Ratgeber: Wenn sich ein Schlitz nähert...

In der Regel sind Schlitze harmlos; sie nähern sich gern unauffällig Passenten, um sie dann lediglich durch ihre Gegenwart zu erschrecken, weil natürlich niemand mit dem Auftauchen eines Schlitzes rechnet. Besonders in der Karnevalszeit bemühen Schlitze die Nerven der Menschen arg. Sei es, dass ein langer Lulatsch als Zwerg gehen will und glaubt, dies durch das Aufsetzen einer Zwergenmütze zu erreichen, sei es, dass ein humorloser Einfaltspinsel als halber Till Eulenspiegel debütiert - nur ein Stoffarm ragt aus seiner Schellenmütze, an dem sogar noch die Schelle fehlt- das ist zu wenig, um die Phantasie selbst des schärfsten Denkers unter den Karnevalsliebhabern und Jecken anzuregen. Den Schlitz stachelt rücksichtsloser Dilettantismus nur zu seinem Tun an. In Feierlaune ist der Schlitz als solcher gar nicht so leicht zu erkennen, denn er besteht ja eigentlich nur aus einem länglichen Loch. Ein dünnes Gewand, ein Küchentuch oder ein Schonbezug für Sonnenschirme geben ihm erst ein Aussehen, das der Betrachter auch wahrnehmen kann. Wenn Zeitgenossen wie großer Zwerg und halber Till Eulenspiegel aber nur einen Vorwand suchen, sich einmal mehr die Kante zu geben, möglichst noch aus den Flaschen der neben ihnen am Wegesrand stehenden Narren, die auf das Heranpoltern der Rosenmontagswagen warten und hoffen, nicht von den allzu billigen Kamellen getroffen zu werden, dann ist das Betrug am rheinländischen Gemüt. Der Mann meint es doch gut, sei es ein Kölner oder auch nur ein verfeindeter Düsseldorfer; und mit ihm ist die Frau, die heute als Kamel geht. Der Schlitz ist immer lachender Dritter, selbst wenn es Rosenmontag nichts zu lachen gibt. Er ergötzt sich an der schlichten Blauäugikeit des Jecken vom Rhein und der Unverschämtheit des zugereisten So-tun-als-ob-Touristen, der seine Altkleidersammlung für sein Kostüm durchwühlt hat, weil er sich in der Heimat auch nicht verkleidet, wenn er einen saufen will. Der Schlitz passt sich an, er kann eingefleischte Karnevalisten und überhebliche Ostwestfalen bzw. verbitterte Sauerländer unterscheiden und sich auf jede Gemütsverfassung einstellen. Aber - was tun als Rheinländer, wenn sich ein Schlitz nähert? Da kann man nichts machen, selbst das Herunterreißen des Schonbezugs für Sonnenschirme hilft da nicht, denn das macht ihn höchstens unsichtbar. Sich stillschweigend in den nächsten Getränkeladen verabschieden und Leergut entsorgen ist eine geeignete Methode, den Schlitz unauffällig seinem Nachbarn zu überlassen. Der Belästigte kann jetzt direkt aus dem Regal trinken und den Umzug durch das Schaufenster betrachten. Das hat weitere Vorteile: Er bleibt trocken und kann nach gutem Umsatz die Angestelltentoilette kostenlos benutzen. Der Ostwestfale und der Sauerländer sollten nächstes Jahr zu Hause bleiben.
(Ob im Karneval und an anderen Tagen Schlitze überhaupt unterwegs sind, ist bislang nicht verbürgt. Augenzeugenberichte stammen häufig von alkoholisierten Straßenrandstehern, die mehrfach von Kamellen getroffen worden sind und vergessen haben, wie spät es eigentlich schon ist. Selbst getippt waren ihre Berichte nur schwer verständlich oder gar nachzuvollziehen.)