Farbe bringt Farbe in die Welt

Wie grau wäre die Welt, wenn nicht ein paar rote Pullover ins Auge springen würden, die von Menschen getragen werden, die das Graue nicht sonderlich schätzen, weil es sie gerade zur Spätsommerszeit so unendlich traurig macht?
Kommt, lasst uns unsere rosanen T-Shirts rausholen, überziehen und ein wenig in die nähere Umwelt gehen, damit nicht alles so trist aussieht!, sagt die Mutter von fünf Kindern und gefällt sich ein klein wenig als Farbtupferengel.
Was ist trist?, brüllen die Blagen wie im Chor.
Kinder, ihr müsst nicht alles wissen, macht einfach, was ich sage!
Das machen wir doch sonst auch nicht, antworten die Kinder und fragen, warum sie das denn heute sollten?
Die Mutter schaut aus dem Fenster und sieht, dass die Mutter mit den sechs Kindern bereits draußen an den Strohballen herumturnt, um der Welt etwas Farbe zu geben. Alle tragen lilane T-Shirts, die vom vielen Waschen ganz rosa geworden sind.
Beide Mütter wissen nicht, dass es "rosafarben" und "lilafarben" und auch, vorbeugend für Ostern, "eierfarben" heißt.
Aber sie meinen es gut mit dem Grauen auf der Welt; leider stehen sie in Konkurrenz zueinander.
Kinder, dann bleibt mal drin, denn ihr macht ja sowieso was ihr wollt! Wenn ihr aber wissen wollt, was trist bedeutet, dann guckt mal nach draußen. Da turnt die Mutter mit den sechs Kindern herum in ihren verwaschenen lilanen Blusen. Boh, ist das trist! Boh, die Alte turnt mich an.
Mutter, was bedeutet das: Die turnt mich an?
Hat man früher gesagt, da seid ihr noch nicht auf der Welt gewesen.
Ok, wir wollen jetzt mal raus! Können wie die rosanen Blusen tragen?
T-Shirts, Kinder, wir tragen T-Shirts. Blusen, die tragen die anderen.

LACHFALTEN


Lachfalten
sind schlaffe Haut.

Straffe! Schaut
in den Spiegel
solange es lohnt,
und greift in die Tiegel
und schmiert wie gewohnt
alle Stellen,
die sich irgendwann dellen
und wölben und weiten
und blähen und glaubt nicht den breiten
Grinsern, die Lachfalten preisen
und Jugend beweisen
wollen. Sie müssen kaschieren
Was Pasten und Cremes nicht verschmieren,
zutünchen oder verstecken.
Lachfalten
haben nicht ums Verrecken
Zu tun mit Humor, oder Freude, nicht mal guter Laune,
ihr Alten,
schaut:

Lachfalten
sind schlaffe Haut!

Menschen im Schlauchboot


Was bewegt Menschen, in einem Schlauchboot einen Fluss hinunterzutreiben? Der Fluss fließt langsam und müffelt ein wenig, also nicht unbedingt ein sinnlicher Hochgenuss, hier und da ein toter Fisch, daneben ein Angler, oder eine junge Frau mit ihrem Pitbull, die sich im Taschenspiegel betrachtet. Wir fragen uns alle, was kann einen Menschen bewegen, im Schlauchboot zu treiben? Ist es die Betonung der Tatsache, dass der Mensch im Boot schwimmen kann? Denn ein einfaches Taschenmesser oder ein Dosenöffner genügt, um dem Boot die Luft abzulassen und ihm seine Standfestigkeit zu nehmen, ein einfacher Stich bringt den Schlauchbootfahrer in die Gefahr, ein Bad in unsauberem Gewässer zu nehmen, vielleicht gegen eine ungeahnte Strömung anzukämpfen, laut um Hilfe schreien zu müssen, obwohl er Schwimmer ist, und dabei vielleicht eine gute Portion Flusswasser zu schlucken. Ein nachfolgender Rülps hat einen derben, fast ekligen Geschmack und der unfreiwillige Schwimmer wird froh sein, das Ufer zu erreichen.
Das ist kein Vergnügen.
Und doch: Immer wieder sieht man diese Waghalse, diese Abenteurer, wie sie dahindümpeln, wie sie versonnen in die Sonne blicken und gedankenverloren ihr Butterbrot kauen. Vielleicht sind es Menschen, die Schläuche lieben, oder Menschen, die Boote lieben, sich aber kein richtiges Boot kaufen können, und so zur aufblasbaren Gummilösung des Problems greifen. Eine Antwort bekommen wir wohl nie, denn die Schlauchbootfahrer sind längst hinter Petershagen oder in Wasserstraße verschwunden und treiben Richtung Bremen. Schade.

Faule Comiczeichner

Früher waren Comics was für Leute, die nicht lesen konnten oder in dicken Büchern schlecht vorankamen, wenn keine Bilder drin waren. Comics waren etwas für die Flachschädel der Gesellschaft und wurden deshalb von den Intellektuellen heimlich gelesen. Diese Menschen trauen sich bis heute nicht, eine Bildzeitung zu kaufen, weil sie nicht als blöd dastehen wollen. Immer müssen sie eine Zeit oder einen Spiegel außen rum haben, rollen das Ganze ein und klemmen es sich unter den Arm.
Erst nach und nach wurden Comics zum Kult, weil die Blöden immer mehr wurden, und jeder weiß, dass die Masse entscheidet, was gut ist und was falsch, und was man nicht tut, oder nur heimlich tut. Comiclesen darf seit einigen Jahren jeder und kann dann immer sagen, er betreibe soziokulturelle Vergleiche in Anlehnung an amerikanische Studien über das Leseverhalten der Inuit, denen die Amis ja nach den Indianern auch an den Pelz wollen, weil sie ihnen angeblich das Walöl streitig machen oder auf Bohrlöchern sitzen, die ihnen nicht gehören. Wer möchte schon gern ein Loch besitzen? So ein Schwachsinn: Ein Loch ist doch nichts, das Außendrumherum ist das Entscheidende. So sehen das aber auch die Eskimos und bauen weiter ihre Iglus und bohren Löcher, die sie besitzen möchten.
Comiclesen macht was her. Ein Comicleser wird neuerdings für schlau gehalten, oder wenigstens für gebildet. Es ist jemand, der es nicht mehr nötig hat, ein Buch zu lesen, der hat schon alles gelesen und kann sich jetzt in aller Ruhe die Bilder angucken. Der faule Comiczeichner schlägt daraus Kapital, denn er zeichnet flugs ein paar Bilder und überlässt es dem Betrachter, sich eine Geschichte auszudenken. So weit musste es ja nach jahrzehntelanger Diskriminierung kommen!

Ausbildungsberufe: Schießbudenfigur

Das war früher mal: Schießbudenfigur. Da schwang noch dieses Verächtliche mit, das sich über die Schaustellergilde erhob, sie als Menschen zweiter Klasse einordnete, die Mitreisenden alles Angelernte und Nichtskönner, die von zu Hausen weggelaufen waren, und die einem was auf die Zähne hauten , wenn man sie schief anguckte. Insgeheim dachte jeder: Schießbudenfigur. Niemand wusste damals wirklich, wie hart dieser Job war, wenn die Besoffenen die Tonröhrchen nicht mehr trafen und dann ganz aus Versehen auf den Mann hinter dem Tresen zielten, vielleicht nur aus der Hüfte, wie John Wayne oder Old Surehand, aber in der Hoffnung, ihm eins zu verplätten, keinen tötlichen Schuss, nein, einen, der nur weh tat, nicht einmal Blut sollte fließen, Luftgewehrkugeln klatschen hören auf Schaustellerhaut, die lange nicht geduscht hatte, wie die Trinker meinten, das wollten sie und ein kurzes Aufjaulen wahrnehmen, das für die Arrognaz der Randständigen entschädigte, für die Freiheit, in einer Bude auf Rädern herumzureisen und den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen für billige Plastikblumen, die Scharfschützen stolz der Liebsten geschossen hatten. Heute gibt es keine Schießbudenfiguren mehr, heute heißt der Mann wahrscheinlich Fachangestellter für Freizeitballistik. Weg mit der Romantik!

