Günter Krass: Die Sache mit der FDP

Wir waren damals alle links und Blomund war noch linker. Blomund hatte die Pekingnachrichten abonniert und rauchte Gitanes. Das war härter als Gauloises und richtig existentiell. Schwarzer Rollkragenpullover, Tabakreste an der Lippe. Besonders beeindruckend: Das Herausklopfen der Zigarette auf dem gestreckten Zeigefinger der Linken. Da musste man eigentlich sofort Raucher werden oder Kommunist. Sartre hätte seine Freude gehabt.
Blomund musste um seine Zensur in Philosophie kämpfen mit Dr. Möppker, der ihm die zwei geben wollte, wahrscheinlich weil Blomund ideologisch nicht in das Konzept eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums mit sprachlichem Zweig passte. Blomund bekam die eins, denn wir waren Zeugen. Auch ein Dr.Möppker konnte das nicht ignorieren.
Blomund lallte dann später auf der Abschlussfahrt, weil er betrunken war. Er saß auf einem Waschbecken in einem Doppelzimmer unserer Unterkunft. Er war kreidebleich und wir ahnten, dass er sich bald übergeben würde. Erste Anzeichen des Zerfalls. Sartre runzelte die Stirn und wir zogen einen Vorhang, der als Blickschutz gedacht war, vor seinen schwankenden Oberkörper und seine kindlich-verzerrten Gesichtszüge.
Nach dem Abitur fragten wir uns, was aus Blomund wohl geworden sei. Später hörten wir, er sei in die FDP eingetreten. Von den Peking-Nachrichten direkt in die FDP. Eine Welt brach zusammen: Alles Tand. Gitanes ohne Filter und Kämpfe um die Zensur gegen das philologische Establishment im Rollkragenpullover. Aber wir verstanden: Das alles ergibt, wenn man es mit dem Pürierstab des Lebens zerkleinert und vermischt, nur die eine Konsequenz: FDP.
Sarte drehte sich im Grabe um.