Hoeneß soll neuen Namen erhalten

KD Butzibutzi: Hoeness hinter Gittern (2014)
Deutschlands bekanntester Steuerbetrüger und Nebenerwerbslügner Ullrich Hoeneß musst auf dringendem Anraten und Wünschen der Staatskanzlei seinen Verdienstorden zurückgeben, da sein Verdienst eben nicht mit der ehrlichen Arbeit  eigener Hände erwirtschaftet wurde, sondern mithilfe dubioser Berufs - Hinterziehungsassistenten im eigenen Land und in angrenzenden Schurkenstaaten. Weihnachten durfte der Häftling zu Hause bei seiner Familie kräftig feiern, inklusive Übernachtung in den heimischen Federn.
Das Volk fühlt sich zurecht verhöhnt,  und scharfe Zungen fordern, den Mann von Hoeneß in Verhoenesßumzutaufen. Den Eintrag beim Standesamt wolle man durch eine gemeinschaftliche Sammelaktion finanzieren.
Hoeneß selber bezeichnet sich im Gegenzug als antirassistisch, daher habe er sich bewusst für Schwarzgeld eingesetzt, weil das ja auch eine Chance verdiene. Sein Vorschlag - wenn schon  Namensänderung - Fairhoeneß.


Schneewittchen begleitet ihre Kinder zum Spielplatz





Nicht mehr schöner als die Stiefmutter sein müssen. Sich nie mehr in einen engen Glassarg pressen lassen. Einen neuen Namen annehmen. Snowwhite klingt besser. Oder einfach Nana.

Nur die Handtasche hält sie noch fest. Oder umgekehrt. Ich sollte sie einfach wegschmeißen, denkt sie. Was ist schon drin? Ein alter Taschenspiegel. Zigaretten. Der Haustürschlüssel. Sie seufzt. Ruft die Kinder und geht.

Toastbrot oder Trostboot?

Besonders nach Feiertagen gerät die Welt aus den Fugen, die Dingen verkehren sich, was oben war, ist unten und was links war, wählt plötzlich FDP.
Dann steht man vor dem Herd und sieht eine Scheibe trocken Brot mit hohem Weißmehlanteil, der ja ungesund sein soll. Dann fällt einem der Name für das ungesunde Lebensmittel ein: Toastbrot. Und dann fällt noch ein weiteres Wort wie vom Himmel, dass es eigentlich noch gar nicht gegeben hat.
Trostboot.
Das Hirn arbeitet auf Hochtouren, um herauszubekommen, was denn ein Trostboot sein könnte.
Eine neapolitanische Gondel mit ihrem jaulenden Gondoliero ja wohl kaum, das wäre kein Trost, da bräuchte man Trost. Vielleicht ein Kanonenboot, das einen vor imaginären Feinden schützt. Oder ein U-Boot, in dem man sich verstecken könnte wenn es brenzlig wird, in dem man einfach abtauchen könnte, um dann mit dem Sehrohr, oder heißt es Seerohr, weil es ja auf See ist, oder besser im See, will sagen, im Meer -muss es da nicht Meerrohr heißen?- ich verstricke mich, das sind die nachwirkenden Feiertage.
Mein Trostboot treibt auf deinen Tränen.
Das ist eine schöne Zeile, vielleicht für einen lyrischen Schlager für eine enttäuschte Schlagersängerin, die in schwarzer Unterwäsche auftritt, und dem EX vorsingt, dass er sich wohl grämen und auch heulen muss, weil sie ihn nämlich wegen der Tanja verlassen habe, was ihr nichts ausmache, denn sie, die singende Unterwäsche, könne ihn noch trösten in ihrem Trostboot, das allerdings auf seinem Tränensee herumdümpele und sich aus dem Geschniefe nichts mache, also gar kein richtiger Trost sein könne.
Hier verstrickt sich die unterbewäschte Schlagersängerin und muss aufpassen, kein Eigentor in Sachen Exbeziehung zu schießen.
Mein Trostboot
Treibt auf deinem See der Tränen.
Ich esse schläfrig mein geschmiertes Toastbrot
Und muss, ich sing's nur ungern, gähnen.

Ja, so klingt es rund, so passt das in einen Schläger und so schadet man auch keinem.
Schlager mit Lebensmitteln haben eine geringe Gewinnwarnung, was absurd klingt, aber heißt, dass das Stück mal so richtig die Konsumenten abgreift, weil die so doof sind, das zu kaufen.

Bald kommt eine feiertagefreie Zeit, wo mal wieder richtig durchgearbeitet werden kann und keine Zeit für Romatizismen ist, auf dass der Geist frei und klar werde, um sich der Anfeindungen des Alltags zu erwehren.

Weihnachten in China verboten

Jetzt ist es soweit: Weihnachten wird in China verboten. Es gäbe genügend Weihnachtsmänner im Land, und die Parteispitze dulde nicht, dass ein bärtiger Sackträger oder ein sackiger Bartträger ihr Konkurrenz mache.
Kurzerhand wurde beschlossen, dass der traditionelle Weihnachtsschnee jetzt dreckig-grau sein solle, was dieser besonders in den Industriegebieten schon seit Jahren in vorauseilendem Gehorsam geschafft hatte; die Bevölkerung solle aber weiterhin laut ausrufen: Das ist das weißeste Weiß meines Lebens!
Da  besonders die jüngere Damenwelt sich mehr und mehr an dekadentem Ski-Fahren ergötzt hatte, wurden dieser kurzerhand die roten Uniformen auf ein Minimum wegrasiert, um sie an ihren Auftrag zu erinnern.
Auf die Anfrage bei der Parteispitze, um welchen Auftrag es sich handele, kam bislang keine Antwort, lediglich der Hinweis, dass Unwissen ein schwerer Verstoß dagegen sei. Man schenkte sich die Nachfrage, wogegen.
Abweichlerische Ski-FahrerInnen fordern unter #Sheena im Easton, dass das riesige Land jetzt Skina geschrieben werden solle, um auf die Problematik von Dekadenz und Rechtschreibschwäche hinzuweisen.

Georg Krakl: Weihnachten

An Weihnachten
den Wein achten.
Sonst dicker Kopf
wie Kickerdopf.


Aus G. Krakl: Gedichte mit unbekannten Wörtern drin (2014)

Bilderrätsel des Tages

Welches beliebte Fest in Deutschland und China ist hier gemeint?

-Wovalhnachten
-Wkrummerkreishnachten
-Weihnachten
-Ostern?


Für dieses Rätsel gibt es jetzt mal keine Lösung. Es ist so dämlich, dass man damit sogar ein Preisausschreiben in beliebten Flachblättern gestalten könnte. Wer das nicht rauskriegt, ist doof und gewinnt eine Kaffeemaschine.

