Bodo läuft (Reinkarnation)

Bodo läuft wieder. Der Boden ist nicht mehr vereist.
Das Gras ist noch gelb-grau-braun. Wie immer denkt Bodo über das Leben nach und dass er doch gerade einen schönen Umweg gefunden hat: Der gleicht einer Schleife.
Ein schönes Stück ist das, denkt Bodo, ohne gewaltige Steigungen.
Da können doch gut die Schlechtkonditionierten rotieren. Im Kreis laufen. Die würden sich doch sonst verirren, wenn die allein und abgeschlagen auf den verschlungenen Waldwegen zurück bleiben müssten.
Hier kann nichts passieren, es geht immer im Kreis herum. Im Kreis zu rennen ist meditativ; da kommt der Läufer in die langläuferische Trance, in eine verschwitzte Abständigkeit, in eine Entrücktheit, in ein Laufen ohne Absicht.
Der Körper läuft wie von selbst. Er läuft ein Mantra und der Geist hat Ruhe. Nichts denken. Nichts wollen. Einfach da sein.
In Spiralen müsste der Körper sich auf höhere Stufen hochwinden können.
Schade, das geht hier nicht.
Auf dem Höhepunkt der Schleife angekommen, geht es wieder runter.
Das gleicht dem Wiedergeborenwerden ohne Lernerfolg.
Immer wieder in die gleiche Schnecke zurückgestopft, immer wieder das gleiche kriecherische Verhalten, immer wieder ein Leben auf der Schleimspur.
Ein Teufelskreis, den die Schnecke niemals verlassen kann.
Erstens weiß sie nicht, dass sie schon wieder wiedergeboren ist.
Zweitens ist sie zu langsam, um ihre Fehler zu korrigieren. Vielleicht fühlt sie sich wohl und eins mit sich und ihrem Leben, weil sie ein kleines Haus besitzt und sich keine Bausparverträge aufschwatzen lassen muss.
Ist das nicht paradox? Dass die Einfältigen in ihrem Glück nichts von ihrem Unglück wissen? Vielleicht war sie in einem früheren Leben Versicherungsvertreter.

Bodo sinniert über die Frage, ob Schnecken Fehler machen können, und wenn, welche?

Ein dumpfes Brummen schreckt ihn aus seinem Tagtraum auf. Ein graues Untier, für einen Esel zu klein, für eine fehlfarbene Wildkatze zu groß, für einen Tierheimhund zu ungeschickt, stolpert aus dem Unterholz, bleibt stehen, dreht sich um, schaut und wartet. Klappenohren wie die lederne Mütze des Barons von Richthofen.

Da! Das Blechmonster mit dem Frischluftkerl, der bei heruntergedrehter Scheibe vor Wochen an einer andere Stelle im Wald ventiliert hatte, der sich selbst an die Luft gefahren hatte, eine Art Autowanderer mit waidmännischer Färbung, taucht aus dem Dunkel des Unterholzes auf. Der Weg, den er fährt, ist so schmal, dass die Äste, die der Geländewagen streift, knacken. Bodo schaut nicht hin. Er hält die Szene für unmöglich. Unvorstellbar. Irreal. Aber sie ist wirklich.

Blöder Hund, blöder lederfliegerkappenklappenohriger Hund, du Ausgeburt des roten Barons, du miese Inkarnation mit deinem noch mieseren Herrchen, das seinen bequemen Arsch nicht aus dem beheizbaren Landroverfahrersitz kriegt, und stattdessen dem Wald die Luft nimmt, die dieser sich bemüht zu produzieren.
Der Wald ist sauer, stinksauer auf solche Umweltbanditen.

Abgassau! will Bodo sagen, denkt es aber nur. Ein Hund ist unberechenbar. Ein Mensch, der mit dem Auto durch den Wald fährt, um seinem Hund Auslauf zu verschaffen, wird nicht ohne psychische Einschränkung sein. Das kann sich auf den Hund abgefärbt haben! Hundeführerschein, genau denkt Bodo.

Halt deinen Schnauzer! könnte Bodo jetzt lostrompeten, denkt aber, dass das Untier, das er nun beim Wiedersehen durch diese Anrede aus der Mischlings- und No-Name-Abteilung in die genannte Rassekategorie einordnet hat, durch die Aufforderung „Halt deinen dämlichen Schnauzer!“ sensibel reagieren und sich genötigt sehen könnte, sein Herrchen, dem dieser Ausspruch zugedacht ist, zu verteidigen, obwohl lediglich die Bitte, wenn auch energisch, vorgetragen wird, den Hund zu halten.

Deshalb heißen diese Leute doch Hundehalter!

Der fliegerlederkappenohrenklapprige Hund läuft frei herum. Gehört an die Leine! denkt Bodo und macht sich auf den Weg in die andere Richtung, vorsichtig nach hinten lauschend, fürchtend, dass das leise Flappen der Ohrenlappen oder Kappenklappen hinter ihm ertönt.

Nichts zu hören. Hund und Mann und Auto sind in eine andere Richtung. Bodo atmet durch und trabt entspannt weiter. Es gibt also Waldläufer und Waldfahrer, denkt er, ohne daraus eine besondere Erkenntnis abzuleiten.

Welcher Sünder mag in diesem Hund stecken und zum wievielten Male wohl schon? Und welcher in dem Hundehalter, der in seinem Auto durch den Wald spazieren fährt? Schlimmer noch, als wieder zur Schnecke gemacht zu werden.

Was muss eine arme Seele wohl tun, um da endlich rauszukommen?