Georg Krakl: Oktoberfest (2014)

Nachthell,
tagdunkel.
Zeit läuft schnell,
keine Zeit für völkisches Geschunkel.
Offen Blusen,
wogende Busen.
Maß, Maß.
Ist schon voll.
Nachthell,
alles kommt schnell.
Ernst wie das  Bier,
Tagdunkel auch hier.
Hosenlatz offen.
Hirne versoffen.


Kantenphysik - Wohin mit der Wissenschaft?

Manchmal fallen einem schöne und griffige Wörter ein: Kantenphysik ist eines.
Gibt es doch schon, mag der aufmerksame Mitmensch raunen und versucht den Denker zu desillusionieren.
Mitnichten. Letzterer meint die "Quantenphysik" und versteht darunter vielleicht die Vermessung der Fußsohlen.
Kantenphysik. Was soll das sein?
Jeder weiß, wer an eine Tischkante geschrammt ist, empfindet Schmerz.
Wer sich die Kante gegeben hat, den plagt wütender Kopfweh und Übelkeit.
Wer über die Kante gesprungen ist, liegt im Abgrund.
Hier setzt die Kantenphysik an: Wer unlustauslösende Situationen vermeiden will, bleibt einer Kante fern. Das hat Freud schon präziser formuliert und daraus seinen Mutterkomplex entwickelt.
Über die Tischkante wurden nach der Mahlzeit die Krümel gewischt und im Spültuch aufgefangen; der Rest landete auf Boden und wurde später gefegt und in den Boden massiert.
Der Krümel ist Metapher für das Kindsein; ein gestörtes Verhältnis zur Mutter entspringt diesem Tun.
Die Kantenphysik beschäftigt sich in erster Linie mit den angrenzenden Flächen einer Kante, die sie letztlich definieren, denn ohne Flächen keine Kante. Dabei geht es um den Winkel, in dem die Flächen zueinander stehen. Der 90°-Winkel ist die ideale Situation, je weiter er gegen 180° geht, desto mehr nähert er sich einer Gesamtfläche aus zwei einzelnen Flächen. Das Dagegenrammen wird mit der Näherung an 180° immer schmerzfreier.
Wäre das Ganze im Weltall zu finden und die Kante ist unendlich, also eine Gerade, dann würden zwei unendlich große Flächen zusammengefügt und die doppeltflächige Unendlichkeit wäre erfunden. Die gibt es allerdings nicht, denn 2x unendlich ist immer noch unendlich. Auch das Wort Supermarkt lässt sich bekanntlich nicht steigern.

Das unlustauslösende Moment der Kante ist aber auch abhängig vom Betrachter, will sagen, dem Betroffenen. Eine Ameise nimmt eine Kante anders wahr als ein ausgewachsener Mensch. Die Bakterie lacht über die Kante, denn sie weiß gar nicht, dass es sie gibt.
Je kleiner das Subjekt (Ameise, Mensch, Bakterium), desto tiefer wirkt die Kante als Abgrund, wenn sie einen 90°-Winkel bildet. Je mehr sie in Richtung 180° kommt, desto eher ähnelt sie dem Idiotenhügel in einem österreichischen Skigebiet.

Was auf den ersten Denkversuch einleuchtend erscheint, erweist sich aber in der Praxis als schwer nachzuvollziehen. Die Ameise ignoriert den Abgrund und läuft ihn hinunter ohne abzustürzen, die Bakterie lebt gar nicht lange genug, um den weiten Fußmarsch, in den Abgrund zu schaffen; vorher ist nämlich Mutter mit dem Wischlappen da und schmiert eine Millionengruppe anderer Bakterien über den Wanderer.
Vor allem bleibt es nicht bei den 90°-Kanten. Wenn unter der Kante gar nichts mehr da ist, dann nähert sich der Winkel immer mehr den 0°. Je näher er dem kommt, desto unangenehmer für Bergsteiger, die an Felskanten hängen, die eigentlich eine Wand sein sollten. Da heißt es gut kraxeln, sonst geht es sturzartig nach unten.
Je näher der Winkel den 0° kommt, desto eher entsteht eine Doppelfläche, weil die vormals senkrechte Wand nach unten und hinten weggeklappt auf der Unterseite der oberen Fläche zu haften kommt. Das klingt kompliziert, ist aber unerheblich, weil Flächen an sich keine Dicke aufweisen und so eine Doppelfläche bilden, die genauso dünn ist wie vorher, nämlich 0. Dicke Flächen nennt man Quader.
Alles in allem erkennt man, dass Kantenphysik das Leben nicht leichter macht, vielmehr erscheint das Alltägliche kompliziert und entspricht der Bedienungsanleitung für einen DVD-Rekorder.
Dabei sollte Wissenschaft immer dem Menschen dienen; wenn es aber leichter ohne geht, sollte das Wissenschaft auch zur Kenntnis nehmen und sich dezent zurückhalten. Wo keine Probleme sind, sollte die Kantenphysik auch keine schaffen. Ein zufriedenes Volk lässt sich leichter regieren, sodass man Außenseiter zur allgemeinen Belustigung fragen kann: Von welcher Kante kommst du denn?
Ein Lachen befreit und hat noch keinem geschadet. Und das ist mehr als weniger ausländerfeindlich.

