Kurts Geschichten:Schneebälle


Klausi hatte sich vorbereitet. Torsten würde ihm nicht davonkommen. Der Schneeball vorgestern hatte Klausi am Kopf getroffen. Ein nasser, feuchter, schwerer Ball war auf seiner Stirn zerplatzt. Es war gar nicht der Schmerz, sondern die Demütigung, die Niederlage gewesen, die ihn unruhig hatte schlafen lassen. Mit dieser Schneeballformmaschine von Onkel Joe aus Amerika hatte er die Zukunftstechnologie unter dem Weihnachtsbaum hergeholt und in den Kampf geführt. In den Straßenkampf gegen Torsten, der in jedem Jahr aufs Neue losbrach. Klausi mochte Onkel Joe nicht besonders, aber das Weihnachtsgeschenkt in diesem Jahr war ein echter Kracher gewesen. Auf so etwas konnten nur Amerikaner kommen, diese Erfinder von Kaugummi, Mickey Mouse und Neutronenbomben.
112 Bälle hatte er gestern Abend geformt, so als ob man in der Eisdiele Kugeln für die Waffeln formt, Schoko, Banane, Vanille. Über Nacht waren sie hart wie Stahlkugeln gefroren. Diesen Geschossen würde Torstens weiche Birne nicht standhalten. Die Zeit war gekommen, den ewig währenden Kampf zu entscheiden. Und überhaupt, was bildete sich Torsten eigentlich ein? Man warf nicht ins Gesicht, man warf keine schweren Matschkugeln, man traf nicht am Kopf. Torsten hatte alle Gesetze außer Kraft gesetzt. Genfer Konvention, das war doch gelacht. Es war Zeit, unkonventionell zu werden. Dem Gegner klar zu machen, dass er sich zu weit nach vorn gewagt hatte.
Klausi spürte ein warmes Brennen an der Stirn, das der Treffer nicht verursachen konnte. Die Schmach war in seine Seele gebrannt wie mit einem Brandeisen. Sollte er sich aus dem Haus wagen!
Möglichst vor dem nächsten Tauwetter.
Klausi blies in die kalten Hände und zählte noch einmal seinen Vorrat an knallharten Schneebällen. Einhundertundzwölf. Da sollte wohl ein schöner Kopftreffer dabei sein. Und diesmal würde der Schneeball nicht zerplatzen. Nicht der Schneeball.