Gedichtinterpratation: Folke Smund - Hänschenklein

Hänschenklein
fehlt ein Bein
andres auch
steht jetzt auf dem Schlauch

Satzzeichen fehlen, das ist modern. Ein verschnarchter Paareim, das ist was fürs Land, da liebt man Endreime.
Hänschenklein - die Zeile kennt man doch, das ging irgendwie anders weiter. Dem Jungen in der Verkleinerungsform auch noch eine Verkleinerungssilbe hintendran zu hängen, das war damals schon schräg, als die erste Zeile eines anderen Gedichtes sich im Hirn des Dichters entfaltete.
Ein Vierzeiler - da weicht nichts von der Norm ab. Dreimal drei Silben, in der vierten Zeile fünf. Mit etwas Geschick könnte man ein Haiku draus machen. Tut man aber nicht, wir sind nicht in Japan, da heißen Jungen anders. Haruki oder Kouuki.
Die Zeile zwei bringt bereits die Brutalität der Wirklichkeit in eine lyrische Idylle: Es fehlt ein Bein! Der Junge ist versehrt und wird es wohl in seinem Leben schwer haben. In Zeile drei die Steigerung des Leids: Das andre auch. Lapidar dahingerotzt, als sei das eine der großen Belanglosigkeiten.
Und dann schreitet der Autor zu weiterer Missetat: Steht jetzt auf dem Schlauch. Hallo? Wie geht das denn? Wie soll der Bursche auf dem Schlauch stehen?
Das ist makaber, das ist zynisch, das ist unverschämt. Hier hat sich ein Autor im Ton vergriffen. Nach vier Zeilen ist man bereits gewillt, das Gedicht wegzuschmeißen. Aber es ist im Kopf und will nicht raus. Es sitzt da fest, weil es so kurz ist, so brutal und doch so eingängig.
Und dann davon zu schwafeln, es könne ein Protest gegen Landminen sein, das ist geschmacklos.
Gut dass es Kinderbücher gibt, die solche Kinder zeigen und Eingrifflöcher anbieten, in die man seine Finger stecken kann, um seinen Zöglingen die heile Welt zu bieten. Darüberhinaus: Kinderbücher, in denen sich etwas bewegt, sind dynamsich. Und das ist es, was unsere Kinder brauchen. Nicht Gedichte von pathogener Hässlichkeit.