Wiedergeburt als Regenwurm

Ok. Irgendwas ist schief gelaufen im letzten Leben.
Aber Regenwurm, das ist hart.
Vor allem, wie soll man denn da wieder aufsteigen?
Ich habe ordentlich gebuddelt, Erde gelockert, schlechtes Karma, und jetzt was Gutes tun. Buddeln, buddeln, buddeln.
Die Buddel war früher mal Mittelpunkt, hochprozentig natürlich, Würfel und Spielautomat. Meine Güte, aber ich habe doch keinem geschadet, jedenfalls weiß ich nichts davon.
Regenwurm. Mannomann. Schildkröte ist noch eine Position höher. Aber die leben so lange, da hat man ja richtig was von der Strafe.
Vor allem: Was kann ich denn jetzt machen? Außer buddeln?
Ich weiß ja noch nicht einmal, wo mir der Kopf steht.
Neulich hat mich so ein bekloppter - upps, das darf ich gar nicht sagen, das gibt Minuspunkte - so ein verschnarchter Hobbygärtner mit seinem Spaten in zwei Teile geschnitten. Angeblich sollen dann zwei Regenwürmer entstehen und weiterleben. Glaube ich aber nicht, denn was das andere Ende macht, weiß ich überhaupt nicht. Das denkt wohl nicht; dann muss das wohl mein Schwanz sein. Da, wo man denkt, ist der Kopf.
Wenn der Schwanz denkt, dann stimmt da was nicht.
Ist wohl noch menschliches Verhalten.
Vielleicht ist das bei Regenwürmern anders. Da kenn ich mich noch nicht aus. Dafür bin ich noch nicht lange genug Regenwurm.
Was bleibt mir denn außer buddeln?
Ich darf ja noch nicht mal denken. Das gibt auch Minuspunkte.
Ich kann aber nichts dagegen tun. Ich denke und denke.
Nicht denken ist doch das höchste Ziel der Meditation.
Wenn ich gut buddele und nicht denke, dann steige ich auf.
Schildkröte.
Das ist keine Alternative.
Kampfhund würde mir gefallen, aber da ist das Risiko für Minuspunkte ja noch höher. Und für das Herrchen gleich mit.
Vom Vokuhila zur Glatze, wenn er die nicht schon hat.
Vokuhila wäre auch eine Möglichkeit gewesen, statt Regenwurm zum Beispiel.
Oder Glatze. Die denkt wenigstens nicht. Da hätte man gute Chancen, wenn als Regenwurm auftaucht.
Und überhaupt: Wer entscheidet das denn?
Schildkröte. Mannomann, die sehen so doof aus, wenn sie den Kopf aus dem Panzer nehmen. Das ist doch irgendwie auch Bundeswehr. Die sehen auch nicht gut aus, wenn die den Kopf aus dem Panzer stecken. Zack! Ist ein Loch drin, wenn man an der falschen Stelle rausguckt, zum Beispiel in Afghanistan.
Vielleicht werde ich doch Katholik. In der Hölle soll ja richtig was los sein...

Wohin mit dem Jägerschnitzel?

