Im Steinteller entdeckt: Der Onkel Fred

Eigentlich hatte ich den Teller verpacken wollen und verschenken zu Heiligabend. Noch einmal hielt ich ihn in der Hand und betrachtete das seltene Stück, das ich in irgendeinem Mineralmuseum im Münsterischen aufgetrieben hatte, schon im Herbst, ungewöhnlich, da ich Weihnachtsgeschenke erst kurz vor dem Fest kaufe.
Dann wurde mir seltsam und ich überlegte, ob denn das Geschenk etwas für die Person sei, die den Teller erhalten sollte. Ich dachte vielmehr an mich, an einen, der Dekoteller im Grunde seines Herzens aus seinem Leben ausgeschlossen hatte.
Und doch, dieser Teller hatte etwas an sich, oder vielleicht in sich, das es mir unmöglich machte, ihn herzuschenken, wie der Bayer so sagt.
Ich begann den Teller genauer zu studieren und entdeckte eine Unmenge kleinster Einschlüsse und Versteinerungen, die die Steinsäge und die Poliertrommel sichtbar gemacht hatten. Und dann wusste ich, warum es mir widerstrebte, den Teller einfach zu verschenken. Da war Onkel Fred. Der lange verstorbene Onkel Fred! Ja, was machte der denn in meinem Steinteller? Onkel Fred, der alte Nörgler und Nösler, der an allem und jedem etwas zu mäkeln hatte, saß hier in meinem Teller. Geschieht ihm recht, war mein erster Gedanke, aber dann wurde ich demütigt und gedachte der vielen zu Unrecht Eingeschlossenen, die vielleicht nicht in einem Teller, wohl aber in einer Zelle festgehalten wurden.
Ich konnte doch Onkel Fred, bzw. was von ihm noch da war, nicht einfach herschenken, nicht hingeben, nicht wegtun unter dem Vorwand der Großzügigkeit.
Ich entschied, das Stück vorerst in meinem Besitz zu belassen, auch wenn ich gar keinen Onkel Fred hatte. Das ist aber eher nebensächlich. Überhaupt: Wie hätte der denn in den Teller kommen sollen? Man kann sich ja in der Vorweihnachtszeit so einiges wünschen, aber alles geht nun doch nicht.