Luis Trinker: Die vier Formen des Bergwanderns in den Dolomiten (1)

Humide Wetterlage der leichteren Form: Kann auch das Urlaubs-
gefühl verderben
Man unterscheidet vier Formen der alpinen Fortbewegung: Das
1.humide
2.liquide
3.frigide
4.luzide Wandern.

Humides Wandern
Die Dolomiten zeigen sich gern verhüllt. Die Hülle besteht aus feuchten Substanzen, die sich als Dunst oder Nebel oder Wolkenbrei darstellen. Das Reizvolle bzw. völlig Reizlose dieser Tatsache besteht darin, dass man bei Wanderungen in dieser klimatischen Umhüllung das Gefühl nicht los wird, man liefe im Oberharz auf markierten Wanderwegen, die etwas ausgetretener als gewöhnlich sind.
Das humide Wandern ist von mindestens zwei Komponenten bestimmt:
a) Von diesem Harz-Gefühl. Man fragt sich ständig, warum man 1000 km gefahren ist, wo's doch im Harz genauso schön sein kann. Weniger sehen kann man dort im Augenblick des humiden Wanderns auch nicht.
b) Von der Sorge um die Wanderkleidung. Da sich die Nebelhüllen häufig vertröpfeln und Form von Regengüssen auf die hoffnungsvollen Wanderer niedergehen können, kreist das Denken um die Fragen: Wie halte ich meine Trekkinghose trocken? Sollte ich die Hose in die Schuhe stecken oder die Schuhe in die Hose? Warum nässt meine Regenjacke an den Schweißnähten? War sie billig?
Ein Goretex-Funktions-Windbreaker, der in einem exklusiven Fachgeschäft gekauft wurde, wie etwa dem Globetrottel, und trotzdem innen feucht wird, evoziert Hassgefühle, wenn das Preisschild erinnert wird.

Zusammengefasst lässt sich bemerken, dass humides Wandern nur in seltenen Fällen der Steigerung des Urlaubs- oder überhaupt des sportlichen Genusses dient. Froh sein kann jeder Betroffene, wenn es eben zu keiner Vertröpfelung kommt und alles im Nebulösen und Diffusen bleibt. So lassen sich Gefühle einfacher kontrollieren.
Das humide Wandern steigert sich im liquiden Wandern. (Teil 2)

(Aus: Luis Trinker: Wandern mit andern, Komisch-Partenkirschen 1998, S. 113)