Nicht unbedingt appetitlich: Das Jägerschnitzel
Man kann verstehen, wenn die Begriffe Zigeunerschnitzel und Zigeunersauce verschwinden sollen. Sie diskriminieren.
Ob sich die Speisen aus den Köpfen und Mägen per Verbot vertreiben lassen, ist fraglich.
Wundersam ist aber, dass jetzt der "Bundesverband der Freizeitjäger und Knallköppe" das Jägerschnitzel verbieten lassen will.
Es bestehe nämlich gar nicht aus Jäger und sei eine Irreführung der Konsumenten, so deren Sprecher. In Wirklichkeit sei der Hauptbestandteil Paniermehl, unter dem sich eine dünne Schicht Schwein befinde.
Ob man nicht Freizeijtäger mit Schweinen gleichsetzen könne?, ist die provokante Frage aus dem Kritikerlager.
Neinneinnein, kontert der besagte Bundesverband, nicht immer sei drin, was drauf sei.
Drauf sei doch Paniermehl, so die Gegenseite.
Ab morgen wird zurückgeschossen, knallt der Bundesverband los, wenn diese saudumme Fragerei nicht aufhöre!
Saudumm...., murmelt das Gegenlager und jeder versteht die Anspielung, nur der Bundesverband nicht, weil der bereits die Knallkorken auf die Blechrohre pfropft, um sich erst mal Mut anzuschießen. Dazu wird eisgekühlter Jägermeister serviert und eine Bratwurst, denn von Jägerschnitzeln habe man die Nase voll.
Den Mund voll, korrigiert das Kritikerlager, und der erste Schuss geht nach hinten los, weil der Schriftführer seine Kontaktlinsen nicht im Auge hat.
Aus den Augen, aus dem Sinn, lächelt der Angeschossene still durch das Einschussloch in sich hinein, da kann ich endlich mal wieder meine guten alten Glasbausteine aufsetzen.
Das Kritikerlager kugelt sich vor Freude und beschließt, auf dem nächsten Schützenfest als Gasttrinker mitzuwirken.
Immerhin ein Anfang, wenn auch kein besonderer.

"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Hölle, Hölle

Hölle, Hölle, Hölle!, dringt es aus dem Lautsprecher und vor unserem geistigen  Auge schüttelt Wolle Petry seine Freundschaftsbänder, die er  selbst beim Duschen nicht ablegt. Wir Hörer hüpfen und singen mit, ohne uns Gedanken darüber zu machen, welche gefährliche Botschaft der Schlagersänger leichtferig ins Volk posaunt. Ist uns nicht immer gesagt worden, dass das Paradies das Erstrebenswerte sei, dass wir ein gutes Leben führen sollen, dass wir Gutes tun möchten und uns schon einmal das Leben nach dem Tod vorstellen dürfen: Großen, grüne Liegewiesen, auf denen wir verweilen, in weite, weiße Gewänder gehüllt und friedlich lächelnd, uns an Milch und Honig labend und auf den nächsten Tag wartend, der so sein wird wie der heutige, und das eine Ewigkeit lang? Wir haben keine Not, keine Krankheiten, keinen Hunger, wir nehmen nicht zu und nicht ab, die Haut bleibt immer jung, sodass wir uns nicht mal eincremen müssen. Was will der gute Mensch mehr?
Und dann die Botschaft: Hölle, Hölle, Hölle! Die gar keine Botschaft ist, nur die dreimalige Nennung eines Substantives! Und trotzdem hüpft alles mit und schreit den Kehrreim aus dem Körper heraus, dass die Seele fast mitfliegt. Und das ist wohl auch die Absicht des Bösen, der sich diese schnappen und seiner Großmutter schenken will, die daraus ihren allseits geschätzten Seelentröster mixt. Hinter der Botschaft lauern unausgesprochene Versprechen, die Menschen, die den breiten Weg der Verdammnis eingeschlagen haben und den steinigen verweigert haben, verlockt, sich glücklich zu schätzen, nicht ins Paradies zu kommen.
Paradies ist langweilig, hört man sagen. Hölle, da geht die Post ab, das ist Farbe drin, Schwarz und Rot, und die Hölle ist heiß, alle sind nackt und tragen Tüten über den Köpfen, damit man nicht weiß, mit wem man es zu tun hat. Da kann man richtig einen rund machen, mal auf den Putz hauen, dass die Diskokugel wackelt!
Den guten Menschen tut das Herz weh bei soviel  Oberflächlichkeit. Das weiße Gewand will ein wenig kratzen, aber bedenket: Nur schlechte Menschen kommen in die Hölle, und wer will schon auf seinen Finanzberater treffen?
Ein Trost den Verunsicherten: Es gibt auch eine Hölle auf Erden, und die muss wohl jeder durchschreiten.

Singende Unterwäsche

Andrea Berg hat es raus. Jahrelang hat man dem Deutschen Schlager nachgesagt, er sei muffig, er sei langweilig, er sei steif und uninspiriert. Etwas für Tattergreise und Menschen mit Angst vor Infektionen.
Dem setzt er nun diese nicht mehr ganz taufrische Andrea Berg entgegen, eine Schlagersängerin, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Unterwäsche gesellschaftsfähig zu machen, wenigstens auf der Bühne.
Die Greise stehen nun Schlange und die Phobischen reißen sich um die Eintrittskarten.
Auf die Frage, welche Botschaft sie denn habe, antwortete Andrea Berg: Mehr auf die Wäsche achten, nicht so auf die Musik hören.
Damit hat sie wohl zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Man achtet nicht mehr so sehr auf die Musik, was allen gut tut.
Über die zweite Fliege wird noch gestritten.
Mal hören, wie das klingt. Oder mal gucken.

