Jahreszeitentexte


Laura P. hatte keine Erwartungen an den Vorfrühling. An den Frühling, ja, der musste eine deutliche Temperatursteigerung mit sich bringen, Obstblüte und Lerchengesang. Aber der Vorfrühling war kaum Erwartungen ausgesetzt, weder denen von Laura P. noch von anderen. Die ersten Schneeglöckchenblüten reichten aus, um ihn zu bestimmen und zu sagen: “Der Vorfrühling ist da.“ Es durfte noch kalt sein, grau und ungemütlich, wenn nur wenigstens alle drei Tage der Himmel kurz blau aufleuchtete und für einen kurzen Fußweg die Mütze abgesetzt werden konnte. Laura P. war frisch verliebt und die meisten anderen Menschen hätten sich nun den Frühling gewünscht, Vogelgezwitscher, Blütenfülle und Sonnenschein als Ausdruck der eigenen Befindlichkeit - Neubeginn, Erwachen, Hoffen und Erwarten. Aber gerade die Erwartungen machten Laura P. Angst. Es war Februar und sie wünschte sich, auch ihre Liebe würde im Stadium des Vorfrühlings verweilen, ein Ahnen, was sein könnte, ein Sehnen, das aber noch gedämpft und zurückgehalten werden konnte, kurze Momente, in denen sich schon ein ganzer Sommer wiederspiegelte - eben ein Sommer, der immer ein Ende hatte, auf den zwangsläufig Verfall und Vergänglichkeit folgten. Im Vorfrühling reichten die kurzen hellen, warmen Augenblicke aus, sie beinhalteten alles, was Laura von der Liebe erwartete und sie wurden so bedeutsam durch den Verzicht auf Dauer oder Wiederholung. „Hase“, so hatte er sie genannt. Ja, Angsthase, dachte Laura P.