Alltag im All

Jeder denkt, wenn er das Wort Alltag hört oder liest, dass dieser im All entstanden ist, oder vielleicht einen Dauerzustand in der Schwerelosigkeit darstellt.
Endlich hat die Raumfahrt und ihre angegliederten Wissenschaftler festgestellt - und damit endlich ein Argument für ihre Existenzberechtigung geliefert - dass dem nicht so ist.
Das All kennt überhaupt keinen Tag und folgerichtig auch keinen Alltag. Im All fehlt nämlich ein Horizont, an dem die Sonne aufgehen kann, um zu signalisieren: Ein neuer Tag bricht an!
Sonnen gibt es im All genug, aber an Horizonten mangelt es seit Jahrmillionen. Selbst ein gedachter Horizont, wie er in der Mathematik schon mal berechnet wird, um etwas Wirklichkeitsbezug herzustellen, hilft nicht weiter.
Auf die Erkenntnis, dass es keinen Alltag im All gibt, hätten wir Menschen auch ohne Raumfahrt kommen können. Denn wir erleben jeden Tag, dass der Alltag uns fast erdrückt. Im All herrschat Schwerelosigkeit. Manchen Menschen fehlt ein Horizont, sodass sie sich in merkwürdigen Gruppierungen scharen und die Welt in Abendland und Morgenland unterteilen, dazu bräuchten sie allerdings einen Horizont.
Popwissenschaftler stellten vor Jahren schon fest: Hintern Horizont geht's weiter. Die Philosophen wissen: Hinter dem Horizont ist der nächste Horizont, und dahinter der übernächste und immer so weiter. Sie drücken das natürlich etwas eleganter aus, sodass man das nicht gleich versteht.
Trotzdem: Im All ist von dem nichts zu finden, und darum ist es so trostlos im All, weil ohne Perspektive, denn wenn ein Horizont fehlt, kann es auch nicht dahinter weitergehen.
Es ist überhaupt dunkel im All und man weiß auch nicht wo links, rechts, vorne und hinten sind. Damit will sich die Wissenschaft demnächst beschäftigen.
Also: Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Alltag nicht aus dem All kommt, wohl eher das Leipziger Allerlei.

Dresden

Im Abendland
geht
die Sonne unter

Haustiere im Trend: Fische

Vassily Kannikski:
Kein Fleisch, kein Fischstäbchen (2014)
Ein jeder braucht ein Haustier; nur die harten Menschen, die sich darauf berufen, unabhängig und frei zu sein, in Wirklichkeit aber ihre wahren Gefühle nicht zeigen wollen, verzichten auf die lieben Gesellen, die uns Geplagten das Leben verschönen.
Neben Hund, Katze, Maus ist der Fisch ein Tier ganz oben auf der Rankingliste.
Da er sich schlecht streicheln lässt, keine Laute von sich gibt und sowieso keine Gefühlsregungen zeigt -höchstens vielleicht die Vorlage für die Schnappatmung liefert, der wir uns bedienen, wenn Unverschämtes auf uns niederprasselt- fragt sich der Ottonormalstreichler: Warum hält man sich Fische?
Der Aquarienfreund weiß um Antwort:
Da ist endlich mal einer, der die Klappe hält. Dem kann ich erzählen, was ich will, der sagt nix, der fragt nix, der hält die Klappe. Und wenn ich auch nichts sage, da sagt der nicht: Warum sagst du nichts? Sag doch mal was! Was ist denn los? Nie sagst du was! Andere Männer erzählen auch mal was. Der hält sein Maul. Bei Fischen darf man auch Maul sagen. Und wenn ich sage: Halt dein Maul!, dann macht der das, weil der ja immer sein Maul hält.
Bei einem Hund geht das doch gar nicht. Der bellt, der macht Krach, der macht richtig Dezibel. Und Dezibel habe ich auf der Arbeit genug. Wenn ich zum Hund sage: Halt die Schnauze - das darf man bei Hunden ja - dann bellt der einfach weiter. Da müsste ich in die Hundeschule mit dem, und dann noch kontrollieren, ob der seine Hausaufgaben macht. Nein, das ist nichts für mich. Ich will meine Ruhe, und da ist der Hund weg. Gut, die Wilma ist auch weg, ich oder der Fisch, hat sie gesagt, und dann war sie weg. Jetzt habe ich einen zweiten Fisch, der sagt genauso wenig wie der erste, und das ist gut, das ist richtig gut. Jetzt kann ich einfach mal loslassen, wenn ich von der Arbeit komme, entspannen, nicht gestresst im Sofa, weil ich gleich keine Antworten auf die immer gleichen Fragen habe. Warum kommst du so spät, hast du wieder ein Bier getrunken, nie bringst du mal Blumen mit, andere Männer denken an ihre Frauen, stell deine Schuhe in den Flur, du könntest mal duschen nach der Arbeit, ich weiß gar nicht, was ich überhaupt hier noch soll, hinter dir rumputzen kann ich, aber sonst?
Mit einem Fisch ist Ruhe. Das ist doch Lebensqualität. Und deshalb steht der Fisch eigentlich auf Platz eins der Haustierrankingliste. Und nicht die Katzen. Die kratzen nämlich. Und Hunde stinken, besonders wenn es regnet.
Jeder ist ersetzbar, habe ich Wilma gesagt, sogar der Fisch. Aber da war sie schon weg.

Hörfehler und religiöse Irritationen

Schmutzengel haben Kotflügel.

Günter Krass - Schreckensmasken auf den Märkten

Angst in den Augen und auf den Gesichtern der Menschen auf den glühweinverzehrenden Märkten. Die Erde unter ihnen, das Pflaster, worunter wir den Strand vermuten, befleckt. Ist der Glühwein erst einmal vergossen, so will mancher volkstümeln, dann, ja, was dann?
Hier aber setzt der Verstand schon aus, denn das hirntötende Mischgetränk wirkt besonders, wenn es erhitzt wird und benebelt anfangs nur, später wiegt es in einer Art Puschengemütlichkeit, dass jeder glaubt, er gehöre irgendwo zu.
Die Einsamkeit wird runtergespült, während die Engel vom Kinderkarussell das tausendste Stille Nacht skandieren.
Früher haben wir Pflastersteine geworfen, heute besudeln wir sie mit gesellschaftsstabilisierenden Rauschsäften, weil uns der Mut zur Veränderung fehlt.
Wenn die Buden und Verkaufsstände abgebaut, sehen wir das Übel: Hier das tiefe Rot des selbstverliebten Bekleckerns, dort das unschuldige Hell, über dem die Hütten gestanden haben. Wir vergießen unsere Tränen ob verpasster Chancen und träumen vom Plastersteinwurf. In tiefer Depression gehen wir an den Medizinschrank, entnehmen ihm zwei Aspirin und etwas Heftpflaster, um uns in peinlicher Selbstbestrafung die Augen zu verkleben.

