Günther Krass: Erinnerungen - Meisterfleck

Als Schüler hatten wir immer davon geträumt, einen Meisterfleck zu produzieren, einen Fleck der sich abhob von der Menge der Flecken, die nichtssagend auf Hemden gekleckert worden waren, um sie zu versauen, wie wir es nannten, die aber mit Meisterflecken nichts zu tun hatten. Ein Meisterfleck verschönert, nein verschönt das Befleckte, er gibt ihm wertvolle Informationen, die es vorher nicht gehabt hat, und in der Summe ist es mehr, etwas Neues, das aus der Kombination von Fleck und Objekt praktisch neu geschaffen wird, geboren wird,als etwas, das es vorher nicht gegeben hat.So versuchten wir jahrelang, Meisterflecke zu erzeugen, immer aber blieb es beim Bekleckern, beim Einsauen und Verunreinigen. Den Schulkollegen schmierten wir Butter aufs Hemd, kippten Kakao auf ihre Nietenhosen oder bestrichen die Jacke mit Kalbsleberwurst, immer aber sah es nach einem selbst gemachten Fleck aus, der nichts mit wahrer Meisterschaft zu tun hatte. Dann eines Tages wollte in einem Biergarten an unserem Tisch eine Flasche mit Bluna umkippen, Georg hielt die Flasche im Kippvorgang auf, verhinderte, dass sich ein großer Teil des Flascheninhalts auf die Tischdecke ergoss, nicht aber, dass ein Spritzer genau ins Blumenmuster der Tischdecke gelangte. Und dieser Spritzer war es, der einen echten Meisterfleck zeugte. Einen, der sich symbiotisch mit dem Gewebe und seinem aufgedruckten Muster verband und etwas ganz Neues und Aufregendes gebar. Wir staunten mit offenen Mündern, in die wir voller Ehrfurcht Bier gossen, eins nach dem anderen, bis wir den Fleck erst doppelt sahen und schließlich nicht mehr erkennen konnten. Wir torkelten nach Hause und träumten noch einmal, wie unser alter Traum wahr geworden war. Danke, gute alte Blunaflasche!