Die Prinzessin hatte einen Frosch im Hals


Die Prinzessin hatte einen Frosch im Hals.
Sie hatte herumgemäkelt, ich mag den nicht und jenen auch nicht, ich will einen Rockstar, und keinen in Strumpfhosen auf einem weißen Pferd mit einer Feder am Hut.
Ich will keinen Lackaffen!, schrie sie und schmiss sich auf den Boden, trommelte mit ihren kleinen Prinzessinnenfäusten auf dem Parkett herum.

Es gab aber keine Rockstars, die eine Prinzessin wollte, schon gar keine, die mit nichts zufrieden war, die wollten lieber selber Prinzessin sein, oder wenigstens Prince.

So blieb nur der Frosch, der ihr ins Ohr geraunt hatte, er sei ein verwunschener Rockstar, sie müsse ihn nur küssen.
Schweren Herzens hatte die Prinzessin zu einem Kuss angesetzt, der Frosch hatte sofort sein breites Maul auf ihre roten Lippen gepresst und seine überlange, vom Fliegenfangen geschulte Zunge eingesetzt, um die Holde von sich zu überzeugen. So küssen nur verwunschene Rockstars!, war sein Lippenbekenntnis.

Die Prinzessin erschrak und wollte zu einem gewaltigen Schrei nach den Schlosswachen ausholen, atmete hektisch und tief ein, und zack, hatte sie einen Frosch im Hals, oder besser, diesen Kuss-Frosch im Hals.
So geht es mit Prinzessinnen, die den Hals nicht voll kriegen können, sagt ja auch der Volksmund.

Die Prinzessin würgte und würgte und versuchte zu schreien, aber der Frosch blieb, wo er war. Sein verzweifeltes Quaken in den Magen der Holden hinein klang wie Darmgeräusch.
Und die Prinzessin? Wenn sie nicht erstickt ist, würgt sie nach heute. Der Frosch, der ein verwunschener Rockstar sein wollte, konnte aber nicht mal Gitarre spielen.

Neulich beim Discounter

Konzentriert schiebe ich meinen Einkaufswagen durch die Gänge des wohnungsnahen Discounters. Meine Körperhaltung ist leicht geduckt; hoffentlich erkennt mich keiner dieser Pseudosozialbildungsbürger, die lieber Tante Emma hinter der Theke hätten, gegen Aufpreis versteht sich, und die sich weigern, beim Discounter einzukaufen, weil die Leute unter viel zu schlechten Bedingungen arbeiten müssen. Damit ist ihr soziales Gewissen beruhigt; dann muss man am ersten Mai nicht zur Gewerkschaftkundgebung. Früher gab es Ablassbriefe, heute kauft man sich im mittelständischen Supermarkt mit überhöhten Preisen frei. Wie die Mitarbeiter da behandelt werden, weiß man nicht. Tante Emma ist tot. Das kommt erschwerend dazu. Während ich so vor mich hin denke und eigentlich nach Kokosraspeln suche (ich habe bereits 7 Minuten über den Unterschied zwischen Kokosraspeln und Kokosflocken nachgedacht), immer noch in geduckter Haltung, immer noch mit schlechtem Gewissen, immer noch in der Angst, entdeckt zu werden, steht mir der Wagen eines etwa 25jährigen Mannes im Weg, der nach 110 kg Nettogwicht aussieht, gekleidet in modernen Blouson, Käppi, Jeans und Turnschuhe. Der 110-Kilo-Mann zieht seinen Wagen sofort weg und murmelt etwas, das ich als Bitteschön! oder Keinproblem! oder ähnlich Entschuldigendes höre. Ich wundere mich über die prompte Reaktion und die Worte; das hätte ich nicht erwartet, dass ein junger Mensch, der mit seinem Wagen im Weg steht, nicht nur reagiert, sondern auch noch mit mir spricht. Ich bin erfreut und konzentriere mich auf Kokosraspel oder -flocken. Im Weiterschieben höre ich, dass der 110-Kilo-Mann immer noch murmelt, lacht, säuselt, brabbelt, wispert, flüstert, dass er scheinbar weiterredet. Ich habe ihm doch eben mein Dankeschön zugeworfen, wieso spricht der immer noch? Er spricht mit sich selbst, nein, jetzt mit einer Dose Erbsen, dann mit einer Hautcreme und einer Tube Zahnpasta. Der Mann hat kein Handy in der Hand! Er nickt mit dem Kopf, als hätten die Dosen und Tuben ihm geantwortet. Ich bin besorgt, ich richte mich auf, Schluss mit dem schlechten Gewissen, Schluss mit Ducken, hier ist Hilfe gefordert! Ich drehe den Wagen, der noch immer ohne Kokosflocken ist, fahre zurück, in die Nähe des Schwergewichts, beobachte ihn, um eine anschließende Diagnose zu stellen. Der junge Mann redet weiter, blickt gedankenverloren in die Regale, seine Mimik verändert sich, er lacht, schaut ernst, nickt, schüttelt den Kopf, runzelt die Stirn. Das ist der Beginn einer ernsthaften psychischen Erkrankung, das könnte Anlass für eine Zwangseinweisung sein, schießt es mir durch den Kopf, was ist da zu tun? Den Amtsarzt bemühen, um einen richterlichen Beschluss zu erwirken; der Mann kann sich vielleicht zu einer Gefahr für sich und die ganze Kundschaft im Discounter entwickeln. Amoklauf! Ich bin wie erstarrt.
Während ich keinen Finger rühren kann, dreht sich der Plapperer um; mein Blick fällt auf einen zu großgeratenen Minikopfhörer mit einem kleinen Stiel, der zum Kinn führt, hängen. In meinem Hirn rattert es; was kann das sein. Irgendwo im Kopfarchiv treffe ich auf Headset und Mobiltelefon, durch die Kreuzung beider Begriffe, könnte das Objekt entstanden sein. Der Mann telefoniert und trägt sein Handy im Ohr! Er hat beide Hände frei zum Einkaufen. Und - viel schlimmer - er hat gar nicht mit mir gesprochen, sondern mit seiner Mutter, für die er einkaufen geht, damit sie ihm einen Geburtagskuchen backen kann.
Als ich wieder zu mir komme, bin ich tief enttäuscht von der heutigen jungen Generation und beschließe, nicht mehr im Discounter zu kaufen, aus Protest gegen die Gedankenlosigkeit und gegen die Entmenschlichung der Kommunikation und des Menschseins überhaupt.