Wolf Wunderschreck - Mein Eipätt-Gedicht ohne Tastatur

Ich Die Das
Ich Die Das
Das Die Die
Ich Ich Die Das
Das Das Ich Die
Die Ich Die Das Die Die Ich
Ich Ich Die Ich Die Ich Ich Ich Ich Ich Die Die Die Die Das Das Das Die Die Die Ich Ich

Theo von Doeskopp - perfekt

ich habe gelächelt wo mir zum heulen war
ich habe geschluckt wo mir zum kotzen war
ich habe geschwiegen wo ich hätte schreien sollen
ich habe geweint wo ich hätte lachen müssen
ich habe eingesteckt wo ich hätte austeilen müssen
ich habe genommen wo ich hätte geben müssen
ich habe gebuckelt wo ich hätte nein sagen müssen
ich habe weggesehen
ich habe weggehört
ich habe weggetan
ich habe vertröstet
ich habe vergeudet
ich habe vertan
ich habe verlebt

ich bin gewesen
ich bin
perfekt

Heinrich Böller - Schmalkopf – Fetthals – Schweinenacken


Die drei Kameraden Schmalkopf, Fetthals und Schweinenacken sind seit Jahren unterwegs auf der Suche nach frischen Brötchen. Sie nennen es „auf der Jagd sein“, denn sie wollen die Brötchen nicht bezahlen, sondern gratis, ohne dass ihnen Kosten entstehen, einsacken. Sie schleichen sich an ahnungslose Bäckerburschen, die mit dem Bäckerwagen Umwege fahren, um die Liebste noch einmal anzuhupen, an Postboten, die unter Lindenbäumen frühstücken und Pakete liegen lassen, an Fernfahrer, die auf Autobahnrastplätzen ohne WC pinkeln, an Treckerfahrer, deren Anhänger nicht beleuchtet sind und an zu schnell Fahrende  in tiefergelegten Autos, die kleine Kinder gefährden. Manchmal schleichen sie sich auch an Männer, die Plastiksäcke mit Herbstlaub vor zu schnell fahrende Autos werfen, um gefährdete Kleinkinder zu beschützen.
Schmalkopf, Fetthals und Schweinenacken können die Beschlichenen  problemlos ihrer Brötchen, ihrer frischen Brötchen, berauben, weil die gerade mit anderen Dingen beschäftigt sind. Menschen, die ihr Brötchen sorgfältig essen, also von der Spitze nach hinten  bis zum Ende und mit der Unterseite nach unten, wobei der Belag nicht mehr als 1 cm über das Brötchen hinausragen darf, belästigen sie nicht. Sie wissen, dass sie bei denen keine Chance haben. Die drei finden aber immer genügend Opfer, damit aus einem Hals ein Fetthals und einem Nacken ein Schweinenacken werden kann. Schmalkopf ist der langsamste der drei, und wenn er gerade mit dem Essen loslegen will, haben die anderen zwei seine Brötchen meistens schon aufgegessen. Das hat aber auch sein Gutes: Er ist der schmalste. Damit entspricht er wenigstens dem Schönheitsideal unserer Zeit.

Heinrich Böller - Der Löwe schmollt


Da liegt er nun der Löwe und schmollt. Er schaut grimmig, damit ihn niemand fragt, warum er schmolle.
Das war auch wieder peinlich! Der Elefant hatte sich im Sand eingebuddelt und nur ein Bein aus dem Sand herausgucken lassen. Durch seinen Rüssel hatte er zum Löwen gesprochen.
„Hey, Löwe, alter Angeber! Ich bin’s, die Bettwurst. Komm lass uns Armdrücken machen!“
„Wie nennst du mich? Alte Bettwurst?“ brüllte der Löwe zornig über diese Unverschämtheit. Wie konnte eine Bettwurst den König der Tiere als Angeber bezeichnen?
„Löwe, hast du Schiss vor einer Bettwurst?“
Der Elefant näselte ein wenig, weil er durch den Rüssel sprechen musste. So klang seine Stimme täuschend echt, fast wie die einer richtigen Bettwurst.
Der Löwe wusste, dass Bettwürste nur wenig Kraft haben und zögerte, überhaupt zum Kampf anzutreten.
Er war kein Angeber und Angst hatte er schon lange nicht.
Also stand er auf und fauchte: „Na, dann komm, gleich wirst du den Sand küssen.“
Der Elefant kicherte im Sand.
Hätte der Löwe die Ohren gespritzt, hätte er ein leises Glicksen hören können. Der Löwe war aber nur mit der Herausforderung beschäftigt und brachte sich in Position. Er fuhr seine Krallen ein, um einen fairen Kampf zu liefern, denn Bettwürste haben keine Krallen und Elefanten schon lange nicht.
Der Dickhäuter ließ den Löwen zappeln. Klar, er war viel stärker als die Riesenkatze. Aber er wollte den Kampf genießen.
Anfangs gab er sich schwach, als sei er bereits am Ende seiner Kräfte; dann wurde abwechselnd stärker und wieder schwächer.
Schließlich, als der Löwe schon anfing zu keuchen, drückte er den gewaltigen Löwenarm mit der noch gewaltigeren Tatze an den Boden. Der Löwe brüllt vor Ärger und wollte aufspringen, doch der Elefant hielt ihn am Boden fest. Die schlimmsten Flüche stieß der Löwe aus, in denen auch das Wort Bettwurst mehrmals vorkam. Der Elefant konnte sich kaum halten vor Lachen und wäre fast erstickt, wenn er nicht blitzartig aus dem Sand aufgesprungen und lachend gestanden hätte: „Löwe, alter Löwe, ich bin’s doch, der Elefant. Kleiner Scherz. Komm, hab dich nicht so... “
Der Löwe brüllte und brüllte, vor Wut und Zorn und vor Wasauchimmer. Am liebsten wäre er im Sande versunken.
„Du hast mich reingelegt!“
„Stimmt. Entschuldigung, alter Freund!“ versuchte der Elefant den Löwen zu beruhigen.
„Aber ich hätte nie geglaubt, dass sich der König der Tiere mit einer Bettwurst anlegen würde.“
Der Elefant entfernte sich leise und kicherte in genügendem Abstand über diesen gelungenen Scherz.
Der Löwe verzog sich in den Schatten.
Seitdem sind Löwen und Elefanten nicht mehr gut aufeinander zu sprechen. Da die Elefanten nur Pflanzen fressen und der Löwe der schwächere ist, gehen sie sich heute aus dem Weg.

