"Weiser Mann" Olli Dallilahmer: Sei keine Flasche!

Du Flasche!, zischt Elvira, und ihr Urteil kann nicht demütigender und vernichtender sein. Gerade Elvira, müsstest du denken, Elvira mit den schiefen Zähnen, die hat doch nichts zu sagen, mit den Segelohren, die sie hinter einer Betonfrisur verbirgt, was hat die zu melden? Nichts. Aber gerade das ist es, was dich verletzt. Wie kann ein weiblicher Loser so etwas sagen? Der Weise lehrt, dass wir am meisten durch die Menschen lernen, die uns die größte Qual verschaffen. Sei kein Flasche, die im Trüben dümpelt, halb gefüllt oder halb geleert, diffus in ihrer Selbstwahrnehmung, die sie nicht entscheiden kann, ob das Halbgefülltsein positv oder negativ ist. Keine Gefülltsduseligkeit! Eine volle Flasche wäre längst abgesoffen und läge nun auf schlammigem Grund, an ihr würde gelegentlich ein Wels lecken oder eine Unterwasserschnecke kleben. Das ist kein Leben. Flaschen haben kein Leben. Sei keine volle Flasche, aber auch keine leere! Selbst leer schwämmest du nur an der Oberfläche, du wärst verdammt dort zu treiben, in morastigem, brackigem Wasser. Kinder würde mit Steinen nach dir werfen, um dich zu zerstören. Du wärst hilflos, ohne eigenen Antrieb, ausgelutscht und hohl, niemand wollte dich. Nicht einmal dem Pfandflaschensammler wärst du gut genug; für die Aussicht auf 7 Cent wird er seine ausgetretenen Joggingschuhe nicht beschmutzen. Elvira ist schuld, aber du kannst ihr vergeben. Ihre eigene Winzigkeit nährt den Hass auf die anderen Winzigen, die so sind wie sie. Sie muss verletzen, um zu überleben, um nicht an ihrer Mangelhaftigkeit zu zerbrechen. Je mehr sie verletzt, desto stärker haftet sie an ihren Makeln.

Ein Mensch ist keine Flasche, nur weil er nutzlos herumsteht oder im Trüben treibt; ein Mensch ist ein Mensch, der ein Recht auf sein Leben hat. Das muss auch Elvira begreifen, die blöde Kuh!, sagst du vielleicht erzürnt. Aber bedenke, auch Elvira ist ein Mensch...