Steinbruch im Winter

Lieber Dr. Bob,
es ist Frühling, es ist Sonntag, die Vögel zwitschern, aber ich habe einen Steinbruch im Winter in meinem Kopf, vor meinem inneren Auge ist er viel deutlicher zu sehen als zartes Grün und erwachende Natur. Ich schreibe Ihnen, weil ich dieses Phänomen nicht zum ersten Mal erlebe, erst vor kurzem, an einem Freitag, kurz vor Feierabend, alle freuten sich aufs Wochenende, Michi machte schon ein paar Bierflaschen auf, da überfiel es mich plötzlich und vor meinem inneren Auge erblickte ich meinen Wecker, den alten Radiowecker, bei dem das Radio nicht mehr geht, aber die Digitalanzeige, ich erkannte deutlich 5.55 Uhr, und ein Piepton schrillte in meinem Ohr, und mir war klar, ich sah innerlich den Montag und nicht den Freitag. Und dann, neulich, war Kathi hier, und ich war richtig gut drauf, und sie auch, und ich hatte eigentlich den weiteren Verlauf des Abends schon ganz deutlich vor Augen, aber dann war das Bild weg, wie umgeschaltet, und auf dem anderen Sender gab es nur ein Standbild von einem kalten Waschlappen, und das Bild ging nicht weg, sondern blieb, ja und da war der Abend schnell vorbei, und ich habe Kathi was von Migräne erzählt, und sie war dann auch schnell weg, nur der Waschlappen, der hing immer noch vor meinem inneren Auge rum. Lieber Dr. Bob, kann es sein, dass das in der Familie liegt? Mein Opa hat mal an einem warmen Tag im April gesagt, dass der Sommer nun auch schon bald wieder vorbei ist, gut, da war er über 80, da kommt es einem vielleicht wirklich allmählich so vor, als ob ein Sommer nur noch drei Tage dauert, aber vielleicht bin ich ja erblich vorbelastet. Helfen Sie mir, ich mag mich schon nicht mehr an den gedeckten Tisch setzen, egal, was es gibt, ich sehe Abwaschberge und abgenagte Knochen, Fettflecken auf Tischdecken und mir vergeht schon vorher der Appetit. Was kann ich tun?

Ihr Franz