Alte Hits erfreuen das Herz

Henry Valentino sitzt im Auto! Vor ihm die Uschi, wobei er nicht weiß, dass es die Uschi ist. Aber er singt sie an. Öffentlich. Er bewegt sich dabei, als habe er einen Autounfall gehabt: Die linke Hand immer ein wenig erhoben, so als wolle er ein fiktives Lenkrad anfassen und über eine vereiste Fahrbahn steuern, immer der Uschi nach, die natürlich Gummi gibt. Das konnten die Frauen schon immer: Fuß aufs Gas, bei jedem Wetter.
Da brummt die singende Oberlippenbehaarung über das Mädchen vor ihm im Wagen und weiß, dass sie ihn nicht hört: Lee Marvin röhrte, wenn er eine starke Erkältung hatte, kaum einen Schlag besser. Immer einen Viertelton neben der Notenlinie. Gut, dass Uschi den Mann hinter ihr nicht hört, denn nicht immer haben tiefe Männerstimmen die beabsichtigte Wirkung. So erfüllt Henry V. den Tatbestand der Nötigung durch übertriebenes Auffahren. Uschi, mit dem dicken Fell der 70er Jahre gesegnet, lässt sich nicht beirren, fährt ihren Weg und singt auch noch drüber. Genau, wie damals üblich: Falscher Ton? Einfach drübersingen!
Henry singt das magische Rattan Rattan radatan; was kann er meinen? Sein Motor hat Probleme, oder sind es seine Hirnzellen, die unermüdlich die Zahnräder bewegen, um einen Vorschlag zu unterbreiten, wie Uschi am geschmeidigsten in Henrys Gesellschaft überführt werden kann? Er will sich immerhin hinter Hecken verstecken, wohl weil es sich reimt, oder hinter Kühen sich mühen, hinter Tannen was spannen, auf jeden Fall auflauern (hinter Häusern von Bauern?), doch dann ruft die Armbanduhr: Du kommst zu spät nach Hause, Henry! Das darf nicht sein. Das hat er noch nie gemacht. Also: Adieu sagen!
Bye, bye, mein schönes Mädchen, trötet der alte Bock aufs Armaturenbrett, und stellt fest: Uschi hat den Blinker an. Hier fährt sie ab. Sie fährt voll ab, die Frage, auf wen? Aber sie hat den Blinker an, was heißen will, dass sie gleich abbiegt, die Biege macht, die Kurve noch soeben kriegt, den Henry links liegen lässt, links hinter den Hecken eben. Mit dem Blinker an wird sie zu Hause eintreffen und ihre Eltern verwundern. "Kind, warum hast du denn den Blinker an?" Da niemand so recht mit dieser Metapher etwas anfangen kann, bleibt man allgemein die Antwort schuldig.
Henry und Uschi kamen nicht zueinander, auch wenn Henry V. dafür ein Zahn zugelegt hätte. Aber mit dem kaputten Arm vom letzten Crash? Da müsste schon was bei der Uschi drin sein.Wahrscheinlich waren beide in einem jeweils andersfarbigen Kadett unterwegs, und Uschi in einem, der wie eine Ente aussah, und das passt gar nicht. Gut ist es aber, dass sie sich nie berührt haben, denn es gibt schon genug Kindergartenkinder, deren Väter aussehen wie deren Väter, steinalt nämlich. Daran ändert auch die schlecht rasierte Oberlippe nichts, die in den 70er ja in war und so etwas wie Jugendlichkeit ausdrücken sollte, aber lediglich Hinweise auf die Mahlzeiten vom Vortag gab.


Bleibt nur die Frage, warum alte Hits das Herz erfreuen?
Antwort: Weil sie so selten zu hören sind.
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Die gelbe Jacke: Allein hinter einem Bild von Matisse