Welttag der "Knochenreste"

Mittlerweile gibt es ja für alles Welttage, meistens erfährt man davon nur zufällig; und wenn man selber mal dran wäre, kommt die Information zu spät und man muss wieder ein Jahr warten.
Heute, am Tag der Knochenreste, darf jeder Bürger, der Knochen zu Hause beherbergt, auch wenn er dies illegal tut, weil es sich um Bernhardiner Beppo handelt, den er vor fünf Jahren nachts im Garten eingebuddelt hat, für einen Tag die gehorteten Gebeine zur Schau stellen und den staunenden Nachbarn präsentieren. Die Polizei drückt ein Auge zu, so ließ der Regierungspräsident verlauten, die habe heute ihre Weihnachtsfeier und würde auf die neuen blauen Uniformen anstoßen, das sei doch ganz passend, lachte der zuständige Dezernent irgendwie unpassend. Was lange in der Erde gelegen hat, bekommt so noch einmal eine letzte Anerkennung. Der selbstgezimmerte Glaskasten kann jedes Jahr wiederverwendet werden und im Frühjahr als kleines Gewächshaus dienen. Vorsicht jedoch mit den dargestellten Knochen! Nach erfolgreichen Einsätzen von DNA-Tests kann es auch an diesem Tag zu unliebsamen Überraschungen kommen, wenn die Hühnerknochen nicht wie Hühnerknochen aussehen, sondern mehr Richtung Primaten-Skelett denken lassen.

Die Parabel von der Grußpostkarte


Zwei Zwergelefanten standen vor einer Grußpostkarte und bewunderten die Schönheit der Landschaft. „Sieh mal“, meinte der eine, „ wie schön ist doch hier der Frühling! Wie herrlich das Grün und die Blüten, und wie schön auch der Ort, der sich in die Natur einschmiegt, als sei er schon immer hier gewesen!“
Der andere nickte bedächtig und ergänzte:“Welch Idylle, welch Schönheit sind hier versammelt, wo kann man in der Welt einen Ort finden, der diesem gleicht?“
Der erste Elefant sprach:“Wohl kaum wirst du einen ähnlichen Platz finden, vielleicht in den Rocky Mountains oder am Himalaya, eventuell auch auf Sylt.“ „Du sagst es“, nun der zweite, „ich finde auch die Toskana nicht schlecht und schön ist es auch auf Mallorca, wenn man sich ein Auto mietet und in das Inselinnere fährt.“
„Doch sag,“ nun der erste, „welcher Ort ist das hier?“
„Keine Ahnung. Wie kann ein solch anmutiger Ort voller Schönheit keinen Namen haben?“, runzelt der zweite Zwergelefant seinen Rüssel.
„Das ist Tecklenburg“, antwortete die Grußpostkarte.
„Aha, das habe ich schon mal gehört und zwar in Verbindung mit Vorbommern. Tecklenburg-Vorbommern heißt es doch vollständig“, meldete sich der erste Zwergelefant wieder zu Wort.
„Alles Quatsch!“, zischte die Grußpostkarte, die wohl erbost darüber war, dass die beiden Tiere nicht einen Ort namens Tecklenburg kannten, der auf ihr abgebildet war.
„Aber es ist schön hier!“, jubelten die beiden wie aus einem Rüssel.
„Alles Quatsch!“, korrigierte die Grußpostkarte, „ihr zwei seid viel zu klein, um die Welt zu kennen oder überhaupt zu erkennen, ihr könnt ja noch nicht einmal über einen Postkartenrand hinwegschauen!“
„Wieso?“, fragten die kleinen Elefanten.
„Weil ihr zu klein seid!“, erwiderte die Grußpostkarte. „Sonst hättet ihr längst bemerkt, dass ihr vor einer Gußpostkarte steht, auf dem ein Bild von Otto Modersohn abgedruckt ist, das die Stadt Tecklenburg im Frühling zeigt.“
„Wer ist denn Otto Modersohn?“, fragte der erste Zwergelefant.
„Ja, genau, wer ist Otto Modersohn?“, wiederholte der zweite Zwergelefant.
„Der ist schon tot“, flüsterte die Grußpostkarte, und es klang ein wenig schadenfroh.
„Und was heißt das jetzt?“, sagte einer der kleinen Elefanten.
„Das heißt, das nichts ist, wie es scheint, schreibt euch das mal hinter eure rhabarberblättrigen Ohren!“, sprach die Grußpostkarte und schwieg danach.
„Da kannst du mal sehen“, sprach der erste Elefant.
„Ja eben nicht!“, sagte der zweite.
„Genau“, schloss der erste und die beiden zogen weiter und nahmen sich vor, ab jetzt Schein und Sein deutlich zu trennen, was ihnen aber erst in der Nähe von Stuttgart gelang.Die Grußpostkarte aber wünschte sich, dass endlich jemand eine Marke auf sie klebte und sie in die Rocky Mountains, in den Himalaya oder in die Toskana schickte. Oder wenigstens nach Sylt.

"Ein altes Weiblein hatte sich auf dem Gipel breit gemacht"

Das ist vermissverstandener Naturschutz. Ältere Frauen der alpenländischen Bevölkerung findet man jetzt immer häufiger auf den Gipeln der Dreitausender, weil sie das Abschmelzen der Bergkappen verhindern wollen. Da sie nicht genau wissen, wie das geht, setzen sie sich oft auf den Hintern und überlegen erst einmal. Meistens kommt nichts dabei heraus, weil es dort oben sehr kalt ist. Um sich aufzuwärmen greift die Schützerin schließlich zum scheinbar wärmenden Getränk, etwa einer Flaschen Mariacron oder Wodka, der ja angeblich keine Fahne erzeugen soll. Dass der Natur und besonders den schmelzenden Gipfeln durch diesen Aktivismus in Verbindung mit Alkohol kein Gefallen getan wird, zeigt sich daran, dass die nicht unerhebliche Gesäßwärme der Bergdamen das Abschmelzen der Eiskappen eher beschleunigt. Bislang konnte das den betreffenden Frauen nicht klar gemacht werden, weil sie meistens breit waren wie ein Schwertransport.

Neues aus der Möhrenforschung

Untersuchungen haben festgestellt, dass schlecht geschälte Möhren häufiger und länger auf dem Teller liegen bleiben, als gut geschälte. Wer also als Gastronom nachlässig mit dem Sparschäler oder dem Kartoffelschälmesser - hier zum Schrappen der Möhren eingesetzt - umgeht, muss damit rechnen, dass der Kunde und Feinschmecker auf Tomaten aus dem toxiphilen Spanien oder auf Nektarinen aus dem maroden Griechenland ausweicht.
Jahrelang galt die Möhre als das Gemüse des Vertrauens, denn die fremdgeschälte Rohkost bot immer eine willige Ablagerungsfläche für Keime, je nach dem, ob der Schäler oder Schrapper sich vorher die Hände gewaschen hatte, oder nicht. Auch seine Tätigkeiten vor dem Bearbeitungsvorgang konnte der Mikrobiologe zwar feststellen, nicht aber der vertrauensselige Esser.
Im Zuge schlampiger Präsentation verliert das Gemüse weiter an Punkten und scheint in den Status der "Wurzel" zurückgedrängt zu werden.

Oktoberfeste knallen das Land

Oktoberfest.
Bayrisch. Launig. Fesch.
Gute Gespräche. Gute Getränke.
Gute Aussichten.
Wichtige Einsichten.
So soll es sein.
Und alle machen mit.
Hier stimmt die Frauenquote.
Man muss nicht alles per Gesetz beeinflussen.
Ziele setzen, Perspektiven liefern,
Spasss haben. Dann geht alles.

