immer eine Lesehilfe
Rudis Brille beschlug immer,wenn er lesen musste. Rudi war ein schlechter Leser, das wussten alle, er hatte schon ein Jahr wiederholt und war jetzt der Älteste in der Klasse. Er ruckelte an seiner Brille und wir konnten sehen, dass die Gläser wie benebelt waren. Damit konnte er gar nicht lesen, wir hätten das auch nicht gekonnt, und wir waren gute Leser. Er kämpfte mit jedem Wort, als müsste er es  herauswürfen.
Später erkannten wir, dass Rudi der Angstschweiß vor der Stirn gestanden haben musste und dass er vielleicht weinte. Das konnten wir aber nicht sehen, denn die Brille ließ keinen Blick auf seine Augen zu. Wie gebannt starrten wir deshalb auf den Rohrstock, der ruhig in der Kreideablage der Tafel lag.
Gleich würde er zum Einsatz kommen und Rudi würde lernen, dass schlechte Leser Prügel bezogen und dass eine beschlagene Brille kein Grund ist, verschont zu werden.
Er lernte auch, dass eine Brille keine wirkliche Lesehilfe ist.
Zu Hause gab es keinen Trost, sondern Arbeit als Handlanger.
Der Vater war Mauerpolier mit schlichtem Weltbild und einem Akzent, der nach Erzgebirge klang. Ein Sohn der nicht lesen konnte, sollte wenigstens handlangern und durfte Prügel beziehen. Es waren staatlich verordnete Prügel, die man nicht erklären musste. Anders als die heimischen, die einfach unerklärt blieben.
Rudi begann später eine Maurerlehre und zog nach Bayern. Wir fanden das zwingend und logisch. Später kam er auf Besuch in sein altes Heimatdorf: Er hatte eine Frau bei sich, die älter war als er, trug einen Lodenmantel und sagte jetzt Grüß Gott statt Guten Tag, mit bayrischem Akzent.
Er war jetzt ein anderer. Er war jetzt glücklich.

Was wir von Sportlern lernen können: Progenie

Unsere Leistungsträger im Profisport machen es uns vor: Nicht lange über vorstehende Unterkiefer (Progenie) traurig sein, sie gehören zum Alltag wie die fliehende Stirn zum Boxen.
Oft sind es die ganz einfachen Dinge, die helfen können.
Gegen die genannte Kieferfehlstellung sollte der  Betroffene einfach einen übelriechenden,  abgenutzten Turnschuh halten, sodass der Betrachter keine Zeit hat, sein durch ein teures Drahtgestell korrigiertes Aussehen mit dem des Leistungssportlers zu vergleichen, weil er eigentlich nur neidisch auf dessen Gehalt ist. Das Primärsymptom rückt immer in den Mittelpunkt der Wahrnehmung, und das ist hier ganz klar die Fußbekleidung.

Fotos, die man löschen kann: Alpenland Schweiz

Das sollen die Alpen sein? Sieht eher aus, wie ein
Blatt von der Küchenrolle.
Tausendfach haben wir alles fotografiert und auf dem Rechner gespeichert. Jetzt suchen die Fotografen nach Menschen, die diese Fotos sehen wollen. Es gibt aber keine. Die meisten haben keine Zeit, weil sie ihre abertausend Fotos selber betrachten müssen, der Rest ist auch auf der Suche nach willigen Betrachtern.
Die Lösung: Einfach mal ein paar Bilder löschen. Das ist einfach und macht eigentlich Spaß, weil niemand von Kirche 14 siebenundzwanzig Versionen mit unterschiedlichem Verwacklungsgrad braucht. Einfach mal überlegen, was weg kann! Das macht sauber, das hilft, die Welt neu zu strukturieren.
Ein Beispiel:
Die Schweiz ist in Verruf geraten, weil sie jetzt unsere korrekten Steuerbeamten verhaften will, die die Machenschaften des Alpenstaates als kriminell eingestuft haben.
Niemand wird sagen, die Schweiz sei einen Schurkenstaat, weil sie Steuerhinterziehung, und noch schlimmer, Steuerbetrug fördert und daran gut verdient. Aber "Gurkenstaat" hat sicher jeder schon mal gedacht, wenn ein penibler Grenzbeamter die überteuerte Durchreiseplakette prüft.
Der eifrige Fotograf, der vielleicht 500 Bilder aus und von der Schweiz hat, kann sofort starten und die Rache des kleinen Mannes üben, die ungemein befriedigend sein kann. Und besser als nichts ist. Besonders für Menschen geeignet, die keine Steuergelder anzulegen haben.
Markieren und löschen, ein einfacher Vorgang schafft eine Zufriedenheit, die uns neu hoffen lässt: Es gibt noch Gerechtigkeit.

