Die Parabel von der Grußpostkarte


Zwei Zwergelefanten standen vor einer Grußpostkarte und bewunderten die Schönheit der Landschaft. „Sieh mal“, meinte der eine, „ wie schön ist doch hier der Frühling! Wie herrlich das Grün und die Blüten, und wie schön auch der Ort, der sich in die Natur einschmiegt, als sei er schon immer hier gewesen!“
Der andere nickte bedächtig und ergänzte:“Welch Idylle, welch Schönheit sind hier versammelt, wo kann man in der Welt einen Ort finden, der diesem gleicht?“
Der erste Elefant sprach:“Wohl kaum wirst du einen ähnlichen Platz finden, vielleicht in den Rocky Mountains oder am Himalaya, eventuell auch auf Sylt.“ „Du sagst es“, nun der zweite, „ich finde auch die Toskana nicht schlecht und schön ist es auch auf Mallorca, wenn man sich ein Auto mietet und in das Inselinnere fährt.“
„Doch sag,“ nun der erste, „welcher Ort ist das hier?“
„Keine Ahnung. Wie kann ein solch anmutiger Ort voller Schönheit keinen Namen haben?“, runzelt der zweite Zwergelefant seinen Rüssel.
„Das ist Tecklenburg“, antwortete die Grußpostkarte.
„Aha, das habe ich schon mal gehört und zwar in Verbindung mit Vorbommern. Tecklenburg-Vorbommern heißt es doch vollständig“, meldete sich der erste Zwergelefant wieder zu Wort.
„Alles Quatsch!“, zischte die Grußpostkarte, die wohl erbost darüber war, dass die beiden Tiere nicht einen Ort namens Tecklenburg kannten, der auf ihr abgebildet war.
„Aber es ist schön hier!“, jubelten die beiden wie aus einem Rüssel.
„Alles Quatsch!“, korrigierte die Grußpostkarte, „ihr zwei seid viel zu klein, um die Welt zu kennen oder überhaupt zu erkennen, ihr könnt ja noch nicht einmal über einen Postkartenrand hinwegschauen!“
„Wieso?“, fragten die kleinen Elefanten.
„Weil ihr zu klein seid!“, erwiderte die Grußpostkarte. „Sonst hättet ihr längst bemerkt, dass ihr vor einer Gußpostkarte steht, auf dem ein Bild von Otto Modersohn abgedruckt ist, das die Stadt Tecklenburg im Frühling zeigt.“
„Wer ist denn Otto Modersohn?“, fragte der erste Zwergelefant.
„Ja, genau, wer ist Otto Modersohn?“, wiederholte der zweite Zwergelefant.
„Der ist schon tot“, flüsterte die Grußpostkarte, und es klang ein wenig schadenfroh.
„Und was heißt das jetzt?“, sagte einer der kleinen Elefanten.
„Das heißt, das nichts ist, wie es scheint, schreibt euch das mal hinter eure rhabarberblättrigen Ohren!“, sprach die Grußpostkarte und schwieg danach.
„Da kannst du mal sehen“, sprach der erste Elefant.
„Ja eben nicht!“, sagte der zweite.
„Genau“, schloss der erste und die beiden zogen weiter und nahmen sich vor, ab jetzt Schein und Sein deutlich zu trennen, was ihnen aber erst in der Nähe von Stuttgart gelang.Die Grußpostkarte aber wünschte sich, dass endlich jemand eine Marke auf sie klebte und sie in die Rocky Mountains, in den Himalaya oder in die Toskana schickte. Oder wenigstens nach Sylt.