Schlecht sitzende Kleidung

Schlecht sitzende Kleidung erregt häufig den Unmut von Menschen, deren Kleidung immer korrekt sitzt, weil es der Beruf verlangt.

Auch wenn ihnen schlecht sitzende Kleidung, etwa ein in der Unterhose verklemmter Baumwollrock, nicht schadet, so sehen sie doch ein Risiko für die Öffentlichkeit, die vielleicht verschämt wegsieht, die Augen schließt und dann vor Laternenpfähle rennt, um sich dort eine Blessur zuzuziehen.
Deshalb schauen und deuten Bürger mit korrekter Kleidung sorgfältig auf kleinste Anzeichen von Nachlässigkeiten, die möglicherweise unter erhöhtem Anziehstress durch Verschlafen oder Erwischtwordensein entstanden sind.
Die öffentliche Sicherheit geht einfach vor.
Die Werbung nutzt in diesem Rahmen geschossenen  Fotos, um für verschiedene Produkte die entsprechende Trommel zu rühren:
Für gute Bein- und Gesäßcremes, die jugendliche Straffheit erhalten.
Für Brüsseler Spitzen, die sich nicht nur an dunkelblauen und weißgepunkteten Unterhosen gut machen, sondern auch an Taschentüchern, Platzdeckchen und Tischdecken.
Für mehr Rot am Körper, weil das lustig aussieht.
Ziel der Bein- und Gesäßcreme-Industrie, der Unterhosen- und der Sitzenklöppelhersteller ist jedoch immer die Gewinnmaximierung.
Nur die Menschen mit korrekt sitzender Kleidung arbeiten uneigennützig und  schauen genau hin, denn zu sehen gibt es immer was. Anfassen dürfen sie ja nicht.

Frösche übernehmen die Weltherrschaft

Immer mehr Menschen träumen davon, dass ihnen ein Frosch auf dem Helm sitzt und sie unter Wasser drücken will, um anschließend die Weltherrschaft zu übernehmen.
Da reicht es dann nicht, ein freundliches Grinsen aufzusetzen, um den feindseligen Frosch zu besänftigen, denn jener ist der felsenfesten Meinung, dass es reicht einen Menschen zu ersäufen, um an die Macht zu kommen, gemeint ist aber, alle Menschen.
Glaubt doch wohl keiner, dass die Menschheit das Ruder an die glitschigen Grünlinge mit den Basedow-Augen abgeben, nur weil mal eben einer auf dem Grund des Teiches liegt!
Drum nicht grinsen, wenn ein Frosch auf dem Helm sitzt, sondern gelassen bleiben und ganz ruhig fragen, während man einen dieser kleinen spitzen Strohhalme zückt: Na, Meister, willst du mal doppelt so groß sein? Denkst du noch an  damals, als Harald Makulakulski dich sogar auf dreifache Größe aufgepumpt hat? Du bist leider geplatzt.
Das hässliche Kinderspiel, das natürlich keiner je gespielt hat, verunsichert den Glotzäugigen und er lässt sofort ab von seinem überheblichen Wunsch, die Weltherrschaft zu erringen.
Häufig reicht es auch, einfach keinen Helm zu tragen.

Blindes Huhn - Political correct?


Es gab eine Zeit, da hatte niemand Skrupel, ein Tellergericht "Blindes Huhn" zu nennen, das hauptsächlich aus Brechbohnen, Möhren und Kartoffeln bestand. Nach einem Huhn musste man lange suchen, und vielleicht bedeutete "Blindes Huhn" nur, dass ein solches, träfe es auf ein Gericht dieses Genres, die Brechbohnen in die Tat umsetzte. Blindes Huhn war und ist nichts für Hühner, auch nicht für blinde.
Heute sind die Menschen sensibler geworden, sie wollen political correct sein, sie wollen sich nicht eines schleichenden Rassismus oder einer latenten Aggressivität gegen ihre Mitwesen überführen lassen.
Früher hat man in diesem Zusammenhang den Kartoffeln die Augen ausgestochen, heute lässt man sie drin, wohlwissend, dass die Erdfrucht den Esser beim Verschlingen anblickt, vielleicht traurig und fragend: Muss das jetzt sein? Hättest du mir nicht die Augen ausstechen können, dann hätte ich das alles nicht mitansehen müssen?
Dem Menschen der heutigen Zeit ist es aber insgesamt wichtiger, als political correct zu gelten, statt sich um die Leiden der Kreaturen, zu denen die Kartoffeln auch gerechnet werden muss, zu kümmern, und ein bisschen Empathie in Handlung umzusetzen.
Da ist der Vegetarier schon viel weiter, wenn er sagt: Ich esse nichts, was Augen hat.

Wie Zahlen wirken: 4711


4711 - Der Duft der Sechziger, wenn die Familie an die See fuhr und die Mutter dem Vater die schwitzende Stirn mit Erfrischungswasser aus Köln betupfte, damit ihm wohler sei und er konzentrierter auf das Verkehrsgeschehen blicken konnte. Der Vater aber hatte vielleicht eine unparfümierte Blondine im Auge, die auf dem Trottoir ihre Einkaufstüte herumschlenkerte, um auf sich aufmerksam zu machen.
Der Vater fuhr bei Rot und die Mutter rief: Was machst du da? Es ist Rot!
Dem Jungen war schlecht, auch wenn er vorne saß. Es saß ihm alles vor dem Hals.
Das kommt nur von dem 4711!, wetterte der Vater und behauptete, es sei ihm in die Augen gelaufen, es habe gebrannt, er habe die Augen kurz zugekniffen und dann die Ampelstellung übersehen.
Dem Jungen war sehr schlecht. Streit schlug ihm auf den Magen.
Viel später hielt der Vater bei Grün an; vielleicht sollte das ein Ausgleich sein. Die Mutter glaubte das nicht.
Der Junge aber verband mit der Zahl 4711 Übelkeit.
Später sagte er für sich, ohne dass es jemand hörte: Ein Geruch zum Kotzen.

Tonnes Tagebuch: Gartenschuhe

Helmuth Neuton: No Gartenschuh for you(2013)
Liebes Tagebuch!
Ich habe im Baumarkt in der Gartenabteilung nach Gartenschuhen gesucht, meine Schuhgröße ist 46, und da war nichts.
Eigentlich wollte ich so crogartige mit verstärkter Sohle, damit man damit auch mal einen Spaten in die Erde treten kann. Nichts.
Ein Paar Gummilatschen in 46, die aber zu klein waren, hing verwaist in einer Höhe, die von 2,20-m-Menschen bequem zu erreichen sind; was ist los mit der Welt? Arbeiten im Garten nur Frauen und Kinder?
Fair-graben ist doch mittlerweile die Devise und Kinder machen mehr Arbeit, als sie selber leisten. Das muss man erst mal schlucken.
Dass Frauen arbeiten, sollte jeder Mann dankbar hinnehmen; dass man aber den Männern ihren Garteneinsatz vorenthält, ja sogar quasi ihren Unwillen anprangert im Regal des Anbieters,  weil er Gartenschuhe angeblich nicht nachfragt und diese deshalb nicht im Regal hängen, höchstens ein symbolisches Einzelstück unerreichbar in luftiger Höhe, für Dirk Nowitzki nur zu ergattern, das ist Diskriminierung!
Angeblich soll Gartenarbeit entspannen. Das hier aber ist frustrierend und mündet in Depression oder Aggression.
Ich habe mich eine Viertelstunde vor die Sämereien gestellt und gewartet, bis der Anfall vorüber war. Ranunkel stand da. Ich habe Reimwörter gesucht, weil das beruhigt. Runkel. Dunkel. Furunkel.
Ein eigener Garten ist auch so eine Form von Eskapismus; da machen wir uns doch alle was vor, Pseudoidylle bürgerlicher Angepasstheit.
Da mache ich nicht mit und dann  brauche ich auch keine dämlichen Gartenschuhe.

