Belgier mit Anstand

Der Bus stand im Stau. Schon eine Viertelstunde. Zunächst hatten fünfzig wippende Belgier ignoriert, dass der Bus nicht mehr schwankte. Sie hörten laute Musik und tanzten einfach weiter. Die deutschen Bratkartoffeln lagen noch schwer im Magen, aber Unmengen von Bier beschleunigten die Verdauungsprozesse der Reisenden. Der Busfahrer kannte das schon. Natürlich konnte er die Sauerei am Zielort beseitigen, wie immer. Eine blonde Frau stand im Mittelgang. Sie tanzte nicht mehr, sondern starrte aus dem Fenster. Und so wie sie zuvor die trägen Männer aus den Sitzen gerissen und zur Tanzgymnastik motiviert hatte, so lähmte ihre plötzliche Bewegungslosigkeit auch die fünfzig Belgier um sie herum. Sie folgten ihrem Blick aus dem Fenster und sahen eine Reihe von Alleebäumen mit Kreuzen drauf. Ratlosigkeit stand nun in ihre Gesichter geschrieben und ratlos waren sie auch. Die Belgier versuchten, umnebelt von Bier und Schweiß, herauszubekommen, was diese deutsche Sitte bedeuten könnte. Natürlich gelang ihnen das in ihrem Zustand nicht und ob sie es nüchtern geschafft hätten, weiß keiner. Aber Tanzen und Johlen ging nicht mehr, hier musste ein Rätsel gelöst werden und irgendwie spürten alle, dass es um etwas Wichtiges ging. Vor allem die blonde Frau dachte intensiv nach. Da war doch was. Warum komm ich nicht drauf? Ist das eine besondere Verkehrsregel? Reflektieren die Kreuze im Dunkeln? Kreuzen hier häufig Rehe die Straße?
Der Autofahrer im Wagen hinter dem Bus staunte. Wie gern hätte er den schwankenden Bus mit den ausgelassenen Belgier schon vor einer halben Stunde überholt. Nun stand er im Stau hinter ihm und sah, wie sich eine trunkene, schwankende Menschengruppe in fünfzig andächtige, stille Männer und eine Frau verwandelte. Die haben noch Anstand, dachte er. Belgier können feiern, aber sie wissen auch, wann man aufhören sollte. Meinen nächsten Urlaub sollte ich in Belgien verbringen.