Günter Krass:Teller und Tasse


Eines Tasse kam des Weges lang.
Na, nicht mehr im Schrank?, fragte der Teller.
Wie kommst du darauf?, fragte die Tasse zurück.
Der Teller mochte eigentlich keine Gegenfragen, trotzdem antwortete er: Man sagt doch „Nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder?“?
Das impliziert doch, dass alle Tassen in einem Schrank sein müssen, bemerkte die Tasse.
Ach du Schreckt, dachte der  Teller, eine Klugscheißer-Tasse, als wenn ich nicht mit mir selbst genug zu tun hätte.
Ich mein ja nur, man sagt das doch so, du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank, schob der Teller nach.
Das musst du einen Schrank fragen und nicht eine Tasse, Meister, konterte die Tasse.
Sag nicht Meister zu mir, sagte der Teller, wenn du mir was Gutes tun willst, sag Muskateller!
Ist das nicht  so ein süßer ungarischer Wein?, fragte die Tasse.
Süffig, nicht süß, und ungarisch nur, wenn er da auch gerade wächst, und Wein, weil es manchmal zum Heulen ist, dass man sich mit einer Tasse nicht unterhalten kann, heulte der Teller.
Ich bin eben keine Sammeltasse, antwortete die Tasse, aber ich glaube, dein Schrank, der hat nicht mehr alle Teller drin!, zischte die Tasse und zog von dannen.
Ich kabe keinen Schrank!, rief der Teller hinterher, aber die Tasse hörte schon nicht mehr.