Tod, wo ist dein Stengel?

Mensch: Tod, wo ist dein Stengel?
Tod: Hä?
Mensch: Tod, wo ist dein Stengel?
Tod: Was soll das?
Mensch: Ich will es ja nur wissen.
Tod: Ich habe keinen Stengel.
Mensch: Aber man sagt doch so allgemein: Tod, wo ist dein Stengel?
Tod: Sagt man nicht.
Mensch: Ich denke schon.
Tod: Ich habe keinen Stengel.
Mensch: Doch.
Tod: Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann hole ich dich.
Mensch: Warum denn das jetzt wieder? Nur weil ich gefragt habe?
Tod: Irgendwann bist du dran.
Mensch: Man wird doch mal fragen dürfen.
Tod: Ich habe einen Stachel.
Mensch: Aha.
Tod: Genau.
Mensch: Und wo ist der bitteschön?
Tod: Das geht dich gar nichts an.
Mensch: Man wird doch mal fragen dürfen.
Tod: Wenn man den Stachel sähe, müsste ja keiner fragen.
Mensch: Was denn jetzt? Stengel oder Stachel?
Tod: Kannst du nicht zuhören?
Mensch: Was bist du denn so empfindlich?
Tod: Ich bin der Tod. Der Tod ist nicht empfindlich.
Mensch: Hört sich aber genauso an.
Tod: Ok. Das war's. Jetzt kommst du mit.
Mensch: Das sehe ich gar nicht ein. Ich habe nur gefragt, weil es mich interessiert.
Tod: Dann halt endlich die Klappe.
Mensch: Ist ja gut. Dann frage ich eben nicht mehr.
Tod: Na, endlich.
Mensch: Dann denk ich mir meinen Teil.
Tod: Fang nicht schon wieder an.
Mensch: Man wird ja noch denken dürfen.
Tod: Das hast du dir gedacht.
Mensch: Genau.
Tod: Jetzt reicht's. Ich geh den Stachel holen.
Mensch: Na endlich. Und....bring auch den Stengel mit!
Tod: Ich krieg die Krise. Früher war das alles einfacher. Da wurde gestorben, wenn ich das wollte. Ich kann's nicht mehr hören, überall muss diskutiert werden. Ich hätte Bestatter werden sollen.

Über die Liebe (1)

Bis zum Alter von sechs Jahren hatte Bodo die kräftigen, aber wohlriechenden Oberarme seiner Mutter geliebt. Es war eine reine Liebe gewesen, ohne Fehl und ohne Falsch, bedingungslos. Es war eine Liebe gewesen, fast so wie die eines kleinen Hundes, der sein Frauchen liebt, egal was es gerade getan hatte, egal ob es versagt hatte, ob es die Eltern enttäuscht hatte, ob es schlechter oder guter Mensch war, einfach so. Weil der kleine Hund kleiner Hund war und das Frauchen Frauchen.
Agape.
Diese reine Liebe hatte sich Bodo bewahrt, weil er sich strikt geweigert hatte in den Kindergarten zu gehen, und weil es ihm nicht vergönnt gewesen war, gleichaltrige, aber andersgeschlechtliche Menschen, Mädchen genannt, kenne zu lernen.
Mit dem Eintritt in das Volksschulalter änderte sich alles.
Mit dem Eintritt in die Volksschule.
Da hatte er sich in Ruth-Vera aus der ersten Reihe verliebt.
Sie hatte schmächtige Oberarme und nie hatte es geklappt, dass er an diesen hatte riechen dürfen. Trotzdem hatte er sich in sie verliebt und beschloss, sein Leben mit ihr zu teilen.
Er wollte nicht Feuerwehrmann werden, nicht Astronaut oder Pilot, nicht einmal Finanzbeamter oder Lokomotivführer.
Er wollte Ruth-Vera heiraten.
(Fortsetzung folgt)


Auf die Tube drücken


Liebes Tagebuch!
Heute morgen im Bad dachte ich darüber nach, was wohl eine Handcreme denkt, wenn man sie auf die Füße reibt? Fühlt sie sich zweckentfremdet oder verschwendet?
Oder teilmissbraucht? Fühlt sie sich geehrt, weil die Füße für die Handcreme in der Rangfolge der Körperteile weiter oben angesiedelt sind? Ein Teil bleibt beim Einschmieren der Füße ja auch an den Händen kleben. Allerdings sind die Füße ja ganz unten, und die Hände sind wichtiger, weil man mit denen Verträge unterzeichnet und Menschen begrüßt.
Dann musste ich plötzlich an  fußgemalte Weihnachtskarten denken, die nicht schöner waren als handgemalte, aber die man früher aus Mitleid kaufte. Vielleicht waren sie aber auch mundgemalt, das verwechsele ich oft mit mundgeblasen, was ja im Grunde  doppelt gemoppelt ist, weil der Mund für den Menschen die einzige Möglichkeit ist, zu blasen.  Jedenfalls kontrolliert zu blasen, zum Beispiel eine Trompete.
 Niemand hat je von fußgeblasenen Weihnachtsliedern gehört.
Was die Handcreme nun wirklich dachte, konnte ich nicht herausfinden; ich entschied mich dafür, dass Handcremes nicht denken können und es ihnen deshalb egal sein muss, ob sie auf einer Hand, einem Fuß oder einer unsichtbaren Stelle am Körper landen. Dem Kopf ist es vielleicht nicht egal, wenn man an ihm Fußcreme aufträgt, denn ein Kopf kann denken.


Beim Zähneputzen musste ich an Tanja denken, die manchmal sagte, wenn ich zu spät dran war, „ du musst mal etwas auf die Tube drücken“.
Beim Betrachten der Zahnpastatube fiel mir auf, dass man nicht „etwas auf die Tube“ drücken kann. Es muss schon so stark sein, dass vorne die gewünschte Menge Paste hervorquillt. Das zärtliche „Aufdietubedrücken“ führt oft gar nicht zum Erfolg, denn die gewünschte Masse bleibt im Behälter. Wer etwas aus der Tube haben möchte, sollte kräftig drücken, oder besser angemessen, und bloß nicht mit so einem Ichwilldirnichtwehtun-Gefühl.
Die Tube bestätigt den richtigen Druck immer durch das Ausscheiden der gewünschten Menge. Da gibt es keine Missverständnisse. Manchmal wünscht man sich so ein klares Verhältnis auch zwischen Menschen, besonders in partnerschaftlichen Beziehungen.

Wie lang können wohl Nasenhaare werden?, dachte ich beim Rasieren. Aus dem Haupthaar kann man dicke Zöpfe flechten, aus einem Bart, den man wachsen lässt auch, etwas weniger dicke; aber aus Nasenhaaren? Bei der Ohrbehaarung bin ich mir auch nicht so sicher; immer wenn meine guten In-Ear-Kopfhörer nicht mehr in den Gehörgang passen, ist es Zeit, mit dem Trimmgerät, das dem Nasen- und Ohrenhaarbeschnitt  dienen sollte, Platz zu schaffen.
Wie lang die Ohrenhaare wirklich werden können, weiß ich nicht.
An anderen Stellen des Körpers passiert gar nichts. Alles bleibt, wie es ist. Nur am Kopf, wieder mal am Kopf!, ist es anders.
Früher war eine Glatze ein Makel, besonders bei jungen Menschen.
Dann kam die Phase, wo man beschämt beseite schaute und dachte: Chemotherapie! Mutig. Keine Mütze. Keine Perücke.
Dann führte Telly Savalas die Glatze und den Lolli ein. Ein gesellschaftlicher Widerspruch. Ein kahlköpfiger Greis mit der Vorliebe für Kindernahrung.
Heute sind wir umzingelt von Glatzen, oft von Ganzkörperglatzen. Wer in die Sauna geht, muss annehmen, man habe die Pubertät abgeschafft.
Beim Entfernen des letzten Rasierschaums, fragte ich mich: Warum rasieren wir uns?
Warum lassen wir nicht einfach wachsen? Alles und immer?
Dann hörte ich Tanja rufen: Du musst mal etwas auf die Tube drücken! Du bist spät dran.

