Kontrolle erhalten oder verlieren

Ein Mann öffnet seinen Mantel. Vielleicht ist ihm warm und er will den Wärmestau unterm Trenchcoat beseitigen. Das ginge mit zwei Händen schneller. Wäre ihm zu warm, könnte er den Mantel auch einfach ausziehen. Vielleicht hat er nur noch diesen Mantel und hat Angst, sein letztes Hab und Gut zu verlieren, also lässt er ihn an, Tag und Nacht, Sommer und Winter. Der Mantel stinkt, der Mann stinkt, aber er hat einen letzten Rest Kontrolle über sein Leben behalten, der Mantel ist nur zufällig ein Symbol für diesen Kontrollerhalt, blöd im Sommer, nützlich im Winter. Vielleicht hat er aber ganz viel Kontrolle, er ist Kontrolleur, bei der Bahn, fern oder nah. Er öffnet seinen Mantel, um seinen Dienstausweis zu zeigen. Und lässt sich dann die Fahrkarte zeigen, oder auch nicht. Vielleicht tut er auch nur so, als ob er Kontrolleur sei, geht wichtigtuerisch durch die Bahn, bleibt vor der Vierergruppe junger Frauen mit Sektgläsern in der Hand stehen, bittet um die Fahrausweise, die jungen Frauen halten ihm nicht mehr ganz nüchtern, aber respektvoll die Fahrkarten entgegen und sehen zu ihm hoch, er öffnet seinen Mantel, sie sehen an ihm herunter, bekommen große Augen, unter dem Mantel trägt der Mann nichts, es scheint ihm selbst gar nicht aufgefallen zu sein, denn er knöpft den Mantel wieder zu, beißt kleine Löcher in die Fahrausweise der jungen Frauen, wünscht ihnen noch einen schönen Tag und geht weiter, ohne die Fahrkarten des älteren Herren auf der anderen Seite des Ganges zu kontrollieren.
Ein Kontrolleur mit Kontrollverlust oder ein Traumatisierter mit einem letzten Versuch die Kontrolle zu behalten. So lange Trenchcoats in sind, erkennt man sie zum Glück schon von Weitem.