Geschändete Kreatur

Da hängt die Kreatur auf billigem Stahrohr und schreit uns in die Ohren: Das habe ich nicht verdient. Nicht auf diesem billigen Stahlrohr.
Ich war ein Schaf. Ich habe geblökt, gefressen, verdaut, habe meine Milch für den Schafskäse gegeben, ich habe eingeatmet und ausgeatmet. Ich war vielleicht nicht das hellste, aber ich war kein schwarzes Schaf. Ich habe mich immer angepasst, ich habe immer Ja! geblökt und habe mich willig streicheln lassen, wenn der Schäfer Zuwendung brauchte.
Und jetzt: Der Körper auf Spießen in Dönerbuden, mein Fleisch, das man für Schwein hält, auf den Tellern, von denen es in verfressene Münder geschoben und gestopft wird, meine Innereien in Katzenfutterdosen, auf denen Rinderfilet steht, oder zu Pressfutter für die Hühnermästung verklappt, und mein Fell, mein schöner Pelz als Unterlage für einen übergewichtigen Camper, der auf mir sein Bierflaschen leert und rülpst, wenn ihm danach ist.
Das habe ich nicht verdient. Meine Seele weint, obwohl alle Welt behauptet, Schafe hätten keine Seele. Vielleicht kommt doch noch ein Wolf, der sich in meinem Pelz verkriecht. Dann hätte ich vielleicht nicht meine Ruhe, aber spannender wäre es allemal.