Der Tag, hatte schon nachdenklich begonnen. Was sollte wohl daraus werden?
Ich hatte natürlich keine Fußcreme auf meinen Kopf gerieben, damit mal Pause war mit  dem Nachdenken. Als ich überlegte, In welchem Verhältnis mein Kopf wohl zu meinen Händen und  meinen Füßen und überhaupt zum ganzen Körper stünde, wobei er ja ein Teil des Ganzen war, hörte ich Tanja wieder rufen: Du musst jetzt mal kräftig auf die Tube drücken, wenn  du nicht zu spät kommen willst!

Kräftig auf die Tube drücken,  das klang gut.
Jepp, rief ich etwas zu jovial für diesen Morgen voller Fragen, und stürzte mich in den neuen Tag.
Später mehr,
dein Tonne

P.S: Liebes Tagebuch!
Beim Möhrenschälen für die Mittagspause dachte ich darüber nach, ob man Zeit spart, wenn man erst an allen Möhren die Enden abschneidet und sie dann alle schält und dann alle kleinschneidet, anstatt jede Möhre einzeln und nacheinander zu beschneiden, zu schälen und in Stück zu schneiden.
Und: Wie viel Zeit man bei 200 Arbeitstagen im Jahr sparen könnte, wenn man täglich effektiv vorbereitete Möhren mitnähme,und wie schön es wäre, wenn man die Zeit im Stück und auf Wunsch, zum Beispiel heute, zur Verfügung hätte.

Theodor Heuss im Theodor-Heuss-Park?


Da sitzt ein dicker, alter Mann aus Bronze auf einer Bank, den Kopf leicht gesenkt, nachdenklich-betrübt, Halbglatze, in schlichter Kleidung, die besonders in den Armbeugen Falten wirft, und stellt den interessierten Spaziergänger vor die Frage: Wer soll das denn sein?
Zu Hilfe kommt bei der Beantwortung der Frage die Tatsache, dass sich das Ungetüm, das direkt vor einem Spielplatz als Kinderschreck platziert wurde, in einem Park sitzt, der Theodor-Heuss-Park heißt.
Dann wird es wohl Theodor Heuss sein, vermutet eine Mutter, die gerade ihr laut schreiendes, verstörtes Kind einfängt, das sich partout nicht auf den Schoß des Metallkerles für ein Foto setzen will. Ja aber, wendet der scharfsinnige Tourist ein, war denn nicht Theodor Heuss so ein kleiner Mensch? Fast durchgehend weiß und vor allem unwahrscheinlich platt, also dünn, sodass er auf eine Briefmarke passte? Dieses Gußgeschöpf kriegt man doch noch nicht mal in einen Karton, in dem man ihn wegschicken könnte! Da ist ein Fall für den Schwertransporter. Da haben Sie wohl recht, ergänzt die Mutter, die ihren verheulten Rotzlöffel jetzt am Arm hält und einen zweiten Versuch startet, den Knirps auf das kalte Knie des Sitzenden zu pressen. Können Sie mal schnell ein Foto machen? Ich halte Kevin so lange fest....
Der Tourist schießt ein Bild, leider mit seiner eigenen Kamera; die gestresste Mutter merkt das nicht. Aber, denkt der Tourist, ich kann das Bild zu Hause ja wieder löschen.
Die Frage aber bleibt offen: Wer ist Theodor Heuss nun wirklich? Und wo sitzt er?

Funktionsfell

Handschuhzeit. Fäustling oder Fingerhandschuh, Leder oder Wolle? Wer sich noch nie entscheiden konnte und aus dieser Trägheit heraus ein Leben lang mit kalten Fingern durch den Winter gestolpert ist, sollte es einmal mit Bärenhandpuppen versuchen, die vor allem von Tischlern nach Arbeitsunfällen gern genutzt werden. Aber auch, wer noch alle fünf Finger in der Schüssel hat, wird mit ein oder zwei Bären als Handschuhersatz glücklich. Plötzlich ist da jemand mit warmen Knopfaugen, der dich ansieht, wenn du ihn dazu zwingst und der mit dem Kopf nickt, wenn du nur mit dem kleinen Finger winkst, oder mit dem Mittelfinger. Wenn du beim Autofahren viel zu oft anderen Fahrern den Mittelfinger zeigst, grüßt du diese jetzt freundlich mit einem kleinen Bärenkopf, was hektische Verkehrssituationen furchtbar entspannen kann. Der Handpuppenbär hat Ohren, du kannst ihm alles sagen, was du sonst keinem sagen würdest, oder keiner. Wenn du gar nicht so viel Nähe und Austausch verträgst, stecke beide Hände in einen Handpuppenbär, und wann immer dir das Gequatsche zu viel wird, ziehst du dich aus dem Gespräch heraus und lässt die beiden weiter reden. Sie können schwere Entscheidungen für dich ausdiskutieren und wenn Argumente nichts mehr bringen, prügeln sie sich auch. Und du darfst auch noch Ringrichter sein.

Das Ziel ist das Ziel


Der Weg ist das Ziel, sagte der Bogen, weil er das irgendwo gelesen hatte.
Das Ziel ist das Ziel, sagt der Pfeil zum Bogen, weshalb sollte man sonst einen Pfeil benötigen?
Und übrigens, ergänzte der Pfeil, wir sollten den Bogen nicht überspannen....
Du bist heute wieder ganz schön spitz, erwiderte der Bogen.
Wie es sich gehört, beendete der Pfeil die Unterhaltung und machte sich auf den Weg, denn der Bogen war plötzlich so ungemein tiefenentspannt.
Knapp vorbei ist auch daneben!, rief der Bogen noch hinterher, aber da war der Pfeil schon nicht mehr zu sehen.

Abstrakte Kunst - Muss das sein?

Nehmen wir an, dem Maler fällt nichts ein. Hach ja, denkt er, ich weiß gar nicht, was ich so malen könnte, meinen Pudel habe ich gestern erst und die Oma ist auch nicht das Modell, das man sich wünscht, weil die ja immer am Kramen ist und nicht Stillsitzen kann.
Dann fängt der Maler so an, vor sich hinzuklecksen und zu kleckern, ein bisschen Rot,ein  bisschen Gelb, da noch etwas rumtüpfeln. Das kann schon das Kind im Kindergarten, nur will das damit nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten oder in Saus und Braus leben, sondern macht es, weil es Spaß daran hat. Anders der Maler, der ist von Langeweile geplagt, von Unkreativität und Einfallslosigkeit. Ihm ist die Phantasie ausgegangen und er erinnert sich noch an Einstein: Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.
Mag ja sein, Einstein, denkt der Maler, aber noch schlimmer ist, wenn die Phantasie ausgegangen ist und man das weiß. Da kann Wissen richtig wehtun, auch wenn es nicht soooo wichtig zu sein scheint. Einstein war ja auch Physiker, und da hat man feste Formeln, nach denen man sich verhalten kann, da muss man nicht jeden Tag ein Bild malen.
Was tun, wenn die Motive ausgehen? Wenn alles schon gemalt worden ist?
Dann malt man eben, was gar nicht gibt.
Das nennt man abstrakt. Und exakt finden das manche Leute toll, die lieber Fotos von ihrem Pudel mögen, als ein expressiv gespachteltes Ölgemälde, das dem Wuwu oder Fifi gar nicht ähnlich sieht.
Abstrakte Malerei schadet niemandem. Das ist erst mal gut.
Und sie hilft dem Maler über die Sinnkrise hinweg.
Was der Betrachter aber mit dem Bild anfangen soll, weiß keiner.
Freies Assoziieren vielleicht; aber da ist man schnell auf die Psychoschiene gerutscht.
Guck mal, das dahinten sieht aus wie Mutter!
Das ist Oma!
Naja, für mich ist es Mutter, für dich Oma, Kindchen.
Und dann kann es auch schon losgehen mit der Psychokacke.
Da bleibt man lieber bei neutralen Assoziationen: Blume, Haus, Maus, Brustwarze.
Abstrakte Kunst ist gar nicht abstrakt, wenn man genauer hinsieht.



