Günter Krass: Kotelett am Sonntag

Sorgfältig schneidet Bodo an seinem Kotelett, das die Mutter gebraten hat, den Fettrand ab. Er kann ihn mit dem Messer unter der leckeren,braunen Panade ertasten. Fast von selbst löst sich der Streifen vom mageren Fleisch.
Der Vater schaut kritisch von seinem Teller auf. Koteletts  gibt es nur am Sonntag, und was Bodo da macht ist, für ihn Verschwendung.
Bodo schiebt das Fett vorsichtig an den Tellerrand und einige Erbsen in die Nähe des Fleisches. Am liebsten würde er noch den Knochen entfernen, denn an ihm ist auch noch Fett zu vermuten.
„Äh!“ denkt Bodo und stellt sich vor, wie die wabbelige Masse durch die Zähne flutscht, im Mund unruhig herumrutscht und dann plötzlich im Rachen verschwindet. Ein leichtes Würgen stellt sich ein.Bodo verdrängt den Gedanken und richtet seine Aufmerksamkeit auf das Restkotelett, das überwiegend aus magerem Fleisch und leckerer Panade aus Brötchenbrösel und Ei besteht. Eigentlich ist das Beste am Kotelette die Panade. Aber die abzukratzen und zu essen, ohne das Fleisch anzurühren, für das der Vater hart gearbeitet hat, traut er sich nicht.
Bodo isst ein paar Erbsen und eine in füssiger Margarine zerdrückte Kartoffel.
„Hm, lecker!“ sagt er und die Mutter freut sich über das Lob.
Er schneidet ein Stück Feisch ab, schiebt es in den Mund und kaut. Ein bisschen trocken , aber sonst gut. Paniermehl mit Ei, goldbraun gebraten, das wäre noch besser.
Bodo hofft, dass im Fleisch keine Sehnen sind wie im Rinderbraten, den es an anderen Sonntagen gibt. Auf Sehnen unvorbereitet heumzukauen, wäre noch schlimmer, als Fett zu schlucken. Koteletts sitzen im Rücken des Schweins, da gibt es keine Sehnen, denkt er, um sich zu beruhigen.
„Das Beste lässt du immer liegen!“,sagt der Vater vorwurfsvoll.
Bodo schaut hoch und bietet ein Geschäft an: „Wir können ja tauschen. Du bekommst das Beste und gibst mir dafür das Zweitbeste.“
Der Vater stutzt. Aber das will er auch nicht. „Iss jetzt!“,brummt er, „du müsstest mal richtig Hunger haben……!“
Bodo wartet auf ein Beispiel aus den harten Kriegswintern, wo es wenig zu essen gab. Der Vater isst weiter.

Bodo weiß, dass seine Stunde kommen wird. Bald wird es schmackhaften Steckrübeneintopf geben, weil Steckrübenzeit ist. Der Vater mag keine Steckrüben.
Und zu tauschen gibt es bei einem Eintopf auch nichts. Da wird gegessen, was auf den Tisch kommt.