Plattschüppe

Erst spät erinnerte Ariane sich an die Plattschüppe, die das Konfirmationsgeschenk von Opa gewesen war. Opa war längst tot; Ariane erinnerte sich an sein zahnloses Grinsen und die Vorstellung, dass Oma ihm mit eben dieser Plattschüppe die Vorderfront rausgehauen hatte. Oma war bei der Konfirmation schon längst tot und Ariane verstand nicht recht, was die Plattschüppe sollte, aber war gerührt, dass Opa ihr solch ein persönliches Geschenk machte.
Es folgten lange Jahre in Plattland und jedes Jahr bescherte Ariane ein stummes Zwiegespräch mit dem Horizont, einer langen, durchgehenden Linie, die nicht erahnen ließ, ob sie 10 Meter und 60 Kilometer entfernt war. Neben dem Nichtwissen, wie weit der Horizont entfernt war und ob er wirklich ein dünner Strich war oder nicht, störte Ariane vor allem das Gefühl der Perspektivlosigkeit. Plattland bot keinen Anhaltspunkt für eine Perspektive. Wenn Ariane beim Erdbeerenpflücken in die Hocke ging, war der Strich etwas weiter oben, stand sie auf der Leiter beim Kirschenpflücken, war er weiter unten. Ariane zweifelte an Plattland, an der großen ebenen Fläche, und Ariane zweifelte am Horizont, ja sogar an dem, was dahinter liegen mochte, obwohl ihre paradiesähnlichen Vorstellungen von einem Land hinter dem Horizont sie seit Kindertagen begleitetet und beglückt hatten. Nun hatte Ariane sich von diesen schon verabschiedet, doch bevor sie ganz verzweifelte und vielleicht sogar ihre oben-unten-Orientierung verlor, erinnerte sie sich an Opas Plattschüppe, die noch immer im Schuppen stand. In die fruchtbare, weiche Frühlingserde von Plattland stieß sie Opas Plattschüppe. Ariane schwor sich, so lange sie diese vor Augen und die Zähne im Mund hätte, würde sie das Wort Perspektivlosigkeit meiden wie die Murmeltiere Plattland.