Juni Weh: Die Besucherin (3)

Die Besucherin hatte Hunger und Durst. Niemand kam und bot ihr Essen und Trinken an, obwohl sie als Besucherin doch Gast war. Um Gäste kümmerte man sich doch. Das Krankenhaus bot seinen Besuchern nur Stühle in Nischen an. Und doch! Ein Bistro mit Selbstbedienung schien sich zu erbarmen und versprach der erschöpften Besucherin Kaffee und Brötchen. Sie aß und trank und sie gestand sich ein, dass ihr die Rolle der Besucherin nicht mehr gefiel. Die Rolle war zu offen, sie war gefährlich und einfach nicht kontrollierbar. Die Besucherin fühlte sich wohl  im Krankenhaus, aber auch die Rollen des Pflegepersonals und der Patienten wollte sie nicht übernehmen. Sie wollte in diesem kleinen Kosmos bleiben, der zwar voller Überraschungen, aber warm war. Es musste an ihrer Rolle liegen, sie hatte bisher alles falsch gemacht und sich unnötig in Gefahr begeben. Sie brauchte eine andere Rolle, die ihr mehr Schutz gab und die es ihr erlaubte, sich unangetastet in den Gängen und Zimmern zu bewegen. Die Besucherin beschloss Krankenhausseelsorgerin zu werden.