Günter Krass - Die Seele baumeln lassen


„Heute bin ich müde“, denkt Karl-Robert Kastenkopp. „Andere lassen die Seele baumeln, da hinten zum Beispiel hängt wieder eine. Seelen baumeln- so ein Blödsinn. Baumeln kann man von einem Baum. Dann muss man die Seele irgendwie an einem Seil festmachen, runterlassen und dann baumeln lassen. Dann baumelt sie. Wozu das gut sein soll, weiß ich auch nicht. Das ist doch nur eine Ausrede für Faulpelze, die sich nicht trauen zu sagen: Ich bin müde, mir reicht’s, basta, ich will ins Bett, ich will schlafen, ich habe keine Lust den Hof zu fegen, ich habe keine Lust mein Zimmer aufzuräumen, ich habe keine Lust wach zu bleiben. Ich bin müde. Egal, ob meine Seele baumelt. Wenn ich schlafen gehe, kann die gleich mit schlafen gehen. Dann ruhen wir uns beide aus und da braucht keiner einen Baum oder ein Seil oder eine Baumelei. Das geht ganz einfach mit schlafen. Aber das ist wohl den Besserwissern zu schlicht. Schlafen. Vor allem: Was machen die Leute, die vergessen ihre Seele wieder vom Baum abzunehmen? Die weht dann tagelang im Wind herum, oder im Regen, wird nass, oder dörrt vollkommen aus, weil die Sonne ständig scheint. So im warmen Bett, da kann der Seele nichts passieren. Da ist es weich und warm, ein bisschen feucht und ein bisschen trocken. Die Sonne scheint morgens durch das Fenster und nachts guckt der Mond herein. Mehr kann sich keine Seele wünschen. Und ich auch nicht.“ Karl-Robert geht ins Bett.

Günter Krass - Katrin, such die Brille!


„Katrin, du hast mit meiner Brille gespielt, jetzt such sie!“ Der Vater ist ungehalten. Er will die Tageszeitung lesen und kann seine Brille nicht finden. „Das war doch gestern, als ich mit ihr gespielt habe...“ Katrin versucht zu erklären, dass sie gar nicht wissen kann, wo die Brille ist. „Seit gestern habe ich auch nichts mehr lesen können“, sagt der Vater. Sein Ton wird bestimmter. Er will jetzt unbedingt die Zeitung lesen, den Sportteil vor allem, und da, wie seine Lieblingsmannschaft Rotweiß Oberhausen gespielt hat. Grünweiß Unterhosen nennt Katrin sie immer. Sie kann das Wort Oberhausen oder Oberhosen oder Unterhausen oder Wochenendhosen nicht mehr hören. Sowieso: Immer Rotweiß oder Rotwein Oberhausen am Wochenende, das nervt doch auf Dauer.  Katrin guckt trotzdem nicht genervt, sondern eher geknickt auf den Boden, um so zu tun, als ob sie die Brille suche. Sie hat sie gar nicht gehabt. Nur gestern kurz. „Hab sie schon! Alles klar!“ Der Vater klingt fröhlich entspannt. „War noch auf der Stirn. Weiß gar nicht, wer die da hingesteckt hat...!“ Er lacht, als hätte er einen Witz gemacht. Katrin entschließt sich, Fußball zu hassen.

Als die Astronauten ihre Helme abgenommen hatten...

Bert: Hier kann man ja atmen...
Uwe: Was hast du denn gedacht?
Bert: Ja eben nicht.
Uwe: Dann wärst du wohl jetzt schon umgekippt.
Karl (leise) : Mir ist schlecht.
Bert: Das weiß ich selbst, dass ich umgekippt wäre. Aber warum haben wir drei Jahre die blöden Helme getragen und Sauerstoff aus der Tube geatmet?
Uwe: Dose.
Bert: Wie, Dose?
Uwe: Aus der Dose geatmet.
Bert: Ich habe durch den Helm geatmet, also, im Helm.
Karl: Mir ist schlecht. Die Luft bekommt mir nicht.
Uwe: Vielleicht hast du was Falsches gegessen.
Karl: Wieso gegessen?Wir werden doch künstlich ernährt.
Uwe: Dann eben getrunken.
Bert: Kotz bloß nicht in deinen Helm.
Uwe: Er hat doch gar keinen auf.
Bert: Vielleicht liegt es an der Luft.
Karl: Sag ich doch.
Bert: Komm, wir holen unsere Helme und setzen die wieder auf.
Uwe: Gute Idee.
Karl: Und wenn's mir, ich meine...weil mir doch schlecht ist.
Uwe: Du hast doch gar nichts gegessen.
Karl: Stimmt ja.
Bert: Hast du denn was getrunken?
Karl: Quatsch! Ich bin vollkommen nüchtern.
Bert: Ich meine was Falsches getrunken, wie man was Falsches essen kann, zum Beispiel Mineralwasser.
Uwe: Oder Apfelsaft.
Karl: Nicht so lange noch Bier im Kühlfach liegt.
Uwe: Na, dann ist ja gut.
Bert: Wie viel ist denn noch da?
Karl: Keine Ahnung, ich habe nicht gezählt.
Uwe: Kommt, wir gehen mal gucken.
Bert: Und die Helme?
Uwe: Ach, die Helme, die Helme. Du mit deinen Helmen.
Bert: Jetzt ich mit meinen Helmen. Ich habe erstens nur einen Helm und zweitens hast du zuerst den Helm abgesetzt, obwohl das verboten ist.
Uwe: Super, jetzt kommt wieder diese Tour.
Karl: Mir ist schlecht.
Uwe/Bert (zornig): Dann setz endlich deinen blöden Helm auf!
Karl: Und dann?
Uwe: Setz ihn auf!
Bert: Setz ihn verdammt noch mal auf! Ich kann's nicht mehr hören!
Karl: Ist ja gut.
Alle ab und Helme holen, dann Bier zählen.

Wolf Wunderschreck - Niemand (2014)

niemand liebt dich
niemand nährt dich
niemand tröstet dich
niemand fragt dich
niemand antwortet dir
niemand ist für dich da
niemand macht dir platz
niemand bietet dir einen stuhl an
niemand legt sich neben dich
niemand braucht dich
du bist niemand

Primäres Bedürfnis: Wasser

Rolf: Ich habe Durst!
Dieter: Du sagtest es bereits.
Rolf: Ist auch nicht zu ändern, wenn es nichts zu trinken gibt.
Dieter: Ich weiß genau, hier muss irgendwo Wasser sein.
Rolf: Das hast du gestern auch gesagt.
Dieter: Halt doch mal den Rüssel.
Rolf: Das sehe ich nicht ein, das ist ein primäres Bedürfnis, das nach Befriedigung schreit.
Dieter: Ich habe auch primäre Bedürfnisse. Nach Ruhe zum Beispiel.
Rolf: Das ist kein primäres Bedürfnis, sondern ein sekundäres degenerierter Wohlstandswesen, die sich der täglichen medialen Berieselung nicht selbsttätig entziehen können und jetzt glauben, jeden ruhig stellen zu müssen, der mal ein primäres Bedürfnis äußert.
Dieter: Ich weiß, dass hier Wasser ist.
Rolf: Jaja, du und deine Instinkte, die sind doch alle verschütt gegangen, den ganzen Tag vor dem Fernseher und Fast Food dazu, die Beine hochgelegt und der Rüssel ist nur noch für die Fernbedienung da.
Dieter: Dann such du doch Wasser!
Rolf: Ich habe Durst.
Dieter: Du guckst doch auch den ganzen Tag Fernsehen.
Rolf: Tu ich nicht.
Dieter: Wohl.
Rolf: Schreibt man Wasser eigentlich mit Doppel-s oder Buckel-s?
Dieter: Mir doch egal.