Be what you want



Hey, sagte Tante Trude, be what you want.
Tante Trude war immer schon schräg gewesen.
Be what you want, das war Englisch, dabei sprach Tante Trude wenig Englisch, aber sie liebte es, in fremden Sprachen ein paar Brocken auf den Tisch zu werfen und dann zu schauen, was die Leute damit anfingen.
Be what you want, grunzte Tante Trude erneut und klang fast wie ein Gangsterrapper.
Ich wär’ gern ein Meerschweinchen, antwortete Piet.
Tante Trude guckte erstaunt, so als habe sie nicht erwartet, dass jemand auf ihre Auslandsfloskeln antwortete.
Das ist schräg, sagte Tante Trude, ein Meerschweinchen. Wie kommst du denn darauf, Piet?

Hast du doch gesagt, Tante Trude, be what you want!, antwortete Piet.
Jaja, erwiderte Tante Trude, da magst du recht haben. Aber, was heißt das denn?
Dass ich gern ein Meerschweinchen wär, wiederholte Piet.
Na, dann, vamos! Muchacho!
Tante Trude flüchtete vor dem Meerschweinchen Piet, das seine Verwandlung noch nicht vollzogen hatte, nach Mexiko.
Be what you want, wiederholte Piet.


Naselang

Wer alle naselang krank ist, häufig knapp bei Kasse ist und wem alle naselang die Frau wegläuft, und wem das nicht gefällt, der sollte sich eine lange Nase, eine überlange Nase wünschen.
Wer alle naselang im  Lotto gewinnt, wer häufig eine gut gefüllte Börse hat und wem es gefällt, wenn ihm alle naselang eine Frau zuläuft, der sollte sich eine kurzekurze Nase wünschen, auch wenn es der zugelaufenen Frau komisch erscheinen wird, denn anhand der Nase des Mannes will der Volksmund auf dessen Johannes schließen. Wer auch immer das sein mag, die Frau, die sich wundert oder das komisch findet und deshalb lacht, wird es ja wohl wissen. Zu viel sollte man aber von zugelaufenen Frauen nicht verlangen, denn irgendwo werden diese ja wohl weggelaufen sein. Und da kommen die Langnasen wieder ins Spiel.

Missverständnis im Baumarkt

Es habe irgendwas mit dem Arsch zu tun, rätselt der Kunde vor dem schon leicht genervten Verkäufer, und hinten, also das Wort hinten habe ein „nal“ dran hängen. Was es denn genau sei, will der Verkäufer wissen. Irgendwas für zum Holz Verarbeiten, sagt der Kunde, er habe das nur besorgen sollen, aber vergessen, wie das heiße. Ihm falle nur hinternational ein, schlägt der Baumarktangestellte vor, da seien Hintern und „nal“ beide drin. Na gut, nun der Kunde, dann nehme ich das. Das haben wir nicht und das gibt es auch überhaupt nicht, erwidert der Verkäufer und trommelt leise mit den Fingern auf der Theke des Informationsstandes herum. Anal vielleicht, kommt dem Kunden eine Fast-Erleuchtung. Aber wo denn da der Hintern sei, wundert sich der Baumarktmensch. Keine Ahnung, der Kunde, vielleicht hinten. Wofür man denn das Produkt brauche, hakt der Fachmann nach. Zum Kleben, glaube ich, der Kunde. Ach – der Verkäufer erlebt eine Spontan-Dämmerung – Ponal, ja sicher, Po-nal, Ponal Holzleim. Jetzt ist es raus. Erleichterung bei beiden. Genau, nun der Kunde, Ponal, habe ich mir doch extra aufgeschrieben, weil, wegen blödem Wort und so. Ach, hier ist ja auch der Zettel. Na also, sagen Sie das doch gleich! Der Verkäufer: 4 Euro 79 für 120 g. Der Kunde: Nicht billig.
Genau, Kasse drei dann, antwortet der Verkäufer und zischt leise „Du Arsch!“ hinterher.

Einen Scherz machen will gelernt sein

Hast du was ausgefressen?, fragt Pedro. Nee, wie kommst du darauf? Weil du so dastehst, als hättest du was ausgefressen. Was ist denn ausfressen? Oder ausgefressen haben? Na, du hast wem einen Streich gespielt, zum Beispiel hast du an der Tür geklingelt und bist abgehauen. Dann ist der Klingelbesitzer zu Tür gelaufen, hat aufgemacht, aber keiner war da.
Naja, das ist doch gar nichts, das ist doch nur ein Scherz.
Robert steht immer noch da, als habe er etwas ausgefressen. Auf keinen Fall steht er so da, als habe er einen Scherz, über den alle lachen konnten, gemacht.
Der Klingelbesitzer, fährt Pedro fort, ist dann die Treppe wieder hochgelaufen, also, er wollte hochlaufen, ist auf der dritten Stufe ausgerutscht, hatte die Hände in den Hosentaschen und ist deshalb aufs Gesicht gefallen. Marmorstufen hat der im Haus. Mit den Zähnen wollte er sich wohl in der Stufe festbeißen. Zwei Zähne fehlen jetzt vorn, das bedeutet Zahnarzt. Das Gesicht ist blau und der Oberkörper geprellt. Und alles nur, weil einer aus Langeweile die Klingel gedrückt hat und abgehauen ist. Wär' vielleicht auch so passiert, sagt Robert. Pedro schüttelt den Kopf.
Wenn’s nicht klingelt, geht doch keiner runter. Ich mein ja auch, wenn ich nicht abgehauen wäre. Was hätte ich denn sagen sollen, etwa: Ich wollte nur mal klingeln und kucken, ob einer kommt? Das wär' für den kein Scherz gewesen. Du kennst den doch, der schreit doch gern mal los. Naja, das mit den Zähnen, das wollte ich nicht, und mit dem blauen Gesicht.
Bleib ruhig so stehen, sagt Pedro, hast ja doch keinen Scherz gemacht. Ich habe jedenfalls keinen lachen gehört.
Ich auch nicht, sagt Robert.
Offene Fragen:
Wieso hatte das Unfallopfer die Hände in den Hosentaschen? Zum Öffnen der Tür hätte er eine herausnehmen müssen. Warum steckt er sie dann gleich wieder hinein?
Warum läuft er die Treppe hoch? Er hätte ruhig gehen können. Hat er vielleicht einen Kessel Buntes auf dem Herd, der überzukochen drohte? Buntwäsche wird aber nur bei 60° gewaschen? Hat er vielleicht nicht mal eine Frau, die seine Wäsche wäscht? Ist er durch den Klingler sogar noch diskriminiert worden als alleinstehender, lebensunpraktischer Mann, der keine Frau hat, die ihm sagt, dass man Buntwäsche nicht kocht?