Meditationstagebuch: Brauchdecke, was ist das?


Die Sache mit der Aische hat sich ja geklärt, obwohl, wenn ich so rischtisch in mich hineinversunken bin, wie der Christof das vorschlägt, dann sehe ich immer die gesunde und kräftige Aische, die ich umarmen soll, die mit den kräftigen Augenbrauen, die, die mich zerquetschen könnte, wenn sie wollte, weil sie so kräftig ist. Dann ist aus mit "In-disch-Hineinversenken", Christof!
Gestern habe ich da noch was entdeckt, was mich von meinem tiefsten Punkt der Entspannung zurückgeholt hat.
Brauchdecke. Ja, Christof, du kannst doch eigentlich ein ch aussprechen!
Aber bitteschön, was ist eine Brauchdecke?
Ich kenne eine Abschwitzdecke für Pferde, eine Löschdecke für Feuerwehrmänner und eine Bettdecke für Schläfer.
Was ist eine Brauchdecke?
Die man gerade braucht, weil einem kalt ist?
Dann  fällt mir ein, dass eine Zimmerdecke nicht die ist, die auf dem Sofa liegt und bei Frösteln zur Erhaltung der Körpertemperatur gebraucht wird. Darüber muss ich jetzt nachenken. Ich kann gar nicht anders.
Ich will entspannen, Christof! Und nicht Rätsel lösen.
Achte auf deinen Atem!
Du spürst, wie sisch deine Brauchdecke hebt und ausdehnt.
Ich stell mir vor, ich betrachte mich von  außen, seh mich da liegen, zudeckt mit der Brauchdecke und die dehnt sich aus, wenn ich atme.
Das kann doch nicht entspannen.
Christof, ich bin jetzt wirklich am tiefsten Punkt. Du hast von fünf bis Null gezählt. Ich kann hier nicht weg, und tiefer geht's nicht.
Brauchdecke. Das war's. Heute wird mal wieder nichts mit "Du strahlst mit der Sonne um die Wette"!
Ich denke eher an Atomkraftwerke.
Christof, kannst du dir diesen Akzent nicht abgewöhnen? Ach, du hörst mich ja gar nicht. Du bist Kassette.
Hoffentlich entdecke ich morgen nicht noch ein Rätsel.

Die Überheblichkeit der Städter: Bad Lightning - Wo liegt das denn?


