Peter Goge: Die Farbe Rot


Die Farbe Rot. Klingt wie ein Filmtitel. Und das macht den Pädagogenberuf zur Berufung: Er ist ein Film. Wir entscheiden über das Genre. Mantel und Degen für den Zeigestockliebhaber, Film noir für den, der in unerbelichteten Gruppen arbeitet, Naturfilm für den Biologen, Actionfilm für den Sportler, Horror aus der Schulküche, Historienfilm frisch aus dem Gymnasium. Der Lehrende ist der Protagonist des Films, der Held, der Retter. So gesehen, kann Arbeit sogar Freizeit sein. Wer wollte nicht immer schon mal Jean-Paul Belmondo sein oder Brigittegitt Bardot? Winnetou, das wär's gewesen. Schade, Winnetou ist kein Schauspieler, aber im goetheschen Sinne edel, hilfreich und gut. Fiktion, der der Lehrende in die Wirklichkeit hilft, durch sein Wirken nämlich. Die Farbe Rot ist das alles Bestimmende, die Farbe der Macht. Sie ist Spannung, sie ist Berufsinhalt und Lebenshilfe dem, der sie benutzt. Deutliche Korrektur, sichtbar und wohltuend, wenn sie als Tinte in Signalfarbe durch die Feder rinnt auf das fehlerhafte Papier. So wie das Leben den Lebensweg des Verirrten nachbessert, wenn etwa beim Wurstschneiden der Finger angeritzt oder aufgeschlitzt wird, so sagt die Farbe Rot dann: Iss keine Wurst mehr! Oder besser: Schneide keine Wurst mehr. Da hast du dich geschnitten, wenn du glaubst, Wurst sei gesund! Oder: Halt! Benutze kein Messer!
Der Pädagoge korrigiert dem Lernenden den Lebensweg. Halt, mach nicht so viele Fehler!, heißt es da. Hör auf, mit dem Nachbarn zu quatschen. Geh mir nicht auf die Nerven! Sonst fließt es rot! Die Tinte als Lebenssaft der Pädagogik. Da macht der Blick halt. Da denkt der junge Mensch nach. Ganz abgesehen von der erotischen Komponente, erstarrt das Leben für einen Moment, hält inne, wenn ein vor Fehlern strotzendes Blatt plötzlich auch vor Rot strotzt. Momente, die das Herz höher schlagen lassen, Momente, in denen die Hände feucht werden vor Stolz, in denen klar wird: Deshalb bin ich Lehrer geworden.