Einige Tage hatte die gelbe Jacke im Schaufenster eines Geschäftes für Waren aus zweiter Hand gestanden. Die Schaulustigen bummelten und  betrachteten die Auslagen und ihr Blick fiel immer auf die gelbe Jacke, um dort eine Weile hängen zu bleiben, denn die gelbe Jacke war schön. Manch einer der Betrachter hätte sie gern getragen und manche schöne Frau hätte sie für ihren Mann gewünscht. Dass es sich um einen Zweite-Hand-Laden handelte, und dass dieser straffällig Gewordene finanzierte und den Bestand aus Spenden rekrutierte, schreckte viele ab. So blieb die gelbe Jacke eine ganze Weile in diesem Geschäft und aber als Blickfang im Schaufenster. Und dann eines Tages stellte man ein Bild vor sie, einen Matisse. Jeder Mensch weiß, dass ein Matisse Millionen bringt und dass man den nicht einfach in einen Zweite-Hand-Laden stellt, und vor allem nicht vor eine gelbe Jacke, denn das würde diese in den Hintergrund rücken.
Was aber das Schlimmste war, dass die Ladenbetreiber, die noch nie straffällig geworden waren, so dumm waren, dass sie nicht erkannten, dass der Matisse eine plumpe Fälschung war; was die gelbe Jacke noch weiter in den Hintergrund drängte. Seht doch, wollte die Jacke schreien, wenn sie gekonnt hätte, seht doch! Eine plumpe Fälschung! Papperlapapp!, hätten die Ladenbetreiber gesagt, das passt schon, da steht ja drauf, dass es ein Bild von Matisse ist!
Die gelbe Jacke hätte weinen mögen, wenn sie gekonnt hätte. Ja, es stand drauf auf dem Bild: Bild von Matisse. Und dann ein Strichmännchen in Rot. Man mag ja von Matisse denken, was man will und von moderner Kunst auch, aber ein Strichmännchen hätte er nicht gemalt und auch nicht daneben geschrieben, dass das Bild von ihm sei. Moderne Kunst hatte auch ihren Stolz, die wollte nicht mit jeder Kleckserei Geld machen.
Die gelbe Jacke aber war traurig und verlor allmählich ihre Farbe. Irgendwann, als sie grau war, stellten die Ladenbetreiber ein Schild vor ihr auf: Gelbe Jacke. Das Bild von Matisse war da aber schon längst verkauft. Vielleicht nicht für ein paar Millionen, aber auf jeden Fall für zu viel Geld.

Dreiste Fälscher

Unglaublich. Da kritzeln doch dreiste Fälscher ein Bild zusammen, einfach so in Schwarzweiß und wollen das als Mann mit dem Goldhelm verkaufen. Gegen richtig Bares.
Jedem Semi-Kunstfreund sagt doch der Mann mit dem Goldhelm etwas: Der ist teuer. Auch das Bild vom Goldhelm ist teuer. Hat ein alter Künstler gemalt. Wer auch immer, auf jeden Fall teuer. Will ich haben. Gute Investition.
In diese Lücke zwischen Unwissenheit und Gier des Konsumenten pfropfen die dreisten Fäscher ihre schludrig gemachten Zeichnungen. Ihre eigene Unfähigkeit, einen vernünftigen Goldhelm zu malen, kaschieren sie damit, dass sie an den gezeichneten Helm einfach immer wieder Gold schreiben. Gold, Gold, Gold.
Sodass der potentielle Käufer erkennen muss: Aha. wo Gold dran steht, das muss auch Gold sein. Es muss ja nicht mal glänzen; denn das tut es wirklich nicht.
Damit keine Irrtümer auftreten, schreibt der Fäscher unter eines der GOLD-Wörter das Wort Helm. Goldhelm.
Jetzt erkennt auch der dümmste Gierige, dass das ein Goldhelm ist. Problematisch ist lediglich, dass der Mann als Träger des Helmes nur bis zum Hals zu sehen ist, was keine genaue Geschlechtsbestimmung zulässt. Da hilft nur Glauben.
Wenn das Gold lockend ruft, ist das aber eine vollkommen ausreichende Komponente, um einen Kaufabschluss zu erhandeln. Bitter, wie dreist die Fälscher und wie dumm die Käufer!
Der eigentlich Mann mit dem Goldhelm hängt derweil in irgendeinem Musseum rum und langweilt sich. Schade.

Ekke Dützmann: Akt, knieend - von Pawel Pikass (2009)


Ja, meine Güte, da kann man doch mal sehen, oder besser nicht sehen, was so ein Künstler unter einem Akt versteht. Hallo, dann kann der doch für 5 € ein Studentenmodel buchen, das vielleicht aufgrund der Studiengebühren oder der überschrittenen Höchststudiendauer darauf angewiesen ist, sich ein Zubrot zu verdienen, damit sie ihr Make-up für den Modeljob finanzieren kann. Und sie trifft auf einen introvertierten Künstler, der sich Maler nennt, und der vielleicht zu feige ist, in ein Lokal öffentlichen Interesses zu gehen, oder eine Modelagentur, die auch weitere Leistungen anbietet, anzurufen, und schließlich sitzt er dann stundenlang vor dem 5€-Model (die Stunde) und starrt auf es, mit der Begründung, er müsse sich inspirieren lassen, starrt und starrt, das Model friert inzwischen, da es ja ein Akt-Model ist und nichts an hat, und heraus kommt schließlich, nach langem Hin und Her, nach langem Gestarre ohne Bewegung, und schließlich einigen, vielleicht nur einem einzigen Pinselstrich, der möglicherweise stellvertretend für die gesamte Hormonwelt des Bildners sein muss, ein zweifarbiges Gebilde, das der Spurensicherung eine große Aufgabe stellt: Ja, hallo, wer soll das denn sein? Ein verkrüppelter Baumstamm, der nach Sturm Kyrill abgeknickt ist, oder die Inge, die sich, nach Entledigung des Badeanzuges, hingekniet hat, weil sie ihren Ohrring sucht, und das in der Umkleide des Städtischen Freibades?
Kunst sieht anders aus.
Ekke Dützmann

