Der Blick in den Spiegel

Ein letzter Check im Spiegel: Sitzt die Frisur? Ist noch was zu retten, wie wirke ich heute auf andere?
Gerade wollte ich mich wegdrehen und zur Tür hinaus, da stutzte ich, verharrte in der Betrachtung, mein Blick blieb erstmals länger als eine Zehntelsekunde auf meinem Antlitz ruhen.
Was hatte ich all die Morgen übersehen? Was war mit mir passiert?
Mein Kopf schien zu glühen, eine Art inneres Leuchten ging von mir aus. Die Augen weit aufgerissen wie die eines neugierigen Kindes.
Eine lustige Mütze hatte ich mir wohl am Vorabend aufgesetzt, die vorne einen Henkel hat, damit man sie besser abziehen kann, wenn der Herr Pfarrer des Weges kommt und ich ihn grüßen will.
Adrenalin schoss in meine Adern; das mochte alles witzig sein, für andere, für mich war es beunruhigend.
Dann fiel es mir ein: Ich war gestern im Husareneck gelandet mit meinem Aquarell-Kurs, alles Frauen, welcher Mann malt schon Aquarellbilder? Ja, wir hatten eine gute Zeche gehabt und dann hatte ich später mein neues Bild im Bad aufgestellt. Der Rosi hatte ich noch gesagt: Du, ich habe jetzt ein neues Bild von mir. Sie wollte gleich ein Psychogequatsche anfangen, von wegen Neuanfang, die Welt noch mal neu sehen und überhaupt. Neenee, hatte ich der Rosi gesagt, habe ich heute gemalt, das ist noch ganz feucht.
Ach so, hatte sie geantwortet und wirkte ein wenig enttäuscht, das habe ich auch, das ist aber schöner.
Sie hatte es mir gezeigt und ich hatte es pottenhässlich gefunden. Deshalb war ich allein nach Hause gegangen.  Ich hatte meinen Neuanfang noch vor den Spiegel gestellt. Jetzt stand er da.
Ich ließ ihn stehen, denn ich wollte lieber nicht wissen, wie es hinter dem Spiegel aussah.