Günter Krass: Assoziationskette

E hasst bestimmte Wörter: Königslutter und Buttercup. Beides bereitet ihm Übelkeit, denn er muss sich an die Kindheit erinnern, als ihm im nagelneuen VW Käfer des Vaters regelmäßig schlecht wurde, vielleicht in der Höhe von Königslutter, vielleicht aber auch nicht; der Buttercup ist ein Kürbis; einen richtigen Kürbis hat E er in seiner Kindheit ausgehöhlt und eine Kerze hingestellt, ohne, wie es die Jugendlichen ohne Sinn und Verstand tun, Geld dafür zu verlangen oder Saures anzudrohen; aber gegessen hat er ihn nie, weil es ihn nur süßsauer eingelegt auf den Tisch gab, und das wiederum Übelkeit erzeugte.
Warum kann Kürbis nicht Kürbis heißen, sondern Buttercup, das klingt so buttrig und überfettet, dass einem der Geschmack am Kragen steht. Hokkaido, das geht ja noch, denkt E, und ihm fällt ein, das Haiku ein kurzes japanisches Gedicht ist und Hokkaido eine Art Halbinsel bei Japan ist. Und im Zusammenhang mit Japan und dem Gedicht ohne Endreim Haiku, springt ihm jener Heiko G. in den Sinn, der eine japanische Flagge für ein Referat in der Schule auf Tonpapier anfertigen sollte. Jener Heiko nahm einen Din-A-2-Blatt rotes Tonpapier und zeichnete mit einem Zirkel einen Kreis in dessen Mitte. Dann überstrich er das restliche Rot, das weit mehr als das Doppelte der Fläche des Kreises aufwies, mit Tipp-Ex, welches zwar weiß wie die restliche japanische Flagge war, aber eigentlich nur für das Übermalen von Tipp-Fehlern auf Schreibmaschinen gedacht war, also für kleinere Flächen. E kann sich nicht entsinnen, was jenen Heiko motiviert haben konnte, denn eine japanische Flagge so anzufertigen erzeugte schon erhebliche Kosten für einen Schüler, die nur betuchte Eltern für den Zögling übernahmen, ohne dass dieser körperlichen oder seelischen Schaden aufgrund einer Standpauke mit stumpfen Impulsen erleiden musste. Vielleicht roch er gerne an Tipp-Ex, so wie manche Jugendliche heute noch gerne daran riechen, wenn sie dem Kameraden oder einem Mädchen durchs Gesicht geleckt haben, was dann stinkt; das Tun kommt immer wieder für Menschen infrage, die ein Bedürfnis nach Körpernähe und gleichzeitig würziger Geruchswahrnehmung verspüren.
Als E sich diesem Gedanken hingibt, klingelt der Postbote, die Assoziationskette reißt ab; der Bote bringt ein Paket aus Königslutter, das von seiner Größe her einen Buttercup beherbergen könnte. E verweigert die Annahme, stellt aber nach Intervention des Boten fest, dass es sich um ein Paket für den Nachbarn handelt, das man heutzutage üblicherweise  bei den Nachbarn dieses Nachbarn abgibt, und um weitere Zustellung oder einen Anruf beim Empfänger mit der freundlichen Aufforderung zur Selbstabholung bittet.
E denkt: Gut dass die Kette hier abgerissen ist, wohin hätte das führen können? Hatten nicht Atompilze die Form eine umgedrehten Buttercup, und war Königslutter nicht der Gegenspieler des Papstes, bzw. wurde der nicht erschossen, weil er ein schwarzer Bürgerrechtler war?

Da lacht der Zahnarzt: Deutschlehrer auf dem Stuhl

Zahnarzt (überrascht): Das ist doch die Krone!
Patient: Öddmmfummmmghhh!
Zahnarzt (räumt Absaugschlauch, fünf Tampons, das Handstück des Bohrers und weitere Kleinteile aus dem Mundraum des Patienten): Bitte?
Patient: Krönung, das muss heißen: Krönung. Ausdruck des Erstaunens, umgangsprachlich.
Zahnarzt: Das ist die Krone. Da ist was faul drunter.
Patient: Hahaha! Das heißt "Da ist was faul im Staate Dänemark"! Hamlet, eindeutig. Metapher für "Das stinkt mir gewaltig".
Zahnarzt: Ist Dänemark denn ein Staat? Ich dachte, das gehört zu Grönland.
Patient: Scheinbar schon.
Zahnarzt: Dann woll'n wir mal. Einmal weit ganz weit aufmachen! So, da haben wir das Ding auch schon. Ja, stimmt, da stinkt was gewaltig.....Da scheint Dänemark zu liegen....
Patient: Unghhh.

