Mein altes Handy

Neulich hat ein junges Mädchen gelacht. Hahaha! Was ist das denn?, hat es gefragt und weitergelacht. Wonach sieht es denn aus?, wollte ich fragen und habe es dann gelassen. Das ist ein Handy, mein Handy, und das ist schon älter. Ich merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass es mit  dem Komparativ älter nichts anfangen konnte, uralt, ergänzte ich dann noch, da warst du wahrscheinlich noch nicht auf der Welt.
Ein paar Tage später in der Deutschen Bahn. Ich stehe auf und will meinen Mantel ausziehen, weil der Wagen wieder mal völlig überhitzt ist. Ich falte den Mantel, weil es keine Haken zum Aufhängen gibt, nur diese schmalen Gepäckablagen, auf denen man aber kein Gepäck abladen kann, weil es so kleines Gepäck nicht gibt. Es klockert. Mein Handy ist aus der Tasche und unter den Sitz des Vordermannes gefallen. Mein altes, uraltes Handy. Peinlich. Der Mob ist aufmerksam geworden und neugierig auf eine Sensation. Ich werfe mich zu Boden und raune dem Vordermann zu; ich muss mal unter Sie greifen! Der grummelt etwas, und ich habe längst meine Hand unter den Sitz schnellen lassen, um das Kommunikationsobjekt an mich zu reißen und möglichst zu verdecken. Es rutscht weiter, unter dem Sitz hervor und wird allen sichtbar: Oh, mein altes Handy, mein uraltes Handy! Was macht das denn in meiner Manteltasche? Ist der Mantel denn auch schon so alt? Das kann nichts, dieses alte Handy!, spreche ich jetzt mit dem Wagenboden und der Armlehne des Sitzes des Vordermannes, es kann nichts, das ist uralt, damals, als ihr noch nicht geboren ward, konnten die alle nichts, nicht knipsen, nicht filmen, nicht Musik hören, nicht im Internet herumsurfen. Nichts. Es ist alt. Es kann nur telefonieren.
Endlich zurück auf dem Sitz. Ich schaue auf. Der Mob wirkt peinlich berührt, hat vielleicht Mitleid und tastet betreten an deinen eigenen Smartphones herum.
Wo sind wir gelandet, dass uns Mitleid peinlich ist? Und dass wir uns vor einem Wagenboden und einer Armlehne der Deutschen Bahn rechtfertigen müssen?