Ich muss immer das letzte Wort haben


Das Auge der Wissenschaft im Alltag
Du musst immer das letzte Wort haben!, Das waren  vorwurfsvollen Worte der Erziehungsberechtigten und im Zögling reifte ein schlechtes Gewissen, so als sei es eine Straftat, das letzte Wort zu haben.
Später sollte sich herausstellen, dass es gut war, das letzte Wort zu haben, weil es gleichzeitig eine Demonstration von Macht war, ein Vorzeigen der Entscheidungsgewalt, ein Vorführen von Eloquenz: Dem fiel immer noch was ein, den konnte man nicht zum Schweigen bringen. Im positiven Fall der weiteren Entwicklung und Reifung zum Menschen kam ein engagierter, kritischer Verstand heraus, der permanent die Missstände der Gesellschaft anprangerte, im negativen Fall ein Politiker, was immer schon gleichbedeutend mit Opportunist war. Wenn man also die Chance hatte, das letzte Wort zu haben, nicht einmal auszusprechen -man musste es haben, das war Besitz und Waffe-  dann nutzte man sie auch. Als Politiker. 
Der Zögling aber dachte nicht nur über das aufkeimende schlechte Gewissen nach, sondern darüber, dass er den Satz "Du musst immer das letzte Wort haben!" natürlich mit einem "Stimmt doch gar nicht!" beantworten könnte, womit er die demütigende Aussage der Erwachsenen bestätigen müsste. Das wollte er nicht.
Wenn er aber schwieg, konnte es passieren, dass die Vorgesetzte, denn mehr war die Erziehungsberechtigte in diesem Kontext nicht in des Zöglings Augen, die Falsifizierung ihrer These, den Widerspruch ihrer Aussage, gar nicht wahrnahm, sondern in einer oft Erwachsenen eigenen Borniertheit, vielleicht Betriebsblindheit, gar nicht kapierte, dass sie gerade widerlegt worden war.
Eine stumme Falsifikation konnte möglicherweise die Erkenntnis blockieren oder sogar vollständig lähmen. Fatal in den Folgen: Die Erwachsenen würde immer so weiter machen und stumpf behaupten, er habe das letzte Wort immer, obwohl er bereits das tausendste Mal schwieg.
Also gab es nur die Flucht nach vorn: Eine provokante Äußerung musst getan werden, die die Dame nicht im Raum stehen lassen konnte, die sie wie durch einen immanente Zwang beantworten musste: Du hast doch immer das letzt Wort!
Auch wenn sich die Angesprochenen sprachlos fühlte, war doch sie derart enttäuscht sprachlos, dass sie sofort eine giftige Entgegnung los schleuderte und damit das Ziel des Zöglings erreichte, wenn auch ungewollt und vielleicht sogar unbewusst.
Wissenschaft im Alltag war ein hartes Stück Brot.
Geht doch!, rutschte dem Zögling heraus, und alle Mühe war umsonst gewesen.

Mit der Lochkamera unterwegs (2)

Sahara 2013.