Wie im Himmel

Ich konnte alles kurz von oben sehen, alles wirkte warm und hoch und ganz von oben, da wo droben war, wo man am Loben war, obwohl man nichts geschafft, die Sache mehr versaut, da, wo die Manager regieren und sich selber  abservieren gegen fettes Geld, wo keiner hält, was er versprochen, bis auf die Knochen blamiert, weil gelogen, betrogen, dass sich die Balken biegen, die Kleinen schmiegen sich an Mutter und  gucken in die Röhre, und jede Göre weiß, mach einfach Scheiß dahinten im Konzern, man hat dich trotzdem gern, und ist auch froh, dich los zu werden, wegzuloben, nach ganz oben, ganz ganz oben, da, wo sich der Haufen trifft, der Abschaum, der so gerne in die Hölle kommen will, der still drauf hofft und glaubt, dass es da richtig staubt, weil's rund geht, weil man bei Action steht und sich nicht setzt, verletzt war gestern, jetzt tanzen Schwestern, heben Hüften, schieben Beine, meinemeine, schreit der Geldclown, ich will auch mal hau'n!
Ich da unten, wo der Himmel ist, den man so gern vergisst! Wie kam mein Blick nach oben. Ich war schon immer recht verschroben. Ich war da unten. Da wo die Treuen und die Kleinen, die Scheuen, die oft weinen, weil Gerechtigkeit verschwunden ist. Verlust und Frust, durchs Auge in die Brust. Im Himmel ist es öd, die Seelen sind zu blöd für das Vergnügen, sie wollen nicht betrügen, oder lügen. Und ich war unten.
Von oben schreit es: Komm, genieß dein Paradies!

Kontext und Partnerwahl


Zugriff!, denkt der spätpubertierende Mittdreißiger und fasst der Dame, die neben ihm an der Theke steht, an den Oberkörper, dahin, wo der Zugreifer sich volumenmäßig von der Angefassten unterscheidet. Zugriff, das volle Besteck! Das hat er aus Tatortfilmen gelernt. Die Dame gibt ihre Bestellung auf und beantwortet die Frage der Bedienung, ob es auch etwas mehr sein dürfte, mit einem: Na, sicher. Was den Zugreifer motiviert, die Fingerspitzen leicht zusammenzudrücken, um etwas mehr von der fleischlichen Fülle zu begreifen. Be-greifen, endlich wird ihm das Wort klar; ewig schon waren ihm die Frauen unbegreiflich, unverständlich, nicht mit Worten zu erdenken, und jetzt hatte er die Lösung gefunden: Begreifen. Aber statt eines drallen Stückes Fleisch gibt die ergriffenene Rundung nicht nach, eher fühlt sie sich an wie ein Stahlkorsett. Merkwürdig auch, dass die Dame noch keinen Laut auf seine vorsichtigen Bemühungen hin von sich sich gegeben hat. Vielleicht mag es nicht nur an der harten Kappe liegen, die die Empfindungen behindert, sondern auch an der Umgebung, denn nach wie vor sind Erfolge in der Partnerwahl, wie ungeschickt sie auch vorbereitet wird, vom Kontext abhängig, nämlich davon, in welcher Situation die Vorbereitungen stattfinden. Hans hatte ihm damals im besoffenen Kopf geraten, doch einfach mal an der Theke einer Frau an die sekundären Geschlechtsmerkmale zu fassen, was ihn erstmal hat nachschlagen lassen, was das denn überhaupt sei: Sekundäre Geschlechtsmerkmale. Das mit der Theke muss er wohl auch falsch verstanden haben,denkt er sich, denn es eignete sich wohl nicht jede dazu. Und wenn die Partnerwahlanbahnung hier fehlschläg, dann ist ihm klar geworden, dass eine Fleischtheke der falsche Kontext ist. Was auch immer Kontext bedeuten will. Nicht jeder Tipp eines betrunkenen Kumpels, der an der Theke neben einem steht, lässt sich transferieren und in Glückseligkeit umwandeln.

