Blut und Wasser

Bodo und Piete waren Cousins. Sie wären gerne Freunde gewesen, aber leider waren sie schon Cousins. Das eine schloss das andere aus. An Tagen, wenn sie nicht gestritten hatten, dachten sie darüber nach, wie sie ihr Zwangsverhältnis, das durch die Verwandtschaft ihrer Väter bestimmt wurde, selbstbestimmt intensivieren konnten. Auch wenn ihnen das Vokabular fremd war, ahnten sie, worum es ging. Cousin war man, da konnte man nichts machen. Sie beschlossen Blutsbrüder zu werden.
Blut ist dicker als Wasser, sagte die Oma in der Kittelschürze, wenn sie ein geschlachtetes Huhn rupfte. Das Blut des Huhnes hing draußen am Hauklotz, das Beil steckte oben im Holz.
Auch hier ahnten die Cousins, um was es im Leben wirklich ging. Blut. Der Saft, aus dem Leben gemacht ist. Der Saft, der verbindet bis in den Tod und darüber hinaus.
Winnetou und Old Shatterhand hatten es vorgemacht. Mit ihren riesigen Bowiemesser schnitten sie sich mutig in die Handflächen. Sie zuckten nicht. Gut, Indianer kannten keinen Schmerz, aber Lex Barker, das war doch ein Weißer, der musste doch etwas spüren. Und warum gerade in die Handflächen, das konnte leicht entzünden? Ein anderes Mal oder in einem anderen Film oder gar im Buch schnitten sie die Stelle am Unterarm, wo jeder sofort dachte, die treffen da eine Ader, dann spritzt es nur so heraus!
Mein weißer Bruder! Mein roter Bruder! Diese Anrede war der Lohn für den Schmerz, für die Entzündung, für drei Wochen Wundversorgung, drei Wochen Einschränkung beim Niederschmettern von Feinden, drei Wochen Einschränkungen in allem! Blutsbrüder. Das war schon was. Da wusste jeder sofort, dass hier keine Softies sich einem Ritual hingegeben hatten.
Bodo und Piete dachten noch einmal über die Blutsbrüderschaft nach. Wo sollte man den Schnitt machen, das war keine unwesentliche Frage. Welches Messer wollte man nehmen? Ein scharfes oder eher ein stumpfes, damit es nicht so schnitt? Vielleicht sollten sie warten, bis beide eine Borke hatten, etwa auf dem Knie, die konnte man dann vorsichtig anknibbeln und leicht anheben, dann sickerte das Blut meistens von selber.
Borken. Das war die Lösung. Das Warten auf Borken und dann Blutsbrüderschaft.
Das gerupfte Huhn stand am Sonntag als Frikassee auf dem Tisch. Die Oma in der Kittelschürze murmelte: Suppe macht man nicht nur aus Wasser....