"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Iss mit Andacht!

Wir leben in einer Zeit des schnellen Essens. Uns fällt kaum noch auf, ob das Mahl uns wirklich schmeckt, oder ob es einem Pfund Sägemehl mit Salz und Bindemittel gleicht. Unsere Zunge ist nicht schnell genug, um den Prozess des Hinunterwürgens adäquat zu begleiten. Eine Currywurst schmeckt in der Regel nicht. Sie besteht überwiegend aus Fett und Schlachtabfällen. Erst das Zuschmieren der zerhackten Wurst mit süßlichem Ketchup kann dem Gaumen diese Erkenntnis versagen. Wir glauben satt zu sein, weil wir von altem Friteusefett aufstoßen. Unser Magen kann sich nicht umdrehen, weil er noch voll ist, vom gestrigen Döner, der bislang unverdaut auf seinen Abgang in den Dünndarm wartet. Der Körper will uns eigentlich sagen: Mir steht es bis zum Kragen. Jetzt noch eine kleine Tasse undefinierbarer Paprikasauce und ich jubel euch die Kinkel auf die Theke. Schnäpschen drauf ist ungeschickt am Mittag, schnell geht man als Alkoholiker durch, denn man bräuchte die Verdauungshilfe jeden Tag nach der Imbissbude.
Manchmal liegt das Essen herum, wir müssen es nur noch aufheben. Gedankenlos marschieren wir, vom Alltagsstress gequält, an wertvoller Nahrung vorbei. Im Büro wurde vorgestern gefeiert. Heute steht immer noch der rosafarbene Quark herum und ein paar grüne Paprikastreifen liegen daneben. Vor zwei oder drei Tagen ein liebevoll hergerichteter Snack zum 30. von Jürgen. Das ist kein Biomüll. Dieses Gute vom Vorvortage steckt noch voller Liebe, voller Liebe von Gitti nämlich, die den Quark für Jürgen zubereitet hat. Was hindert uns, diese Liebesreste für uns zu verwerten? Kostenlose Speise, mit einem kleinen Segen wieder in Form gebracht, kostenloser Genuss, der eine echte Alternative zum Schnellimbiss und seinen fettigen Fleischfingern ist. Mit Andacht gegessen, im Gedenken seines Ursprungs, voller Dankbarkeit, voller Vertrauen in die universelle Energie, die in dieser Speise ist, wird auch das optisch vielleicht Häßliche wieder schön und schmackhaft. Wir würdigen die Speise durch unsern Essvorgang und verschaffen ihr einen Sinn auch drei Tage nach der Feier, für die sie eigentlich gedacht war, und auf der sie achtlos liegen gelassen wurde. Wir sind wieder eins mit uns und der Welt und freuen uns, nichts verschwendet zu haben.