Gefährliche Kinderspiele

Lilo war anders.
Lilos Großvater war Jäger.
Der Großvater war zornig: Lilo, hast du wieder die Geweihhörner abgeschraubt?
Lilo antwortete nicht, sondern schnaubte bloß wie ein angeschossener Rehbock.
Lilo, wenn du auf Rehbock machst mit abgeschraubten Hörnern, mit meinen abgeschraubten Hörnern, dann muss ich auf dich schießen.
Endlich bekam auch Lilo ein Wort heraus: Wieso?, fiepte sie.
Weil ich Jäger bin, und Jäger schießen nun mal, grunztre der Großvater.
Wieso?, fiepte Lilo.
Weil Jäger immer schießen, wenn es was zu schießen gibt. So will es die Natur nun mal, dozierte der Großvater.
Wieso?, fiepte Lilo.
Du wiederholst dich, grunzte der Großvater weiter.
Wieso?, fiepte Lilo erneut.
Ich hole jetzt die Flinte, sprach der Großvater.
Endlich. Lilo änderte ihren Text: Ich spiele doch nur.
Mit Hörnern spielt man nicht, sagte der Großvater, Hörner werden einem aufgesetzt. Wie damals, als Großmutter noch lebte. Der Postbote! Ich sage dir: Der Postbote. Na, ich sage dir, der trägt keine Post mehr aus, dieser Briefmarkenlecker! Und Oma...naja, du hast sie nicht mehr kennengelernt. Ich habe ihr gesagt: Hörner aufsetzen, das ist lebensgefährlich, wenn man einen Jäger zum Mann hat.
Lilo stutzte, so als begriffe sie plötzlich die Probleme der ganzen Welt und aller Jäger zusammen.
Ich hole jetzt die Flinte, sagte der Großvater, wenn ich wiederkomme, hängen die Hörner pieksauber wieder an ihrem Platz, oder es knallt.
Lilo piepste: Schon passiert.
Lilo hatte schnell die Hörner wieder an ihren Platz zurückmontiert und stand jetzt unsicher greinend und mit kahlem Schädel  vor der Wohnzimmercouch.
Na, also, sagte der Großvater zufrieden, dass man immer erst drohen muss. Die Finte mit der Flinte (hahaha!) klappt doch immer. Aber diesmal hätte ich geschossen..... Irgendwann reicht's doch mit dieser Hampelei, das hätten wir uns damals nicht erlaubt, wir haben Frösche aufgeblasen, bis sie platzten, das waren noch Jungenstreiche!, wir haben nicht die Wohnzimmerdekoration demontiert, vor allem, wir waren immer draußen, richtige Naturburschen, nicht so wie heute, immer vor der Glotze oder Ballerspiele ballern.....
Der Großvater murmelte weiter vor sich hin, was aber in Lilos Singsang unterging und in der bekloppt machenden Musik von WDR 4, Großvaters Lieblingssender.

Was Gärten ausdrücken

Haben Sie auch keine Lust, ständig im Garten herumzurennen, Kanten am Rasen abzustechen und Unkraut aus der Erde zu zupfen? Ständig auf der Suche nach Pflanzen zu sein, die vor allem aus Sicht der Nachbarn und Spaziergänger nicht in ihren und auch keinen anderen Garten gehören? Sind Sie es Leid, die Erdflächen zwischen den Büschen und Bäumen, zwischen Blumen und Bodendeckern mit der Feinharke zu bearbeiten, damit jeder sehen muss: Hier wird regelmäßig gearbeitet, hier herrscht Ordnung, nicht nur im Garten, sondern überhaupt. Der Garten als Abbild der Psyche, der geistigen Haltung, der politischen Einstellung. Wenn Sie die oben gestellte Frage bejahen, gehören Sie womöglich zu den Leuten, die alles Nichtbewachsene und vom Unkraut Bedrohte mit Rindenmulch zuklatschen. Der Gedanke liegt nahe: Hier wohnt ein fauler Hund. So wie der Arzt in der Regel mit Medikamenten Krankheitssymptome verdeckt, weil für eine genaue Diagnose die Zeit fehlt und das Wartezimmer voll ist, verdeckt der Privatgärtner seine Bequemlichkeit unter einer pseudoökologischen Variante der Gartenpflege. Gefaselt wird dann vom Mikroorganismen, die sich unter dem Mulch entwickelten, davon, dass das alles viel natürlicher sei und sich seltene Vogelarten ansiedelten, die hier Nahrung fänden. Außer geschwätzigen Drosseln, die andauernd das Rindenhack in den Rasen kratzen, kann der aufmerksame Naturfreund überhaupt keine Vogelarten erkennen. Selbst den selten gewordenen Spatzen ist es zu öde, auf Rindenmulch herumzuhüpfen. Rindenmulch ist und bleibt eine Illusion: Es wird suggeriert, der Garten sei gepflegt. Er täuscht aber nicht darüber hinweg, dass sich der Haus- und Gartenbesitzer lieber einen schönen Tag macht, als seinen schlecht verheilten Bandscheibenvorfall gründlich zu testen. Die begückte Halten bei der Gartenpflege ist eine Demutsstellung, das Dienen kommt hier immer wieder vor dem Verdienen. Sie erzeugt Bescheidenheit. Das geht der heutigen Zeit vollkommen ab. Die Menschen sind unbescheiden und schmeißen geschredderte Holzabfälle in ihre Gärten. Da ist Zubetonieren ehrlicher. Aber war es nicht immer so, dass Lüge und Faulheit Hand in Hand gehen? Quo vadis, Ziergärtner?

Gestern vor.....4032 Jahren: Der Schamane

Die Sippe verdreht die Augen. "Alte Labertasche", tuschelen einige, andere halten sich die Ohren zu. Der Schamane hat Sprechtag. Aber keiner wollte hingehen. Also kommt der Schamane zu den Menschen. Und predigte mal wieder:
"Wisset denn, eines Tages werdet ihr Menschen treffen, die eine Hand an ihr Ohr halten und in der Gegend herumrennen und sie werden achtlos auf und ab gehen und ihr werdet glauben, sie sprächen mit sich selbst. Sie werden euch nicht wahrnehmen, euch nicht grüßen, sie werden sogar ihr Kind in Kästen, die man herumschieben kann, schreien lassen, obwohl sie Hunger haben und der Brust oder eines guten Stückes Fleisch bedürfen, links liegen oder sitzen lassen.
Sie werden wirres Zeug sprechen, so als ob ihr eurem Nachbarn eine Frage stellt oder ihm eine beantwortet, aber ihr hört euren Nachbarn nicht.
Sie werden gestikulieren und "Ja, meine Güte, du wirst doch wohl einen Eimer Birnen pflücken können! Ja, die Leiter. Ja, die steht im Schuppen.", sprechen und dabei mit den Finger darauf zeigen.
Und wenn ihr heute die Wörter Leiter und Schuppen nicht versteht, so wird es euch wie Schuppen aus Haaren fallen und dann ist es Leiter zu spät. Wird es zu spät sein, will ich sagen.
Manche werden ihre Hände, in denen sie kleine Schachteln halten, vor den Bauch bringen und auf den Schachteln herum tippen, und ihr werdet sie nicht ansprechen können, weil sie nicht auf dieser Welt sind. Wisset, dass das das Ende der Sippe sein wird, dass das das Ende der Gemeinsamkeit, des Aufgehobenseins sein wird und obgleich diese Menschen meinen, sie hätten Freunde, werden sie einsam sein und traurig und ihr mit ihnen, vor allem wenn ihr nicht diese kleinen Kästen habt, die man ans Ohr halten kann und in die man dummes Zeuge hineinsprechen kann, das eigentlich keiner hören will."
Der Schamane wiegt sich hin und her und sein Oberkörper sieht ausgemergelter aus als sonst, denn niemand gibt ihm zu essen, weil keiner seinen Rat hören will, und weil der Harz vier noch ein Wald ist und keine Versorgungseinheit für Menschen, denen keiner etwas zutraut.
"Schamane, halt's Maul!", grunzt Neppo und die Umstehenden nicken erleichtert. "Du sagst es, Neppo!", murmelt die Gruppe, und wo Neppo Recht hat, da hat er Recht. Das war auch schon vor 4032 Jahren so.