Fliesengeist in Bonn


Der Fliesengeist saß nun seit geraumer Zeit an der Wand in einer U-Bahn-Station, vielleicht Hauptbahnhof Bonn, wer weiß, er wusste es selbst nicht, und wartete, dass ihn jemand ansprach, denn nur so konnte er aktiv werden, konnte er sein Wesen entfalten. "Hallo, Fliesengeist, willst du mir willig sein? Du bist schon etwas strange, ein Fliesengeist....Ich kenne eigentlich nur Flaschengeister, die immer wollen, dass man den Korken rauszieht. Aber Fliesengeister? Na, ich weiß nicht" So etwa hätte eine Ansprache sich anhören können; aber niemand sprach zu dem Fliesengeist. Niemand wollte seine Dienste in Anspruch nehmen, niemand wollte sich Wünsche erfüllen, denn die Preise für Unterhaltungsmedien waren mal wieder gesunken und jeder hatte eigentlich, was er brauchte, sogar noch viel mehr, sogar Dinge, die er überhaupt nicht brauchte.
"Tja, Fliesengeist", hätte die Ansprache weiter gehen können, " ich habe mal eine Flasche Friesengeist getrunken, damals, als ich noch mit Günter unterwegs war, den haben wir flambiert, da haben wir uns die Lippen verbrannt, später haben wir ihn dann kalt getrunken. Zum Schluss konnten wir kein r mehr aussprechen. Fliesengeist, Teuwwwelsssoiggh!, haben wir vor uns hingesummt. Vielleicht bist du mir deshalb so sympathisch...." Das hätte alles gereicht und der Geist in den Fliesen hätte sich bewegt und gesprochen:"Was kann ich für dich tun, Meister?"
Aber niemand fragte. Alle warteten nur auf ihre Bahn, versunken in ihre eigene Welt, in ihre Probleme: Was würde ich mir wünschen, wenn ich mir was wünschen könnte?

Roy Bosch: Touch (2010)

Roy Bosch: Touch (2010)
Deutsche Künstler mit englischen Untertiteln: Das ist suspekt.
Wenn man das  dann einigermaßen aussprechen kann, geht das ja noch: Tatsch.
Der hat dochen Tatsch, sagten wir früher über Menschen, die anders waren als wir. Also richtig anders.
Thomas Anders zum Beispiel.
Oder Christian Anders, der sich dann, als ihn keiner mehr wollte, nackt an ein Tor gekettet hat, um gegen oder für etwas zu demonstrieren.  Das weiß man heute nicht mehr. Er selbst wohl auch nicht. Jetzt schreibt er als Lanoo Bücher, die keiner versteht, was ihn ja auch irgendwie unangreifbar macht. Er hat einen schwarzen Gürtel, und er hat eine Menge Schlager herausgebracht. Wer schöne Bilder und auch eine Reihe hässlicher sehen will, muss hier hinklicken: Bilder
Wie kam ich jetzt doch auf Christian Anders? Genau, durch Peter Maffay, die alte Muräne.
Also, einen Tatsch hatte Leute, die anders waren, irgendwie Thomas oder Christian, aber auch ein bisschen Peter Maffay und vor allem Rickey Shane, also, der hatte doch total den Tatsch. Total den Tatsch. Alliteration, auch wieder so eine Krankheit der 70er Jahre.
Und jetzt Roy Bosch. Da fasst ein Luftballon an den Hals einer androgynen Figur, betatscht die sogar.
Ich finde, irgendwo hört es auf.