Männerprobleme: Hängebauch

Irgendwann kommt er. Eine Frage der Zeit, eine Frage des Essens, eine Frage des Trinkens, eine Frage der mangelnden Bewegung, eine Frage der Männlichkeit. Wenn du deine Männlichkeit nicht mehr sehen kannst, dann ist es zu spät, lacht Wilma und Rupert stellt sich kurz taub.
Mann bleibt Mann, antwortete Rupert dann scheinbar gelassen, aber in seinem Inneren kocht. Unverschämtheit, was Wilma da von sich gibt, die mit ihrer Allesfresser- und Allesbrennerfigur. Die futtert und futtert, nimmt aber nicht zu. Das ist ungerecht.
Die Frage ist doch nicht, Bauch oder nicht Bauch!, fährt Rupert fort. Guck dir doch mal die Buddhas an, Schmerbäuche in Reinkultur! Dagegen bin ich ein Waisenknabe. Die schöpfen ihre Kraft aus dem Bauch, da ist das Hara, der Mittelpunkt ihres Seins, in der Mitte ruhen, in der Ruhe liegt die Kraft und da wird ja wohl was dran sein, sonst würden doch nicht Tausende in die Yoga- und Tai Chi-Kurse laufen, den Kranich machen oder den Berg schieben. Der Bauch ist Ausdruck von Weisheit.
Quatsch, nervt Wilma, der Bauch, nein, dein Bauch ist Ausdruck von drei Bier vor dem Fernseher jeden Abend, Ausdruck von Nackensteaks und fehlenden Turnschuhen im Schuhregal. Das ist eben kein Sixpack aus Muskeln.
Das ist ein Onepack, ergänzt Rupert leise.
Onepack, genau, Ausdruck von Mannsein.Von Wohlstand, das war mal in den Sechzigern, da wuchs der Speck aus Protest gegen die Bevormundung der Amerikaner, als Ausdruck von Wiederaufbau und Wohlstand. Das ist Vergangenheit. Heute gibt es überhaupt keinen Grund für einen Schwimmgürtel aus Hefeweizen und Schweinefleisch. Oder demonstrierst du gegen den Hunger auf der Welt?
Rupert versucht es mit einem Seitenthema: Die Frage ist doch eigentlich, ob ich den Gürtel der Cordhose unter dem Bauch trage oder drüber. Also, ich finde, drüber sieht hart aus, irgendwie bayrisch, behäbig, ungelenk, träge, dumm.
Würd ja passen, giftet Wilma weiter.
Also doch drunter, entscheidet sich Rupert, das hat etwas Lässiges, das zeigt eine Art Laid-back-Gefühl, wie der Rastaman nach einer Tüte hat, aber auch irgendwie buddha-artig ist das, weise, gelassen, ruhig. In mir ist die Ruhe, die Unerschütterlichkeit, die Sicherheit, dass alles gut ist. Das gibt dir doch auch was....
Ja,ja, wiegelt Wilma ab und weiß, dass die Diskussion zu nichts führt. Ich geh dann mal ins Fitnesscenter!
Heute Abend nur zwei Bierchen!, ruft Rupert hinterher. Das ist doch schon ein Anfang!

Kohl oder Hitler - Abstrakte Kunst


Neulich vor einem abstrakten Gemälde wusste ich nicht recht, was ich sehen sollte. Ich starrte auf die Farben und nichts Rechtes kristallisierte sich heraus, mit dem ich hätte etwas anfangen können.
Ich verweilte trotzdem oder gerade deswegen ein weiteres Weilchen vor der bemalten Leinwand und dann plötzlich sah ich Helmut Kohl, wie er verschmitzt durch die Farben lugte. Ich dachte daran, dass man das Wort lugen kaum noch benutzt, wohl aber das Wort lügen, und dass dieser Helmut Kohl, der sich gerne Wiedervereinigungskanzler nennen ließ, gelogen hatte, und es als seine Ehre ansah, Schwarzgeldhinterzieher nicht zu nennen. Das Wort Ehre verband ich dann mit dem Adjektiv ehrlich, und dass das am längsten währt. Kohl wollte seinen Kanzlerstuhl nie verlassen, wahrscheinlich um diese These zu stützen. Schließlich ging er doch und das Volk konnte sehen, dass der immerhin ein Meter neunzig große Kohl gar nicht so kurze Beine hatte, wie er aufgrund der Lügen hätte haben müssen. Schließlich löste ihn ein selbstverliebter Sozialdemokrat ab und den dann ein trauriges Mädchen aus der DDR, die das Aussitzen vom Dicken, wie der Kohl lieblos genannt wurde, von Birne, wie ihn die Spötter nannten, gelernt hatte.
Im Bild entdeckte ich keine weiteren Botschaften und so beschloss ich einen Kopfstand zu machen. Die neue Perspektive bescherte mir ein Hitlergesicht,und ich erschreckte, dass man Kohl auf den Kopf stellen konnte und Hitler erschien. Dann atmete ich auf, denn nicht das Bild oder der Kohl standen kopf, sondern ich. Beruhigend, dachte ich. Und dann hatte ich die schlüssige Botschaft: Du kannst dich auf den Kopf stellen, dann steckt in jedem Kohl auch ein Hitler, wie abstrakt dir das auch erscheinen mag. Rechts bleibt rechts, auch im Kopfstand.
Bei längerem Betrachten des abstrakten Gemäldes erkannte ich, dass abstrakte Gemälde mir persönlich zu abstrakt sind. Vielleicht sollte man es verbieten, buntes Geschmiere, das zufällig nach Kohl oder Hitler aussieht, als Bild zu bezeichnen und öffentlich in einem Museum auszuhängen.