Bad Blitz.Wie eine Erleuchtung...
Auf dem Lande denkt man erst mal nichts Böses.
Ich bin bin dem Fahrrad unterwegs und kontempliere vorbei an Vorgärten, Feldern, Weiden, Industriehallen, einer Biogasanlage, Bauernhöfen, Treckern und schauenden Menschen, die so tun, als fegten oder pflegten sie ihre Grundstücke.
Mein Fahrrad ist schön.
Vielleicht gucken sie deshalb.
Dann ein parkendes Auto am Wegesrand, ein kleines schwarzes, wie es junge Leute gerne fahren , weil sie noch nicht genug Geld haben, ein großes schwarzes zu fahren. Oft ziert ein Aufkleber von Jägermeister die Heckscheibe, was bedeutet, dass der Fahrer trinkfest ist und süßen Schnaps konsumiert, weil er ja fahren muss.
Bad Lightning.
Bad Lichtung, lese ich zuerst. Dann Bad Lightning. Nie gehört, nie gesehen, nie dagewesen.
Ein junger Mensch, der Reklame fährt für ein Bad. Ehrenamt.
Was kann mit dem los sein? Ist Bad Lightning eine Heilanstalt, die den Hörnerschnaps auf die schwarze Liste gesetzt hat? Hat der Mann es geschafft und darf jetzt wieder Auto fahren? Will er allen kundtun, wie gut es ihm geht. In einem schwarzen Wagen?
Welche Gebrechen hat der junge Mann sonst kurieren lassen?
Vielleicht ist nur seine Oma dort gewesen und geheilt zurückgekehrt? Ein Symbol der Dankbarkeit.
In Mikrosekundenschnelle blitzen diese Gedanken durch mein Hirn, denn mein Fahrrad ist schnell.
Längst ist der Wagen außer Sicht und ich bereits beim Ortsfriedhof angelangt, da leuchtet ein Gedankenblitz auf, eine Erkenntnis wird mir zuteil: Das Englische hat natürlich auch seinen Weg bis ins Ländliche gemacht. Bad Lightning. Schlechte Beleuchtung. Dark Room. Ein Freund schlichter Musik hat da am Wegesrand über Spitz- und Breitwegerich geparkt. Headbanging. Ich sehe ihn vor mir, wie er seinen Körper wiegt zu den Riffs der verzerrten Gitarren. Hospitalismus.
Aber das schlimmste ist: Ich, der aus der Stadt kommen will, hielt Bad Lightning wirklich für einen Kurort. Auch die Stadt kann längst nicht mehr halten, was sie jahrzehntelang zu versprechen glaubhaft machen wollte.
Die Intelligenz der Städter ist letztlich nur Überheblichkeit.

Smalltalk in der Hölle

Warm hier, was?
Kann man sagen...

Meditationstagebuch: Die dicke Aishe


Irgendwie war ich eingeduselt und auf Stippvisite im Nirwana. Ich war völlig entspannt. Der Ansager auf der Meditationskassette  hatte so einen betulich-einlullenden Ton gehabt, dass ich schwebte.
Geh einmal indisch.
Ich wurde blitzschnell und lieblos aus dem Nirwana gerissen, zurück auf meine Unterlage, die ich vorhin spüren musste, und registrierte den Adrenalinausstoß: Gehe einmal indisch.
Ja, was wollte der Mann jetzt? Indisch gehen? War ich Ghandi? Und wenn, wie ging Ghandi denn genau?
Barfuß? In Klappsandalen? In weißes Linnen gehüllt, einen Schlaps über den Arm gelegt, was zwar lässig aussah, aber auch schwierig zu realisieren war, wenn man taillierte Hemden trug. 
Indisch gehen. 
Über mein intensives Nachdenken duselte ich wieder ein, bewegte mich Richtung Nirwana, kam aber nicht an.
Umarme die Aishe.
Ja, hallo? Die Aishe. Die Aishe war doch bestimmt aus der Türkei. Da umarmte man keine Frau ohne sie heiraten zu wollen. Ohne sie heiraten zu müssen. Da stand doch die ganze Familie daneben oder in einer halben Stunde auf der Matte.
Umarmst du Aishe, musst du heiraten, hat schon Manncousin aus Anatolien.
Ehrenmord fällt mir ein. Ich werd einen Deubel tun und jetzt Aishe umarmen. Vor allem: Was sagt Tanja dazu?
Umarme die starke Aishe. Umarme die starke und gesunde Aishe.
Ja und dann? Was macht dann Aishe und was die Familie hinter der Aishe?
Das war jetzt keine Tiefenentspannung mehr. Ein leichter Schweißfilm bildete sich auf meiner Stirn.
Ich stellt mir die starke gesunde Aishe vor: Dickes schwarzes Haar, zusammengewachsene Augenbrauen a la Theo Waigl, mächtige Arme, die jedem Mann den Atem nahmen, wenn man zwischen sie kam.
Geliebte Aishe, keuchte ich, das geht jetzt zu weit.
Dann riss ich mich in die bittere Realität zurück: Christof, hier sprach Christof Kurz-von Bündig, der alte Scharlatan aus Köln. Der Menschenflüsterer in hektischer Zeit.  Rheinischer Dialekt. Danke, Hirn, für deinen Spürsinn.
Indisch gehen, jawoll, ich will mal in mich gehen, Chef, kein Problem.
Dicke Eiche, deutsche Eiche! Natürlich, starke Eiche, dich will ich heiraten!
Und bei fünf bin ich wieder voll da im Hier und Jetzt und strahle mit der Sonne um die Wette. Ist gebongt, Chef.