Gedichtinterpratation: Folke Smund - Hänschenklein

Hänschenklein
fehlt ein Bein
andres auch
steht jetzt auf dem Schlauch

Satzzeichen fehlen, das ist modern. Ein verschnarchter Paareim, das ist was fürs Land, da liebt man Endreime.
Hänschenklein - die Zeile kennt man doch, das ging irgendwie anders weiter. Dem Jungen in der Verkleinerungsform auch noch eine Verkleinerungssilbe hintendran zu hängen, das war damals schon schräg, als die erste Zeile eines anderen Gedichtes sich im Hirn des Dichters entfaltete.
Ein Vierzeiler - da weicht nichts von der Norm ab. Dreimal drei Silben, in der vierten Zeile fünf. Mit etwas Geschick könnte man ein Haiku draus machen. Tut man aber nicht, wir sind nicht in Japan, da heißen Jungen anders. Haruki oder Kouuki.
Die Zeile zwei bringt bereits die Brutalität der Wirklichkeit in eine lyrische Idylle: Es fehlt ein Bein! Der Junge ist versehrt und wird es wohl in seinem Leben schwer haben. In Zeile drei die Steigerung des Leids: Das andre auch. Lapidar dahingerotzt, als sei das eine der großen Belanglosigkeiten.
Und dann schreitet der Autor zu weiterer Missetat: Steht jetzt auf dem Schlauch. Hallo? Wie geht das denn? Wie soll der Bursche auf dem Schlauch stehen?
Das ist makaber, das ist zynisch, das ist unverschämt. Hier hat sich ein Autor im Ton vergriffen. Nach vier Zeilen ist man bereits gewillt, das Gedicht wegzuschmeißen. Aber es ist im Kopf und will nicht raus. Es sitzt da fest, weil es so kurz ist, so brutal und doch so eingängig.
Und dann davon zu schwafeln, es könne ein Protest gegen Landminen sein, das ist geschmacklos.
Gut dass es Kinderbücher gibt, die solche Kinder zeigen und Eingrifflöcher anbieten, in die man seine Finger stecken kann, um seinen Zöglingen die heile Welt zu bieten. Darüberhinaus: Kinderbücher, in denen sich etwas bewegt, sind dynamsich. Und das ist es, was unsere Kinder brauchen. Nicht Gedichte von pathogener Hässlichkeit.

Georg Krakl: Halsgeschmeide (2014)


An einer Weide
lehnte eine Frau mit reichlich Halsgeschmeide.
Sie trug sonst nichts auf ihrem Leib
nur eine Last, wohl eine Bürde
der Blick war traurig, doch mit Würde
schien sie alles zu ertragen
ohne zum Warum zu fragen.
Das war ein Weib!
Nichts auf dem Leib,
aber Halsgeschmeide!
Und lehnt an eine Weide.
Und so voller Bürde!
Oder war es Würde?

Egal: Man soll nicht klagen!
Das Wichtigste: Die Frau stellt keine Fragen.

Kinder verwirren


Auf einem Kinderspielplatz in einem Park der Stadt Göttingen Hinweise für Kinder: Das dürft ihr! Das ist verboten! Das Verbotene ist durchgestrichen, das Gedurfte nicht. Was darf man? Sein Kofferradio auf die Erde legen und Kreise darum malen. Ein Hühnchen, das gegessen werden soll, vorher aufspießen und über einem Feuer erwärmen. Dem Hund, der sich eine Wurst aus dem Darm drückt, einen Eimer drunter halten (Geht bei kleinen Hunden nicht!). In einen Papierkorb hineinjonglieren, aber mit maximal drei Bällen. Bei bellenden Hunden die Schlinge enger ziehen bis sie röcheln oder still sind. Was ist verboten? Indianerspielen. Mit einem anderen Kind spielen und dabei Gegenstände benutzen. Mit dem Motorroller auf fremden Autos herumfahren. Immerhin: Es gibt nur drei Verbote, dafür aber 4 Tätigkeiten, die man tun darf. Schön. (Rücksicht nehmen? Haha! Wer denkt an Leute, die einigermaßen Rechtschreibung studiert haben? Im Interesse Aller bitte diese Regeln beachten! Wer ist Aller? Ein Fluss?)

Schnee verdeckte früher Gartenzwerge

Der Klimawandel wirkt überall, selbst im Garten des Schrebergärtners oder des Reihenhausbesitzers. Ha, kein Problem, Klimawandel? Macht mir nichts, ruft Theo F. über den Gartentzaun und postuliert unumwunden, dass er nun seine Lieblinge länger sehen könne als in all den Jahren vorher. Früher seien die lustigen roten Mützen schnell unter dem Neuschnee verschwunden und ihr Zauber war für einige Monate verloren, verborgen unter der Kälte und ihren Produkten. Jetzt aber sei sein "Watzmann" ganzjährig zu sehen und weithin leuchtend bewache er die ganze Laubenkolonie, so der stolze Besitzer des Keramikkerls, den er auf der rechten Straßenseite landauswärts Richtung Deutschland zwischen den Stellplätzen zweier Liebesdamen in Polen gekauft hat. Der normale Bürger schaut schon mal angewidert weg, wenn er im Dezember nicht den Weihnachtsmann in Miniaturformat vor den Rabatten knien sieht, sondern den profanen Gnom, der lieblos in grellen Farben koloriert wurde. Manch einer wünscht etwas bescheidenere Farben beim Gartenzwerg, die ihn verschmelzen lassen mit der Umgebung und damit fast unsichtbar machen. Schöner wäre jedoch, gerade weil es auf Weihnachten zugeht, eine Portion Schnee in der Laubkolonie, die alles, was man gern mit dem Spaten platthauen würde, aber nicht darf, weil das Sachbeschädigung wäre, die einfach alles zudeckt, mit dem weichen Mantel vorweihnachtlichen Liebe. Der Himmel hat kein Einsehen.