Camping und Hunde

Warum halten Menschen einen Hund? Spätestens, wenn dieser auf einem Campingplatz die letzten freien Flächen zukackt, wird klar, dass aus diesen Tieren wenig Nutzen gezogen werden kann.
Hunde auf Campingplätzen sind häufig dumm: Sie sehen aus wie eine Mischung aus Osterlamm und Schildkröte oder wie langhaarige Bonsairehe. Da gibt es den Typ Fledermausohrenhund, der nicht fliegen kann, aber ständig den Rücken krumm macht, als wolle er jeden Moment eine Wurst aus dem Kreuz drücken. Diese Hunde laufen in ihrer animalischen Beschränktheit vor ein im Schritttempo fahrendes Auto, worauf der Hundebesitzer den Tollpatsch leibevoll streichelt und sein Fehlverhalten auch noch verstärkt, den Autofahrer aber beschimpft er, als sei Schritttempofahren eine Art Erbschuld oder Ur-Sünde. Dafür scheißen diese Hunde aber mit unglaublichem Spürsinn an die Stelle , die der unbedarfte Erholungssuchende mit seinem Liegestuhl besetzen will und gelegentlich, zu seinem größten Schrecken, auch besetzt. Nachdem sich der Geruch der hündlichen Hinterlassenschaft voll entwickelt hat, kann der Liegestuhlinhaber ermessen, wie groß die Liebe des Hundebesitzers sein muss, mit einem Geschöpf, dass solchen Dreck hinterlässt, in Urlaub zu fahren.

Ganzheitliches Wahrnehmen: Verkehrssicheres Fahrrad

Auf den ersten Blick sagte jeder angesichts eines Verbotsschildes, das mit spärlichen Strichen, Punkten undKurven auf gepflastertem Boden etwas mitteilen möchte: Ganz klar, ein Fahrrad, das vor weißem Grund in einem roten Kreis steht.
Bei näherem Betrachten wird der eine oder andere schon unruhig und sagt: Ok, es ist eine Art Verkehrsschild mit einem Fahrrad drauf, das sagen will: Fahrradfahren verboten! Nicht über dieses Schild fahren! Dann zweifeln die Menschen weiter und ergänzen: Es ist gar kein Schild, sondern nur auf den Boden gemalt und ein Fahrrad ist es schon lange nicht, sondern nur ein Bild davon. Schwaz-rot-weiß....vielleicht eine geheime Botschaft von Neo-Nazis? Die Pedalen ander Tretachse sind stilisierte Hakenkreuze, die beiden Räder sind eine liegende Acht, was bedeutet: 8.Buchstabe im Alphabet, H, steht für Hitler, liegende acht also: Hitler schläft oder leigt herum.
Möglicherweise ist es aber wirklich ein Verbotshinweis für wild umherfahrende Radfahrer, die vor nichts halt machen.
Im Grunde sind es schwarze Striche und Punkte, die nicht einmal eine Verbindung miteinander haben. Erst die Tasache, dass wir ganzheitlich wahrnehmen wollen, lässt uns aus ein paar lässig dahingeworfenen Einzelteilen ein Fahrrad im Hirn basteln. Was die Farben des Deutschen Reiches dort dann anstellen, ist noch nicht erforscht. Klar ist allerdings, dass das Fahrrad, das wir zusammengesetzt haben, überhaupt nicht den Sicherheitsanforderungen für den Starßenverkehr entspricht. Es hat nicht einmal eine Beleuchtungsanlage, die vor allem, allen Akku-Freaks zum Trotz, aus einem guten deutschen Dynamo besteht, sozusagen als Kernstück des Ganzen, damit man nicht nur sieht, sondern vor allem gesehen wird. Eine Lampe mit Birne ohne Dynamo bringt nichts!
Da Fahrradfahren, wie das Schild sagen will, hier verboten ist, ist das allerdings sowieso egal, denn man darf ein Fahrrad, auch ein verkehrssicheres, nicht mit sich führen. Auch Neonazis dürfen das nicht, und so hat die Behörde mal wieder zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, allein durch kreative Farb- und Symbolgestaltung auf einem gepflasterten Untergrund. Saubere Arbeit der Großen Koalition!

Schopftintlinge wollen in die Stadt

Drei Schopftintlinge wollten in die Stadt, doch ängstigten sie sich, ob sie nicht fälscherlicherweise für Stinkmorchel gehalten würden.
Aber wir stinken doch gar nicht, meinte der eine. Schon wand der zweite ein, dass sie wohl doch röchen, wenn sie sich zwei Wochen nicht gewaschen hätten. Und die Form ist auch ähnlich, meinte der dritte.
Was soll uns denn passieren, als dass man uns fälschlicherweise für Stinkmorchel hielte?, fragte nun der eine Tintling.
Die Frauen werden schreiend vor uns davonlaufen, wusste der dritte Tintling, und der erst fragte: Wegen des Gestanks?
Nein, wohl eher wegen der Form, antwortete der Gefragte.
Ja, was ist denn an der Form, als dass sie schlimmer sein könnte, als der Gestank nach zwei Wochen nicht gewaschenem Tintling?, wollte jener genauer wissen.
Das könne er auch nicht sagen, aber es habe wohl etwas mit den Menschenmännern zu tun, wusste der dritte Tintling zu berichten.
Ja, was denn?, schoss es wie aus einem Mund aus den anderen beiden heraus.
Die Männer zertreten die Tintlinge gern und brüllen dabei immer: Das ist doch demütigend! Das ist doch demütigend!
Und, ergänzte der kluge Tintling, es liege nicht am Geruch, denn man habe auch schon wohlriechende Tintlinge am Straßenrand zertreten liegen gesehen.
Die drei Tintlinge wussten allerdings nicht, was das Wort demütigend bedeutete.
Schreiende Frauen, die wegliefen, sei das eine, aber um sich tretende und brüllende Männer seien keine Einladung, einen Gang in die Stadt zu machen.
Lasst uns hierbleiben, schlug der erste Tintling vor, und die anderen nickten. Was war denn in der Stadt außer Shoppengehen schon los? Geld hatten sie ja auch keins.
Stadtluft macht eben nicht immer frei; auch wenn man gut reicht.

Georg Krakl: Meine Maggiflasche

Meine Maggiflasche ist zerbrochen.
Hat die ganze Küche nach gerochen.

Das nackt Knie in der Kunst: Roy Leichtenstin - Das nackte Knie (2013)

Roy Leichtenstin: Nacktes Knie (2013)
Leichtenstin zu seinem Bild:
Eines Tages saß ich im Bad und betrachtete mein Knie. O, dachte ich, welch schönes Knie, aber welch verletzliches Knie auch!
Wenn jetzt jemand käme und haute mit einem Hammer davor, dann wäre das sehr schmerzhaft. Das Knie wäre vielleicht kaputt und ich läge am Boden und krümmte mich vor Schmerzen.
Ich dachte weiter, dass mein ein so schönes Knie doch bewahren müsste für die Nachwelt und beschloss, daraus ein Kunstwerk zu machen.
Ich knipste mein Knie mit meiner Taschenkamera und haute es dann auf meinem Laptop in die Vorschau, unter der man auch Bilder verbessern kann. Sechsmal schob ich Schärfe bis zum Anschlag rein, dann wurde das Bild so krusselig. Dann die Sättigung volles Rohr, auch ein paar mal, bis die Farben so richtig schön grell sind, das wollen die Leute, das passt zum Wohnzimmer der Neureichen.
Schließlich unter PAINTBRUSH mit dem Farbeimer noch ein bisschen was zugespachelt, möglichst unechte Füllstoffe natürlich, künstliche Stoffe natürlich, hahaha, was für ein Widerspruch, klasse!, und fertig! Unten noch ein bisschen was abgeschnitten, da wo es dunkel wird und das wars's auch schon.
Bloß nicht nachmachen! Das ist schließlich Kunst, und dann kann das eben auch nicht jeder. Und es muss auch immer ein paar geben, die das Ding kaufen.
(Aus: Roy Leichtenstin - Ich und meine BIlder. Wie ich's mache, aber bloß nicht nachmachen!, Berlin 2013)