Stadtwurst

Die Stadtwurst heißt auf dem Dorfe Landei.

Georg Krakl: Vom Dorf

Waren alle aus dem Dorf
und schauten gerne unter Schorf
an unsrem Knie.
Es war noch Blut da.
Und das war gut, ja!
Sieh!
Das hieß: Wir lebten, konnten weiter knibbeln.
In unsren Fingernägeln war ein Kribbeln
und ein Summen und ein Schmatzen.
Wir würden weiter kratzen.

Schlechter Witz der Woche: Vollzug

Vollzugsbeamte brauchen einen Schließmuskel.
(Horni aus Zelle 12)

Georg Krakl: Hohe Minne (1214)

Hohe Minne!,
schreit die Dame laut auf ihrer Zinne.
Ich bin dein Weib,
doch bleib mir weit vom Leib!
Der Mann steht unten und er weint.
So war das nicht gemeint.
Er da unten, sie da oben,
das ist schon verschroben.

Neues aus der Wörterwerkstatt: Fuuti oder Ifuut

Tara!, brüllt Pedro aus der Wörterschmiede in die Küche, Tara, was hältst du von Fuuti?
Was soll das sein?, schreit Tara zurück.
Na, ein neues Wort, gerade frisch aus der Buchstabenmangel!, drängelt Pedro.
Fuuti......Fuuti....das klingt irgendwie nach Fuß...oder nach Nahrung....Fastfuut....vielleicht Kindernahrung von MacDonald.....oder wie Futon....also wie so ein kleiner für eine Person vielleicht, einen Zwerg oder ein Kind, aber die liegen nicht gerne so hart, es klingt niedlich, Fuuti...also ehrlich, ich weiß nicht.
Und wie ist es mit IFUUT?, fragt Pedro weiter.
Ifuut ist schon besser, das passt ja auch zu Ätier von letzter Woche, die im Plural Tierä heißen, weißt du noch?
Ja, sicher, kräht Pedro und ist ganz aufgeregt. Ich finde Ifuut auch gut. Das kann sowohl für streng riechende Füße gelten und gleichzeitig für verdorbene oder minderwertige Nahrung; diese Kopplung schafft es auch, dass jeder mit stinkenden Füßen sofort daran denkt, nicht mehr die Gammelnahrung zu essen. Junkfood etwa.
Oder sich die Füße zu waschen, wenn er einen Hamburger verdrückt, ergänzt Tara.
Das ist genial!
Pedro hüpft in der Wörterschmiede auf und ab und schlägt ein paar Mal auf den Buchstabenamboss.
Vielleicht wir das mal eine eigene europäische Sprache!, frohlockt Pedro.
Hoffentlich nicht, flüstert Tara und rührt ihren Instantpudding. Ja, sicher, schreit sie in Richtung Wörterwerkstatt.

Weisheit für jedermann: Gehen lassen

Wer sich gehen lassen will, muss jemanden finden, der ihn trägt.