Günther Krass – Erinnerungen: Hühnerschlachten

Eine Tötung zweiter Klasse, also weniger laut, weniger dramatisch, weniger rührend, weil unser Herz nicht am Opfer hing, wie etwa einem Kaninchen, war das Hühnerschlachten. Der Tod begleitete die Jungen auf dem Dorf ständig, weil immer irgendein Tier zu Tode gebracht wurde, um der Familie oder den Nachbarn Nahrung zu sein. Gleichsam wurde der eigene Tod und der der lieb gewonnenen Verwandten vorbereitet und seine Verarbeitung trainiert.
Der Großvater trug in der Linken das Huhn an den Füßen zum Hauklotz, auf den schon Generationen der Eierleger ihren Kopf hatten legen müssen. In der rechten Hand hatte er das Beil fest im Griff. Mein Cousin Walter und ich hielten uns auf Abstand. Eigentlich verabscheuten wir das Töten, und doch faszinierte es uns, fast heimlich beobachteten wir das mörderische Tun der Älteren, obwohl es uns nie verboten worden war.
Dann ging es los, der Großvater wirbelte das wie starr hängende Tier durch die Luft, windemühlenflügelartig drehte der Arm Runde um Runde, mit ihm das verurteilte Huhn, das durch diese wilde Bewegung benommen werden sollte, um sich nicht den anschließenden Tötungsakt zu vergegenwärtigen und eher überraschend den Schlag mit kalten Eisen zu empfangen.
Nach der Schleuderbewegung zog der Hühnerschlächter das Tier über den Klotz, so, dass Kopf und Hals flach auf diesem zu liegen kamen und der Hals gleichzeitig ein wenig gestreckt wurde.
Mit der Rechten holte der Großvater aus und ließ das Beil auf die dargebotene Blöße sausen, um Kopf und Hals vom Rumpf zu trennen. Nicht immer traf der Großvater punktgenau, manchmal ging der Schlag völlig daneben, manchmal wurde nur ein Teil des Halses getroffen und in jedem solcher Fälle war ein zweiter Schlag notwendig. Der Kopf fiel nach erfolgreicher Tat zu Boden auf einen kleinen Haufen mit Sprickern, klein geschlagenen dünnen Zweigen, die beim Feuermachen benötigt wurden. Blut blieb auf dem Klotz zurück. Der Großvater hielt den zuckenden Rumpf fest in der Hand und wartete, bis der rote Saft aus dem verstümmelten Huhn geflossen war und es allmählich ruhiger wurde. Das sind nur die Nerven, beruhigte man uns Beobachter, wenn wir fragten, was das Huhn denn nach dem Beilschlag noch mitbekomme. Hühner, die ausgelegt hatten, waren zäh und landeten meistens in einer Suppe, die uns immer gut schmeckte. Sie wurde am Sonntag serviert, den Rest gab es montags. Nur das Fleisch wollte uns nicht recht munden, denn wir dachten darüber nach, wie lange ein Wesen Schmerz empfindet, wenn ihm der Kopf abgeschlagen worden war. Vielleicht war ihm jetzt sogar die Suppe zu heiß? Und- was machte, nein, dachte der Kopf wohl gerade?
(Foto: Wüste Träume verfolgten uns gelegentlich in den Nächten nach dem Schlachten.)