Tonnes Tagebuch: Hummels denkt an Haartransplantation

Liebes Tagebuch!
Da hat doch eine Kollegin gewagt, eine zweite Kaffeemaschine aufzubauen. Ein Aufschrei ging durch den Raum; seit Jahren unterstützen wir die Dritte Welt durch das Abtrinken von fair gehandeltem Kaffee. Fair, aber hart! So ist das Gütesiegel, und mancher kämpft gegen das Aufbrechen seines Magengeschwürs, nimmt das aber in Kauf, weil es um eine gute Sache geht! Ist das nicht purer Eigennutz, eine zweite Maschine zu betreiben und dann Tschibo Milde Sorte einzufüllen? Ist Tschibo nicht eine dieser Ausbeuter-Konsortien, die kleine dunkle Kinder unter 10 schon Kaffeebohnen sortieren lassen?
Sind die Teetrinker besser?
Gut, es gibt auch fair gehandelten Tee, aber der schmeckt irgendwie komisch, vor allem der grüne, da muss man schon seine Geschmacksknospen vorher betäuben, damit der runtergeht. Vielleicht ist es aber auch nur die falsche Sorte.
Ich werde heute mal ein Schlückchen Tschibo probieren. Vielleicht schmeckt der ja gar nicht.
Hummels will sich Haare transplantieren lassen, stand heute in der Zeitung.
Der soll lieber Fußball spielen, da ist mir doch egal, wie der auf dem Kopf aussieht. Es wird zu viel Platz in Tageszeitungen verschwendet für überflüssige Nachrichten; hochgerechnet ist das wieder ein Quadratkilometer Regenwald, der da abgeholzt wird, damit dieser Blödsinn verbreitet werden kann. Hochgerechnet, wie gesagt, also über einen gewissen Zeitraum, wenn man allen Blödsinn zusammenfasst.
Im Mauerhohlraum nach Osten nisten Hummeln. Die sehen nicht mehr so aus wie früher, sie sind dunkler und haben kaum Farbe am Leib. Wahrscheinlich sind es amerikanische, die irgendwer eingeschleppt hat, wie damals den Kartoffelkäfer.
Sie werden nervös, wenn man sich vor den Einfluglöchern aufhält.
Wie bin ich jetzt auf Hummeln gekommen?

Aufgeräumtheit zur Jahresmitte

Es ist immer ein gutes Gefühl, aufgeräumt zu haben, und natürlich auch zu sein.
Das Äußere kehrt sich ins Innere. Wer seinen Schreibtisch aufräumt, wird innen auch übersichtlicher, er gewinnt Struktur, auch wenn diese schlicht ist.
Besser schlicht strukturiert, als chaotisch unorganisiert.
Der Kuddelmuddelmensch läuft in das offene Messer der durchorganisierten Bürokratie, die sich immer mehr unseres Alltags bemächtigt und verselbständigt. Sie gewinnt Obrigkeit, Herrschaft und Diktatur.
Wer ein Formular ausfüllen soll, will oder muss, kann sich nur dieser Struktur unterordnen, sonst hat er verloren; sonst verliert er sich im Dschungel der Paragraphen und Vorschriften. Und dann kommt der Sachbearbeiter oder Strukturbeamte mit seinem sauber gefeilten Zeigefinger und winkt sein Dududu! Mach das mal ordentlich! in unser Leben.
Deshalb der gutgemeinte Ratschlag: Aufräumen!
Das räumt nicht nur mit Vorurteilen auf, sondern auch sonstwie irgendwie oder so.



Hochnäsige in Gefahr

Der erleuchtete Himmel, besonders am Abend, zeigt uns seine Botschaften, wenn wir sie denn verstehen wollen.
Wolkenformationen fügen sich zu Ratschlägen und Warnungen zusammen, die erkannt werden wollen.
Die Sonne beleuchtet das Ganze von hinten und schafft eine düster-mystische Stimmung, die dem Ängstlichen die Haut auf den Unterarmen zusammenzieht.
Spitzgereckte Finger zeigen in die Zukunft, deuten in die Vergangenheit oder warnen vor Fehlverhalten in der Gegenwart.
Immer dort, wo sich ein länglicher Wolkenteil schräg in die Höhe streckt, wird Hochnäsigen gezeigt:
Vorsicht vor Hochnäsigkeit!
Der, der den Blick demütig nach unten richtet, kann das Zeichen weder sehen, noch deuten.
Der Demütige ist in der Regel nicht hochnäsig und kann beruhigt weiter den Boden nach Zeichen und Wundern absuchen, ohne in Gefahr zu sein.
Der Hochnäsige aber, welcher zwar die Botschaft lesen kann, rennt vielleicht just in dem Moment in einen Absperrpümpel aus Gusseisen und beschädigt seinen Unterleib. Das hätte er vermeiden können, wenn er nicht dem Irrglauben erlegen gewesen wäre, man könne am Himmel eindeutige Botschaften erkennen, denn diese, so erkennt er jetzt, sind zwei- bis mehrdeutig, je nach dem, was im Anschluss an das Lesen folgt.
Es ist einfach so, dass sich auch der Himmel manchmal einen Scherz erlaubt, dessen Opfer gern der Hochnäsige ist, denn der hat den Blick dafür.

Schneeelefanten essen Eis


Dieter: Nee, was habe ich schon lange kein Eis mehr gegessen.
Rolf: Das ist Schnee.
Dieter: Schmeckt aber wie Eis.
Rolf: Jetzt sag nicht, dass das Eis mit Schneegeschmack ist.
Dieter: Genau.
Rolf: Das ist gefrorenes Wasser.
Dieter: Na also, eine Art Wassereis eben, wie beim Italiener oder....
Rolf: So'n Quatsch.
Dieter: ....früher Capri, das war auch ein Wassereis.
Rolf: Du solltest dich auf deine Wurzeln besinnen.
Dieter: Man kann nicht immer Wurzeln essen, man muss sich auch mal was gönnen, ein Wassereis mit Schneegeschmack.
Rolf: Wohl eher Schnee mit Wassereisgeschmack.
Dieter: Du kannst nichts genießen.
Rolf: Ich mag kein Eis.
Dieter: Ich schon.
Rolf: Jetzt weiß ich's ja.

Dazugehören

Sie habens genommen. Ich gehör dazu. Mein Blut ist gewollt, akzeptiert, koscher, nicht infiziert, wertvoll, lebensrettend, menschlich, ein bisschen zu orange, aber ansonsten völlig in Ordnung. Jetzt kann ich weitermachen mit meinem beschissenen Job, ich habe wieder Antrieb, Passanten in den Arm zu nehmen, um Fotos zu betteln und abends in den feuchten Biberbau zu kriechen. Und morgens wieder rauszukriechen. Ist alles nicht mehr schlimm. Ich gehör dazu. Gut, dass ich kein indischer Biber bin, die kommen aus ihrer Kaste nicht raus. Hier geht das. Danke, lieber Blutspendedienst. Ich bin ein wertvolles Mitglied einer wertvollen Gemeinschaft. So lange das Blut in Ordnung ist.

Galionsfigur mit Denkfalten und zu tiefem Ausschnitt

Siehst du?Wir habens dir doch gleich gesagt.
Das hast du jetzt davon.

In Ritas Kopf wirbelten typische, verhasste, fünfzig mal zu oft gehörte Elternsätze durcheinander. Die immer dann besonders trafen, wenn die Eltern auch noch Recht hatten.

Aus Schaden wird man klug.
Wer nicht hören will, muss fühlen.
Rita war nun ein bisschen klüger. Und sie fühlte. Was sie alles fühlte, wollte sie gar nicht in Worte kleiden. Aber sie wusste, dass sie nächstes Mal eine andere Mitfahrgelegenheit suchen würde. Einen anderen Typen fragen würde. Auch wenn die Tätowierungen noch so cool waren.
Klar, ich mach auch nen Umweg durch den Ärmelkanal, ich muss da sowieso meine Mutter besuchen, ich nehm dich mit, hatte er gesagt. Umsonst, na sicher. Kannst dich ja an Bord ein bisschen nützlich machen. Und dann das.
Rita hatte frei sein und nicht mehr auf ihre Eltern hören wollen.
Hätte sie doch.
Was ist Freiheit?, dachte Rita.