Loslassen können

Pawel Pikass: Weiheitszahn (2011)
Da ist nichts mehr zu machen, den müssen wir rausnehmen. Wie rausnehmen, fragt der Patient, lassen sich üble Zähne jetzt einfach so rausnehmen, ist der denn schon so locker? Denselben habe ich auch schon verloren, sagt der Zahnarzt.
Wie verloren, fragt der Patient, haben sie den rausgenommen und irgendwo liegen gelassen? Wo nimmt man denn seinen Zahn einfach so raus? Und lässt ihn dann liegen?
Die Fragen des Patienten schießen ins Leere, der Zahnarzt hat bereits die Spritze in der Hand und betäubt ein wenig nach, den Gaumen jetzt noch, ja, die Narkose reicht für das Herausnehmen, das tut nicht weh, wir wollen nicht, dass jemand leidet. Der Patient leidet trotzdem, denn er verliert einen treuen Wegbegleiter, mit dem er jahrzehntelang Nüsse geknackt und Flaschen geöffnet hat.
Der Mann mit dem Mundschutz hat jetzt eine Art Schlinge angesetzt und ruckelt und dreht und ruckt und zieht und dehnt und wackelt und drückt. Der kommt schon, sagt der Vollzugsdentist und erzählt dann eine Geschichte aus seinem Heimatort, der der selbe ist, wie der des Patienten. Er erzählt und stellt Fragen, der Patient bemüht sich um Antworten. Öööööhöhöhöööööö! Mehr kann er nicht sagen. Der Zahnarzt hat seine Antwort nicht verstanden und erzählt frohbelippt weiter, wohl um von der Tatsache abzulenken, dass das mit dem Herausnehmen nicht ernst gemeint war.
Endlich ist dem Patienten dieser Zahn gezogen; er liegt herausgenommen auf dem Tablett. Der Patient ist mitgenommen. Der Zahnarzt nickt freundlich: Man muss auch loslassen können.