Depression im Winter: Schuld sind die anderen

Manchen Leuten steht es ja schon im Gesicht: Wird heute auch wieder nichts.

Das sind oft schlaffe Häute über weichem Bindegewebe in Verbindung mit einem müden Blick, hängenden Schultern, schütterem oder gefärbtem Haar, wo das nachwachsende dreckig-blonde schon zu sehen ist. Falten sind wie Schriftzeichen, die mitteilen: Mir geht es so schlecht! Das einzig Pralle sind die Tränensäcke, denn die sind bis oben hin gefüllt, und drohen jeden Moment aufzugehen und das versammelte Selbstmitleid in die Gegend zu vergießen. Da muss man als normal empfindender Mensch depressiv werden. Allgemein besteht das Vorurteil, dass das mangelnde Sonnenlicht im Winter daran schuld sei. Das ist natürlich nur eine eigennützige Erklärung der Sonnenbank- und Urlaubinwarmenländern-Industrie. Es sind unsere Mitmenschen, die durch ihr Aussehen, durch ihre ganze Haltung anfangs unser Mitleid, dann unser Mitgefühl und schließlich Schuldgefühle erzeugen, weil wir ihnen nicht helfen können. Nicht einmal wegsehen hilft, da sich die Bilder solch Bemitleidenswerter tief in das Hirn graviert haben. Es reicht ein trüber Tag, ein bisschen Nebel, Schmuddelwetter in Verbindung mit einem saftigen Anschiss im Büro, saurer Milch im Kühlschrank und der Erkenntnis, dass das Arbeitszimmer, der Hobbykeller oder irgendein anderer unwichtiger Raum immer noch nicht aufgeräumt ist. Tiefste Depression! Jetzt ruft noch Mutter an und fragt, warum du so lange nicht angerufen hast. Sie ruft sonst nie an. Der letzter Anruf muss also unwahrscheinlich lange her sein.
Problematisch wird es, wenn du morgens in den Spiegel schaust und sofort, ohne Umwege oder weitere Komponenten, in deine Niedergeschlagenheit rutscht. Dann gehörst du zu der Risikogruppe. Versuch's mit einem Lächeln, denn du riskierst sonst die Gesundheit deiner Mitmenschen zu schädigen. Das ist unsozial. Wenn dein Lächeln dir nicht hilft, dann bleib zu Hause. Das allerschlimmste wäre, mit diesem Gesicht auch noch herumzulamentieren, dass es dir sowieso am schlechtesten geht. Dass du am härtesten arbeitest und am wenigsten Geld dafür bekommst, dass dein Partner auf und davon ist und du auch schon so ein Ziehen im linken Arm, in der rechten Hüfte, im Lendenwirbelbereich oder in der Brust spürst. Damit nervst du nur, denn diese Option möchte sich jeder für den Notfall bewahren. Trauriges Sackgesicht in Verbindung mit penetrantem Jammern will keiner, das könnte jeder zu Hause haben. Also: Lächeln und Mund halten! Im Namen der Volksgesundheit!