Erfolglose Armee



Stillgestanden!
Wir haben doch gar nicht gewackelt!
Ruhe!
Wir haben doch gar nichts gesagt!
Das ist ein Befehl!
Was jetzt?
Stillgestanden!
Tun wir doch.
Ruheeee!
Als wenn hier einer was gesagt hätte.
Ruhääääää!
Ist gebongt. Und nicht wackeln, ok?

Günter Krass - Auf einem Bein stehen


Es gibt Menschen, die können wirklich auf einem Bein stehen. Auch wenn der Volksmund sagt, man könne nicht, und gleichzeitig motivieren will, einen weiteren Schnaps zu trinken.
Früher war es so, dass jedem Besuch Alkohol angeboten wurde, das gehörte zum guten Ton; alte Männer kamen mit stinkenden Zigarren in die Häuser, junge mit Zigaretten, die etwas weniger stanken, weil sie kürzer und dünner waren.
Rauchen und Alkoholtrinken galten als natürlich, so wie Atmen und Wassertrinken; selbst Löcher in den Zähnen aufgrund ungebändigten Zuckergenusses waren normal, komisch erschien es den Kindern, wenn keine Plombe ihre Löcher füllte, sondern das Gebiss ohne  - nach heutiger Sicht - Makel war. Eher war das Blendendweiße ein Makel.
Wenn ein erster Schnaps verköstigt worden war, gehört es sich für eine gute Gastgeberin oder einen guten Gastgeber, einen zweiten anzubieten, der dann aber auch signalisierte, dass der Besuch demnächst beendet sein würde, denn Alkohol hin oder her, es war schließlich noch kein Feierabend, sondern vielleicht früher Morgen, und das Tageswerk noch nicht vollbracht.
Einen einzigen Schnaps getrunken zu haben, hieße aber eben, auf einem Bein zu stehen, und das wollte man keinem Menschen zumuten, weil der sonst durch ganze Dorf gehüpft wäre und dadurch jedem klar geworden wäre, dass eine normale Gastlichkeit in jenem Haushalt, aus dem der Einbeinige gehüpft kam, nicht gepflegt wurde.
Das wollte sich keiner antun, denn man hatte nicht vor, die Dorfgemeinschaft zu verlassen, oder gar als Außenseiter geächtet zu werden.
So kam es fast wie Nötigung an, wenn jemand, der auf nur einem Bein stehen konnte und wollte, zu einem zweiten Schnaps überredet wurde. Letztlich war es nicht die Gastfreundlichkeit, die antrieb, sondern purer Eigennutz, und das ist eigentlich auch verwerflich; wenn es aber keiner merkt, so bleibt die Welt in Ordnung.

Georg Krakl - Gender Mainstream-Scheiß (2014)

Los, ihr Jungen, wollen Jungen sein und flitzen:
Schnecken
schrecken
Popel schmier'n in dunkle Ritzen
die die Nasen eben noch geziert
und dem Koch ein Ei stibitzen
oder zwei, und ungeniert
den Mädchen unter Röcke schielen
erst die Dünnen, dann die Dicken
fragen, ob wir denn gefielen,
ob sie mit uns gehen
stehen
vielleicht liegen wollen
mit uns Tollen
tollen
kommt ein Nein dann geh'n wir laufen
Bier aus vollen
Eimern saufen
bis die Augen stille stehen
Jungen, lasst uns gehen, lasst uns gehen!
Lasst uns flitzen,
zu den Schnecken, dann den Ritzen!

Typen: Der Akrobat (Günter Krass)


Es gibt Leute, die sind Akrobaten; sie stehen anderen auf den Schultern, strecken die Arme aus und fallen nicht runter.
Sie lieben das Risiko, auch wenn es keins ist. Die Menschen sollen die Akrobaten sehen, sollen staunen und klatschen, vor allem klatschen.
Klatschen, weil sie oben stehen, weil sie nicht fallen, obwohl sie die Arme ausgestreckt haben und sich nicht festhalten können. Dabei stehen sie auf den Schultern von irgendwem.
Über den spricht keiner, weil jeder denkt: Unten stehen, das kann doch jeder, das kann ja sogar ich, das ist doch keine Kunst, warum soll man denn da klatschen. Oben stehen und nicht runterfallen, das ist die Kunst.
Dem Untenstehenden schmerzt die Schulter, und er will sich gerne die schmerzhafte Stelle massieren, das würde aber bedeuten, sich zu bewegen, was wiederum die Stabilität des Obenstehenden gefährden würde.
Der Untenstehende hält aus und beißt die Zähne zusammen.
Der Akrobat nimmt irgendwann diese Duldsamkeit für selbstverständlich und hüpft und tanzt auf dessen Schultern, auf dass die Menschen ihn, den Akrobaten, immer mehr bewundern und beklatschen und bestaunen und ihn für ein menschliches Weltwunder halten.
Und dann, wie man sich denken kann, mit der Selbstverständlichkeit wächst der Mut, vor allem der Hochmut, und der paart sich mit Überheblichkeit.
Irgendwann ist der Träger die Schmerzen leid, krümmt sich ein wenig, um an die plagende Stelle mit den Fingern zu kommen, der Akrobat, mittlerweile unaufmerksam bezüglich seiner Balance geworden, fällt kopfüber und schlägt sich den Schädel auf. Die Schuld schiebt der Gestürzte natürlich dem Gequälten zu, er habe seine Pflicht aufs Unglaublichste vernachlässigt, habe seine, die des Akrobaten Gesundheit nicht nur gefährdet, sondern seine Versehrtheit verletzt. Kommt der Fall nicht nach dem Hochmut?, fragt der Träger, weil er belesen ist. Davon hat der Akrobat noch nie gehört und sucht  sich deshalb einen neuen Träger, auf dessen Schultern er stehen kann.
Der Untengestandenhabende fühlt sich missverstanden und allein. Er sucht sich einen neuen Akrobaten, den will er diesmal länger aushalten und nicht so selbstmitleidig dessen kunstturnerischen Übungen gefährden. Denn, so weiß er, jeder hat seinen Platz im Leben und sollte versuchen, an diesem und an keinem anderen zufrieden zu werden.
Der Akrobat beschließt, nie mehr abzustürzen.

Pilzebub - Wer ist das?

