Günter Krass: Knie auf dem Sofa


Sie hat das Knie auf dem Sofa und schaut das gestreckte Bein hinab bis an die Ferse. Elegant, denkt sie, und tippt mit dem Mittelfinger der rechten Hand leicht auf den rechten Oberschenkel. Ihr Haar hängt herab und scheint nach Frühling zu duften.

Nur das Sofa ist unpässlich. Es zetert los:

1.Mit dem Knie sich aufzustützen ist für ein Sofa nicht bequem.
2.Es gibt Falten im Überwurf, denn das Knie verteilt die einwirkende Kraft nicht gleichmäßig sondern punktuell. Das ist auch schlecht für den Federkern.
3.Man sollte sich nicht selbst bewundern, das gibt Ärger, weiß ja jedes Kind, nur dieses zu groß gewordene wohl nicht. Wenn bewundern, dann das Sofa, das hier seit Jahrzehnten rumsteht und seine Dienste anbietet. Ohne zu murren.
Da wäre ein "Oh, was für ein schönes Sofa!" vielleicht nicht unangebracht.
4.Wer lange Haare hat, verliert schon mal ein paar, die dann auf dem Sofa landen und das Arrangement ungepflegt wirken lassen. 

Also, weg mit dem Knie! Ab in die Ecke, das steht ein Sessel. Der sieht nicht mehr gut aus, da kommt es auf ein paar Haare und die ein oder andere Druckstelle nicht an.
Und überhaupt. Das Sofa ist eine Ottomane. Das klingt vornehm. 
Jedenfalls sind Sofas auch nur Wohnmöbel, und denen gebührt ein gewisser Respekt.

Sie steht jetzt auf, als habe sie die feine Botschaft geahnt.
Hässliches Sofa, denkt sie. Und erst der Überwurf. So knittrig. So voller langer Haare, und dort, ein kurzes krauses! Da setz ich mich nicht hin.
Holla, dahinten steht ja ein schicker Sessel; na, der sieht aus, als wenn er hart im Nehmen ist, und doch bequem. Da will ich mich hinsetzen.

Das Sofa fällt in eine tiefe Depression nach dem Motto: 
Niemand mag mich. Ich wäre so gern besessen.
Und es stellt sich die Frage: Stehe ich, weil ich Beine habe, oder liege ich, weil meine Längsachse parallel zum Boden verläuft?

Es gibt nichts Schlimmeres als denkende Sofas. Furzende Sessel vielleicht.