Sind wir das wirklich?

Ein letztes Mal schauen wir in den Spiegel, bevor wir das Haus verlassen und kontrollieren, ob alles sitzt: Brille, Frisur, Schlips und Jackett. Ist das Oberhemd sauber, oder hat Thea das mal wieder nicht in die Wäsche getan, sondern in den Kleiderschrank gehängt? Thea, ja die hatte immer ein Späßchen auf Lager, aber das können wir uns in unserem Beruf, in dem man mit Kunden umgeht, in dem es auf das Aussehen ankommt, wenn man erfolgreich sein will, nicht leisten.
Unsere Lippen sind heute besonders rot, so als habe jemand Lippenstift aufgetragen und auch die Haare wirken irgendwie länger als sonst. Wieso ist das Jackett in Wanderprediger-Weiß und nicht anthrazit? Das Oberhemd ist dekolletiert! Wo ist die Brustbehaarung geblieben und war das wirklich ein Brustansatz? Eigentlich hübsch, aber unmännlich. Kam das von den neuen Tabletten? Die Brille! Die Brille fehlte. Wir fragen uns: Sind wir das wirklich oder ist alles nur ein böser Traum? Da würden die Kunden rebellieren und ihre Konten auflösen, ihre Verträge kündigen und fluchtartig das Gebäude verlassen!
Und dann stellen wir fest, während die Hände feucht werden und der Blutdruck die Stirnadern anschwellen lässt, dass es Thea ist, die vor uns steht.
Thea, jetzt lass mal deine Späßchen, ich muss los!
Und Thea ruft uns hinterher: Willst du nicht ein frisches Oberhemd anziehen? Du hängst dauernd die verschwitzten wieder in den Schrank.
Dafür ist es jetzt zu spät. Thea. Gute alte Thea. Überhaupt keinen Bezug mehr zur Realität. Sollte mal was arbeiten gehen.