Vincent van Eijnoor: Gutkopp/Bettkopp
(2014)
Da nützt es nicht, einen schlauen Kopf zu haben, wenn einem der Rat gegeben wird, den Teufel mit dem Pilzebub auszutreiben.
Wer soll denn der Pilzebub sein?
Fragt man die schweigende Mehrheit im Lande, so tut sie, wie es ihrem Namen entspricht, sie schweigt. Diesmal nicht, weil ihr nix einfällt, nein, sie weiß auch nichts. Sie ist dumm. Stockdumm.
Sie schwafelt leise etwas davon, dass der Teufel im Detail stecke, aber das hilft kaum weiter, wenn nicht endlich klar ist, wer und wo der Pilzebub ist.
Letztendlich, nach monatelangem Rätselraten, erinnert man sich der Hörfehler, etwa jener, der uns statt Winni Two den doofen Namen Winni Poo hören ließ. Manni Two hielten wir für einen Herrscher, der Manni One gefolgt war und Josef Ackergold für eine Kartoffel, die man auf eine gute deutsche Bank legen konnte und keiner ließ sie mitgehen oder biss wenigstens mal ab.
Pilzebub, Pilzebub - Das konnte aber kein Hörfehler sein, und Teufel, das war doch auch deutlich.
Pelzebub, Pelzepup,Filzepopp, Vielzubob,Bildzuprobst und Baldzuweil....grausam, es wollte nicht gelingen, den Hörfehler zu entlarven, zu enttarnen, zu korrigieren.
Wie also den Teufel austreiben, oder warum, wo doch gar keiner weiß, wo er steckt? Denn die Hölle ist ja auch seit einigen Jahren weg. Da müsste noch mal so ein richtiger Papst kommen, der wüsste dann auch wo der Teufel steckt und was und wo und wer der Pilzebub ist.

Kindheitstraumata bewältigen

Vögeln missfallen spitze Hüte

Eines Tages läufst du ohne Kleider im Wälder herum; du denkst, du träumst, das sind doch die alten Angstträume der Kindheit, wo du ahntest, dass dich irgendwann im Leben alle bloßstellen wollen, wo sie hinter die Fassaden deiner Gelacktheit, deiner feinen Kleider, deiner Schminke äugen wollen, wo sie in deine Versace-Tasche oder unter dein Macbook gucken wollen, wo sie dich im wahrsten Sinne erkennen wollen. Der Wald würde dir keinen Schutz bieten, wenn du in den Wald flüchten würdest. Dass Tiere immer in einer natürlichen Nacktheit vegetieren, hilft dir nicht weiter. Der Hund im Regenmantel wird seltener erschossen als ein Hund ohne, weil der Sonntagsjäger ihn  für ein nacktes Reh hält, das seine Mutter sucht und das er von seinem Trennungsschmerz erlösen will.
So wird es dir passieren, wenn du ohne Kleider im Wald herumrennst! Statt dich für einen Hund zu halten, diagnostiziert der Waidmann: Reh. Also draufhalten, bevor es die Mutter vermisst.
Da hilft ein Hut. Der Hut! Der Spitzhut besonders, denn er scheucht die Vögel des Waldes auf, und das ist gut, denn mit Vögeln kann der Grünrock nichts anfangen, nur mit seiner Büchse, die wenigstens nicht nach hinten losgeht. Vögel sind schnell und flüchtig, da geht der Schuss schnell daneben und der Waidmann ist frustriert und sucht zornig ein mutterloses Reh, an dem er sich abreagieren kann. Manchmal erschießt er auch die Mutter des Rehs, was ihm gewissermaßen weiterhilft.
Deshalb: Traumata der Kindheit bewältigen. Hut tragen. Immer.

Sind Sie der Tod? (Günter Krass)

Hallo, sind Sie der Tod?
Sehe ich so aus?
Irgendwie schon.....
Wie sieht denn Ihrer Meinung nach der Tod aus?
Ja, irgendwie tödlich. Unlebendig. Also tot.Bleich, blass, blutrünstig.
Aha.
Der Tod hat auch so etwas Lauerndes, so was Packendes, als wenn er einen greifen und mitnehmen, holen will, meine ich. So mit kalten Händen und dann hat er so einen hohlen Blick, weil ja auch keine Augen mehr im Tod sind, die haben ja die Würmer geholt.  Und modrig, irgendwie modrig, wenn man das überhaupt sehen kann. Riechen auf jeden Fall. Verwesung. Genau, so ein leichter Geruch nach Verwesung.
Äh...
Haben Sie denn ihre Schippe nicht mit?
Wieso?
Man sagt doch: Da bin ich dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen...
Nein.
Was nein? Nicht Schippe, oder nicht Tod?
Beides.
Ach, dann sind Sie gar nicht der Tod?
Nein. Also ja, ich bin nicht der Tod.
Da bin ich aber froh, ich dachte schon, Sie wollten mich holen. Verdammt, da muss ich das nächste Mal doch genauer hinsehen.
(Aus: Günter Krass - Halbtod in Weiß, Erinnerungen am Stundenglas - MInden 2014, S.302)

Der Mann mit der Leopardentüte

Ein Film aus Bodos Welt.
Aus der Reihe: Wenn Männer ans Denken kommen, dann kommt immer ein Ergebnis heraus.
Hier ansehen: Klick

Gehirne zusammentun - Geht das?

Was nützt es, zwei oder drei Gehirne zu haben?, fragt Paul. Meinst du deswegen sind wir klüger? Ich glaube, die da hinten tanzen, nur eben ohne Musik, versucht Georg seine Argumente von vorhin noch einmal zu wiederholen. Tanzen soll das sein?

Hölzernes Herz (Theo von Doeskopp 2014)


Theo von Doeskopp: Holzherz, lila gestrichen (2014)
Dein hölzernes Herz spürt keinen  Schmerz, es ist fest und unzerpresst, es ist gut und tut nicht weh. Dein Zeh, der am linken Fuß, da wo wir alle hinken, und dein Schinken, der rechte, denn der ist der schlechte, schmerzen. Nicht die hölzernen Herzen. Und damit scherzen wir nicht, Pflicht ist das Klopfen, auf Holz, voller Stolz, mehr Pflicht als das stetige Tropfen, das höhlt, und wo der Betropfte grölt und brüllt im Unterirdischen,  so schmerzerfüllt.  Nach jeder neuen Liebe hölzerne Hiebe und ausgetriebene Triebe, du musst, du musst den Frust in rechte Bahnen lenken, denken, sagt der Therapeut, der sich nicht scheut, das in Geld zu rechnen, zu kassieren, das hätte nicht passieren dürfen, dass Heilemänner an dir schürfen, nach Gold und Geld. Hölzerne Hiebe, Liebe, die niemand will, nur das hölzerne Herz. Es ist wie das Pferd der Griechen, aus dem die Krieger kriechen und töten und Laken und Hemden röten. Das hölzerne Herz  darf niemand öffnen. Nicht zum Scherz und nicht aus Verlangen. Da musst du bangen um ungeküsste Wangen, um ungeliebte Leiber, um Männer und Weiber, um die, die ihre Unschuld verloren und dem Teufel verschworen für ein kleines Sekundenglück. Sie finden nicht zurück.