Stream of consciousness - Technique: Günter Krass - Wilma

"Wilma?" Mein Kaffee, es wird Zeit, ich glotze hier schon eine Weile, will sagen seit heute Morgen um 7 auf den leeren Bildschirm, der spiegelt meinen leeren Kopf wider, weiß wie die Unschuld, aber ich mache mich"Wilma!"schuldig, wenn ich nicht endlich etwas produziere, etwas Schöngeistiges, das erwartet ja der Leser, da ist das Programm festgelegt, und nicht der Name Programm, krass wie Krass, da zahlt keiner, wenn ich ein dünnes Büchlein vorlege, Tautologie, klarer Fall, wie weißer Schimmel oder apfeliger Apfel, ein dünnes Büchlein für Dünnbrettbohrer, für Kaffeefilterzweitaufgießer, "Wilma!Schatz!Es ist halb neun!",Hergottnochmal, wo bleibt sie nur, Frauen, also ich will keine Vorurteile auswalzen, aber ehrlich gesagt und unter uns, Frauen haben einen Hang zum Zuspätkommen, die Scheißsocken aus der rückfettenden Wolle, Öko, sage ich, Frauen sind öko, widerlich eigentlich, öko, kommt wohl gleich wieder diesem Blümchenkaffee, Muckefuck gegen hohen Blutdruck und für fairen Handel, damit beschäftigen sie sich, die Frauen, als ob sie nicht mal den Garten überarbeiten oder mal ein neues Regalbrett anbohren könnten, das steht da seit einem Vierteljahr herum, das wolltest du doch machen, Günter, heißt es dann, aber habe ich Zeit?, nein, habe ich nicht, ich muss schreiben, damit Geld rein kommt, die Frauen, die Frau, Wilma schafft es ja nicht einmal in angemessener Zeit einen Kaffee zu servieren, "Wilma!Darling", ich muss wieder laut werden, dabei bin ich gegen Aggressionen, gegen Gewalt, auch lautes Schreien, wieder Tautologie, wie nasses Wasser oder weißer Schnee, "Wilma! Mein Kaffee, du weißt doch, dass ich den jetzt brauche!", jetzt muss ich wieder diesen leidenden Ton anschlagen, wie ich das hasse, früher war das anders, da ging das zackzack, heute glauben die Frauen doch, sie könnte hier auf Emanzipation tun, ich habe Zeit, sagen sie sich, ich habe Zeit, der kann warten, wenn der auf Pascha mimt, das geht mir am Hinterteil vorbei, da höre ich doch gar nicht hin, "Wilma!Schatziliebling!", ewig dieses Gesäusel und alberne Getue, vielleicht hast du die überaus großzügige Güte, deinem untertänigsten Brötchenverdiener eine schlappe, nach Spülwasser schmeckende Tasse Kaffee zu serviere, ohne dass hier alte Herrschaftsstrukturen des Patriarchats aufbrechen! Ist das zuviel verlangt?, würde ich sagen, die lässt mich schmoren, wenn dieser Ehevertrag, also, diese blöde Socke, ich zieh dich nicht mehr an, nur weil es ein Geburtstagsgeschenk war, die Selbstgestrickten von Mutter habe ich auch heimlich entsorgt, die kratzen, ich krieg die Pimpernellen, "Wilmi!Wilmileini!", bäh ist das widerlich, wie widert mich das an, dieses Honigumsmaulschmieren, diese Kniefälle, das ist hier ja nicht mal ein innerer Monolog, bei der Erzählperspektive,"Wiiiiilmmmmmaaaaaaaaa!", sie hat es wieder geschafft, ja, sie hat es drauf angelegt, ich gehe jetzt Socken verbrennen, diese mistigen Dinger, kratzen wie Hulle, Geburtstagsgeschenk hin und her, gibt es nächstes Jahr eben keine, gibt es eben gar nichts, auch gut, hab sowieso schon alles, und was braucht der Mensch mehr, wenn er alles hat, ist doch nur Überfluss und Tand und Klimperkram, ich bin das so leid, "Oh, Wilma, Schatz, ein Kaffee, wie lecker, wie nett, wie schön, eine schöne Idee, die kann ich gut gebrauchen, jetzt, ach es ist schon halb neun, genau die richtige Zeit für einen Kaffee, der beflügelt, komm, Küsschen, jajaja, danke!", heiß ist der, shit, Lippen verbrannt, war klar, ist klar mal wieder, habe ich doch gesagt, Spülwasser, fair gehandeltes Spülwasser!Morgen werden die Socken verbrannt.
(Aus: Günther Krass: Ein Tag mit Wilma, Band 2, "7.00 bis 9.00Uhr", S.2o3)